Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Neuntes Kapitel

Drei Tage später kehrte Graf Kölpin mit seiner Gemahlin nach Berlin zurück, und das Leben nahm für Fritz wieder seinen gewohnten arbeitsreichen Gang an.

Wegen des Besuchs bei dem Baron von Krey hatte er sich vorsichtshalber bei Hempel befragt. Der nahm die Karte, besah sie von allen Seiten, schlug dann plötzlich mit der flachen Hand auf seine Lende und eilte, ohne ein Wort zu entgegnen, auf den alten Aalkrug zu, der gerade in gewohnter würdiger Haltung, die Hände auf den Rücken gefaltet, quer über den Hof nach seiner Wohnung schritt. Die beiden sprachen lange und eindringlich miteinander, schüttelten die Köpfe, nickten und gestikulierten und winkten schließlich Fritz herbei, der mit offenem Munde dem seltsamen Gebahren von weitem zuschaute.

»Wo hast du diesen Herrn Leopold Freiherr von Krey kennen gelernt, lieber Fiedler?« fragte Aalkrug.

Fritz erstattete mit kurzen Worten Bericht, und jedesmal, wenn er den Namen des Barons nannte, zuckte der alte Kammerdiener zusammen und warf einen scheuen Blick nach den Fenstern des Herrschaftshauses empor.

»Nun sage einmal, mein braver Fiedler,« fuhr Aalkrug fort, »entsinnst du dich denn gar nicht mehr dessen, 161 was wir an jenem Geburtstagsabend bei mir über diesen Herrn Leopold von Krey gesprochen haben –?«

Fritz schüttelte den Kopf. Er entsann sich dessen in der That nicht mehr – er wußte nur, daß der Name genannt worden war, nichts weiter. Die Sache hatte ihn nicht interessiert.

Aalkrug gab ihm die Karte des Barons zurück.

»Geh' zu ihm,« sagte er, »es kann nichts schaden – es dürfte sogar gut sein! Geh' ruhig zu ihm und höre, was er von dir verlangt. Versprich ihm aber nichts – verstehst du, Fiedler? – sondern nicke nur, sage Ja oder sage, du würdest es dir überlegen, und dann komm' zu mir und erzähle mir, was der Mann gewollt hat. Vor diesem Baron Leopold von Krey muß man sich nämlich hüten.«

Fritz war einverstanden. Erst jetzt begann er der Sache Interesse abzugewinnen – er war neugierig geworden.

Am nächsten Sonntage machte er sich auf den Weg nach der Dresdenerstraße. Das Haus Nr. 117 war ein schon ziemlich altes zweistöckiges Gebäude, dagegen war das, den Vorderbau um zwei Stockwerke überragende Hinterhaus neu aufgeführt worden. Das Ganze gewährte einen merkwürdigen Eindruck. Beide Häuser wurden augenscheinlich von sogenannten kleinen Leuten bewohnt – im Hintergebäude hatten sich auch einige Künstler und Künstlerinnen aus dem benachbarten Americantheater einquartiert.

Fritz fand sich schnell zurecht. Im dritten Stockwerk des Querhauses las er an einer einflügeligen Thür 162 und auf einer arg beschmutzten Visitenkarte den in lateinischen Lettern aufgedruckten Namen »Mr. Leopold Krey«. Über das amerikanische »Mister« wußte sich Fritz keine Rechenschaft zu geben – aber der fehlende Adelspartikel machte ihn stutzig. Er zögerte einen Augenblick, ob er die Klingel ziehen sollte, zumal da plötzlich hinter der Thüre merkwürdige Geräusche hörbar wurden – Stampfen und Hämmern, dröhnendes Aufschlagen und dazwischen ein wütendes Hundegekläff.

»Wo wollen Sie denn hin?« hörte Fritz hinter sich fragen. Ein junges und hübsches, aber sehr blasses und aus tief umschatteten Augen blickendes Mädchen in verwachsenem hellen Kattunkleide war, einen Blecheimer in der Hand, die Treppe hinaufgestiegen und neugierig hinter ihm stehen geblieben.

»Zu Herrn Baron von Krey,« antwortete Fritz, »der wohnt doch hier?«

»Ja ja,« nickte das Mädchen, »der wohnt hier!« Und einen Augenblick auf die sich immer mehr verstärkenden Tiergeräusche in der Kreyschen Wohnung lauschend, fügte sie lächelnd hinzu: »Er dressiert wieder 'mal! Klingeln Sie nur! . . .«

Fritz zog die Glocke, die hell und schrill antwortete. Fast unmittelbar darauf wurde geöffnet.

»Ah – Sie! Das ist hübsch von Ihnen! Please, my little giant! . . .« Herr von Krey reichte Fritz die Hand und zog ihn hinein. Der Baron war in Hemdärmeln und hatte eine Hetzpeitsche in der Rechten; die Beinkleider, die er trug, waren zerrissen und schäbig, und die Morgenschuhe an den Füßen niedergetreten und 163 abgebraucht. Auf dem Kopfe saß ihm eine braunrote arabische Tschaschia, und sein Vollbart steckte in einem Art Sacke aus schmutzig gewordener Leinwand, der mittels einer Schnur in Schleifen um die Ohren befestigt war.

Mehr als ein halbes Dutzend kleinerer und größerer meist sehr schöner Hunde sprang und wedelte im Zimmer umher und umkläffelte und umschnüffelte Fritz bei seinem Eintritt. Eine widrige Stallatmosphäre herrschte in diesem Gemache, dessen Ameublement lediglich aus einem Kleiderspinde und einer Reihe, dicht an den Wänden stehenden Rohrstühlen bestand. Auf dem Spinde sah man eine halbgeleerte Berliner Weiße, und neben dieser, zusammengekugelt und mit großen grünen Augen herablugend, eine mächtige, wunderschöne Angorakatze.

»Ruhe, ihr Köter!« schrie Herr von Krey, als die Hunde den fremden Gast immer leidenschaftlicher umkläfften; »– à la place, Mignon, Bubi, Ratterle, Isa, Damian, Wasser, John, Türk, à la place! Ich werde euch Beine machen!«

Und die Hetzpeitsche pfiff durch die Luft. Im Augenblick war das Gebell verstummt; die Köter kniffen die Schwänze ein, und eine Sekunde später saß ein Hund neben dem andern, wie die Orgelpfeifen nach der Größe geordnet, auf der Stuhlreihe an den Wänden.

»Alle Wetter – nun haben wir aber keinen Platz,« lachte Krey. Dann pochte er mit der Faust an die Thür zum Nebengemach. »Reich' mir einmal ein paar Stühle hindurch, Carmella!« rief er mit Stentorstimme.

Die Thür wurde halbweit geöffnet, und im Rahmen derselben erschien ein junges Weib. Fritz zuckte zusammen, 164 und im Augenblick schoß ihm alles Blut in das Antlitz. Das war die Schöne, die er an der Seite Kreys und des Champagnergrafen in der »Springenden Münze« gesehen hatte! Wie ein Schleier wehte es über die weit aufgerissenen Augen Fritzens. Ihm war, als trete ihm da plötzlich ein völlig nackendes Weib blühenden Leibes entgegen . . . Nur eine kurze Sekunde währte die Erscheinung – die geöffnete Thür schloß sich sofort wieder . . .

»Nun?!« schrie der Baron; »wo bleiben denn die Stühle?«

»Einen Augenblick!« tönte aus der Nebenstube die weibliche Stimme zurück; »ich habe geübt und stecke vom Kopf bis zu den Zehen im Tricot!« –

Aber schon innerhalb der nächsten Minute trat Carmella ein. Sie hatte einen langen, feuerroten Theatermantel übergeworfen, der ihre ganze Gestalt verhüllte, und trug in einer Hand einen Rohrstuhl, in der andern einen hölzernen Schemel.

»Eccolo,« sagte sie, stellte die Stühle nieder und streckte dann Fritz die nicht kleine, aber schön geformte, fleischige und nervige Rechte entgegen. »Entschuldigen Sie die Wirtschaft,« fügte sie lächelnd hinzu, »– so ist's bei uns Theaterleuten!«

»Aber es wird anders werden!« bemerkte Krey mit 165 Bitterkeit. »Setzen Sie sich, Herr Fiedler. Rauchen Sie? – Ja. Bitte sehr! Sie können die Cigarre beruhigt nehmen – mein Geschmack hat auch in den Zeiten der Not nicht gelitten!« . . .

Fritz ließ sich nieder, zündete die Cigarre an und paffte mächtige Rauchwolken vor sich hin. Er versuchte seine Verlegenheit zu verbergen und benahm sich dabei immer linkischer. Carmella beschäftigte sich indessen mit den Hunden, die sich bei ihrer Annäherung vor Freude krümmten, mit den Schwänzen wedelten und kurze, heulende Töne ausstießen; einer war eifersüchtig auf den andern.

Fritz schielte durch die Wolken seiner Cigarre zu der schönen Person hinüber. Wenn sie einen der Köter streichelte, konnte man ihren vollen, bloßen, kräftigen Arm sehen, dessen Muskeln sich mächtig spannten, wenn sie ihn nur beugte. Der dünnstoffige Mantel war nicht geeignet, ihre Gestalt unerkennbar zu lassen; eng schmiegte er sich im Faltenwurfe an ihre Formen an, und wenn sie einen Schritt that, schlug er um ihre Füße zurück. Fritz sah das alles – mit starrem Auge, in dem fremde Lichter zu zucken begannen . . .

»Also!« – Baron Krey rückte dicht an Fritz heran und knippste mit seinen Fingernägeln. »Es handelt sich um folgendes, mein lieber Herr Fiedler! Ich bin vor Jahren einmal mit Ihrer jetzigen Herrin, der Gräfin Kölpin, bekannt – sehr genau bekannt gewesen. Verhältnisse äußerer Art haben uns getrennt – sie heiratete ihren jetzigen Gatten, und ich ging ins Ausland. Wir haben uns lange nicht gesehen – aber mir liegt daran, 166 die alte Bekanntschaft wieder einmal aufzufrischen. Das hat seine Schwierigkeiten – ich verkenne das nicht. Graf Kölpin haßt mich und will nichts von mir wissen. Den Teufel auch – ich gebe ihm seinen Haß ehrlich zurück! Ich habe mich schon verschiedene Male mit der Gräfin schriftlich zu verständigen versucht, doch der Graf wacht mit scharfem Auge über ihrer Korrespondenz und fängt regelmäßig meine Briefe auf. Auf schriftlichem Wege geht's also nicht. Bleibt der persönliche übrig. Ich muß sie sprechen – komme es, wie es wolle! In der ›Springenden Münze‹ hörte ich nun, Sie seien bei den Kölpins bedienstet, und da schoß mir ein guter Gedanke durch den Kopf. Sie müssen mir eine Rücksprache mit der Gräfin möglich machen – ich werde mich revanchieren, verlassen Sie sich darauf.« . . .

Herr von Krey brach ab und schaute Fritz forschend an.

»Nun? – Dünkt Ihnen die Sache nicht?«

Fritz wiegte den Kopf hin und her. »Es wird schwierig sein,« meinte er.

»Schwierig?! Du lieber Himmel – ich bin einmal auf blankem Pferde durch einen brennenden Prairiestreifen geritten – das war noch schwieriger! Wie mir da die Flammen ins Gesicht schlugen und die entsetzliche Glut mich zu dörren drohte, wie ich nach Atem rang und jeden Augenblick glaubte, mein armer Gaul würde unter mir zusammenbrechen und mich ins Feuermeer werfen – lieber Freund, da habe ich erkennen gelernt, daß es keine Schwierigkeit giebt, die nicht zu überwinden wäre! Nein – kommen Sie mir damit nicht! Die Sache ist einfach genug. 167 Sie teilen mir einen geeigneten Zeitpunkt mit, an dem der Graf nicht zu Hause ist. Ein solcher findet sich leicht. Der Graf hat Dienst, geht auf die Jagd oder zum Liebesmahl und läßt seine Frau oft genug allein. Das ist unschwer, vorher zu erfahren, wenn man die Ohren ein wenig offen hält – man kann das auskundschaften. Unter irgend einem Vorwande wird auch der Portier auf wenige Minuten zu entfernen sein – Sie öffnen mir dann die Entreethür, und die Sache ist abgemacht. Zurechtfinden werde ich mich schon – ich kenne das Haus« . . .

Herr von Krey ließ wieder den Blick fragend auf Fritz ruhen, aber der Ausdruck in dessen Gesicht schien ihm nicht zu gefallen. Und erregteren Tones fuhr er fort:

»Ich sagte Ihnen schon, daß ich Ihre Gefälligkeit nicht umsonst beanspruche. Ich zahle Ihnen hundert Mark für den kleinen Dienst – fünfzig, sobald ich die erste Nachricht von Ihnen erhalte und den Rest, wenn ich mit der Gräfin gesprochen habe! Herrgott, was giebt es denn da noch lange zu zögern! Oder« – der Baron lachte belustigt auf – »oder fürchten Sie vielleicht, ich würde ein Verbrechen begehen? Mich an der Gräfin vergreifen? Ihre Brillanten stehlen? Was?! – Sehe ich aus wie ein Verbrecher?« . . . Er riß sich den Linnenbeutel, den er zum Schutze seines prachtvollen Vollbarts um diesen gebunden hatte, vom Gesicht und sprang auf. »Mein lieber Freund, wenn Sie wüßten, durch welche Schule von Versuchungen ich im Leben gewandert bin, ohne zu unterliegen, dann würden Sie mir mit weniger Mißtrauen entgegen kommen! Ich gebe zu, mein Verlangen hat 168 einen etwas abenteuerlichen Anstrich, aber wie soll ich's machen, der Gräfin habhaft zu werden?! Soll ich ihr auf offener Straße auflauern? – Unsinn, mein Freund – es geht nicht anders, und nun lassen Sie Ihre Bedenken! Carmella, sprich auch du einmal ein Wort zu meinen Gunsten!«

Die Angeredete wandte sich langsam um und zog den roten Mantel, dessen Widerschein auf ihrem Antlitz leuchtete, fester um die Schulteru. Ihre dunklen Augen hafteten minutenlang auf dem Gesicht Fritzens.

»Ich verstehe zu wenig von der ganzen Angelegenheit,« entgegnete sie dann abwehrend, »um mich in sie einmischen zu können. Laß mich mit diesen Sachen in Ruhe!«

Sie strich dem weißflockigen Pudel, neben dem sie stand, schmeichelnd mit der Rechten über den Kopf und schritt zur Thür.

»Ich werde mich umkleiden,« sagte sie dabei – dann kehrte sie noch einmal zurück, bot Fritz die Hand und nickte ihm freundlich zu: »auf Wiedersehen!« –

Fritz sprang auf, machte eine täppische Verbeugung und preßte die Hand Carmellas fest in seiner Rechten. Die Cigarre war ihm aus dem Munde gefallen und glimmte, eine feine Rauchsäule emporsendend, auf der Erde weiter.

Herr von Krey lächelte seltsam. Er hob die Cigarre auf, öffnete das Fenster und warf sie hinaus. Dann bot er Fritz eine neue an.

»Ein närrisches Frauenzimmerchen, diese hübsche Carmella,« sagte er. »Sie hat ihre Launen und ist 169 schwer zu behandeln . . . Ich kenne sie schon seit Jahren, habe sie aber erst hier wieder gefunden. – Vom Ersten ab tritt sie im Reichshallentheater als Athletin auf – da müssen Sie einmal hingehen. Das Mädchen hat Riesenkräfte.« . . .

Der Baron stieß Satz für Satz abgebrochen hervor und schritt dabei unruhig im Zimmer auf und nieder, nur dann und wann einmal bei einem seiner Hunde stehen bleibend. Er schien mit einem Entschlusse zu kämpfen. Plötzlich zog er ein kleines Portefeuille aus der inneren Tasche seiner halb offenstehenden Weste und entnahm ihm einen Fünfzigmarkschein.

»Der letzte der Mohikaner,« meinte er. »Da – nehmen Sie! er möge das Angeld sein. Aber nun Wort gehalten, Fiedler!«

Fritz zog die Hand zurück.

»Ich kann nicht so ohne weiteres zusagen, Herr Baron,« entgegnete er, »lassen Sie mich die Sache überlegen.« . . .

Krey stampfte mit dem Fuße auf – die Hunde wurden unruhig und begannen zu kläffen.

»Überlegen – überlegen! Da sagen Sie nur gleich Nein und basta! Liegt denn das Geld auf der Straße, daß Sie einen so leichten Verdienst von der Hand weisen wollen? Oder haben Sie Furcht, mein Bester? – Beruhigen Sie sich – ich gebe Ihnen mein Wort, daß nicht der Schatten eines Unrechts auf Sie fallen soll! Kein Mensch wird je erfahren, wer mir die Thür geöffnet hat! Kein Mensch, mein Junge! Und nun nehmen Sie!«

170 Fritz steckte die Hände in die Taschen seines Jacketts.

»Behalten Sie Ihre fünfzig Mark, Herr Baron,« erwiderte er. »Wir wollen weiter darüber reden, wenn ich Ihnen zugesagt habe. Vor der Hand kann ich das nicht. Ich muß Bedenkzeit haben.«

»Bedenkzeit – gut. Auch das!« – Krey ließ die Hetzpeitsche durch die Luft pfeifen. »Und wie lange?«

»Einige Tage.«

»Schön. Heut haben wir Sonntag. Sagen wir also bis Mittwoch. Ist Ihnen das recht?«

»Gewiß.«

»Wollen Sie zu mir kommen oder mir schriftlich Nachricht geben!«

»Eins von beiden, Herr Baron. Ich weiß nicht, ob ich werde abkommen können. Am Mittwoch findet eine große Gesellschaft bei uns statt, da giebt es viel zu thun« . . .

Krey horchte auf.

»Gesellschaft – am Mittwoch,« sagte er, mehr zu sich selbst, als an Fritz gewendet. »Bon, Hand drauf, daß ich Nachricht erhalte!«

Fritz schlug ein. Er war sich vollkommen klar darüber, daß er dem Baron abschreiben würde.

Man verabschiedete sich. Fritz atmete auf, als die Thüre hinter ihm ins Schloß fiel. Drinnen begann das Hundegebell von neuem, und dazwischen erklang die Stimme Kreys:

»Bubi, Ratterle, Mignon – allons! Ronde à droite! Damian, Türk, Isa – au milieu! Wasser 171 au centre! Position - ahé!« . . . und wieder hörte man das surrende Pfeifen der Peitsche. –

Fritz schlug langsam den Heimweg ein. Er hatte noch den halben freien Nachmittag vor sich, aber die Luft fehlte ihm, zwecklos umherzubummeln. Die merkwürdige Wirtschaft dort oben nahm seinen Gedankengang in Anspruch. Was war dieser Baron von Krey und was trieb er? – Hundedressur! Fritz lachte leise auf. Das war eine rechte Beschäftigung für einen Edelmann! . . . Und dann stieg wieder das Bild des wundervollen Weibes in fleischfarbenen Tricots und in langem, wallendem Mantel vor ihm auf. Wie schön war sie mit ihren herrlichen Augen und ihren Purpurlippen und dem vollendeten Ebenmaß der Glieder! Sie war eine Athletin, hatte der Baron gesagt, und wollte im Reichshallentheater Vorstellungen geben. Das mußte er sehen – gleich am ersten Abend wollte er hingehen! – War sie die Geliebte des Barons? Es mußte wohl so sein . . . Und Fritz seufzte auf.

Als er im Kölpinschen Hause eintraf, fand er einen Teil der Dienerschaft im Hofe versammelt. Nickel und Basedow hielten den Zappelphilipp am Zügel; Graf Kölpin und Hempel standen daneben.

»Da kommt ja der Schlingel!« rief der Graf Fritz entgegen. »Was ist denn mit dem Zappelphilipp passiert, du Range?! Seit wann lahmt der Gaul?«

Fritz riß, heftig erschreckend, den Hut vom Kopfe. Der Zappelphilipp lahmte – wie war das möglich! Er war seit gestern mittag nicht aus seinem Box herausgekommen, war gepflegt worden wie immer und sollte lahmen? –

172 »Antraben!« befahl der Graf.

Nickel und Basedow gaben die Zügel locker und schnalzten mit der Zunge. Der Zappelphilipp trabte einige Schritt vorwärts – in der That, er lahmte rechts hinten nicht unbedeutend!

»Halt!« rief Graf Kölpin und warf Fritz einen strengen Blick zu. »Nun? – Willst du mir vielleicht sagen, was du mit dem Gaul angestellt hast?« fuhr er fort.

»Nichts – nichts, Herr Graf,« stotterte Fritz, blaß im Gesicht. Er wußte sich diese plötzliche Lähme durchaus nicht zu erklären.

Graf Wendelin trat dicht an den Zappelphilipp heran und strich mit der rechten Hand vorsichtig über die Beinsehnen des Pferdes. Sie fühlten sich warm an, der Gaul zuckte auch bei der ersten Berührung zusammen.

»Hat er in den letzten Tagen einmal in der Kette gelegen?« inquirierte Kölpin weiter.

Fritz zuckte die Achseln. Er war so verblüfft, daß er nicht zu antworten wußte.

Der Graf stieß ärgerlich mit dem Säbel auf die hart gestampfte Erde.

»Eselei sondergleichen!« schimpfte er. »Du wachst die Nacht über im Box des Zappelphilipp – verstanden? Du rührst dich nicht aus dem Stalle! Bis zum Abend wird fleißig gekühlt und dann das kranke Bein mit Restitutionsfluid eingerieben!« . . .

Er faßte an die Mütze und schritt, den Säbel tief nachschleppend, sporenklirrend über den Hof.

Kaum war er fort, so begann man von allen Seiten, 173 ein jeder nach seiner Art, den unangenehmen Vorfall zu besprechen. Nickel meinte, der Zappelphilipp hätte schon seit einigen Tagen den Kopf hängen lassen und habe »melangklötrig« ausgesehen, und Tom und Basedow kauderwelschten ähnliches ungereimtes Zeug zusammen. Mit einem derben Worte brachte der alte Hempel endlich die ganze Sippe zum Schweigen.

»Führt den Gaul in den Stall und haltet die Mäuler,« räsonnierte er. »Ihr versteht den Kuckuck von der Sache! Komm 'mal in meine Stube, Fritze!«

Fritz folgte dem mit krummen Knien Voranschreitenden in das bescheidene Kämmerchen, das der alte Jockey bewohnte.

»So – nun setz dich hin – drüben aufs Bette!« befahl Hempel, während er sich bückte, um in seiner Kommode herumzukramen, in der in chaotischer Unordnung alle möglichen und unmöglichen Dinge umherlagen. Dabei pustete und stöhnte der Kleine, als ob ihm jede Bewegung seines Rückgrats Schmerzen verursache.

»Sapristi,« ächzte er, sich endlich wieder aufrichtend, »man merkt, daß man alt wird! . . . Sieh einmal hier diese Büchse, mein Junge! Weißt du, was da drin ist?«

Fritz beschaute die mit einem bunt bedruckten Papier überklebte und englisch etikettierte Büchse von allen Seiten.

»Fleischextrakt,« meinte er.

Hempel lachte hell auf.

»Hat sich was!« gab er zurück. »Das ist ein ointment oder zu gut Deutsch eine Salbe, die schon so manchem 174 Gaule wieder auf die Sprünge geholfen hat! Das ist ein Universalmittel, my little boy. Unser Herr Graf versteht ja auch sein gut Teil von den Pferden, aber der alte Hempel kennt sich noch besser aus. Und nun merk einmal auf, Fritz Fiedler. Lasse man ruhig das Restitutionsfluid beiseite, kühle tüchtig und reibe den Zappelphilipp die Nacht über alle zwei Stunden mit diesem ointment gehörig ein. Auf meine Verantwortung hin! Fragt der Herr Graf, dann werde ich ihm schon Rede stehen. Nimm! Und jetzt erzähle mir gefälligst, ob du den Herrn Baron Leopold von Krey Hochwohlgeboren zu Hause getroffen hast oder nicht« . . .

Fritz nahm dankbar die Salbenbüchse entgegen; auf Hempel und seinen »Pferdeverstand« konnte man sich schon verlassen! Dann berichtete er über seinen Besuch bei Krey und über die seltsamen Verhältnisse, in denen dieser Herr augenscheinlich leben mußte.

Hempel hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, schob seinen schwarzen Cigarrenstummel aus einer Mundecke in die andere, schlug sich zuweilen auf die Lende oder stieß ein bedächtiges »Hm – hm« aus.

»Das ist ja eine schöne Geschichte,« meinte er, als Fritz geendet hatte, »so ein Halunke – so einer! I, da wird sich der Aalkrug amüsieren, wenn ich ihm das brühwarm erzähle! Nun sei aber auch vernünftig, Fritz, und setz dich gleich morgen hin und schreibe dem Baron, du hättest dir die Sache reiflich überlegt und bedauertest, auf seinen Vorschlag nicht eingehen zu können. Schlankweg nicht eingehen zu können! . . . Willst du 'nen Kümmel trinken? Nicht? Na, dann 175 mache, daß du zu deinem Gaule kommst! Morgen früh muß der Zappelphilipp wieder auf seinen vier Beinen stehen« . . .

Fritz nahm die Büchse mit dem wunderthätigen ointment, bedankte sich nochmals und stieg die Treppe hinab. 176

 


 


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