Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Siebentes Kapitel

Die Zeit verrann. Fritz Fiedler lernte reiten und noch alles Mögliche dazu. Er lernte auch Englisch sprechen – freilich nur das Rennbahnenglisch des alten Hempel, der ihn in den freien Abendstunden nach eigener Methode zu unterrichten pflegte. Fritz, der sonst, wie wir wissen, durchaus nicht lernbegierig war, machten diese Lehrstunden im kleinen Stübchen Hempels vielen Spaß. Auf die Grammatik kam es dem alten Jockey wenig an – das Sprechen war die Hauptsache, und es währte auch gar nicht lange, so plapperte Fritz sein Englisch genau so flüssig und genau so schlecht herunter wie sein Lehrherr selbst.

Die Lehrmethode, die Hempel anwandte, war so übel nicht. Sobald Fritz sich nur einigermaßen auszudrücken verstand und sich die ersten paar Dutzend Vokabeln angeeignet hatte, begann Hempel mit ihm zu konversieren. Der Alte erzählte allerhand Schnurren und Erlebnisse aus seinem bunten Leben und wußte diese kleinen Geschichten so interessant vorzutragen, daß Fritz ihnen mit größter Aufmerksamkeit lauschte und bei jedem Ausdrucke, den er nicht verstand, oder jeder Wendung, die ihm nicht klar erschien, sofort um Erläuterung bat. Hempels Geschichten 99 spielten sich selbstverständlich stets auf den Rennplätzen oder wenigstens in Sportkreisen ab, und er war unerschöpflich in Anekdoten. Er hatte ein hübsches Stück Welt gesehen, in Epsom ebensogut seine Renner durch die Pfosten geführt wie in Nizza und Paris und auf den Rennplätzen Amerikas. Ein sehr amüsantes Nachahmungstalent erhöhte die Wirkung seiner Erzählungen noch mehr. Wenn er die gravitätische Vornehmheit eines englischen Lords, die nervöse Zapplichkeit eines französischen Marquis oder das brutale, breitspurige Wesen eines amerikanischen Sportsman charakterisierte, brach Fritz stets in schallendes Gelächter aus.

Das Verhältnis zwischen Hempel und Fritz hatte sich mit der Zeit wie das eines Vaters zum Sohne gestaltet. Hempel hatte seinen jungen Zögling lieb gewonnen. Wie dieser, so stand auch der alte Mann einsam auf der Welt, und es that seinem verwaisten Herzen wohl, in Fritz eine anschlußfähige Natur und ein warmes Gemüt gefunden zu haben. So machte es ihm auch Freude, Fritz zu unterrichten und nach seiner Art zu einem tüchtigen Menschen heranzubilden. Die Lehrstunden nach dem Abendessen hatten im weiteren noch den Vorzug, daß sie Fritz von den Bummeleien und den dummen Streichen der übrigen Dienerschaft des Kölpinschen Hauses zurückhielten. Fritz fühlte sich in der Gesellschaft Hempels so wohl, daß er den Verkehr mit den andern auf das geringste Maß beschränkte – der Umgang mit Tom, Nickel, Basedow, dem hochmütigen Vegesack und den Lakaien paßte ihm sowieso nicht recht. Nur mit dem alten Aalkrug, dem ersten Kammerdiener und würdigen Freunde Hempels, 100 stand er auf gutem Fuße. Aalkrug war eine brave Seele, und obwohl auch ihm, der in früheren Jahren längere Zeit im königlichen Schlosse bedienstet gewesen, etwas von dem Lakaiendünkel der Bedienten großer Häuser eigen war, so wußte er den Stolz auf seine Vergangenheit doch stets in so humoristische Formen zu kleiden, daß man ihm nicht gram sein konnte. Aalkrug besaß eine Frau, die, sechszigjährig wie er selbst, die Wäsche und das Silber des Hauses zu bewahren hatte. Die beiden Leutchen bewohnten im ersten Stockwerk des dem Stalle gegenüber gelegenen sogenannten Kastellanshauses zwei Zimmer und hier war Fritz mit Hempel zusammen öfters zu Gaste. Man verzehrte gemeinsam das Abendbrot und trank dazu aus einem mächtigen Glase Berliner Weißbier. Hempel stiftete den dazu gehörigen Kümmel, ohne den, wie er sich ausdrückte, das »labbrige Zeug« ihm nicht durch die Kehle gleiten wollte. Dabei erzählte der alte Jockey denn mit ernstestem Gesicht die wunderbarsten Münchhausiaden und Aalkrug gab allerlei aus dem Schatze seiner Hoferinnerungen zum besten, wobei er nie verfehlte, jede dieser Geschichten mit den würdevoll vorgetragenen Worten einzuleiten: »Als ich noch die Ehre hatte, unsrer gnädigsten Majestät persönlich zu dienen . . .« Der gnädigsten Majestät hatte er zwar nie persönlich gedient, da er, wie man wissen wollte, nur Tafel-Lakai im Schlosse gewesen war – aber das schadete nichts; seine Erzählungen fanden dennoch den Beifall der Zuhörer, besonders den der guten Mutter Aalkrug, die, immer strickend und mit dem Kopfe nickend, auf jedes Wort ihres Gatten wie auf das Evangelium schwur.

101 Äußerlich hatte Fritz sich im letzten Jahre bedeutend zu seinem Vorteil verändert. Hempel hatte ihn, dem Befehle des Grafen folgend, der den Burschen zum Jockey herangebildet wissen wollte, gehörig in »Training« genommen. Alle Fett ansetzenden Speisen wurden ihm verboten, dafür erhielt er Fleisch, soviel er wollte. An Gewicht verlor der Junge binnen kurzer Zeit infolgedessen gewaltig; er war schlank wie eine Tanne geworden, und das stand ihm vortrefflich. Alles an ihm war Muskel und Sehne; seine riesige Körperkraft schien dabei noch gewachsen zu sein – Tom und Nickel hatten allen Respekt vor seinen eisernen Fäusten.

Nach Klein-Busedow schrieb Fritz fast alle Monate, und er erhielt stets pünktliche Antwort – abwechselnd vom Pastor und der Pastorin, dann auch einmal von Gustel und Line, doch niemals von Fanny. »Fanny grüßt«, lautete gewöhnlich der Schluß des Briefes, und das ärgerte Fritz. »Sie kann ja selbst einmal schreiben,« sagte er sich, »und wenn sie zu stolz dazu ist, dann lasse sie's bleiben. Mir ist es wurscht«. Es war ihm in Wahrheit aber durchaus nicht »wurscht«. Es kränkte ihn sehr, daß sein Ritterfräulein seiner so ganz vergessen hatte, und oft genug schlich sich in stilleren Stunden in seinen Gedankenflug die Erinnerung an ihr blasses süßes Gesicht und an ihre dunklen, fragenden Augen. Doch sein Trotzkopf war störrisch und dick geblieben, ob auch des Leibes Gliederbau gefügiger geworden war, und der dicke Kopf meinte: schreibt sie nicht, schreibe ich auch nicht – basta! –

An seinen freien Tagen wollte Fritz natürlich Berlin kennen lernen, und Hempel übernahm die Führung. An 102 diesen Sonntagen wurde die Livree mit Civil vertauscht, das Portemonnaie auf seinen Inhalt hin revidiert, und dann zogen die beiden los. Ein ungleicheres Paar ließ sich kaum denken. Neben dem hochgewachsenen, pinienschlanken Fritz mit seinem rosigen Kindergesicht und dem kurz geschnittenen blonden Haar, nahm sich der kleine Hempel wie eine Oberländersche Karrikatur aus. Das magere Gesicht mit der riesigen Hakennase war zwar stets glatt rasiert, aber auf Kinn und Wangen lag trotzdem beständig ein bläulich dunkler Schimmer. Die kurzen krummen Beine – »Teckelbeine« sagte der boshafte Basedow – hatten jenen merkwürdig watschelnden Gang, den man häufig bei alten Kavalleristen findet, und dabei schob Hempel den Oberkörper mit Vorliebe weit nach vorn und krümmte den Rücken, als ob er zu Pferde säße und über die Rennbahn sauste. Im Anzuge trug er sich gern etwas geckenhaft. Er liebte die grellen Farben, liebte maisgelbe Westen und scheckige Beinkleider und steckte sich, wenn er konnte, eine Blume ins Knopfloch. Im Munde aber hatte er immer, wo es nur anging, eine jener langen, pechschwarzen, fürchterlich schweren Cigarren, die Fritzen in so böser Erinnerung waren, daß er seit dem verhängnisvollen Heimweg von Deesenhoff nach Klein-Busedow am Ostermontage es noch nicht wieder mit dem Rauchen 103 versucht hatte. Eine besondere Eigenschaft der Hempelschen Cigarren war die, daß sie alle fünf Minuten ausgingen; Hempel rauchte dann gewöhnlich eine Stunde lang kalt weiter, ehe er sie von neuem anzündete, um sie nach abermals fünf Minuten von neuem ausgehen zu lassen. So kam es, daß er tagsüber sich immer nur mit einer Cigarre abzuquälen brauchte, obschon er sie, wie gesagt, selten aus dem Munde ließ.

Die Sonntagsspaziergänge mit Hempel hatten einen eigenen Reiz für Fritz. Hempel kannte Berlin seit dreißig Jahren und wußte überall Bescheid. Nur einmal, als Fritz mit ihm das Museum besuchte, erlahmte seine Allwissenheit. Für die schönen Künste hatte er ebensowenig Sinn wie sein Herr. Er selbst war zum erstenmale in seinem Leben im Museum, und das Museum mißfiel ihm sichtlich. Da war es im Cirkus denn doch bei weitem interessanter – oder im American-Theater, wo der unverfälschte Berliner Witz seine Heimstätte hat – oder draußen in der Hasenhaide in den großen Vergnügungsetablissements, wo »Familien Kaffee kochen können« und wo sich an den Sonntagsnachmittagen das bunteste Volksleben zu entwickeln pflegt. Dann und wann fuhren die beiden wohl auch einmal mit der Ringbahn oder dem Dampfer hinaus in die Umgebung der Residenz, stapften vergnügt durch den Sand des Grunewalds, ruderten auf einem der Havelseen bei Potsdam umher oder wanderten die staubige Chaussee hinab bis nach dem grünen Tegel, wo dereinst Alexander von Humboldt sein Buen Retiro aufgeschlagen hatte – eine Thatsache, die Herrn Hempel freilich weniger interessierte als das geräuschvolle Treiben 104 unmittelbar hinter dem ehemaligen Wohnsitze des großen Gelehrten, auf der Trabrennbahn von Weißensee.

Die Rennbahn bildete stets den Hauptanziehungspunkt der beiden Sportsmen, wenn sie sich an den Feiertagen einmal des Herrendienstes ledig fühlen durften. Ließ Graf Wendelin eines seiner Pferde laufen, so war es ja selbstverständlich, daß weder der alte Hempel noch Fritz in der Umgebung des Grafen fehlte – aber auch sonst waren die beiden ständige Zuschauer bei allen Meetings auf der großen Charlottenburger Bahn. Die Trabrennen in Weißensee, wo Gevatter Pusecke aus der Prinzenstraße seinen angejahrten Braunen gegen Meister Hannemans schwindsüchtige Schimmelstute im Geschirr gehen ließ und wo die geehrten Herren Schlächtermeister von Berlin sich ihren Wochenverdienst am Totalisator gegenseitig abnahmen, wurden nur dann und wann einmal und auch nur »Ulkes halber« besucht, denn Hempel war viel zu sehr Pferdekenner und Pferdefreund, um die Traberkunststücke der unglücklichen Schlächtermähren auf dem Blachfelde von Weißensee amüsant zu finden. Aber draußen in Charlottenburg – da gab es doch wirklich etwas zu sehen, da lachte einem das Herz im Leibe, wenn man die prächtigen Gäule am Startpfosten vor sich hatte, und das Auge weitete sich, wenn die Fahnen fielen und es hurra huß! hineinging in die unübersehbare Bahn – keuchend, pustend und schäumend!

Das war doch noch Leben und nervenkitzelnde Aufregung! Man mußte den alten Hempel sehen, mit welch' fieberndem Interesse er den Vorgängen auf dem Rennplatze folgte! Alle Welt kannte er, und überall sah man 105 seine kleine dürre Gestalt und seine riesige Hakennase. Bald zischelte und flüsterte er mit den Buchmachern, bald renommierte er gewaltig im Kreise befreundeter Jockeys und Trainer, bald unterhielt er sich an der Wage mit einem aristokratischen Sportsman, der von dem Vielerfahrenen vielleicht irgend einen guten Rat erbat. Und stets mußte Fritz an seiner Seite bleiben. Hempel wollte es so. »Immer dicht neben mir,« hatte er zu Fritz gesagt, »immer die Augen offen und immer den Mund zu – so lernt man am meisten.« Und Fritz befolgte diesen Rat getreulich – auch auf ihn übte dieses eigentümlich anregende Treiben einen mächtigen Reiz aus.

* * *

Am sechsten Mai feierte der alte Aalkrug seinen Geburtstag. Graf Wendelin hatte ihm schon am frühen Morgen persönlich gratuliert und ihm sein Kabinetsporträt mit der Unterschrift: »Seinem treuen alten Aalkrug – Wendelin Graf Kölpin-Deesenhoff« geschenkt. Das war sinnig und billig. Gegen Mittag hatte Gräfin Katinka den Kammerdiener in ihr Boudoir rufen lassen. Die Gräfin pflegte gern wieder wett zu machen, was ihrem Gemahl mit seiner übertriebenen Sparsamkeit übel vermerkt worden war, und deshalb schenkte sie Aalkrug eine goldene Taschenuhr als Ersatz für das schwere, altertümliche Tombakwerk, das der Kammerdiener in der Westentasche trug. Aalkrug war tief gerührt, küßte seiner gnädigen Herrin wiederholt thränenden Auges die Hände und wußte am Abend, wo Hempel, Fritz Fiedler und Herr Spirius, der Koch, zu einem solennen Essen in das 106 Kastellanshaus geladen worden waren, nicht genug von der Güte und Freundlichkeit seiner jungen Gräfin zu erzählen.

Es ging sehr festlich zu an diesem Abend in der kleinen Wohnung Aalkrugs. Herr Spirius hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst das Menü zusammenzustellen und für einige Delikatessen der Saison Sorge zu tragen. Hempel und Fritz mußten sich durch einen kleinen Geldbetrag beteiligen – Aalkrug hatte sich nur um den Wein zu kümmern, um sonst nichts.

Das waren vergnügte Stunden. Im Zimmerchen brannte die Hängelampe über dem von Frau Aalkrug festlich gedeckten Tische, dessen Mitte ein voller Strauß Maiglöckchen einnahm, den Vegesack, der erste Kutscher, am Vormittage gespendet hatte. Frau Aalkrug hatte die Absicht gehabt, in einer Aufwallung dankbarer Gesinnung auch Herrn Vegesack für den Abend einzuladen, aber sowohl ihr Gatte, wie auch Hempel und Spirius waren dagegen gewesen. Kein Mensch mochte den albernen Vegesack recht leiden, und da die gräflichen Herrschaften zum guten Glück in den Abendstunden noch ausfuhren, so war dies der beste Grund, den geckenhaften Oberkutscher mit der Einladung zu übergehen.

Neben dem alten Aalkrug, der in einem großen Sorgenstuhle saß und der mit seinem frischen, dicken und glatten Gesicht, dem schneeweißen, sorgfältig gescheitelten Haar und dem behäbigen Embonpoint heute noch würdiger aussah als sonst, hatte seine Frau Platz genommen, ein rundes kleines Weibchen in geblümtem Kattunkleide und mit einer altmodischen großen Haube auf dem Kopfe. 107 Auf der andern Seite Aalkrugs saß Herr Jean Henry Spirius, der Koch, den man sonst immer nur im Kostüm seines Berufs, schneeweiß vom Kopf bis zu den Füßen, zu sehen pflegte, der aber an diesem feierlichen Abend einen tabakbraunen Überrock mit Sammetkragen und gelbe Beinkleider mit breiten Gallons trug. Spirius war ein wohlgenährter Mann, wie sich dies für einen Küchenchef ziemt; sein Vollmondsgesicht glänzte immer, als sei es in Öl getaucht, und hinter das rechte Ohr steckte er gern irgend eine Blume oder ein grünes Zweigchen aus dem zur Ausschmückung der Schüsseln bestimmten Blütenstrauß, den der Gärtner tagtäglich zur gewissen Stunde in der Küche abzuliefern hatte. Auch heute war Spirius nicht von dieser Gewohnheit abgegangen; über seine voll gerundete rechte Backe nickte eine feuerrote Nelke a tempo mit jeder Kopfbewegung des Küchenmeisters.

Frau Aalkrug hatte soeben eine mächtige, mit einer weißroten Serviette bedeckte Schüssel auf den Tisch gestellt, strich sich dann das beständig leise knisternde Kattunkleid glatt und ließ sich wieder umständlich neben ihrem Gatten nieder. Aalkrug schmunzelte im Vorgefühl der ungeahnten Herrlichkeit, welche die weißrote Serviette vorläufig noch neidisch verbarg; man hatte ihm das Menü der Tafel sorgfältig verschwiegen – er sollte an diesem seinen Ehrentage überrascht werden, so war es der Wunsch der Freunde gewesen.

Hempel reckte sich auf seinem Stuhle in die Höhe, um dem bedeutend größer gewachsenen Koch die Frage ins Ohr zu tuscheln, mit welcher Weinsorte anzufangen sei.

108 »Scharlachberger,« wisperte Spirius zurück, – »die Rheinweinflaschen mit dem blauen Kopfe . . .«

Und Hempel erhob sich und stakerte mit seinen krummen Beinen nach der Ofenecke, wo eine ganze Kollektion von Flaschen in Reih und Glied aufgepflanzt stand und ihrer Bestimmung harrte.

Währenddessen zog Spirius mit lüstern gespitztem Munde und fast feierlicher Miene die Serviette von der Schüssel in der Mitte der Tafel.

»Ah« – machte Aalkrug, »Hummern – sieh da, sieh da . . . Als ich noch die hohe Ehre hatte, unsrer allergnädigsten Majestät persönlich dienen zu dürfen, war es mir oftmals vergönnt, hochdemselben Hummern servieren zu können. Hummern sind, wie Ihr ja wohl alle wissen werdet, die hohe Leibspeise unserer allergnädigsten Majestät, doch lieben Majestät, dieselben warm, ganz warm, möglichst so, wie sie aus dem Wasser kommen, zu genießen. Das Fleisch muß gewissermaßen noch heiß sein – dann strömt es auch jenes wundervolle, die Geruchsnerven in angenehmster Weise anregende Aroma aus, das dem kalten Hummer immer abgeht . . .«

»Sehr richtig, Herr Kammerdiener,« fiel Spirius ein und nickte dazu, daß die rote Nelke hinter seinem Ohre in bedenkliche Schwankungen geriet, – »es ist Thorheit, den Hummer kalt zu servieren. Warum ißt man dann nicht auch die Krebse kalt? Ist der Hummer etwas anderes als ein großer Krebs? . . .«

Und Herr Spirius verlor sich in eine längere kulinarische Erörterung, die er in einem gewissen salbungsvollen Tone vortrug, als ob er vom Katheder aus 109 docierte, während die anderen mit dem Essen begannen. Fritz, der sich zum erstenmale in seinem Leben an einem Hummer delektieren durfte, schaute seinem Nachbar Hempel zunächst auf die äußerst thätigen Finger, um sich darüber klar zu werden, auf welche Weise man die roten Untiere zu vertilgen pflegte. Es war leicht zu begreifen – genau wie die Krebse – also frisch an die Arbeit!

Es schmeckte prächtig. Einige Zeit hindurch wurde kein Wort gesprochen – man hörte nur das Knacken der Schalen, das freundliche Klirren der Gabeln und ab und zu ein leises Schlürfen, wenn einer der Gäste an dem goldgelben Scharlachberger nippte – Geräusche, die jedem Gourmet wie Sphärenklang zum Ohre tönen. Ein wirklicher Gourmet war an dem kleinen Tische freilich nur Herr Spirius. Der verstand nicht allein mit Wissenschaft zu kochen, sondern auch mit Wissenschaft zu genießen. Er war in seiner Art ein gebildeter Mann, stammte aus guter Bürgerfamilie und hatte keine üble Erziehung genossen; sein Vater war ein wohlhabender Hotelier gewesen, aber der leichtsinnige Sohn hatte das elterliche Vermögen verpraßt und mußte dann, als nichts mehr übrig geblieben, zum Kochlöffel greifen, um durch seine Kunst nicht nur andere, sondern auch sich selbst zu erhalten.

»Süperb,« sagte er, als er mit der Gabelspitze das letzte Stückchen rosafarbenes Fleisch aus der Hummerscheere hervorgeholt hatte, und tupfte sich mit der Serviette auf den dicklippigen, genußsüchtigen Mund. »Ganz süperb – – auch der Scharlachberger, mein werter Herr Aalkrug! Alle Hochachtung vor diesem köstlichen Tröpfchen! Woher bezogen, wenn man fragen darf? . . .«

110 Über das glatte Diplomatengesicht des Kammerdieners glitt ein leichter Zug von Verlegenheit. Er war ein alter treuer Diener, aber wenn der Graf ihm einmal ausnahmsweise den Kellerschlüssel anvertraute – oft kam es ja nicht vor – hielt seine Gewissenhaftigkeit doch nicht immer Stand. Und Aalkrug hatte eine ganz besondere Passion für einen Schluck feinen Rheinwein! . . . Er räusperte sich und rückte sich an seiner weißen Binde.

»Ein Geschenk,« entgegnete er mit seiner sanften, öligen Stimme, indes er das Glas erhob, um das Aroma der Blume einzufangen, und dabei gleichzeitig seiner Frau einen geheimen Wink mit den Augen gab.

Frau Ursula erhob sich sofort, knisterte mit ihrem Kattunkleide aus dem Zimmer, hantierte wenige Minuten in der Küche umher und kehrte sodann mit einer neuen Schüssel in das Zimmer zurück.

»Puter,« sagte sie, mit strahlendem Gesicht und einem triumphierenden Blicke die Schüssel niedersetzend.

»Nicht doch – nicht doch,« – und Spirius schüttelte mißbilligend den dicken Vitelliuskopf –, »Kapaun à la Braese mit Champignons, aber kein Puter, liebe Frau Aalkrug . . . Hat er auch in der Warmröhre gestanden? – Ah ja, der Duft – dieser Duft, Kammerherr – was!? –«

Wenn der Küchenchef den alten Aalkrug ›Kammerherr‹ titulierte, war Spirius immer in rosenfarbener Stimmung. Auf seinem Gesicht lag eitel Wonne, seine Nasenflügel vibrierten leise und seine Augen liebäugelten mit dem appetitlich gebräunten Vogel, der vor ihm stand.

»Darf ich tranchieren?« fragte er und griff bereits 111 nach dem Vorlegemesser. »Außerordentlich gelungen – nicht zu weich, nicht zu hart – grade recht! Geflügel darf nie zu weich gekocht sein, nie darf sich das Fleisch zerfasern – nicht ein Atom darf beim Tranchieren am Messer hängen bleiben! Das Tranchieren ist freilich auch eine sehr schwierige Sache, die ihre Kunst, ihre Übung erfordert! Hineinwüten in die Fleischstücke – ja, das kann jeder – aber nach der Regel verfahren, fein säuberlich Schnitt um Schnitt vom Knochen lösen und dem Ganzen dabei immer noch den Charakter des Ganzen zu wahren – das können eben nur erfahrene Hände. Habe da 'mal vor Jahren einen Baron Krey kennen gelernt, einen alten würdigen Herrn, der hatte das Tranchieren 'raus, als wäre er ein gelernter Koch – aber diese alten würdigen Herren, die sich aus reiner Liebe zur Sache mit wissenschaftlichem Eifer der Küchenkunst widmeten, sind ausgestorben. Einen Grafen Münster, einen Brillat-Savarin, einen Baron Vaerst giebt's heute nicht mehr . . . Was denn, mein lieber Herr Stallmeister?«

Hempel hatte sich zum zweitenmale auf seinem Stuhle in die Höhe gerichtet und flüsterte Spirius erneut eine Frage ins Ohr.

»I bewahre,« entgegnete Spirius leise, aber mit sichtlichem Unwillen. »Den Pigeon nachher – zum Käse schmeckt ein Glas guten Rotweins vortrefflich – jetzt rollt mir erst 'mal den Sekt heran, damit wir auf den Würdigsten unter uns anstoßen können! – 's ist doch kein Schaumwein? – Pommery greno – Kammerherr, Sie sind eine Seele von Mensch!« . . .

Hempel löste den Korken und füllte das perlende 112 Gold in die Spitzgläser. Aalkrug schmunzelte und seine dicke kleine Frau nickte so lebhaft mit dem Kopfe, daß die violetten Haubenbänder hin und her schaukelten. Vom Antlitz des Küchenchefs leuchtete ein unendliches Wohlgefallen herab, und Fritz Fiedler machte große Augen, als er bemerkte, daß sich über dem Wein in den Kelchen eine flockige Schaumdecke bildete. So etwas hatte er im Leben noch nicht gesehen! –

Spirius als der Alterspräsident an der kleinen Tafelrunde schlug an sein Glas, erhob sich und rühmte in wohlgesetzter Rede all' die Vorzüge, deren sich das Geburtstagskind erfreute. Frau Aalkrug traten dabei die Thränen in die Augen, und als Spirius nun gar seinen Toast mit einem donnernden Hoch auf den Kammerdiener schloß, da kannte die Rührung der dicken kleinen Frau keine Grenzen mehr – die Thränen tröpfelten ihr über die Wangen, sie mußte nach dem Taschentuch suchen.

Die Gläser wurden geleert, und Hempel schenkte von neuem ein.

»Schmeckt's, Fritz?« fragte er.

»Ob's schmeckt!« gab der große Junge zurück. »Alle Wetter, das kribbelt ordentlich in der Nase . . . alle Wetter, ist das ein Zeug! Herrjeses, wenn ich da an den Johannisbeerwein von unserm Pastor denke . . .«

»Sie erwähnten vorhin eines alten Baron Krey, mein lieber Spirius,« fiel Aalkrug ein. »Was war das für ein Krey, wenn ich fragen darf? Als ich noch die Ehre hatte, Sr. Majestät unserm allergnädigsten Herrn persönlich dienen zu dürfen, hatten wir bei Hofe einen Kammerherrn von Krey – irre ich nicht einen Oheim 113 unserer Gräfin, die ja auch eine geborene Baronesse Krey ist – einen prächtigen alten Herrn, der in Mecklenburg begütert war und infolge seines urkomischen, sehr derben Wesens in den Ruf eines Originals kam . . .«

»Das dürfte derselbe sein, den auch ich kennen gelernt habe,« bemerkte der eifrigst mit dem Kapaunflügel beschäftigte Küchenchef. »Apropos – war unsere Gräfin, bevor sie sich verheiratete, nicht einmal kurze Zeit hindurch mit auch einem Baron von Krey, einem Vetter von ihr, verlobt . . .? Mir ist so, als hätte man mir bei irgend einer Gelegenheit davon erzählt . . .«

»Das hat allerdings seine Richtigkeit,« gab Aalkrug zu und lächelte dabei diplomatisch, wie er es immer that, wenn er den inneren Drang verspürte, eine kleine Klatschgeschichte zum besten zu geben. »Ja – unsre gnädige Gräfin war bereits so gut wie verlobt, ehe sie ihren jetzigen Gatten kennen lernte – und alle Welt glaubte damals, sie würde recht unglücklich werden und sich vielleicht für Lebenszeit hinter hohen Klostermauern begraben, als das Verhältnis zwischen ihr und dem Baron von 114 Krey auf ziemlich rauhe Weise gelöst wurde. Ah – das war eine traurige Zeit – – ich kenne diese Unglücksgeschichte genau und sozusagen aus erster Quelle, da derzeitig mein Stiefbruder – der Franzel, Mutter,« wandte sich der Sprecher erläuternd an seine Frau – »Privatsekretär bei dem alten Baron Krey in Monsthal war. Eine böse Geschichte – ja, ja« . . . und der Kammerdiener schüttelte wehmütig den grauen Kopf und schwieg dann einige Zeit, um die Neugier seiner Zuhörer noch mehr zu reizen . . .

Klatsch über die eigene Herrschaft! Das war ein so interessantes Thema, daß Hempel Messer und Gabel zur Seite legte, Frau Aalkrug die Hände im Schoße faltete, und selbst Spirius in der Verwüstungsarbeit auf seinem Teller innehielt und fragend aufschaute. Der glatte äußere Schliff, den die drei sich in beständigem katzenbuckelnden Verkehre mit der vornehmeren Welt angeeignet hatten und den sie auch im vertrauten Umgange untereinander nicht gern aufgaben, sondern eher noch übertreibend betonten, um sich vom niederen Bedientenpack vorteilhaft zu unterscheiden, kam bedenklich ins Wanken, sobald man die Herrschaft beklatschen konnte. Das gab immer einen besonderen Spaß. Da wurden hundert alte Geschichten aufgewärmt und hundert neue dazu erfunden – es kam durchaus nicht darauf an, ob das, was man erzählte, wahrhaftig war oder erlogen . . .

»Nun –?« fragte Hempel voll brennender Neugier.

»Los – los!« eiferte Spirius, »genieren Sie sich nicht – wir sind unter uns, bester Aalkrug, denn auch unser wackerer junger Freund, der Fiedler, wird 115 Corpsgeist genug besitzen, unsre Tischunterhaltung nicht an die große Glocke zu hängen. Nicht wahr, mein lieber Fritz, wir sind verschwiegene Leute –?«

Fritz nickte. Er war zu sehr mit seinem Kapaun beschäftigt, als daß ihn das Gespräch der anderen besonders interessiert hätte.

Aalkrug strich sich mit der Hand über das glatte Gesicht und lächelte wieder.

»Es sind ja durchaus keine Geheimnisse, die ich euch erzählen will, meine verehrten Herren,« sagte er; »i Gott bewahre – wenn ich Geheimnisse zu hüten hätte, dann würde kein Wort über meine Lippen kommen! Die Geschichte von der unglücklichen ersten Liebe unsrer Gräfin ist seiner Zeit überall besprochen worden – ich glaube, sogar in den Zeitungen hat man darüber geschrieben – natürlich, ohne daß die Namen der Beteiligten dabei genannt wurden. Ich habe, wie ich euch schon sagte, alles auf das Genaueste von meinem Stiefbruder, dem Franz, erfahren, der dazumal die Korrespondenz für den alten Baron Krey auf Monsthal – Hans Christoph von Krey hieß er – geführt hat. Dieser alte Baron Hans Christoph von Krey gehörte der süddeutschen Linie des Geschlechts an und war ein richtiger Vetter des Vaters unsrer Frau Gräfin – wißt ihr. Ich glaube nicht, daß die Kreys jemals reiche Leute gewesen sind – der alte Baron besaß jedenfalls nichts, rein nichts. Monsthal, das er von seiner Mutter geerbt hatte, war freilich ein recht hübscher Besitz, aber was nützte ihm der, da jeder Stein und jedes Fleckchen Erde auf dem Gute mit Hypotheken überlastet war! Die Ernte war schon immer auf Jahre voraus verpfändet, 116 und von den schönen Waldungen war auch nicht viel übrig geblieben im Laufe der Jahre – da hatte die Axt ganz gehörig gewütet, so daß Reh und Hase nicht mehr wußten, wo sie sich verstecken sollten. Der Baron muß ein toller Kumpan gewesen sein – sapperlot, was hat mir der Franz für Geschichten von seiner Verschwendung und seinen Pumpereien erzählt! Er unternahm oft große Reisen, um sich in fremden Hauptstädten Geld zu schaffen, weil ihm zu Hause kein Mensch mehr auch nur einen Kreuzer borgen wollte – und draußen in der Welt, wo man den Herrn Baron nicht kannte, fanden sich auch wirklich immer Dumme, denen sein nobles Auftreten imponierte und die an seine Geschäftstüchtigkeit glaubten. Die ganze Geschäftstüchtigkeit des Barons beschränkte sich aber auf sein Mundwerk; kein Mensch konnte so schön reden, wie Hans Christoph von Krey, wenn er seine großen Pläne und Absichten entwickelte. Er hatte immer Pläne; bald wollte er ganz weit hinten auf der Erde, in China oder sonst wo, Eisenbahnen bauen, bald eine Bank gründen, um dem Sultan von Konstantinopel Geld zu schaffen, weil der nie welches hat – gerade wie der Baron Krey –, bald eine Expedition ausrüsten, um ein paar gefangene Missionare oder wie man die Leute nennt aus dem Zululande hervorzuholen. Und bei all diesen Plänen, die natürlich niemals zur Ausführung kamen, fiel immer etwas – und manchmal auch eine ganze Menge – für den Herrn Baron ab, der dann nichts Eiligeres zu thun hatte, als den Verdienst möglichst schnell wieder anderweitig an den Mann zu bringen. Es brauchte aber nicht gerade immer ein Mann zu sein« . . .

117 Die letzte witzige Anspielung rief auf den Gesichtern von Hempel und Spirius ein Lächeln der Befriedigung hervor. Der alte Aalkrug konnte schon etwas erzählen, wenn er wollte; der wußte Bescheid im Klatsch der großen Welt und hätte einen pikanten Glossator für die genealogischen Taschenbücher abgegeben! . . . Man sah es ihm gar nicht an mit seinem ehrwürdigen Pastorenantlitz, auf dem so viel Duldung und Menschenliebe lag, mit der behäbigen Bonhomie, die sein ganzes Wesen ausströmte, was er alles an interessantem Klatschstoff aufgesammelt hatte und wie gern er davon seinen nach Neuigkeiten dürstenden Mitmenschen abgab! –

Er nahm sein Glas und trank es bedächtig aus.

»Holen Sie doch noch die zweite Flasche Pommery aus der Ecke hervor, lieber Herr Stallmeister,« sagte er zu Hempel, »es erzählt sich besser, wenn man dann und wann die Lippen anfeuchten kann . . . Ja, meine Herren, dieser tolle Hans Christoph von Krey aus Monsthal war also der Vater des ersten Verlobten unsrer Gräfin. Art läßt, wie man so sagt, niemals von Art, und auch der junge Baron Leopold hatte so Manches von seinem Vater geerbt, für das er ihm nicht sonderlich dankbar zu sein brauchte. Baron Leopold war Offizier bei den Kaiserjägern – das ist eines der vornehmsten und ersten Regimenter der österreichischen Armee. Wie es ihm möglich geworden ist, sich immerhin ein Dutzend Jahre bei diesem Regimente zu halten, darüber haben die Leute sich späterhin noch öfters die Köpfe zerbrochen – kurzum, es war so: Herr Leopold von Krey galt sogar als in guten Verhältnissen lebend, bis die ganze Herrlichkeit eines schönen 118 Tages zusammenbrach wie ein Kartenhäuschen. Baron Leopold und die Baronesse Katinka, unsre jetzige Gräfin, waren von Jugend auf gute Bekannte, und die Liebe der beiden reichte wohl schon bis in die Zeit zurück, da die Baronesse zum erstenmale die großen Winterbälle in der Wiener Hofburg besuchen durfte. Damals kam Leopold von Krey, so oft sein Dienst es ihm verstattete, aus Urlaub nach Schloß Trautburg – so hieß die Besitzung des Vaters unsrer Gräfin – und es war weiß Gott kein Wunder, daß man in allen Kreisen von der bevorstehenden Verlobung der beiden jungen Leute sprach. Die Besonneneren schüttelten freilich den Kopf, denn es war hier und dort kein Geheimnis mehr, daß die Kreys mittellos waren, wenn sie es auch verstanden, sich äußerlich als gut situiert zu geben – ja wohl, das haben sie immer verstanden! Sie waren Finanzgenies, wie man gemeinhin diejenigen zu nennen pflegt, die heute ein Loch aufreißen, um morgen ein altes Loch zu verstopfen . . . Sagten Sie etwas, mein guter Oberküchenmeister?«

Damit war Spirius gemeint.

»Nur eine kurze Unterbrechung,« warf er ein, »entschuldigen Sie die Störung, lieber Herr Aalkrug. Ich sehe, daß wir dem letzten Gange alle Ehre angethan haben – daß wir fertig sind. Wie wäre es, wenn wir, unbeschadet der Fortsetzung Ihrer interessanten Geschichte, in unserm kleinen Souper fortführen? – Ich habe mir erlaubt, nach eigener Methode eine Eisreisbombe zu bereiten, und ich fürchte –«

Spirius brauchte nicht auszusprechen. Madame Aalkrug hatte sich schon erhoben und räumte die Teller 119 ab, während ihr Gatte nach einer kleinen Pause fortfuhr:

»So standen die Verhältnisse, als ein Ereignis eintrat, das die ganze Sachlage mit einem Schlage veränderte. Baronesse Katinka hatte eine Zofe, die eine halbe Italienerin war – sie stammte aus irgend einem Winkel von Welschtirol – und die – – warten Sie einen Augenblick, ich habe ein vortreffliches Namensgedächtnis – richtig! – die Carmella mit Vornamen hieß. Sie wissen, daß die Gräfin sich noch jetzt zeitweilig mit Malen beschäftigt – als junges Mädchen aber trieb sie diese Kunst mit besonderer Vorliebe; Carmella hatte ihr zu öfterem als Modell gedient, und dieser jungen, sehr schönen Person war es gelungen, sich der Baronesse so unentbehrlich zu machen, daß sie schließlich ständig in ihren Diensten blieb . . .«

Hempel räusperte sich.

»Ich ahne bereits den Zusammenhang,« schaltete er mit verschmitztem Lächeln ein, »variatio delectat sagt ja wohl der Lateiner, und so mag der Baron Krey auch gedacht haben, als er« –

»Erlauben Sie, werter Herr Stallmeister,« fiel Aalkrug dem Sprecher ins Wort, »es ist gut, wenn man nicht immer ausspricht, was man denkt. Ich berichte nur Thatsachen – und eine Thatsache ist es allerdings, daß die Baronesse Katinka eines Tages im Kämmerchen ihrer Zofe zufällig einen an diese gerichteten Brief vorfand, dessen Handschrift derjenigen des Freiherrn Leopold von Krey wie ein Ei dem andern ähnlich sah« . . .

»Oh – oh,« machte Spirius, während er von neuem 120 nach seiner Erfindung, der Eisreisbombe mit glasierten Früchten, langte. »Welche Unvorsichtigkeit! welche Thorheit!«

»Es war beides – Sie haben ganz recht,« nickte der Kammerdiener, »es hatte auch böse Folgen. Zwei Tage später reiste Baronesse Katinka mit blassem Gesicht und rot geweinten Augen in Begleitung ihres finster dreinblickenden Herrn Vaters ins Bad – vier Wochen später verlobte sie sich in Innsbruck oder Interlaken, Gott weiß, wo es war, mit dem Grafen Wendelin Kölpin, – und sechs Wochen danach befand sich Leopold von Krey auf der Reise nach Amerika. Das war das Ende.«

»Aber kein Ende mit Schrecken,« bemerkte der Küchenchef, »denn Baronesse Katinka ist in ihrer Ehe mit dem Grafen Kölpin ja recht glücklich geworden« . . .

Der alte Kammerdiener löffelte einige Zeit stillschweigend in seinem Eise herum und entgegnete dann sanften Tones:

»O ja – was man so nennt! Ich wüßte es nicht anders.« –

Fritz hatte nur von Zeit zu Zeit auf die Unterhaltung gelauscht. Was gingen ihn alle diese Geschichten an! Der Sinn für pikanten Klatsch hatte sich noch nicht recht ausgebildet in seinem Hirn – die Freuden der Tafel gingen ihm über das Geschwätz des alten Aalkrug. Er saß still auf seinem Platze und antwortete nur auf direkt an ihn gerichtete Fragen. Der Kopf war ihm bereits ein wenig warm geworden, seine Wangen brannten; der ungewohnte Wein war nicht ohne Einfluß aus ihn geblieben.

121 Auch die Stimmung der übrigen Mitglieder der Tafelrunde war inzwischen animierter geworden. Der zweiten Flasche Pommery greno war die dritte und letzte gefolgt, die in dem mit Eisstücken gefüllten Kücheneimer in der Zimmerecke stand. Damit war aber der improvisierte Keller Aalkrugs noch nicht erschöpft. Er hatte auch für einen feinen Rotwein gesorgt, der den Käse anfeuchten helfen sollte – genau so, wie man es bei den Diners im Vorderhause zu halten pflegte. Woher dieser vortreffliche Pigeon de Longueville stammte, verriet er nicht – aber an dem eigentümlichen Zwinkern der Augen und der schmunzelnden Mundbewegung des Küchenchefs konnte man merken, daß auch Herrn Spirius die Etikette nicht fremd war. Im Keller des Grafen, gleich links auf dem zweiten Regal, fanden sich ganze Batterien dieser ausgezeichneten Marke aufgestapelt.

Aalkrug reichte Cigarren herum. »Meine Frau erlaubt's,« sagte er mit vornehmer Handbewegung – die gute Frau war bereits eingenickt, nur ihre Haubenbänder bewegten sich zeitweilig noch geisterhaft. Man achtete nicht darauf. Die Unterhaltung war lebhafter geworden. Das vornehme Air, das die drei Bediensteten sich bis dahin zu geben versucht hatten, verschwand allmählich, je mehr dem Wein zugesprochen wurde. Man ließ sich gehen. Spirius rollte sich an Stelle des unbequemen Holzstuhls einen weicheren Sessel heran und streckte die Beine über einen zweiten Stuhl. Hempel saß rittlings auf dem seinen, trommelte mit den Stiefelabsätzen die Melodie des Fatinitzamarsches auf dem Fußboden und blies den Rauch seiner Cigarre ungeniert der sanft 122 schlummernden Lady Aalkrug unter die Nase. Der Kammerdiener hatte es längst aufgegeben, mit seinen persönlichen Beziehungen zu Sr. Majestät zu prahlen und erzählte allerhand zweideutige Anekdoten, die mit schallendem Gelächter aufgenommen wurden und Spirius und Hempel zu ähnlichen Geschichtchen reizten.

Fritz war müde geworden. Er hörte nur noch mit halbem Ohre zu. Er hatte die Ellenbogen auf den Tisch gelegt, den Kopf auf beide Hände gestützt und starrte in das Lampenlicht hinein. Die Lampe tanzte vor seinen Augen und der Tisch auch, mit allem, was darauf stand. Fritz lachte hell auf. Es schien ihm plötzlich, als hätten die Haubenbänder der Frau Aalkrug Leben gewonnen und züngelten als violette Schlangen auf ihrem Schoße herum, und als hätte der Kopf der würdigen Matrone sich in einen riesenhaften Kaktus verwandelt. Das war ja merkwürdig! Auch der dicke Spirius sah ganz anders aus als sonst – hatte er Eselsohren bekommen oder waren es nur die Zipfel der vorgebundenen Serviette, die sich senkrecht von seinem dicken Schädel abhoben? – Und Hempel? I, wer hatte denn dem alten Hempel plötzlich einen Hals wie ein Schwan auf die schmalen Schultern gesetzt, und warum sahen denn seine krummen Teckelbeine auf einmal wie ein paar eingeknickte Schwefelhölzer aus? Und was fiel denn dem Kammerdiener Aalkrug ein, daß er plötzlich auf dem Kopfe stand und die Beine hoch in die Luft streckte wie ein Cirkusclown? . . .

»A–a–alkru–u–ug!«

Wer rief da? – Hatte nicht jemand gerufen? –

Fritz schnellte in die Höhe. Er hatte fest geschlafen 123 und absonderlich geträumt. Er rieb sich die Augen und blickte umher. Da schlief ja der alte Aalkrug gleichfalls – hatte er nicht vorhin auf dem Kopfe gestanden? Und wo war denn der Schwanenhals Hempels und der Eselskopf des Küchenchefs geblieben? – Hempel und Spirius schlummerten auch, und letzterer schnarchte sogar ganz vernehmlich. War das die Möglichkeit! Fritz lächelte. Die schlafende Gesellschaft gewährte einen höchst komischen Anblick. Konnte es denn schon so spät sein? – Fritz schaute auf den gleichförmig tickenden Regulator an der Wand – der Zeiger wies auf wenige Minuten vor zwei Uhr . . .

»A–a–alkru–u–ug!«

Jetzt hörte Fritz es ganz deutlich, und auch den alten Kammerdiener schien das wiederholte Rufen seines Namens aus dem Weinschlafe zu erwecken. Er richtete sich mühselig im Sessel empor – die Glieder waren ihm steif geworden – blinkte ein paar Mal mit den Augen, schüttelte den grauen Kopf und schaute sich dann verwundert um.

»A–a–alkru–u–ug!« rief es zum drittenmale vom Hofe herauf, und ein gedämpftes Fluchen tönte hinterher.

Der Kammerdiener war, während auch die übrigen Schläfer sich zu regen begannen, mit einem Satz an dem niedrigen, von weißen Tüllgardinen verhängten Fenster und riß es auf.

»Was giebt's? Wer ist da? . . . Was soll ich?« –

»Ich sah Licht bei Ihnen und glaubte Sie noch wach,« schallte von unten herauf, noch immer halb 124 gedämpft, die Stimme Vegesacks, des Oberkutschers, »– wir sind eben erst nach Hause gekommen – es ist uns etwas Eigentümliches passiert, das ich Ihnen gern erzählen möchte . . . Kann ich heraufkommen? ist die Thür noch offen?« –

»Kommen Sie meinetwegen!« brummte der Alte und schlug das Fenster wieder zu. »Ist so etwas erhört! Brüllt da der Vegesack mitten in der Nacht, als ob Feuer sei oder der Graf im Sterben liege – und wie Gott den Schaden besieht, will er mir nur etwas erzählen! Um zwei Uhr nachts eine Geschichte erzählen! Vegesack ist nicht recht klug« . . .

Aalkrug wirtschaftete ärgerlich im Zimmer umher. Hempel und Spirius gähnten und schimpften abwechselnd – sie waren in schlechtester Stimmung. Frau Aalkrug hatte sich leise erhoben; sie schämte sich, daß sie am Tische eingenickt war und schlich sich aus der Stube. Die Lampe war ausgebrannt und fast am Erlöschen. Der Kammerdiener zündete ein in einem Messingleuchter steckendes Licht an und stellte es auf den, mit den schalen Überresten der Mahlzeit bedeckten Tisch.

An der Zimmerthür klopfte es leise, und Vegesack trat, ohne ein Herein abzuwarten, in das wüst ausschauende Gemach. Der Oberkutscher war in voller Livree, mit Fangschnüren um die Schulter und in hohen Stulpenstiefeln. Er lächelte mokant, als er den gedeckten Tisch und die ermüdeten, abgespannten Gesichter der Tafelrunde erblickte.

»Ich habe die Ehre,« näselte er, »und wünsche gesegnete Mahlzeit. Etwas spät geworden, wie mir scheint – äh« . . .

125 Keiner der Anwesenden war so recht in der Laune, das alberne Gefasel des Kutschers anzuhören – der dicke Spirius, dem der hastig genossene Wein Kopfschmerzen verursacht hatte, fuhr Vegesack sogar ziemlich ingrimmig an.

»Was wollen Sie denn noch so spät?!«

»Eine Rede halten – äh,« höhnte Hempel und schob einen Stuhl heran. »Äh – wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr von Vegesack? Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten? Es ist leider keiner mehr da – kein Tropfen mehr – äh – jammerschade . . .«

»Adieu,« sagte Vegesack und schritt wieder zur Thür, doch Aalkrug hielt ihn zurück.

»Seien Sie nicht so empfindlich, Mensch,« meinte er, »und erzählen Sie, was los ist.«

Vegesack kehrte um und ließ sich nieder.

»Ich bin nicht empfindlich,« entgegnete er gereizt, »habe aber keine Lust, einen dummen Jungen aus mir machen zu lassen – versteht Ihr! Wenn Ihr hören wollt, was passiert ist, so verhaltet Euch still und verkneift Euch die Neckerei! Ich verbitte mir das . . . Die Gräfin ist ohnmächtig geworden.«

Die vier Zuhörer horchten auf.

126 »Ohnmächtig geworden?« wiederholte Aalkrug fragend. »Wo denn und weshalb –?«

»Wir waren im Cirkus,« erzählte Vegesack, »– letzte Vorstellung in der Saison – das ganze Regiment war da: Horn, die Besekows, die Ürtzens, Prinz Fahringen – alle Logen waren mit Dragoneroffizieren und ihren Damen gefüllt. Nachher ging's zu Dressel – fast drei Stunden habe ich mit dem Wagen vor der Thür halten müssen – da sollen die Gäule gesund bleiben! Mir kann's recht sein! Wie ich auf dem Bock sitze, fällt mir auf, daß ein langer Mensch in hellem Überzieher vor dem Eingange zum Restaurant immer auf und ab patrouilliert – immer auf und ab . . . I, denke ich, worauf wartet denn der? – Ich gucke dem Menschen eine Weile zu und winke ihn dann ganz freundlich zu mir heran und frage ihn, ob er vielleicht einen der Herren Offiziere im Lokal sprechen wolle. Da dreht sich der Kerl blitzschnell zu mir herum, starrt mir mit großen funkelnden Augen ins Gesicht und schnauzt mich an: Was schert's dich, Esel?! . . . Den Ton kenne ich, meine lieben Herren; so spricht kein Gleichgestellter zu unsereinem, und ich hab' auch den Teufel gethan und darauf geantwortet. Ich habe mucksstille auf meinem Bocke gesessen und immer nur zur Seite geschielt, ob der lange Herr noch nicht bald verschwinden würde. Ja wohl – der dachte nicht dran! Der blieb, bis unsre Gesellschaft das Lokal verließ – und da stand er auf einmal neben Heinrich am Wagenschlage, gab Heinrich einen Schupps, daß er zur Seite flog, streckte unsrer Gräfin die Hand entgegen und fragte ganz kaltblütig: ›Darf ich Ihnen 127 vielleicht behilflich sein, gnädigste Gräfin? . . .‹ Ich denke, mich rührt der Schlag, als ich unsre Gräfin plötzlich aufschreien höre – – und im nächsten Moment fällt sie schon ohnmächtig in die Arme des Grafen . . . Im Nu springen ein paar andre Herren der Gesellschaft hinzu – und wie ich mich umsehe, ist der lange Kerl verschwunden, als habe ihn die Erde verschlungen. Die Gräfin wird in den Wagen geschoben und der Graf klettert geisterbleich hinterher und winkt nur immer mit der Hand, als die andern ihn mit Fragen bestürmen. So ging's nach Hause, und als wir hier ankamen, hatte die Gräfin sich wieder soweit erholt, daß sie ohne Hilfe aus dem Wagen steigen konnte . . . Na« – und Vegesack schaute sich, seines Sieges über die verschlafene Gesellschaft bewußt, mit stolzem Lächeln um, »– was sagt Ihr nun?!«

Die vier sagten zunächst gar nichts. Am gespanntesten hatte der alte Aalkrug der kleinen Historie Vegesacks gelauscht. In seinem Gesicht wetterte es eigentümlich. Er hatte die Augenbrauen hoch empor gezogen und starrte unverwandt in eine dunkle Ecke des Zimmers, als erwarte er von dort her die Lösung des Rätsels, mit dem die Geschichte des Oberkutschers abschloß – und dabei bewegten sich seine breiten Lippen wie in leisem Selbstgespräche. Plötzlich wandte er sich mit rascher Bewegung zu Vegesack.

»Wie sah er aus?« fragte er – halb flüsternd und in einem Tone, als ob ihm die einzelnen Silben schwer von der Zunge kämen.

»Wer? Der lange Herr? . . . O – der sah nicht 128 übel aus – er hatte etwas in seinem ganzen – wie sagt man – in seinem ganzen Sichgeben, das auf vornehme Abstammung schließen ließ. Er war auch fein gekleidet, sehr fein, und hatte gelbe Glacéhandschuh an und einen hellen Paletot, wie ich Euch schon sagte, und – warten Sie mal – und karrierte Beinkleider« . . .

»Das ist ja Nebensache!« eiferte Aalkrug ungeduldig und mit fiebernder Neugier. »Wie er im Gesicht aussah, will ich wissen – im Gesicht!«

Vegesack dachte nach.

»Er trug einen Vollbart,« erzählte er weiter, »– dunkelblond und lang, wohl bis über die halbe Brust reichend, und hatte dunkelblaue, sehr scharfe Augen – und was mir bei diesen Augen besonders auffiel, war, daß sie ein förmliches Feuer ausstrahlten, so hell glänzten sie! Ich habe das genau beobachten können, als der Herr mich so mordsmäßig grob anschrie – ich kann sagen, es waren ein paar niederträchtige Augen« . . .

»Stimmt,« fiel Aalkrug ein, »– stimmt alles! Aber noch eins, Vegesack: hatte der Herr nicht auf der rechten Backe zwischen Auge und Ohr eine Narbe – einen Schmiß, wie die Studenten es nennen –?«

»Weiß Gott,« nickte Vegesack erstaunt, »den hatte er! Er hatte auf der rechten Backe einen Schmiß – einen ganz gehörigen Schmiß! . . .«

Der alte Kammerdiener war blaß geworden. Er stützte sich mit den Händen auf den Tisch und winkte mit dem Kopfe die übrigen zu sich heran.

»Denkt nur daran, was ich Euch vorhin erzählt habe,« flüsterte er, während seine Augen groß und 129 geheimnisvoll wurden. »Spricht man vom Wolf, so ist er nicht weit, und wenn man den Teufel beschwört, dann kommt er . . . Wißt Ihr, wer der lange Herr gewesen ist, bei dessen Anblick unsre Gräfin ohnmächtig wurde?« –

Keine Antwort erfolgte, und nun schlug der alte Aalkrug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Teller und Gläser klirrten, und seine Flüsterstimme wurde lauter:

»Hans Leopold von Krey war's – der war's!« . . . 130

 


 


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