Curtis Yorke
Um des Kindes willen
Curtis Yorke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Am Tag darauf kam Forsyth ins Atelier. Er war ganz erfüllt von seiner eigenen Schöpfung, einem neuen Buch, und warf kaum einen flüchtigen Blick auf die halbvollendete Skizze, womit Jocelyn beschäftigt war und die er die »Dame in Grau« nennen wollte.

Dot lag auf einem Ruhebett am Kamin – man schrieb zwar den ersten Juni, aber das Wetter war frostig – und führte eine belehrende Unterhaltung mit Peter. Forsyth beglückte sie mit einer Düte Treibhaustrauben, zog dann ein Manuskriptbündel aus der Tasche und ließ sich in einem weichen Lehnstuhl unweit der Staffelei häuslich nieder.

»Ich möchte dir's vorlesen, mein Alter,« erklärte er. »Mir kommt die Geschichte nicht übel vor – ich wähle aufs Geratewohl ein Kapitel. ›Ein Mann, ein Weib – tiefes Schweigen‹ –«

»Einen Augenblick,« unterbrach ihn Jocelyn, seine Skizze kritisch betrachtend. »Ist ›tiefes Schweigen‹ wahrscheinlich in Anwesenheit eines weiblichen Wesens?«

»Darin liegt ja gerade die Feinheit,« sagte Forsyth ungeduldig. »Das macht Stimmung – man fühlt gleich, daß man eine ungewöhnliche Frau vor sich hat!«

»Das fühle ich gar nicht,« wandte der andre ein. »Weshalb nicht offen und ehrlich sagen: ›sie war eine ungewöhnliche Frau‹?«

Der Verfasser des Werks stöhnte.

»Ja, mein Bester, hast du denn gar keine Ahnung vom Evangelium der Suggestion? Beschränkung ist das Geheimnis künstlerischer Wirkung, Sobald ich etwas ausspreche, ist's entweiht, erniedrigt. Ein Schriftsteller, der Künstler ist, erreicht mit einem Wort, wozu andre fünfzig brauchen, gerade wie in deinem Fach der Große mit einer Linie hinschreibt, was der bloße Handwerksmann durch unleidlich mühselige Mosaikarbeit – erst nicht herausbringt!«

»Mein lieber Junge, den Rummel kennen wir! Geh' lieber noch ein bißchen weiter und behaupte, ein einzelner auf dem Klavier angeschlagener Ton sei schöner weil einfacher als die Darbietung des reichsten Orchesters! Auf der Bühne mußt du dann für den Pfosten schwärmen, woran ein Zettel hängt, der dem Publikum mitteilt, ob sich die Scene in einem Wald, einem Königsschloß oder einer Kneipe abspielt! Jetzt leg' los mit deiner Geschichte – ein Mann und eine ungewöhnliche Frau. Weil sie ungewöhnlich ist, kann sie den Mund halten – nach dem lebenden Modell hast du dabei keinenfalls gearbeitet.«

Forsyth fuhr auf und strich sich aufgeregt durch die Haare.

»Du hast keine Spur von Seele, Jocelyn, deshalb kannst du auch keine Bilder malen und weißt den Schriftsteller nicht zu würdigen, der vornehm genug ist, das, was er seinem Leser begreiflich machen will, nicht breitzuschlagen. Was malst du denn jetzt?«

Damit trat er dicht vor die Staffelei, hinter der er bis jetzt gesessen hatte. Beim Anblick von Jocelyns Skizze zog er die Augbrauen in die Höhe.

»Fräulein Tressillian?« sagte er gedehnt und fragend.

Jocelyn schwieg.

»Aehnlichkeit hat's,« fuhr Forsyth fort. »Wenn du deine vertrackte Farbe weglassen kannst, wird's das Beste werden, was du je gemacht hast. Nur die Wölbung der Lippen,« setzte er wie im Selbstgespräch hinzu, »die – die ist nicht richtig –«

Er brach ab, ging ans andre Ende des Zimmers, zog dort einen Briefumschlag aus der Brusttasche und nahm eine Photographie heraus. Der leidenschaftlich zärtliche Ausdruck, womit Forsyth das Bild ansah, verriet dem Maler, wen es darstellte, und bei dieser Erkenntnis ward es ihm schwarz vor den Augen und die Hände zitterten ihm.

»Wessen Photographie hast du denn da?« fragte er mit dumpfer Stimme.

Forsyth sah mit einer hochmütigen Ueberlegenheit, die ihm sonst fremd war, zu dem Maler herüber.

»Sie gehört mir,« versetzte er mit einer Gelassenheit, die des andern Blut vollends zum Kochen brachte.

Der Wahnsinn der Eifersucht wütete in Jocelyn. Seit dem Abend, wo er Aline an seinem Feuer hatte sitzen sehen, als ob sie sein eigen wäre, bestand in seinen Gedanken eine gewisse Zusammengehörigkeit zwischen ihnen, und diese machte sie ihm heilig. Daß Forsyth die Vermessenheit hatte, das Abbild ihres holden Selbst in der Rocktasche herumzutragen, dünkte ihm Tempelschändung. Die beiden Männer sahen sich trotzig, herausfordernd in die Augen. Ihre Freundschaft war alt und erprobt, nun stand ein Weib zwischen ihnen, und die Freundschaft lag im Sterben.

»Laß mich die Photographie sehen,« befahl Jocelyn dumpf.

Sein Gesicht war kreideweiß; die Adern auf seiner Stirn schwollen zu dicken Strähnen an.

»Ich zeige Photographieen von Damen nicht,« entgegnete Forsyth mit Ruhe.

»Du sollst sie mir aber zeigen!« schrie der Maler mit dem wilden, sinnlos hervorbrechenden Ungestüm einer sonst maßvollen Natur. »Mit welchem Recht trägst du ihr Bild mit dir herum? Das ist eine Unverschämtheit, eine freche Anmaßung von dir!«

»Bedenke deine Worte,« sagte Forsyth, in gedämpftem Ton, aber rasch sprechend. »Mehr vertrage ich auch von dir nicht – es genügt – ich will gehen.«

Auch er hatte alle Farbe verloren und atmete rasch und heftig. Als er mit diesen Worten auf die Thüre zuschritt, packte ihn Jocelyn rücksichtslos am Arm.

»Nicht von der Stelle, eh' du mir Rede gestanden hast! Wie kommst du in Besitz dieser Photographie?« kreischte er mit einer kaum wieder zu erkennenden Stimme.

»Darauf kannst du warten – bis dich der Teufel holt!« rief der andre, sich mit unheimlichem Funkeln der grauen Augen zu ihm wendend.

Im nächsten Augenblick hatte Jocelyn ihm die Photographie aus der Hand gerissen, mitten durch gebrochen und auf den Boden geschleudert.

Der Ausdruck, den Forsyths blutloses Gesicht dabei annahm, war grauenerregend.

»Bestie!« zischte er zwischen den Zähnen vor, indem er dem andern an die Kehle sprang.

Eine Minute lang standen sie Aug' in Aug', dann ließ Forsyths Griff nach.

»Pah!« machte er mit einem höhnischen Auflachen. »Sind wir die Narren, eine Hanswurstkomödie zu spielen? Wenn je ehrliche Freundschaft zwischen uns bestanden hat – was ich jetzt bezweifle – so hat dieser Tag ihr ein Ende gemacht. Um den Fall regelrecht zu erledigen, sollte ich das Ding dort –« er wies nach Jocelyns Staffelei – »vernichten, aber –«

Mit einem Achselzucken und einem verächtlichen Blick schritt er aus dem Zimmer.

Jocelyn bückte sich nach der Photographie und hob sie auf. Der Bruch ging nicht genau durch die Mitte; er zerschnitt das hübsche Kinn, während die strahlenden Augen ihn unversehrt anlächelten. Wie lang mochte Forsyth dieses Bild mit sich herumgetragen haben? Vielleicht hatte er's geküßt, des Nachts unter sein Kopfkissen geschoben! Jocelyn ließ ein dumpfes Stöhnen hören, dann ging er zum Kamin, berührte Alines Gesicht ehrfürchtig mit den Lippen und legte die Photographie sanft, wie man ein Weihopfer darbringt, auf die Glut.

Forsyth kam noch einmal zurück.

»Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er in eisigem Ton, »aber Sie haben vielleicht die Güte, mir mein Eigentum zurückzustellen? Was haben Sie mit der Photographie gemacht?«

Jocelyn deutete wortlos nach dem Kamin. In diesem Augenblick schien das von der Glut gekrümmte Gesicht noch einmal zu lächeln, dann flackerte die Flamme auf, und es zerfiel in Asche.

Eine Thüre ging und fiel wieder ins Schloß; tiefe Stille trat ein.

Jocelyn war auf einen Stuhl gesunken und starrte mit schlaff herabhängenden Armen auf den Fußboden. Ihm war, als ob sein Kopf zerspringen wolle.

Wieder sah er Aline vor sich in dem schwindenden Tageslicht, das ihr Köpfchen wie ein Heiligenschein umspielte, sah dann die zuckenden Lichter des Kaminfeuers ihre Haare vergolden, hörte den weichen Flüsterton, sah den zärtlichen mütterlichen Blick, womit sie das Kind schützend im Arme hielt –

Das Kind! Er hatte es rein vergessen! Ganz erschrocken hob er den Kopf.

Dot hatte das Gesichtchen in die Kissen vergraben und schluchzte bitterlich, wenn auch fast unhörbar in sich hinein. Jocelyn stand auf und ging zu ihr hinüber – das war ja, so klein es war, ein Wesen, das ihm gehörte, ihn lieb hatte.

Als er aber den Arm um das schmächtige Körperchen legen wollte, zog es sich schaudernd vor ihm zurück.

»Mein Herzchen,« fragte er sie zärtlich, »was ist dir denn? Sag's deinem Jo!«

Doch sie stieß ihn heftig von sich.

»Dich sollst mich nicht anrühren!« erklang es schluchzend. »Mich habe dich dar dar nicht lieb.«

Es wurde Jocelyn seltsam kalt ums Herz.

»Mich hast du nicht lieb?« fragte er. »Kind, das kann ja dein Ernst nicht sein!«

»Ist mich E'nst!« stieß sie schaudernd hervor. »Dachte, dich willst Herrn Fo'syth umbringen. Mich fü'chte mich vor dir. Hast böses Gesicht gehabt – o wollte altes Gesicht wieder haben! Nein, nein, mich will dich nich' küssen. Mich will zu meinem Pa! Mich hat dich nich', dar dar nich' mehr lieb, mich hab' Angst vor dir!«

Damit brach sie wieder in verzweiflungsvolles Weinen aus, und Jocelyns Trostesworte und Liebkosungen blieben wirkungslos.


 << zurück weiter >>