Curtis Yorke
Um des Kindes willen
Curtis Yorke

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Neuntes Kapitel.

Es war acht Tage später, Jocelyn war wieder im Vollbesitz seiner Kräfte und hatte Fräulein Tressillians Bildnis in vielversprechender Weise angefangen. Selbstverständlich erschienen weder Millie, noch der »Sternenschein« zu der Zeit, wo seine Gottheit ihm saß, und die Gegenwart einer ältlichen Anverwandten dieser Göttin sollte dazu dienen, den Anstand zu wahren und alles in friedlichem Geleise zu erhalten.

Nun geschah es aber, daß Fräulein Tressillian um diese Zeit anfing, ein bedenklich lebhaftes Interesse an ihrem Maler zu nehmen. Sie war der Ansicht, daß er, von Natur kühl, wenig erregbar und voll Selbstbeherrschung, im Fall eines bouleversement gerade dieser Eigenschaften Gelegenheit zu besonders fesselnden psychologischen Studien bieten würde. Es fehlte ihr nicht an Erfahrung in Beziehung auf Art und Wesen der Männer, und diese boten ihr einen unerschöpflichen, anregenden Gegenstand des Studiums.

Sie wußte, daß sie heute so schön aussah, als es ihr verliehen war, und ihre Schönheit bildete fortwährend die Wonne ihres Herzens. Ihr war die wirkliche Eitelkeit, die sich selbst verkleinert, die beste Gottesgabe für Frauen, völlig fremd, sie bewunderte sich selbst ehrlich und machte kein Hehl daraus. Unter allen Vorzügen ihrer Erscheinung war vielleicht die Haut der größte. Diese glatte, feinporige Haut hätte einem kleinen Kind angehören können, und doch hatte Aline Tressillian schon fünfundzwanzig Jahre an sich vorüberziehen lassen.

»Wie lang bin ich jetzt schon hier, Herr Jocelyn?« fragte sie plötzlich.

»Der Uhr nach genau eine halbe Stunde,« gab er zur Antwort.

Sie gähnte.

»Ich bin müde,« erklärte sie, »und überdies möchte ich jetzt das Bild ansehen.«

»Mir wäre es lieber, wenn Sie's gerade jetzt nicht ansehen wollten,« wandte er ein.

Sie schenkte dieser Bitte keine Beachtung, sondern trat dicht neben ihn vor die Staffelei.

»Oh!«

Ihr Gesicht und der Klang ihrer Stimme drückten eine nicht mißzuverstehende peinliche Ueberraschung aus.

»Keine Spur von Aehnlichkeit!« sagte sie schließlich. »Die Dame hier ist geradezu häßlich....«

Unwillkürlich warf sie einen Blick in den gegenüber hängenden alten venetianischen Spiegel, und dieser Blick sagte mehr als Worte.

»Ich gebe zu, daß die Schwierigkeit, dem Original gerecht zu werden, groß ist,« bemerkte Jocelyn. »Uebrigens ist das Bild eben erst untermalt – ich bat Sie ja, es jetzt nicht anzusehen.«

»Und das Haar!« krittelte die gekränkte Schönheit weiter. »Das ist ja abscheulich! Komm' doch einmal her, Tante, und sage, was du davon hältst.«

Das ältere Fräulein Tressillian sprach sich dahin aus, das Bild sei vielversprechend, aber noch ganz skizzenhaft, und kehrte gelassen zu ihrem Strickzeug zurück. Jocelyn sagte gar nichts, sondern säuberte seine Pinsel. Fräulein Aline stellte sich vor den Kamin und biß sich ärgerlich auf die Lippen.

In ihrem entlegenen Eckchen war Dot mit glühendem Eifer beschäftigt, Seifenblasen zu machen. Dieses Spiel war ihre höchste Wonne, und Jocelyn gestattete ihr nur ein- oder zweimal in der Woche, sich daran zu ergötzen. Jetzt bemerkte sie, daß die Sitzung durch das Modell aufgehoben war, und stand mit einem wehmütigen Blick auf ihre Schüssel mit Seifenwasser, das eben jetzt erst den richtigen Grad von Schaumigkeit erreicht hatte, von ihrem Stühlchen auf, um für den Theetisch zu sorgen. Pflichtbewußt trottelte sie ins Nebenzimmer, denn sie war ja ein kluges Frauenzimmerchen und die geborene Hausfrau.

Fräulein Tressillian wanderte indes in ihre Spielecke und ergriff das Thonröhrchen.

»Seifenblasen!« rief sie mit Entzücken und ganz kindlichem Auflachen. »Das war einst meine höchste Seligkeit! Ob ich's noch kann?«

Jocelyn folgte ihren Bewegungen mit Spannung. Aline Tressillian hatte die Eigenschaft, alles, was sie vornahm, mit Aufwand ihrer sämtlichen Fähigkeiten und Kräfte zu betreiben, und so machte es jetzt den Eindruck, als ob ihr Leben vom Gelingen einer Seifenblase abhinge.

Und die feuchtschimmernde Kugel wuchs und schwoll an, und wundersame Farbenspiele wechselten auf ihrer bebenden Oberfläche. Ganz langsam entfaltete sie sich, größer und größer, und Jocelyn starrte, wie von einem Banne gefesselt, darauf hin. Er hatte das Gefühl, in Schlaf versunken zu sein, und in diesem schimmernden Glanz, diesen wechselnden Farben wie in einem Traumgesicht das Bild seines halb bewußten Strebens, seiner verschwommenen Ziele zu erblicken. In den schimmernden Wellen strahlenden Scharlachrots, worein sich jetzt flüssiges Gold mengte, um leuchtendem Grün und stechendem Blau zu weichen, die sich alsbald zu wunderbarem Violett mischten, tauchten kühne, übermenschliche Möglichkeiten so verwirrend, berauschend vor ihm auf, daß sein Herz stürmisch pochte.

Und immer noch schwoll das leuchtende Gebilde, es war, als ob sein Wachstum nicht enden wollte. Die kleine Dot stand unter der Thüre und starrte, den Atem anhaltend, auf diese Seifenblase, deren Farben sich zu vertiefen, zu vervielfältigen, an Leuchtkraft zu gewinnen schienen. Auf zartes Blaugrün fiel ein Sonnenstrahl und tauchte es in goldene Flut, dann ein Hauch frischen, leidenschaftlichen Rosenrots, und – alles war zu Ende.

Statt auf die luftige Kugel starrte Jocelyn in Aline Tressillians Augen, deren Glanz durch verhaltene Erregung reicher, tiefer erschien als sonst. Wie von Zaubermacht angezogen, war Jocelyn ihr so nah getreten, daß er in den durch tiefes Atmen erweiterten Pupillen sein eigenes Spiegelbild unterscheiden konnte.

»Was das für wunderschöne war!« rief Dot fassungslos vor Entzücken, aber mit gedämpfter Stimme. »O, Jo, die war ja wie der Himmel!«

Aline wollte eine neue Blase machen, aber sie zerbarst plötzlich, es war kaum ein blasser Abglanz jener ersten. Die dritte wuchs, war aber schwer und farblos.

»Ach! Keine kommt der ersten gleich!« bemerkte Aline enttäuscht, indem sie der kleinen Dot die Thonröhre reichte. »Ich will's lassen.«

»Der Anfang ist immer zauberisch,« sagte Jocelyn halblaut vor sich hin, »aber der Zauber läßt nach – er führt nicht zum Ziel.«

»Aber, Herr Jocelyn! Sie sehen ja aus, als ob Ihnen schwindelte!« sagte Aline schelmisch, die Spitzen ihrer blendend weißen Zähnchen zeigend.

»Finden Sie?« erwiderte er nachdenklich. »Ja, ja, Seifenblasen erregen Schwindel.«

»Ihre Augen haben einen Blick, als ob sie – Traumgesichte gesehen hätten.«

»Vielleicht war's so – –«

»Was sahen Sie denn?«

Er blickte ihr tief in die Augen, sprach aber nicht.

»Was haben Sie gesehen?« wiederholte sie weicher und leiser.

»Ich sah,« versetzte er flüsternd, »ich sah – was sein könnte.«

»Wäre ich ein Mann,« warf sie mit funkelndem Blick hin, »so müßte mir sein, was sein ›könnte‹ –«

Auch in seinem Blick leuchtete es auf, und diese Glut verwandelte sein Gesicht so vollständig, wie nur kühle, gleichgültige Gesichter durch innere Erregung verwandelt werden.

»Wenn Sie wüßten ...« war alles, was er mit unsicher klingender Stimme sagte.

Ein seltsamer Blick, aufzüngelnd wie ein Blitz, zuckte unter den dichten Wimpern hervor. Das kalte Nordlicht des Ateliers fiel stark auf ihre reine Haut und wies die Tadellosigkeit in Farbe und Gewebe. Jocelyn atmete heftig. Sie sah ihm jetzt geradeaus in die Augen, und dabei stieg langsam eine feine Röte in ihre Wangen. Dann senkte sie den Blick, und ihr eigenes Herz pochte unbequem.

Diese Erfahrung war ihr ganz neu.

»Meine Liebe,« erklang die etwas schrille Stimme der Tante, »wir müssen aufbrechen.«

Daraufhin erinnerte sich Jocelyn seiner Hausherrnpflichten und reichte den Damen Thee und Kuchen.

Als die Gaste gegangen waren, saß er lange Zeit schweigend, in sich versunken. Dot hatte das Theegeschirr in einzelnen, ihrer Kraft entsprechenden Abteilungen hinausgetragen, die Asche vor dem Kamin weggekehrt und das Feuer geschürt, und er hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt.

Sie ging jetzt zu ihm hin und schob ihre kleine Hand leise in die seinige. Zärtlicher noch als sonst hob er sie auf sein Knie.

»Mein Hausmütterchen!« sagte er, die reichen Locken streichelnd.

»Jo,« flüsterte sie nach einer Weile.

»Ja, mein Liebling.«

»Liebst dich Fräulein T'willian?«

Sein Gesicht färbte sich dunkelrot, aber er lachte unbefangen.

»Wie kommst du darauf, Maus?«

»O – weil – weil dich sie so angesehen hast.«

»Man sieht doch etwas Hübsches gern an!«

»Ja,« stimmte Dot bei. »Ihr Gesicht ist beinah fast so hübsch wie mein Nymphengel. Aber nicht immer – einmal war sehr bös, weil mich auf ihr schönes Kleid getreten hatte, und da hat sie ganz garstig ausgesehen.«

»Kein Mensch sieht hübsch aus, wenn er ärgerlich ist, kleine Dot!«

»Doch, dich,« entgegnete sie sachverständig. »Dich siehst nicht freundlich aus, aber hübsch. Aber sehr wenig oft bist böse auf mich, Jo.«

»Sehr wenig oft,« versicherte er lachend, indem er das ernsthaft zu ihm aufblickende Kindergesicht küßte.


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