Curtis Yorke
Um des Kindes willen
Curtis Yorke

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Achtes Kapitel.

»Nun, wohin lenken wir unsre Schritte?« fragte Forsyth, als das Paar würdevoll die Straße entlang ging.

»Park,« lautete die entschiedene Antwort.

»Möchtest du nicht lieber Läden und derlei Sachen besehen?« schlug Forsyth vor.

»Nein, Park.«

»Es ist aber sehr weit zum Park!« wagte Forsyth gegen diesen Plan einzuwenden.

»Mich will hin! Mich will gar nirgends sonst hin als Park!«

Damit blieb sie stehen und sah zu ihm auf; in ihren Augen funkelten Zornesthränen.

»Gut, gut – da kommt ja gerade ein Omnibus.«

Zu Dots großer Befriedigung konnten sie die Vordersitze auf dem Verdeck einnehmen.

»Mich thue, als ob's ein Wagen wäre – meine Ek-Eklipa-sche,« vertraute sie ihrem Beschützer an.

»Wenn mich nur Peter mitgenommen hätte!« seufzte sie nach einer Weile.

»Dem Himmel sei Dank, daß dir das nicht früher eingefallen ist,« entfuhr es dem unvorsichtigen Forsyth, der aber gleich hinzufügte: »Weißt du, ich glaube nämlich, Peter hätte kein Vergnügen dabei.«

»Peter hätte Vi'gnügen.«

Dann aber war Peter vergessen, und das kleine Plappermäulchen erging sich bis zum Parkeingang in Bemerkungen über Welt und Dinge im allgemeinen.

»Mich kenne hübschen Platz,« sagte Dot, Forsyth an der Hand nehmend und den Weg nach einem von Jocelyns Lieblingspunkten einschlagend.

Es war ein milder Frühlingstag, und die knospenden Zweige hoben sich wie zartes Netzwerk vom dunstigen mattblauen Himmel ab. Ein lauer Wind spielte mit Dots Haaren und brachte dem blassen Gesichtchen ein wenig Farbe.

Endlich geruhte Dot, ihre Schritte wieder heimwärts zu lenken, und jetzt ereignete sich etwas, worin Forsyth die Bestätigung dafür erblickte, daß Tugend ihren Lohn finden müsse.

Raschen Schrittes kam ihnen, aus einem Querweg einbiegend, eine junge Dame entgegen, eine sehr hübsche junge Dame, wie man beim Näherkommen deutlich sehen konnte. Forsyths Gesicht färbte sich ein wenig tiefer, als Dot ihm laut zurief: »Das ist Fräulein T'w-illian!«

»Ach, Herr Forsyth, Sie sind's?« sagte die Begegnende mit einer frischen, fröhlichen Stimme. »Wie köstlich Sie sich in dieser väterlichen Rolle ausnehmen! Was machst du denn, kleine Dot?«

»Mich bin sehr wohl,« erwiderte Dot ernsthaft, ihr winziges Händchen zur Begrüßung bietend. »Herr Forsyth führt mich spazieren.«

»Das heißt, in Wirklichkeit führt Fräulein Dot Fraser mich spazieren,« bemerkte der geliehene Vater. »Gehen Sie nach dieser Richtung? Dürfen wir uns anschließen?«

»Natürlich – Sie haben sich ja eine Ewigkeit nicht blicken lassen, Herr Forsyth. Mein Vater und ich sprachen erst gestern von Ihnen. Weshalb kommen Sie gar nicht mehr des Sonntags?«

»Hm – Sie waren ja verreist ...«

»Acht oder zehn Tage! Und Sie waren nicht mehr bei uns – ach! seit Monaten!«

»Ich weiß es,« sagte er kurz.

Dot lief voraus, denn sie hatte sich rasch mit dem kleinen schottischen Terrier befreundet, der Fräulein Tressillian meist auf ihren Spaziergängen begleitete.

»Sie haben mir recht gefehlt,« fuhr die junge Dame fort, indem sie unterm Schatten der wundervollen dunklen Wimpern zu ihrem Begleiter aufsah.

Sie war wirklich sehr hübsch, von jener kindlichen, verführerischen, etwas katzenhaften Schönheit, die Männer besonders anzieht.

Forsyth war nicht in sie verliebt – noch nicht, aber er trieb sich, ohne es selbst zu wissen, schon länger an der Grenze dieser süßen Thorheit herum. Er hatte so oft in der ihm eigenen planlosen, zufälligen Weise mit der Liebe gespielt, daß ihm die Erkenntnis der ernsten Gefahr abhanden gekommen war. Einer seiner Freunde hatte einmal geäußert, Forsyth liebe die Weiblichkeit in mannigfacher Gestalt, und diese Bezeichnung seines wandelbaren Gemütszustandes war vielleicht so richtig und wohlwollend als eine andre.

»Kommen Sie doch nächsten Sonntag,« sagte Fräulein Tressillian nach einer Weile.

»Mit Vergnügen,« erwiderte er, »falls mir's möglich ist.«

»Wenn ich einen Herrn auffordere, mich zu besuchen, Herr Forsyth, so erwarte ich ihn, ob's ihm möglich ist oder nicht!«

»Ist das nicht etwas unlogisch?« fragte er dagegen.

»Ich bin ein Weib und brauche also nichts von Logik zu wissen.«

»Oho! Ich glaubte, die heutigen Frauen thäten sich gerade darauf besonders viel zu gute?«

»Dann bin ich eben eine gestrige Frau oder vielleicht die ›Frau der Zukunft‹. Bei Licht besehen bin ich jedenfalls alles eher als ›weiblich‹, das heißt, ich habe keine der edlen, sanften, sich selbst verleugnenden Tugenden, die mit peinlicher Deutlichkeit im Weib hervortreten sollen – Weib gesperrt gedruckt und in dem Sinn, wie sich's unsre Großväter dachten.«

»Und mir kommen Sie gerade potenziert weiblich vor,« wandte Forsyth ein, ohne ihr ins Gesicht zu sehen.

»Ach – Sie sind ein Mann und deshalb voreingenommen zu meinen Gunsten, weil ich hübsch bin! Man ist immer geneigt, den Edelstein nach der Fassung zu schätzen, die ist aber ein trügerisches Merkmal, denn mitunter ist der Stein – ein Kiesel, manchmal ist die Fassung auch einfach leer! Bei Schmuck fällt mir ein – kommen Sie zu Frau Willis Gesellschaft?«

»Ich glaube nicht – ich weiß gar nichts davon. Wann soll sie denn stattfinden?«

»Der Tag ist noch nicht festgesetzt – das kommt, wie Sie wissen, auf Maurice de Lisle an. Erst muß sie seiner habhaft werden, dann werden die andern Gäste als Gruppe um ihn her eingeladen. Er ist die Sonne ihres Kreises, um den sich alle Sterne drehen müssen!«

»Und ist das zuträglich für Maurice de Lisle?«

»Ach! Er merkt's gar nicht. Maurice de Lisle gehört zu den Männern, die nichts bemerken.«

»Also ein Esel, nicht wahr?« warf Forsyth zerstreut hin.

»Nein, er ist im Grunde ein reizender Mensch.« entgegnete Fräulein Tressillian. »Er könnte wenigstens ein ganz reizender Mensch sein, wenn – wenn er ein wenig anders wäre. Aber darauf kommt's schließlich nicht an. Die meisten unsrer Freunde müßten ja gründlich umgearbeitet werden, um das zu sein, was wir von ihnen erwarten – finden Sie nicht auch?«

»Mitunter, ja,« stimmte Forsyth mit geringem Geistesaufwand bei.

Er war innerlich rasend im Bewußtsein, in dieser Unterhaltung so gar keine glänzende Rolle zu spielen. Wie es kam, verstand er selbst nicht, aber die Zungenfertigkeit und der leichte Witz, die ihm sonst im Verkehr mit Frauen zu Gebot standen, ließen ihn unfehlbar im Stich, so oft er mit Fräulein Tressillian zusammentraf. Ihr gegenüber ließ er immer die Maske tändelnder Heiterkeit fallen, die ihm sonst in Gesellschaft den Kern seines Wesens verhüllen half, er fühlte sich innerlich genötigt, ganz nur er selbst zu sein, denn er hatte dunkel und unklar die Empfindung, daß eine Beleidigung für ihre einzige Persönlichkeit darin läge, wollte er verbrauchte, leere und unaufrichtige Redensarten für sie aufwärmen. Daher kam es, daß ihm in ihrer Nähe die Zunge so oft gebunden war.

Sie selbst, das kluge Hexlein, wußte in diesen Erscheinungen Bescheid und spielte die Rolle der sprichwörtlichen Spinne. Irgend jemand hat irgendwo sehr richtig bemerkt: »Der Anblick eines gescheidten Menschen, der Dummheiten macht, hat unleugbar einen fesselnden Reiz.« Daß Forsyth ein gescheidter Mensch war, darüber gab es keinen Zweifel, man durfte sich also mit Recht der Hoffnung hingeben, ihn gründlich Dummheiten machen zu sehen.

Dot und der Terrier kehrten im Wettlauf zu ihren Angehörigen zurück.

»Mich möchte Thee haben,« sagte Dot einschmeichelnd.

»Wir wollen alle miteinander Thee trinken, ich lechze auch danach,« erklärte Fräulein Tressillian. Gehen wir in die kleine französische Konditorei an der Königinstraße, Herr Forsyth – die Kuchen dort sind traumhaft!«

Dot trottelte von Zweifeln gequält an der Seite des Terriers hinter dem voranschreitenden Paar her – »traumhafte« Kuchen sagten ihrer jugendlichen Vorstellung gar nicht zu.


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