Curtis Yorke
Um des Kindes willen
Curtis Yorke

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Fünfzehntes Kapitel.

»Bin mich wi'klich beinah in Himmel gekommen?« fragte Dot ihren Sternenschein.

Sie war schon außer Bett und saß mit ihrem Peter auf dem Schoß in einem tiefen Lehnstuhl im Atelier.

»Ja, mein Kind – beinah,« erwiderte der Sternenschein zärtlich.

Jocelyn schöpfte ein wenig Luft, und die beiden saßen allein beisammen.

»Ob mich wohl gefreut hätte übers Himmelkommen?« überlegte Dot und setzte dann hinzu: »Einmal muß mich wohl hinein – dich auch, gelt?«

»Schwerlich,« erwiderte der Sonnenschein mit einem nicht eben wohlthuenden Lächeln, »Ich glaube nicht, daß wir uns dort wiedersehen, kleine Dot!«

Das Kind reckte sich in die Höhe und schlang die Arme um ihren Hals, wobei Peter aus seiner Ruhe aufgescheucht wurde. Mit entrüstetem Katzenbuckel zog er sich gekränkt zurück.

»O bitte, bitte, komm hinein!« bat Dot inständig. »Dich hast so nett für mich gesorgt, mich habe dich so lieb – bitte, bitte, komm!«

Aber der Sternenschein schüttelte den Kopf.

»Weil dich nicht immer brav warst?« forschte Dot bekümmert.

»Ja – das wird's wohl sein.«

»Aber Jo ist in Himmel einmal?«

»Ohne Zweifel,« versetzte die schöne Frau bitter. »Was unsereinem den Himmel verschließt, hat bei einem Mann nichts auf sich!«

»Aber Jo ist auch sehr gut,« versicherte Dot schon beleidigt.

»Gewiß, Jo ist ein Heiliger! Aber was rede ich eigentlich von solchen Sachen mit dir komischem kleinem Ding? Es ist auch Zeit für die Arznei –.«

Dot schluckte diese gehorsam und sagte dann: »Wenn mich heute abend mein Gebet sage, will mich lieben Gott gerade bitten, daß vergißt, daß dich ein ganz klein wenig s'lecht gewesen bist und dich doch in Himmel kommen läßt. Denn jetzt – jetzt bist dich doch nicht s'lecht, gelt?«

Eine heiße Röte überflog des Sternenscheins Gesicht; eine Antwort bekam Dot nicht.

»Oder, wenigstens,« fuhr der kleine Beichtiger eindringlich fort, »könnte mich ihm sagen, daß dich nicht wieder s'lecht sein willst? Könnte mich das?«

Der Sternenschein schwieg eine geraume Weile, dann sagte sie mit unsicherer Stimme: »Ja, kleine Dot – ich glaube – ja – das dürftest du ihm sagen.«

Sie umfaßte das Kind und küßte es leidenschaftlich, wobei heiße Thränen auf das ernste Gesichtchen fielen.

Bald darauf kam Jocelyn nach Hause und schickte jetzt den Sternenschein spazieren. Daß sein Modell rote, verschwollene Augen hatte, nahm er nicht wahr; sie wendete den Kopf ab bei seinem Eintritt.

»Jo,« fragte Dot, als sie einige Zeit allein gewesen waren, »ist sich niemand auf der Welt danz danz dlücklich?«

»Jedenfalls wenige,« versetzte Jocelyn, der sich heute nicht in rosiger Stimmung befand.

»Warum weil denn nicht?«

»Vermutlich weil niemand gerade das hat, was er sich wünscht,« warf Jocelyn mißmutig hin.

»Ist sich der liebe Gott danz danz dlücklich?«

»Weißt du, Herzchen, über solche Geschichten würde ich mir nicht den Kopf zerbrechen, wenn ich ein kleines Mädelchen wäre wie du,« wehrte Jocelyn ab, den Dots theologische Anschauungen oft genug in bittre Verlegenheit versetzten.

Den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn, frei nach Raphael, in die Hand gestützt verharrte Dot eine Zeitlang in sichtlich tiefer Gedankenarbeit.

»Und wenn sich Gott danz dlücklich ist,« äußerte sie dann träumerisch, »warum läßt er Leute nicht auch danz dlücklich sein – denn ihn kann ja alles, hat Pa gesagt, alles was ihn will? Kommt nicht freundlich vor, gelt?«

»Du siehst es ja, Herzchen, daß du solche Dinge eben noch nicht verstehst,« sagte Jocelyn, ihr beschwichtigend über das Köpfchen streichend.

»Verstehst dich diese Dinger?« fragte das Kind, zu ihm aufblickend.

»Kaum, mein Liebling – nein ich verstehe sie auch nicht.«

»Bist dich dlücklich, Jo?«

»Wenn ich bei dir bin, ja,« erwiderte er mit jenem Lächeln, das nur seine kleine Dot an ihm kannte.

»Und wenn dich bei Fräulein T-willian bist?«

»Nicht immer,« lautete die knappe Antwort.

»Jo, glaubst dich, mich werde auch einmal e'wachsen sein?«

»Natürlich, Herzchen, du bist ja förmlich in die Höhe geschossen!«

Als er sie dabei ansah, schnürte ihm ein seltsamer Druck die Brust zusammen. Das Kind sah so durchsichtig, so schmächtig und hinfällig aus – sollte sie ihm nach all der ausgestandenen Angst und Not doch noch hinwelken? Von Sorge ergriffen, zog er sie zärtlich auf seine Kniee.

»Es ist dir doch besser, Liebling, nicht?« fragte er angstvoll. »Du bist doch nicht mehr so müde?«

»Doch müde,« sagte sie, das Köpfchen schwer auf seine Schulter sinken lassend. »Danz danz müde, danz danz dleines Kind! Will mich herumdetragen sein, bis mich eins'lafe, will mich desungen haben: S'laf, Kindchen, s'laf!«

Er stand auf, ging, die zerbrechliche Gestalt in seinen Armen wiegend, im Zimmer auf und ab und sang die alten Wiegenlieder, die jedem lieb sind, dem sie die Mutter einst gesungen hat.

»Noch nicht eindes'lafen,« erklärte Dot, die Augen aufschlagend, so oft er aufhören wollte. »Will mich noch mehr desungen haben.«

Und so sang er fort und fort, solange ihm irgend einer von den wunderlichen Kinderreimen einfiel, die ihre beruhigende Macht nicht eingebüßt haben konnten, denn Dots Lider schlossen sich fest und fester, und schließlich war sie wirklich »eindes'lafen«.

Es lag eine wunderbare Schönheit in dem Ausdruck, womit Jocelyn auf das hilflose Kind in seinen Armen herabsah. Er war keineswegs was man hübsch oder gar schön nennt, aber seine Züge waren männlich, ausgesprochen, fast herb, und die tiefe Zärtlichkeit, die jetzt mildernd darüber lag, verlieh diesem Gesicht den Reiz, der ihm sonst mangelte. Vielleicht hatte noch niemand den Maler Jocelyn so vorteilhaft aussehend erblickt. Als er mit einemmal in leisem Schrecken die Augen aufschlug, sah er Aline Tressillian im weichen Dämmerlicht des Zimmers auf sich zukommen.

Sie ging lautlos und sprach ganz leise. »Bleiben Sie ruhig!« flüsterte sie ihm zu. »Ich sehe ja, das Kind schläft! Ich wollte mich nach ihrem Befinden erkundigen, und als ich von Frau Lamb hörte, daß sie außer Bett sei, konnt' ich mir's nicht versagen, einen Blick hereinzuwerfen.«

»Wie freundlich von Ihnen,« erwiderte er ebenso leise, sein Herz pochte aber so stürmisch dabei, daß Dot im Schlaf unruhig wurde. »Wollen Sie sich nicht setzen?«

Die schlanke Gestalt glitt zu einem Lehnstuhl am Kamin, worin an dem frostigen Maiabend ein lustiges Feuer brannte.

»Geben Sie mir das Kind,« bat sie in dem warmen, einschmeichelnden Flüsterton, der Jocelyns Blut so wild erregte. »Ich wecke sie gewiß nicht auf – ich halte sie gut.«

Er zögerte erst, dann legte er Dot behutsam in ihre Arme.

»Armes Dingelchen!« murmelte sie, ihr Gesicht an die blasse Wange des Kindes schmiegend. »Wie verändert sie aussieht, und ach! wie leicht sie ist: Sie hat ja gar kein Gewicht mehr!«

Jocelyn stand an den Kaminsims gelehnt und blickte mit einem Ausdruck, den noch kein Weib in seinen Augen wahrgenommen hatte, auf die kleine Gruppe herab. Es war ja richtig, er war nicht, was man entzündbar nennt, hatte ihn aber die Glut einmal erfaßt, so war's auch kein Strohfeuer, und sein Gefühl für dieses Mädchen hatte einen schrecklichen Grad erreicht.

Sie im flackernden Feuerschein seines eigenen Herdes sitzen zu sehen, mit dem Kind im Arm und dem innigen mütterlichen Schimmer in ihren Augen, erfüllte ihn mit einer Lust, die fast schmerzhaft wirkte. So könnte sie dasitzen, wenn sie sein Weib, sein Eigentum wäre, so würde ihrer beider Kind in diesen zärtlich umschlingenden Armen ruhen –

Jetzt wurde er gewahr, daß sie zu ihm aufblickte. Er hatte noch nie so viel Weichheit, Hingebung in ihren Augen schimmern sehen.

»Woran dachten Sie eben?« fragte sie leise.

»Mir fehlt der Mut, es Ihnen zu sagen,« lautete seine Antwort; die das Beben seiner Stimme fast unverständlich machte.

»Dachten Sie an – an mich?«

Er nickte schweigend.

»Und Sie?« fragte er nach einer Weile. »Und Sie? Woran dachten Sie vor – vor ein paar Minuten?«

Sie schüttelte den Kopf, und eine rosige Glut überzog das feine Gesicht von der Stirne bis zum Kinn.

Heute war sie ganz in zartes Perlgrau gekleidet. Ein Besatz von weichen perlgrauen Federn umschloß Hals und Handgelenke, und von dem weichen großen Filzhut, den sie trug, nickten perlgraue Federn; außer ihrer rosigen Haut hatte sie keine Spur von Farbe an sich.

Ein wahnsinniges Verlangen nach ihrem Besitz stieg in Jocelyn auf, und unter dem Vorwand, das Tuch, worein Dot gehüllt war, fester zu knüpfen, kniete er an ihrer Seite nieder. Die Kleine hätte auch ohne diese Sorgfalt warm genug geruht!

Aline erbebte; sie wußte mit einemmal, was ihm auf den Lippen brannte. Sein Gesicht war ganz entfärbt, um den Mund zuckte es unruhig. Ihre Blicke begegneten sich; seine Hand streifte die ihrige.

»Aline!«

Es war ein heißer, heiserer Laut.

Da ging die Thüre auf und der Sternenschein trat ein. Das Kaminfeuer allein erhellte den dämmerigen Raum, und so gelangte sie bis in die Mitte des Zimmers, ohne wahrzunehmen, daß Jocelyn und das Kind nicht allein waren.

Der Maler sprang so hastig auf, daß Dot erwachte. Sie stieß einen Schrei aus und streckte ihrer Pflegerin die Aermchen entgegen.

Nun erhob sich auch Aline und ließ es geschehen, daß Jocelyn ihr das Kind abnahm, um es der neu Eingetretenen zu übergeben.

»Sie hat geschlafen« war alles, was er ihr sagte.

Die dunklen Augen der schönen Frau hafteten indes unverwandt auf der lieblichen Erscheinung in Grau, und Aline blickte dafür neugierig und doch mit einem gewissen Hochmut auf die statuenhaft herrliche Gestalt, deren großer Stil ihre mehr zierliche, weltliche Schönheit unwillkürlich zu verkleinern schien.

Die Heilige und die Sünderin! Beider Blicke enthielten eine gewisse Herausforderung.

»Was hab' ich mit dir zu schaffen?« schien eine Seele der andern zuzurufen.

Es dauerte nur ein paar Sekunden; ein atemraubendes, von Herzklopfen bewegtes Schweigen herrschte, dann ging Aline auf Dot zu und küßte das Kind.

Jocelyn legte die kleine Patientin in des Sternenscheins wartend ausgestreckte Arme, darauf ging er mit seinem Besuch hinaus. Er gab ihr das Geleite zum Wagen.

»Wer ist die – Person?« fragte Aline teilnahmlos.

»Sie hat mir in Dots Pflege beigestanden,« gab er zur Antwort. »Ein schönes Geschöpf, das, soviel ich weiß, Schweres durchgemacht hat.«

»Ach so! Es sah mir doch so aus, als ob sie nicht zur Krankenwärterin geboren wäre,« warf Aline mit hochmütiger Gleichgültigkeit hin.


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