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Zehntes Kapitel

 

27. Alarm bei Clerk. »Mustang« von Fliegender Untertasse vernichtet.

Clerk erfährt von der Versammlung von verschiedenen Seiten. Noch in der gleichen Nacht ruft ihn The Lord an, er werde morgens gegen 9 Uhr von einem Geschäftsfreund in einem Cadillac zu einer Sonntagsfahrt abgeholt.

Ob es wegen der Automaten sei?

Er erfahre alles von dem Freund.

The Lord hat offenbar den Hörer wieder aufgelegt, und Clerk wagt nicht, ihn von sich aus nochmals zu wecken. Es handelt sich gewiß um die Herstellung der Automaten. Er ist so besessen von dem Plan, daß er tags plötzlich aus dem Bürohaus wegrennt, schnell nach Hause fährt und im Arbeitskabinett der Villa die unter der Glasscheibe im Atomsturm brennende Stadt aufleuchten und verlöschen läßt. Sogar die Produktion der Bunker, der »C.C.C.-Schildkröte«, rangiert erst an zweiter Stelle.

Nach diesem Anruf in der Samstag-Sonntag-Nacht kann er nicht mehr schlafen. Er steht im Pyjama mit übergestreiftem Bademantel im Kabinett neben den Apparaten und schießt immer wieder die Metallkugel gegen die aufblitzenden Kontakte. »So wird es sein, genauso!« spricht er mit sich selbst. Mit heißen Augen verfolgt er, wie unter der Scheibe die Wolkenkratzer von einem knallhellen Licht getroffen werden und sich dann in braunrote Feuerdämpfe hüllen. Bebend stiert er auf das winzige furchtbare Schauspiel. Er selbst jagt durch das Flammenmeer, Schweiß steht auf seiner Stirn, rinnt in seine Augen, rückt alles in eine unwirkliche Sphäre – Wollust und Panik machen ihn zittern.

Als er am frühen Morgen in dem Cadillac sitzt und nach einer Empfehlung des Lords von dem Geschäftsfreund erfährt, daß auf jener Versammlung am Hafen die ganze Affäre Beß-Donald aufgedeckt und der Name Cecil Clerk hierbei offen genannt worden sei, begreift er zuerst nicht die volle Bedeutung der Sache. Er kann auch nicht wissen, daß der Geschäftsfreund neben ihm in dem gutsitzenden, grauen Sakko mit dem soignierten Diplomatengesicht Joe Apollo ist, jener Gangster, der mit Gorillajack die kleine Beß in der verschnürten, steinbeschwerten Decke wie eine tote Katze in den Fluß geworfen hatte. Und daß in dem breitschultrigen robusten Fahrer mit den Kofferhänden Gorillajack in Person vorn am Steuer sitzt.

»›Wer ist der Mörder?‹ rief vom Podium ein Mr. Ernest Lee, der Schwager Ihres Gärtners, in die Versammlung; er sprach von einem Verbrechen«, bemerkt jetzt der Geschäftsfreund, »und hat in Verbindung hiermit mehrmals den Namen Cecil Clerk genannt.«

» Wer hat?« Clerk scheint zu erwachen.

»Jener Mr. Ernest Lee, der Schwager Ihres Gärtners.«

»Ernest Lee?«

»Exakt.«

»Dieser Dreckeimer!« Clerk ist nun wach.

Es zeigt sich, daß der Geschäftsfreund sehr genau orientiert ist. Der Hausarzt der Familie Clerk, ein Dr. Boyle, habe diese Versammlung geleitet; auch er sei im Falle dieser kleinen Typeuse und des Fliegeroffiziers Donald Clerk durchaus nicht zurückhaltend gewesen. Dieser Doktor sei dann nach dem Meeting verhaftet und zur nächsten Polizeistation gebracht worden. Nach Feststellung seiner Personalien habe man ihn entlassen. Ein Verfahren gegen ihn wegen unamerikanischer Machenschaften sei zu erwarten.

»Lobet den Herrn und blast mir die Trompeten!« faucht Clerk. »Dann haben wir morgen den Skandal!«

»The Lord legt durchaus keinen Wert darauf.«

»Verständlich. Doch heute ist Sonntag. Wie kommen wir an die Presse, daß diese Stinktiere schweigen?«

»Wir kommen. Unsere Sorge. Der Chef bittet bloß, daß Sie, Mr. Clerk, die Ruhe bewahren, auf nichts reagieren, in gar keiner Weise, weder mit Gegenerklärungen noch mit Verleumdungsklage. Die Gerichte haben mit dieser Sache nichts zu tun.«

»›Wer ist der Mörder?‹ Das hat dieses rote Subjekt, dieser Schwager meines Gärtners gesagt!«

» Ihres Gärtners.«

»Ich werde mir diesen Burschen sofort vorbinden!«

»Sie werden gar nichts tun, Mr. Clerk; haben Sie mich endlich verstanden? Die Sache ist in guten Händen.«

Clerk sieht vorn im Sucherspiegel, wie das breite Gesicht des Fahrers, das eine Narbe am Auge schräg hinab bis zum Mundwinkel aufweist, eine Sekunde lang lächelt.

»Also, Mr. Clerk, unternehmen Sie nichts!« mahnt nochmals der graue Sakko. »Sie erhalten morgen vom Chef Nachricht.«

*

Clerk erwähnt auch bei Dorothy kein Wort von dem Gehörten. Sie wird es früh genug erfahren. Fein hat sich ihr Dr. Boyle benommen. Dieser intellektuellen Hundeseele müßte man es besonders heimzahlen! The Lord wird ja morgen mit ihm – Clerk – sprechen.

Er braucht nicht bis zum nächsten Tag zu warten. Wie er heimkommt, sieht er in der Garderobe den Mantel des Colonels Kennedy. Am Sonntagmorgen?

Alarm!

Ein kurzer Bericht über die Versammlung des Friedenskomitees war noch nachts über den Rundfunk gegangen. Man hatte natürlich solche Stellen wie »Händler mit Menschenblut« und Ohm Ernests und Dr. Boyles Worte gegen die Rekrutierung hervorgehoben, um das Ganze als eine »Veranstaltung der Roten« zu stempeln. Auch war Mr. Cecil Clerks Name dort erwähnt im Zusammenhang mit einem angeblichen Verbrechen. Dieser letzte Satz des Berichtes hatte Colonel Kennedy veranlaßt, sofort zu Clerk zu fahren.

Das alles berichtet der Colonel in Mrs. Dorothys Salon.

Schweigen.

Mrs. Dorothy mit hochrotem Kopf meint in unfreiwilliger Ironie: »Mr. Clerk hat das Wort!«

»Ich?«

»Du!«

Natürlich kann Clerk das Wesentliche des Vorfalls nicht bekanntgeben: weder, wo Beß in jener verhängnisvollen Nacht war, noch, wie sie verschwand, noch, was er heute früh durch den Beauftragten von The Lord erfuhr. Er poltert also los gegen die Roten, gegen das nun schon legendäre »kleine Stinktier George«, das ihm auch hier das große Geschäft mit den C.C.C.-Bunkern verderben wolle. Schließlich verliert er sich völlig in die fixe Idee seiner Atomautomaten mit dem Angriff der Fliegenden Untertassen auf das Zentrum der Millionenstadt.

Mrs. Dorothy will ihn bremsen und die Gefahr des über die Familie hereinbrechenden Skandals klarmachen. Sie bittet Colonel Kennedy, ihr zu helfen, da diese ganzen Untertassen – wie sie ärgerlich meint – doch ein Phantasieprodukt seien.

Aber hier kommt sie in das Kreuzfeuer der beiden Männer. Während Clerk in einen seiner Anfälle gerät, die in autosuggestiver Panik schon mit Sinnestäuschungen einhergehen, kann Kennedy sich erst nach und nach Gehör verschaffen.

Offenbar habe man hier, antwortet er gereizt Mrs. Dorothy, das Schicksal des Captains Tom Mantell gänzlich vergessen, der eine exakt beobachtete Jagd auf eine dieser Fliegenden Untertassen unternahm …

»Bitte genauer!« drängt jetzt Clerk.

»Captain Mantell, ein erfahrener Jagdflieger mit zehntausend Flugstunden, stieg bekanntlich mit zwei Kameraden in Mustang-Jagdflugzeugen vom Godam-Fliegerhorst nördlich von Fort Knox im Alarmstart auf. Die Militärpolizei im Fort und die Straßenpatrouille in Kentucky hatte eine dieser Untertassen beobachtet.«

»Was hat man nicht alles beobachtet!« spottet Dorothy.

»Wenn du sie eines Tages zum erstenmal bemerkst«, sagt Clerk wütend, »wird es vielleicht das letztemal sein!«

Und Kennedy: »Leicht möglich! Auch Captain Mantell hatte vorher nicht daran geglaubt. Da aber tauchte das Ding in den Wolkenlücken über dem Godam-Platz auf, und zwar mit einem orangeroten Leuchten – der Ausstrahlung einer unbekannten Kraftquelle an seinem Rand. Es blieb in großer Höhe über dem Flugplatz hängen. Mantell funkte erregt: ›Ich hab das Ding im Blickfeld. Es sieht metallisch aus, ist ungeheuer groß.‹ – Die Männer auf dem Flugplatz schätzten es auf 100 Meter Durchmesser. Mantells Staffelkameraden bestätigten die Beobachtungen. Jetzt meldete sich im Funksprech wieder Mantell: ›Das Ding steigt von mir weg … halb so schnell wie ich … versuche ranzukommen.‹ – Mantells Maschine verschwindet in den Wolken. Die Flieger der Staffel bleiben zurück. Mantell funkt noch: ›Es ist jetzt über mir, fliegt schneller, ich folge ihm.‹ Minuten später explodiert Mantells Maschine. – Trümmer fanden sich später über mehrere Quadratkilometer verstreut. Als des Captains Kameraden durch die Wolken flogen, war die Untertasse verschwunden.«

»Gibt es hierüber ein Protokoll?« fragt Mrs. Dorothy.

»Hierüber und über viele andere Beobachtungen. Zweifeln Sie noch immer?!« Des Colonels Augäpfel beginnen zu »tanzen«, die Stirnadern treten in seinem schmalen Gesicht bleistiftdick hervor, seine Worte überstürzen sich: »Ah, Sie möchten dahintersehen … hinter die Wand der Geheimhaltung … aber jede Armee braucht sie … ich nehme nicht an, daß Sie sich mit diesen Roten identifizieren, die unsere Beobachtungen bagatellisieren … jedenfalls sind die Fachleute des Air Material Command nach vierjähriger Prüfung zu dem Schluß gekommen, daß es Fliegende Untertassen gibt …«

»Und Donald ist wohl einer Sternschnuppe zum Opfer gefallen?« schießt auch Clerk gegen Mrs. Dorothy los.

Sie preßt ihre Hände gegen die Schläfen. »Ich habe nicht das geringste Interesse an euren Fliegenden Tellern oder Untertassen; ich wüßte nicht, was mir gleichgültiger wäre. Nicht gleichgültig aber ist mir der Skandal! Ich werde jetzt Dr. Boyle anrufen …«

Clerk ist aufgesprungen. Sein muskulöser Nacken ist prall gespannt wie bei einem Stier, er tritt einen Schritt auf Mrs. Dorothy zu: »Heute geht hier niemand ans Telefon! Verstehst du? Du möchtest wohl auch das Geschwätz verbreiten helfen von deinem feinen Doktor!«

Mrs. Dorothy ist aufgestanden. »Entschuldigen Sie mich, Colonel!«

»Du bleibst!« schreit Clerk außer sich, Kennedy mit einem Ruck seiner Schulter beiseite schiebend. »Ich weiß, du glaubst nicht an mich und meine Pläne; auch Francis hast du verdorben, und jetzt redet ihr von Skandal, und morgen – nachdem ihr diesen roten Doktor und das Journalistengeschmeiß hier hochgepäppelt habt –, morgen werden sie ihre Atombomben, die auch in diesem Haus bereits eingebaut sind, durch einen einzigen Lichtstrahl auf ein Photoelement entzünden.« Er hat Kennedy an der Schulter gepackt. »Sie sind Soldat! Ihr Urteil, Ihr soldatisches Urteil!«

Mrs. Dorothy hat dem Colonel durch einen Wink zu verstehen gegeben, den Wahnsinnigen nicht zu reizen. Wenn man nicht annimmt, daß Clerk unter Alkohol steht – er hat noch keinen Tropfen getrunken –, so ist sein Zustand furchterregend.

»Wir werden die Stadt Mauer für Mauer, Wand für Wand genau untersuchen«, flüstert er plötzlich geheimnisvoll, »nach jenen Rissen und Spalten, die für die Lichtzündung der eingebauten Atombomben von den Roten hergerichtet wurden.«

Er geht, fast unhörbar, auf den Zehenspitzen nach oben in sein Arbeitskabinett.

 

28. »Der Zahnstocher« erscheint wieder. Der Bumerang fliegt zurück.

Am nächsten Morgen – Montag früh – ist Clerk pünktlich in seinem Büro. Je mehr er glaubt, daß der kleine Ben Burns, diese »existenzlose Null«, ihn beobachtet, um so nonchalanter gibt er sich wie nach einem angenehm verlebten Weekend. Er sitzt in Hemdsärmeln da und schiebt den größten Teil der Post, die Burns ihm vorlegt, nach einem kurzen Überblick als Kleintiermist beiseite. »Der Chefkonstrukteur! Und dann Mr. Fyfe von der Pressewerbung!«

Doch während der Berichte seiner Abteilungsleiter denkt Clerk unablässig an den gestrigen Morgen. Er möchte sich am liebsten in den Wagen werfen und zu The Lord fahren. Doch er weiß, daß The Lord arbeitet, daß er selbst das größte Interesse hat, diese Sache nicht nach oben kommen zu lassen. So wartet er von Minute zu Minute auf den Anruf.

Indessen, etwas anderes meldet sich. »Mr. Pigeon bittet!«

»Erledigen Sie das, Burns!«

»Der Herr, der vor drei Wochen in besonderer Sache mit Ihnen sprach.«

Wie Pigeon eintritt, erkennt Clerk an dem spitzen, mundlosen Fleischteil des unteren Gesichtes den F.B.I.-Mann. Mr. Pigeon, »der Zahnstocher«, fühlt sich gleich heimisch, wohl im Besitz einer wichtigen neuen Information, die Clerk damals, ihn abschiebend, von ihm gefordert hatte. Nun geschah tatsächlich etwas Wissenswertes Samstag abend am Hafen. Es ist das drittemal, daß Clerk es sich anhören muß. Diese unheimliche Sache rennt hinter ihm her wie eine Koppel Jagdhunde, die sich bei jeder Wegbiegung vermehren.

Clerk kann nicht mehr ausweichen. Er muß sich diese schreckliche Angelegenheit, die immer klarer, wie aus einem Nebel, hervortritt, noch und nochmals erzählen lassen.

Der Zahnstocher hat sich's in einem der Klubsessel am niederen Rauchtischchen, wohin ihn Clerk des leiseren Sprechens wegen bat, bequem gemacht. Clerk sitzt ihm gegenüber. Der F.B.I.-Mann entwickelt seine Kombination, durch wen jener Ernest Lee und Dr. Boyle die Einzelheiten des Abtransportes der Leiche erfahren haben. Das Ganze rieche eindeutig nach einer roten Spionageorganisation, vor der er Mr. Clerk – er möge sich dessen bitte entsinnen – vor Wochen gewarnt habe. Und er fährt direkt genießerisch fort, diese geheime Organisation werde natürlich weiterarbeiten, auch Mr. Clerk zur Strecke zu bringen.

Hier hat der Zahnstocher mit seiner primitiven Erpressung Clerks Nerv getroffen.

Was denn zu tun sei?

Der Gegenüber beeilt sich nicht. Schließlich erklärt er, die F.B.I. habe heute eine Unmenge ähnlicher Fälle in Arbeit. Man greife niemals sofort zu, sondern suche vorher alle Fäden des weitmaschigen roten Netzes in die Hand zu bekommen. Hierzu benötige man eine gewisse Zeit. Der Gegner arbeite natürlich weiter. Da nun er – Pigeon – sich bereits vorher für den Fall interessiert und die Sache, wie die Ereignisse bewiesen, richtig gesehen habe, so werde er auf Wunsch seine Beobachtungen fortsetzen und Mr. Clerk rechtzeitig warnen.

Der F.B.I.-Mann wird mit einem weit größeren Scheck als das erstemal verabschiedet.

Man kann nicht behaupten, daß diese Unterredung Mr. Clerk beruhigt hätte. Seine Wahnvorstellung, man verfolge ihn, steigerte sich bei jeder neuen Nachricht über die Verschleierung des Todes der kleinen Beß, bei der er ja mitgewirkt hatte. Die Panik, die er mit der Propagierung seiner Atombunker und Spielautomaten zu erzeugen begann, der »Appell an die Nerven«, fand in seinem eigenen Innern das stärkste Echo. Der Bumerang – gegen die anderen geschleudert – näherte sich dem Kulminationspunkt und flog auf ihn selbst zurück. Er wagte auch nicht, sich Old Josh anzuvertrauen. Gegen Dorothy wuchs wegen ihrer alten Freunde sein Mißtrauen bis zur Furcht, von ihr selbst beobachtet und verraten zu werden.

In diesem Zustand einer unerträglichen Ruhelosigkeit und eines schon pathologischen Verfolgungswahnes, bei dem die Asthmamäuse in den höchsten Tönen sangen, hält er es nicht länger zwischen den vier Wänden des Büros aus. Er fährt in ein Detektivoffice und gibt den Auftrag, sein Haus, seine Frau und seine Tochter zu überwachen.

Als er gegen Mittag zurückkommt, meldet ihm Ben Burns den Anruf von Mr. Patterson, ihn zum Tee in seiner Wohnung aufzusuchen.

The Lord hat ihn nicht vergessen.

 

29. Der Appell an die Nerven. Wo ist der Mörder?

Selbstverständlich setzten schon beim Besuch des »Zahnstochers« die Kombinationen von Ben Burns ein. Weshalb hatte Clerk diese Type nach dem »Erledigen Sie das, Burns!« dennoch empfangen, als er ihn an den ersten Besuch vor drei Wochen erinnerte? Und jetzt der Anruf von jenem Mr. Patterson zum Five o'clock. An sich nichts Besonderes. Bloß, in Mr. Pattersons Stimme war etwas Dringliches, obschon er es nicht aussprach. Burns hätte gern Adda im Konstruktionsbüro aufgesucht. Doch vielleicht ist Clerk gerade drunten, um weiter auf das Tempo der neuen Spielautomaten zu drücken. Immer wieder müssen die Modelle geändert werden. Die Sache wird ständig komplizierter. Man soll in den Beleuchtungseffekten brennende Menschen sehen, die durch die Feuersbrünste der einstürzenden Straßen rennen. Dann sollen an anderer Stelle Menschen als »Fackeln« auf dem qualmenden Asphalt stehen. Es kann gar nicht furchtbar genug sein. Vergeblich warnen Propagandachef und Chefkonstrukteur vor dieser Übersteigerung. Clerk verlangt den äußersten »Appell an die Nerven«. Die Frage taucht auf, ob Clerks eigene Nerven noch in Ordnung sind? Ob sein »Appell an die Nerven« nicht schon der Ausgeburt eines Monomanen gleichkommt?

Zweifellos ist in den letzten Wochen eine Veränderung mit Clerk vor sich gegangen. Er rennt plötzlich aus seinem Büro, ohne etwas zu hinterlassen, ja ohne von irgend jemandem Notiz zu nehmen. Vom Chauffeur weiß man, daß Clerk dann nach Hause fährt, daß er mitten in der Stadt ein Höllentempo verlangt, daß die Polizeistrafen sich häufen und die Chauffeure gewechselt werden müssen, daß aber Mr. Clerk nicht schnell genug das Arbeitskabinett der Villa erreichen kann.

Ben Burns weiß, daß Joe Apollo einen nicht unerheblichen Scheck erhielt nach dem Verschwinden von Beß. Immer mehr lüftet sich vor ihm, der existenzlosen Null, dem »Nobody«, der Schleier. Furcht vor dem letzten Erkennen und eine Art Spielerleidenschaft, die Geheimzahl des großen Rouletts zu erfahren, halten sich die Waage. Nach Betriebsschluß kauft er sich am Kiosk die Abendblätter. Die großen Zeitungen bringen in der Headline die politischen und wirtschaftspolitischen Ereignisse.

Aber da – in dem »Democratic Globe« – sieht er gleich vorn die fette Schlagzeile: Wer ist der Mörder? Und dahinter wird berichtet, wie auf einer Versammlung der Friedenskämpfer im Hafen der Fliegermajor Donald Clerk ganz offen als der Verführer der Büroangestellten Beß Montez bezeichnet wurde und der Industrielle Cecil Clerk als Mitwisser der gangsterhaften Verschleppung der Leiche. Des kleinen Ben Burns' Hände können vor Zittern das Blatt kaum noch halten. Das ist furchtbar! Was wird jetzt geschehen? Aber da steht noch eine Bemerkung … daß der Tod des Fliegermajors eine Folge jenes Betrugs mit den Fliegenden Untertassen sei, jener Mystifikation, die lediglich der Erzeugung künstlicher Panik diene. In Wirklichkeit wüßten die verantwortlichen Militärs des Air Material Command genau, daß es sich hier um Stratosphärenversuchsballons, um »Höhenluftsonden« und Raketen der eigenen Luftwaffe handle.

Eiligst steckt Burns das Blatt weg. Ob man sein Zittern bemerkt hat?

*

Wie The Lord mit Clerk zum Country Club, etwa 80 km nordwestlich der Stadt, fährt, reicht er ihm im Wagen eines der Abendblätter. Es ist der »Democratic Globe«. Da steht in sensationeller Aufmachung ein Artikel: Wer ist der Mörder? Gleich dem Normalleser überfliegt Clerk die Zeilen, bis er plötzlich stutzt und an den Namen Clerk – Donald Clerk und Cecil Clerk – hängenbleibt. Es ist, als ob ihn jemand an der Kehle gepackt habe. Ja, da steht sein Name unabweisbar im Zusammenhang mit dem Satz: Wer ist der Mörder? Zehntausende fressen in diesen Stunden die erregenden Zeilen des Abendblattes. Und auch die Anspielung auf die Fliegenden Untertassen … als Mittel, Panik zu erzeugen.

Schweiß rinnt über seine Stirn, bleibt in den buschigen Augenbrauen als Tröpfchen hängen, sucht sich den Weg zu seinem Kinn. Auch sein Hals ist naß. Dort klopft sichtbar die Schlagader. The Lord beobachtet ihn wie ein Wissenschaftler das Versuchstier. Diese Reaktion auf die Überraschung ist echt. Clerk hat also nicht geschwatzt. Die Preisgabe der Sache muß aus anderer Quelle stammen.

Bleibt jener rote Bursche, der Schwager des Clerkschen Gärtners! Verflucht unangenehm kann das werden … nicht bloß für Clerk, auch für ihn selbst. Er, The Lord, weiß, so ein richtiger Roter läßt sich durch nichts vom Auftreten und Reden abhalten, weder durch einen »ernsten Hinweis« noch durch eine Massage; es sei denn, ihn nach bewährter alter Methode endgültig »zur Spazierfahrt abzuholen« (to take for a ride).

An sich befindet sich The Lord heute auf einer anderen Ebene. Es zeigt sich jedoch, daß man nach solch einem Etagenwechsel vom unteren Gangster und Gunman zum Gentlemancatcher nicht ungestraft wieder in den Keller hinabsteigt, ohne daß einem etwas an den Händen klebenbleibt. Aber da er mit Clerk sich auf diese lächerliche Sache eingelassen hat, muß er sie nun zu Ende führen.

Das Sommerhaus des Country Clubs ist wunderbar gelegen, an dem Rand uralten Waldbestandes vor einem See. Eine breite, schöngeschwungene Terrasse wendet sich zum Wasser. An dem wild gelassenen Ufer steht hohes Schilf. Von dort hört man ab und zu das leise Schnattern der Wildenten, die dann im flachen Strich über die feuchte Fläche fegen.

The Lord, der mit Clerk an der äußersten Seitenbiegung der Terrasse bei einem Triple Sec Curaçao sitzt, fragt: »Kennen Sie den Artikelschreiber?«

Clerk hat während der Fahrt sich selbst diese Frage gestellt; er antwortet: »Vermutlich ist es ein gewisser Al Flagg, ein Bekannter aus dem früheren Intellektuellenkreis meiner Frau.«

»Ein recht angenehmer Bekannter.«

»Einer dieser verfluchten Zeilennässer, die in die Hose machen, wenn sie einen patriotischen Artikel über meine Atombunker schreiben sollen.«

»Ein Köpfchen.« The Lord überlegt. Solche Burschen sind mit allen Hunden gehetzt; man bekommt sie schwer zu fassen. Und wenn, so wird die Presse Alarm schlagen. Es bleibt also nur eins gegen diese Volkstrompeter: sie mit einem »warnenden Beispiel« zu belehren, daß es besser ist, die werte Schnauze zu halten. The Lord hat sich inzwischen auch über die anderen Redner der Friedensversammlung informiert. Scheinbar unvermittelt fragt er: »Wissen Sie, wo jener Ernest Lee, der Ihren Namen mehrmals erwähnte, arbeitet?«

»Nein.«

»Er ist Meister in der Autoreparaturwerkstatt von Pop Matthews in Clarendon.«

»Man muß mit dem Besitzer sprechen, daß er den Hundesohn hinausfeuert!« braust Clerk auf.

Statt einer Antwort fragt The Lord weiter: »Kommt dieser Bursche öfter zu seinem Schwager, Ihrem Gärtner?«

»Das müßte ich erst feststellen.«

»Wir haben nicht allzuviel Zeit, Mr. Clerk, diesen Besuch zu irgendeiner Zeit oder an irgendeinem Ort abzuwarten. Könnte nicht Ihr Gärtner seinen Schwager am nächsten Samstagabend – sagen wir zum Essen – zu sich einladen?«

Clerk beginnt zu verstehen. Die Sache ist nicht ganz einfach. Selbst wenn er seinen Gärtner Manuel dazu bestimmen könnte, so wird der des Schreibens unkundige alte Indio mit Adda darüber sprechen. Hierdurch würde das Ganze ins Wasser fallen. Clerk denkt angestrengt nach, während The Lord aufgestanden ist, zur Balustrade der Terrasse geht und über den abendlichen See zum anderen Waldufer schaut, von wo das »Göckgöck-Käh« des Blue Jay, eines Blauhähers, herübertönt.

»Mit dem Gärtner direkt geht es nicht«, sagt Clerk, während The Lord sich wieder setzt. »Aber der Alte hat eine Tochter, die in unserm Konstruktionsbüro arbeitet.«

»Steckt sie auch in diesem Friedensklub?«

»Wahrscheinlich.«

The Lord betrachtet ihn kalt, fast feindlich.

»Sie unterzeichnet ihre Skizzen meist mit ihrem Namen und mit Kopierstift.«

»Nicht schlecht«, meint The Lord jetzt wohlwollender. »Wobei es selbstverständlich ist, daß nur Sie, Mr. Clerk, die Skizze mit dem Namenszug in die Hand bekommen!« Er überlegt noch eine Weile, während er das leere Glas verspielt umstülpt. »Wir haben eine Woche Zeit«, sagt er, »das ist nicht zu kurz und nicht zu lang. Schicken Sie also die Einladung mit der Unterschrift der Tochter Ihres Gärtners erst Freitag abend an jenen Ernest Lee. Die Hauptsache, daß die Tochter selbst nichts merkt.«

»Und was wird aus jenem Mr. Lee?«

The Lord antwortet mit der Gegenfrage: »Wissen Sie eine andere Lösung?«

Clerk schweigt.


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