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Zweites Buch


Wir müssen die Majorität, die wir ja sind, wirksam machen, damit das Gute so selbstverständlich wird wie das Brot.

Menetekel, I. Buch

Erstes Kapitel

 

1. Einer will sich rächen. Fliegende Untertassen in Sicht.

Donald hat die erneute Abweisung durch Adda nicht vergessen; er hat auch nicht die kleine Beß vergessen in ihrer leidenschaftlichen Verzweiflung, nicht vergessen das hilfeflehende Kindergesicht über den Schultern einer Frau. Wenn bei der großen Schwester die Schlinge nicht zog, das zweitemal bei der Kleinen wird sie nicht versagen. Und indem er die Kleine nimmt, wird er die Große treffen.

Beß geht die Tage umher wie im Traum. Sie ist völlig verwirrt. Nur ein Gedanke hält sie noch aufrecht: Robbys Schicksal. Als nach dem letzten Brief nichts mehr eintrifft, horcht sie bei jedem Schritt und Türöffnen – vielleicht ist er geflohen und steht draußen?

Übrigens gibt es da noch einen Betroffenen: Ben Burns, den zwerghaften Sekretär von Mr. Clerk, den stummen Verehrer der kleinen Beß. Er leidet unter Beß' Leiden wie unter einem eignen. Je mehr er jetzt bis in die Nacht am Radio der Musik lauscht, um so näher rückt ihm ihr kindlich gequältes Gesicht. Da sind jene russischen Volkschöre mit dem Locken des Windes, dem Pferdegetrappel, den hellen Liebesrufen und dem Verhallen in jene endlose »Sehnsucht nach der Sehnsucht«.

Donald kommt in diesen Tagen öfters von dem Bungalow am Flugfeld in die Stadt. Aus seinem hochgelegenen Zimmer in der Villa beobachtet er das Gärtnerhaus. Eines Abends, als Adda zu jener Besprechung mit Dr. Boyle ging, schlendert er durch den Park; er sieht, daß noch Licht brennt in dem Wohnraum zu ebener Erde; er nähert sich zwischen den Rhododendronbüschen und glaubt, durch die Gardine eine auf der Couch kniende Gestalt zu erkennen. Er hält den Atem an wie vor einer Entschließung und lauscht, als drohe irgendwo eine Gefahr, als spitzten hundert andere Ohren gegen ihn; er hört den Vater Manuel in seiner kleinen Werkstatt neben dem Geräteschuppen hämmern – nicht schlecht. Sie ist allein.

Nur nicht lange warten! Was ist schon dabei?

Seine Kameraden haben ganz andere Sachen riskiert. Die Kleine aber kennt ihn seit Kindheit; sie vertraut ihm. Und wenn sie erst glaubt, daß er ihr helfen kann …

Beß hockt wie die ganzen letzten Tage teilnahmslos auf der Couch. Als Donald eintritt, schaut sie auf und grüßt ihn mit einem stummen Nicken; sie setzt sich gerade und scheint angestrengt nachzudenken; sie atmet tief auf. Vielleicht hat sie den Faden gefunden, den sie vor Tagen verlor, als sie vor ihm und Adda in die Knie sank und flehte, weshalb man Robby denn nicht helfe?

»Wie steht's?« fragt sie mit demselben hilfesuchenden Blick.

Donald scheint zuerst nicht zu hören; dann antwortet er: »Ach ja, Beß … ein lausiger Fall, verdammt verquert; aber vielleicht sollte man wirklich mit meinem Freund, dem Captain Ferry sprechen; ihm gelingt alles.«

»Ja, ja!« bittet Beß und ist sofort Leben.

Und Donald: »Hat es noch etwas Zeit?«

»Keine Zeit, oh, gar keine Zeit!« Sie steht vor ihm.

Donald schaut nach der Uhr, er überlegt besorgt, dann meint er: »Vielleicht treffen wir ihn noch, wenn wir sofort fahren.«

»Wohin?«

»Zum Flugfeld. In einer halben Stunde sind wir dort.«

 

Sie brausen im Kabriolett los. Donald steuert. Natürlich bemerken sie nicht bei ihrer Ausfahrt durch das Portal, wie Adda und Gene in den Schatten der Platanen getreten sind. Es geht mit vierzig Meilen durch die Randstraßen der Stadt und mit siebzig über die Asphaltbahn. Sie sprechen kein Wort. Fliegen die Lichtzeichen der breiten, einbahnigen Chaussee ihnen entgegen oder weichen sie von ihnen fort?

Beß sieht schon Robby; ihre ganze Natur ist nach der tagelangen Apathie in einem heftigen Aufruhr. Leicht ist ihr, sie möchte singen, es geht einer herrlichen Sache entgegen, einer wunderbaren Überraschung. Wie sagte doch Donald: »Dem Captain gelingt alles!« Vielleicht ist Robby morgen schon frei? Offiziere erreichen in zehn Minuten mit einem Wort, wonach sie – Beß – sich tagelang vergebens das Gehirn wund dachte. Wie anständig Donald ist, daß er sich noch ihrer Bitte entsann! Ein guter Kerl!

»Zu schnell?« fragt er.

»Schneller!« Oh, wenn es gelänge, wenn es gelänge!

»Ich werde einen Job in deiner Nähe nehmen, Robby, in der Nähe des Camps!«

»Was sagst du, Beß?«

»Schneller, bitte!«

Vielleicht kann man vom Flugplatz den Lagerkommandanten anrufen? Natürlich kann man! Ein Fliegeroffizier kann alles! Wie die Nachtluft gegen die Windscheibe zischt!

Plötzlich ist sie müde. Mein Gott, jetzt nicht nachgeben! Sie schwitzt vor Erregung. Die Kehle ist trocken. Durst. Da sind schon die Scheinwerferkegel des Flugfeldes.

Der Wagen fährt langsamer und rollt in die Ringstraße ein, die den Platz umgibt. Hier reiht sich ein Kranz der Bungalows an. Dort liegt die große Garage, vor der Donald hält. Er gibt Signal. Es kommt ein Mann der Fahrbereitschaft, ein robuster Neger, Gefreiter des Bodenpersonals.

»Sieh den Wagen nach, Jeff!« befiehlt Donald. »Und tanken!«

»Gewiß, Sir.« Und mit einem Blick auf Beß, die ausgestiegen ist: »Soll der Wagen in die Garage?«

»Tanken, sagte ich!«

Donald bewohnt die obere Etage des Bungalows am Rande des Flugfeldes. Parterre haust Captain Ferry. Die Fenster sind dunkel. Der Captain hat kein Sitzfleisch. Entweder pirscht er bei einem der diensttuenden Offiziere umher oder er ist in der Stadt, oder vielleicht hockt er auch in der Funkbude wegen der auf Ultrahochfrequenzwelle aufgenommenen Signale und dieser vertrackten Fliegenden Untertassen, die in den letzten Nächten mit ihrer Raketenspur wieder aufgekreuzt sind.

Soll er! – Heute braucht er – Donald – keinen Kameraden; heute wird er allein mit dem Gegner fertig werden.

Beß steht noch immer mit ihrem kurzen gegürteten Trenchcoat im Zimmer.

»Verzeihung, Beß!« Er hilft ihr aus dem Mantel. »Bitte, setz dich! Ich werde sofort den Captain anrufen. Etwas essen, Beß, oder trinken?«

»Trinken, bitte!«

Donald verschwindet. Sie setzt sich auf einen der Rohrsessel und schaut zum Fenster, über das zwei leuchtende Scheinwerferfinger hin und her wischen, sich kreuzen und auseinanderfahren. Der Raum ist mit einfachen hellen Möbeln ausgestattet, rechts an der Wand steht eine breite Couch, vorn am Fenster ein Schreibtisch; links führt eine Tür in ein kleineres Kabinett.

Donald kommt mit einem Tablett, darauf einige Sandwiches mit Käse und Wurst sich befinden, je eine Flasche Sherry – Tinto di Rota steht auf dem Etikett – und ungarischer Tokaier.

»Oh, gibt's nicht einen Juice oder ein Glas Soda?«

»Vielleicht im Keller – im Eisschrank fand ich nichts –, verzeih, meine Bedienung geht mittags bereits … Junggesellenheim, Beß … aber dieser Wein wird dir bestimmt guttun!« Er gießt in zwei Kelche den schweren, aromatischen Sherry. »Ich werde sofort den Captain anrufen, das ist doch die Hauptsache, nicht wahr?«

»Gewiß, bitte!«

»Auf daß es glückt!« Er stößt mit ihr an und schlürft den würzigen Wein.

Auch Beß trinkt durstig; sie setzt einmal ab, dann leert sie das Glas bis zur Neige. So durstig ist sie.

»Gut?« fragt Donald.

Sie nickt. Wahrhaftig, sie fühlt sich lebendiger.

»Entschuldige mich für drei Minuten, ich werde anrufen.« Er geht in das Zimmer gegenüber. Die Tür bleibt halboffen. Dort, an der Seitenwand, steht ein breites, flaches Bett mit einem gerafften Moskitoschleier; dahinter in einer Lesenische ist das Telefon. Donald sucht eine Nummer. Er horcht … ah, der Captain meldet sich, welches Glück!

»Wie sagst du, Billy … wirklich, du kennst den Major? Splendid! Hörst du, bitte, tu mir den Gefallen, Billy, und ruf ihn an … natürlich gleich … wie … ach was, es ist erst 23.10 … ich bitte darum, und morgen früh werden wir beide fliegen … so long!«

»Und ich?« Beß ist aufgesprungen.

Donald winkt ihr, nicht zu stören.

Was gibt's da zu stören? Das Gespräch war fingiert. Donald hatte fünfmal die Null gewählt. Jetzt dreht er das Licht im Schlafraum aus und kommt in das Arbeitskabinett zurück.

»Was wird?« fragt Beß.

»Hast doch gehört.«

»Morgen fliegt ihr zum Camp?«

Donald füllt als Antwort die Gläser: »Daß alles gut geht, kleine Beß!«

Sie trinkt halb aus.

»So gelingt es bloß halb!«

Sie stürzt den Rest hinunter. Was würde sie nicht alles tun! Mein Gott, es ist kaum auszudenken. Aber sie hat es ja mit eigenen Ohren gehört, wie er mit dem Captain sprach; zwei Offiziere werden sich um Robby bemühen, da muß es glücken! Wie dankbar sie Donald ist … ein prächtiger Mensch! So nachdenklich sitzt er jetzt da, plötzlich ganz bleich. Sie legt ihre Hand auf die seine; so dankbar ist sie ihm. »An was denkst du?«

»Man hat sie vorgestern nacht wieder beobachtet.«

»Was?«

»Nun, diese Dinger, diese russischen Flugkörper …«

»Hier bei uns?« Sie ist wie ein erschrecktes Tier; ängstlich umklammert sie seine Hand.

Er nimmt ihre Hand in seine beiden Hände und preßt sie, daß sie aufschreit. Er möchte sie an sich reißen und zermalmen. Er entsinnt sich wieder, weshalb er sie hergeholt … dieses erbärmlich pulsierende Etwas von Milch und Blut. Beute. Einen Augenblick, wie er erschöpft nachdenkt, ist ihm selbst jämmerlich zumute … zum Speien. Wie er sie da eingefangen hat mit dieser Hoffnung auf ihren Freund Robby … wie mit einem vergifteten Köder … das war nicht weidgerecht; sie würde daran verenden! Was dann? Unsinn, sich noch Gedanken zu machen, da ihr die Schlinge um den Hals liegt. Zudem geht's ja um Adda! Mit ihr hätte er kämpfen müssen! Wie mit einer Bärin oder Leopardin! »Auch Adda wird sich freuen! Trinken wir auf Adda!«

Was will er mit Adda? Beß' Gedanken sind nicht mehr klar. Er hat in beide Gläser jetzt den ungarischen Tokaier gegossen.

»Auf Adda!«

Das klingt wie ein Befehl. Ist alles ja schließlich für Robby. So trinkt sie noch ein Glas; er ist süßer als der rote Wein zuvor, süffiger und feuriger. Und gleich den Curaçao hinterher – Imperial Triple Sec –, in kleiner, flacher Schale. Ah, wie der in die Nase steigt! Duft! Feuerkreise rotieren vor ihren Augen. Wenn Robby hier wäre, würde sie tanzen! Ob es ungehörig ist zu bitten, das Radio auf Nachtmusik anzustellen?

Wieviel Uhr es überhaupt ist? Was war da eben mit Adda? Was hat Adda hier zu suchen? Wieso mischt sie sich ein? Sie, Beß, ist doch kein Kind mehr! Sie ist Robbys »liebe, kleine Frau«. »Liebe, kleine Frau« ist keine Witwe … hat ihr Recht auf etwas … das Leben ist doch kein Dollar, den man in die Tasche stecken oder auf die Theke werfen kann … wie hoch soll man steigen … was sagt er da? Bis 12 000 … bis 14 000 Meter … schön, noch ein Glas aufs Gelingen! Einen Knacks dem Fliegenden Teller!

Beß stößt mit Donald an und schaut ihm gespannt ins Gesicht. Auf die 14 000 Meter mit der Überdruckkammer! Sie leeren die Gläser schnell und erhitzt.

»Diesmal gebe ich nicht nach!« sagt er. »Ich hänge mich an ihn!«

»Er reißt dich mit, und was wird morgen?«

»Wenn er Nachtaufnahmen macht …«

»Wer?«

»Wer?« Er ist zum Fenster gesprungen, drückt es noch weiter auf, als könne er durch die Öffnung hinausspringen auf das Karussell der Scheinwerfer oder auf die schmale Leuchtbahn hoch im Schwarzblauen. Jetzt wendet er sich gegen das Mädchen: »Wer?! Du begreifst es wirklich nicht? Daß der Russe uns Nacht für Nacht überfliegt, unsre Flugfelder ausmacht, unsre Stationen stört … du glaubst, ich kann ihn nicht packen? Und wenn er auf der verfluchten Untertasse losfegt … warte bloß!« Er ist zur Garderobe zu seinem Mantel gerannt und kommt mit dem Revolver zurück; im gleichen Augenblick reißt er einen Teller vom Tisch, daß die Sandwiches herunterfallen.

Beß ist aufgesprungen. »Was tust du?«

»Du glaubst mir nicht?« Er hat den Colt entsichert, den Teller hochgeworfen, ein Schuß peitscht durchs Zimmer, Porzellansplitter scheppern zu Boden.

»Mein Gott, Don …«, sie hat mit beiden Händen seine Hand mit dem Revolver umfaßt. »Ich glaub dir ja! Glaub dir ja!« sagt sie sinnlos, während alles sich um sie dreht.

Donald hat sie an sich gerissen. Der Colt fällt zu Boden. Er spürt, wie ihre Rippen sich biegen. Wut und Gier quirlen in ihm. »Du weißt mehr, als du sagst! Du!«

»Ich?«

»Du und Adda! Das ganze Nest!«

Sie stöhnt und will sich befreien; doch er schnürt ihre Arme zusammen – »Heraus mit eurer Teufelei!« –, er hat sie hochgenommen und auf die Couch geworfen. Er kniet über ihr; sie schaut ihn erschrocken an, sie öffnet den Mund, aber bringt kein Wort hervor. Er spürt, es gibt kein Halten mehr. Wie er das klare Gesicht unter sich sieht, weiß er, er wird dies Geschöpf vernichten. Einen Moment denkt er, wie er manche Maschine zum erstenmal bestieg, manchen Motor auf Touren brachte; nie aber hätte er es über sich gebracht, eine Maschine so zu behandeln.

Er trägt die von dem schweren Wein Schlaftrunkene in das Kabinett nebenan und nimmt sich, was Adda ihm verweigerte. Vergebens beginnt Beß erwachend sich zu wehren. Vergebens.

 

2. Die Lichtspur im Süden. Eine Fackel fällt zur Erde.

Mitternacht.

In den Radiokammern des Flugfeldes F. 8 der Air Force und des etwa 50 km entfernten Zivilflughafens der Eastern- und Trans World Air-Lines suchen die Funker fieberhaft auf der Ultrakurzwelle die seltsamen Signale aufzufangen und zu registrieren. Diese letzten wolkenlosen Sommernächte war schon der Teufel los. Die Zentralstationen und die Forschungsabteilung der US-Luftwaffe gaben keine Auskunft. Man orakelte von »Stratosphärenraketen« und »Höhensonden« zur Erforschung der Luftströmungen über 24 000 Meter Höhe, dann auch von einer sagenhaften Doppelrakete »W.A.C. Corporal«, die über 400 000 Meter Höhe erreicht habe, von Raketen zur Erforschung der kosmischen Strahlung und Spaltung des Wasserstoffatoms in 35 000 Meter Höhe.

Aber all diese Vermutungen gaben keine Antwort auf jene teller- oder untertassenartigen Flugkörper, die bereits über ein dutzendmal von den verschiedensten Piloten beschrieben worden waren, und zwar aus östlicher Richtung einfallend. Jetzt allerdings wurden die Flugkörper aus südwestlicher Richtung gemeldet. Mehr noch – man hatte am klaren nächtlichen Südhimmel seltsame Leuchtbahnen aus weißgelbem und rosa Licht wie schwindende Kometenschweife wahrgenommen.

Gene, der pflichtgemäß seinen Kommandanten Kennedy angerufen, riskiert, wie er ihm jetzt gegenübersitzt, die Frage, ob es sich hier um jene Fliegenden Untertassen handele?

»Und wie denken Sie?« fragt der Colonel.

»Es ist alles möglich.«

»Alles? Also, was noch?«

»Man müßte die Richtung kennen.«

»Kennt man sie nicht?« forscht Kennedy.

»Diesmal wurden sie aus südlich-westlicher Richtung beobachtet.«

»Und wenn der Gegner uns täuschen will? Haben Sie noch nie etwas von ferngelenkten Flugkörpern gehört? Tun Sie nicht so fremd, Gene! Oder wollen auch Sie die Latrine verbreiten, es handle sich um unsre eignen Raketen in der Ionosphäre? Wie? Leugnen Sie nicht, daß man diesen Schwindel hier kolportiert! Ich warne Sie!«

Gene reagiert nicht auf diese überreizte Drohung. Er schaltet ruhig am Gerät. Aber was war das eben, dies »Ionosphäre«? Ist wohl noch was anderes als Stratosphäre? Der Colonel, dem die Nerven in der letzten Zeit immer öfters durchgehen, hat sich da offenbar verplappert. »Ionosphäre« – man muß sich das Wort merken! Vielleicht schaut hier ein Zipfelchen der Lösung des Rätsels heraus?

»Die ganze Sache ist Quatsch!« räsoniert jetzt Kennedy, der selbst merkt, daß er zu weit gegangen ist. »Haben Sie mich schon alarmiert, so holen Sie wenigstens das Schachbrett her … ein Spiel und Revanche und Schluß!«

Gene gehorcht und stellt die Figuren auf.

»Zigarette?«

Der Colonel hat in letzter Woche die Marihuana zwischen genauso lange Chesterfields gesteckt. Es ist für ihn ein Lotteriespiel: Wen es trifft? und: Wer übrigbleibt?

Gene nimmt eine Zigarette; es wäre feige, zu kneifen. Doch meint er: »Gestatten Sie, Colonel, daß ich F. 8 anrufe? Major Clerk erbat in diesem Falle Nachricht.«

»Gut.«

Gene gibt die Meldung durch.

»Möchten Sie mit solch 'ner Höhenbiene und Überdruckkammer nachts starten, Gene?« fragt Kennedy. »Sind doch faktisch genau solche Särge wie die Dakotas. Geben Sie künftig diesen Seelenverkäufern für unsern Lufthafen keine Landeerlaubnis! Auf meine Kappe! Wir haben mit unsern Douglas Liftmasters, den C. 54 und den F. 84, Spaß genug!« Er beobachtet Gene, dessen Pupillen sich erweitern und dessen Iris ein metallener Glanz überzieht. »Schmeckt die Zigarette?«

»Ich denke, Colonel, wir haben immer Kameradschaft gehalten?«

»Richtig«, erwidert Kennedy, zerdrückt seine erste Zigarette und wählt sorgfältig eine zweite.

*

Aus der Tiefe des Schlafes überhört Donald das erste Schnarren des Telefons. Dann aber springt er auf. Und wie er die Meldung verstanden hat, eilt er ins Bad, duscht und zieht sich an. Hölle – muß es gerade jetzt sein! Aber vielleicht ist es seine große Glücksnacht? Nicht schlecht begonnen hat es. Ein Wurf ist bereits geglückt, ein Abschuß, wenn man so sagen kann. Und wie geglückt!

Da liegt Beß, entspannt, in tiefer Erschöpfung. Er sieht den sanften Schwung ihrer Wirbelsäule, aus deren Senke sich die Muskeln wölben bis zu den vollen Schultern, und die Haarsträhne, die Wangen und Gesicht bedeckt. Rosa, weiß, golden.

 

Auf dem Flugplatz erwarten ihn die Monteure. Die Höhenversuchsmaschine, eine Art großer Düsenjäger mit eingebauter Überdruckkabine, ist schon angerollt und wird zum Start überprüft. Donald geht über die Zementplattenbahn an den schweren 180-Tonnern B. 36 und den kleineren B. 29 vorbei zur Funkerbude. Es stimmt, von Südwesten sind die merkwürdigen Flugkörper gemeldet und Radiomorsezeichen aufgefangen worden. Zudem kann man am Südwesthimmel ab 60 Grad Höhe immer wieder nach oben kurvende Lichtspuren beobachten. Donald gibt dem Offizier vom Dienst die Absicht des Startes mit seinem Düsennachtjäger durch, einer »Skyknight«, genauer gesagt einer X-F 3 D, wobei das X bedeutet, daß es sich um eine Versuchsmaschine handelt. Donald verabredet mit der Funkstation noch die Zeichen des Funksprechs.

Er ist nicht wenig erregt. In dieser Nacht scheinen die Untertassen zu schwärmen; möglich, er gerät in eine Masseninvasion hinein. Er kann mit der X-F3 D bis 15 000 Meter steigen. Man hat neuerdings einen Supernachtjäger gefordert, eine Maschine, die bei größter Anfangsgeschwindigkeit und einem Strahltriebwerk, das nicht erst warm zu laufen braucht, im Handumdrehn die unteren Schichten der Stratosphäre anzufliegen vermag. Das aber soll grade die X-F3 D leisten, als Jäger mit radargerichteten Schnellfeuergeschützen ausgerüstet.

Endlich muß er ja einem dieser Monstra die Bahn kreuzen, es zur Landung zwingen oder abschießen. Wie … das ist ihm nicht klar. Aber es wäre eine globale Angelegenheit! Die Blätter der ganzen Welt wären am nächsten Morgen voll davon, von dem Abschuß des geheimen »russischen Luftpiraten« und von seinem – Major Clerks – Namen. Man hätte den Russen einwandfrei am Material überführt, selbst bei einem ferngelenkten, unbemannten Flugkörper.

Donald ist in seine fieberhaften Vorstellungen derart verbohrt, daß er auf einen Jäger vom Typ F-94 zuhält, der in der Nähe eines breitmäuligen Transporters C-124-A steht. Schließlich findet er am Start der großen Rollbahn seine Skyknight, die die beiden Monteure startbereit melden. Er klettert an der Seite des schwarzen Ungeheuers hoch, läßt sich durch die Einstiegluke gleiten und nimmt auf dem Führersitz Platz. Er prüft den Sauerstoffapparat, gurtet den Fallschirm an, rückt auf seinem Kopf den Sturzhelm zurecht, lockert den Knüppel der Steuerung und wirft einen Blick auf die Sturzflugbremsen und die Mechanik der Waffen. Eine Sekunde konzentriert er sich, ob nichts vergessen wurde? Nein, nichts wurde vergessen.

Dumpf schnappt der Deckel der Kabine ein. Donald gibt den Monteuren das Zeichen. Das Strahltriebwerk schiebt die Maschine zuerst auf halben Touren die Rollbahn entlang. Der Tachometer zeigt 140-160-180 Stundenkilometer. Donald zieht jetzt den Steuerknüppel nach hinten. Die Skyknight hebt sich ab, sie steigt in fast 60 Grad. Der Zeiger des Höhenmessers saust herum, um das Tempo des Aufstiegs mitzuhalten.

Der nächtliche Sichtkreis weitet sich schnell. Ein erster Umblick nach draußen. Die Sterne leuchten im Panorama groß und überklar wie im Hochgebirge … gleich merkwürdigen silbernen Disteln im dunkelblauen Zenit. Tiefer im Südsüdwesten erscheint die verdächtige rosagelbe Lichtspur, die sich teilt und nach oben kurvt. Die 7000-Meter-Zone, die noch von Verkehrsmaschinen beflogen wird, ist bald erreicht. Die X-F3 D fegt mit Überschallgeschwindigkeit dahin. Das leise Gewinsel der Turbine für die Klimaanlage ist das einzige Geräusch, das Donald noch vernimmt. Die rasende Flugschnelle läßt das Gebrüll der Rückstoßdüse kilometerweit hinter dem einsamen Piloten.

9500 Meter zeigt der Höhenmesser. Die Nase des Flugzeuges stößt zum Zenit, der in sattem Schwarzblau sich wölbt. Immer größer werden die Sterne. Links seitlich im R-Winkel am Südwesthorizont beginnt der Mond riesig und dunkelrot aus der Erdluftschicht aufzutauchen. Hölle – er muß sich dazuhalten! Denn wenn dieser Lampion weiter aufsteigt und dann droben mit seiner Helle alle andern Lichtspuren zudeckt, wird er auch diese Nacht über 400 bis 500 Kilometer hinweg nicht nahe genug an die Flugbahn der Untertassen herankommen.

10 500 Meter – der Horizont, an der Mondgrenze und am frühen Osthimmel sichtbar, wobei sein scharfliniger Rand bisher in Augenhöhe blieb, steigt jetzt nicht mehr mit dem Flugzeug empor; er sinkt vielmehr ein wenig ab und rundet sich. Donald ist es, als verlasse er diese Erde.

Doch was war da wieder im Südwest? Die Lichtspur? Mehrere Strähnen? Oder eine blonde Haarsträhne? Torheit! Es gilt, seine Sinne zusammenzuhalten! Bei 10 500 Meter Höhe und 1200 Kilometer Stundengeschwindigkeit gibt es keinen Menschen mehr im Sichtkreis. Nicht einmal mehr in Gedanken.

11 200 Meter – Eissternchen bilden sich auf der Verglasung der Kanzel. Donald stellt die Heizung stärker ein. Die Eislandschaft auf der Scheibe schmilzt. Die Maschine steigt weiter. Die Lichtspur im Südwest erhebt sich. Donald hält darauf zu. Er sucht noch Höhe zu gewinnen, um dann im Sturzflug auf den Gegner zu stoßen. Jetzt spaltet sich die Lichtkurve in zwei, drei Strähnen. Also drei Flugkörper? Eine Halbstaffel? Drauflos und ihr den Weg verlegen! Diesen Burschen eins in die Kanzel oder ins Ruder brennen! Das wäre zudem Nr. 2 der Abrechnung mit Adda: den Russen über der USA zur Strecke gebracht!

Unsinn – Schluß mit Adda und mit dieser kümmerlichen Käseglocke drunten, Erde genannt! Bloß, wieso kommen diese Untertassen aus Südwest? Liegen da nicht die Gebiete des Air Material Command in Wright Field und das Raketenversuchsfeld White Sands in New Mexico? Also ein amerikanischer Flugkörper oder einige Raumraketen, in die Strato- oder Ionosphäre geschossen? Zur Auswertung der kosmischen Strahlen? Teufel – ist ihm der Sherry oder Tokaier ins Gehirn gestiegen, daß er selbst jetzt sich in die Propaganda der Roten verspinnt? Hat ihm die kleine Beß das ins Ohr gewispert mit ihren feuchten, zitternden Kirschlippen, bevor sie hinüber war? Als letztes und feinstes Gift? Wie sie jetzt wohl da unten liegt, noch immer zwischen Schlaf und Rausch, mit dem Arm und der Schulter über der Bettkante hängend … tot, wenn sie nicht atmete? Ihr Atem hatte da ein seltsames Arom von Pomeranzen, Weinduft und Milch … so nahe war er ihrem Atem, die jetzt 10 000 Meter unter ihm liegt … Millionstel eines Stäubchens, während er selbst am Stratosphärenrand hängt.

Man sagt, ohne die Überdruckkabine würde die Flüssigkeit im menschlichen Körper wegen des geringen Luftdrucks in wenigen Sekunden zu kochen beginnen, die Organe würden schmoren und die Haut platzen. Aber zum Glück sitzt er ja in seiner hermetisch geschlossenen Kanzel, ganz wie auf der Erde … etwas geht ihm da durcheinander: wieso auf der Erde, und weshalb riecht er diesen nahen Duft der Frau und des Tokaiers? Ist die Kabine nicht dicht genug gegen den Alkoholüberschuß in seinem Blut? Hat er doch zuviel in sich hineingepumpt und wird der schwere Wein jetzt frei … Unsinn … welcher Unterschied ist denn eigentlich zwischen 10 Zentimetern und 10 000 Metern, zwischen 1 Sekunde und 1000 Jahren … da liegt sie wieder mit ihrer sanft geschwungenen Wirbellinie und der rosa Wölbung der jungen Muskeln … manche Kameraden behaupten, das Fliegen in großen Höhen sei nicht sosehr verschieden von dem in geringen Höhen, andere aber sprechen von der »Hitze« trotz allem, trotz der Kabine und Maske … was stimmt? Und erst die Ärzte, diese edlen Herren, die den Menschen in die Überdruckkammer setzen und wie Kaninchen auf die »Reaktion« warten lassen … Luftballung … Luftembolie … Gasbläschen im Körper … feine Sache so was … Dein Körper fliegt in dem Flugzeug noch einmal extra, aber der Rücken krümmt sich vor Schmerz … Glückwunsch! Genau wie jetzt …

Ein Unsinn, daß er mit dem Alkohol im Leib aufstieg und sich selbst diese kostbaren Sekunden unten stahl, diese Millimetersekunden an der Schulter des Mädchens … aufgepaßt, hier ist kein Schulterbogen …

12 900 Meter – verdammt, wo sind die Lichtstreifen der Untertassen? Er ist vom Kurs abgekommen. Durch das Kehlkopfmikrophon gibt er sein Rufzeichen nach unten. Das Flugfeld antwortet und korrigiert durch Funksprech. Er faßt den Steuerknüppel fester, reißt ihn nach Südwest auf Kurs … was ist … die Querruder sprechen nicht mehr richtig an. Er muß alle Kraft aufbieten, das Flugzeug wieder aufzurichten. Er zieht in Kursrichtung die Maschine noch höher. 13 400 Meter – doch wenn er zurückkehrt, was wird dann? Wenn sie aufwacht und erkennt, was geschehen ist? Und sie ihn anschaut und den Namen flüstert … welchen noch … »Robby« … was wird sein … und am Morgen, an dem er mit dem Captain zu Robbys Camp fliegen wollte … Lüge alles, alles Lüge … wie eine kalte Hand wird es am bleichen Morgen auf ihm liegen, und dann soll er sie heimfahren zu Adda oder zum Betrieb … diesen Schatten von einem Menschen …

14 200 Meter – die Maschine zieht schwerer. Ein Defekt im Triebwerk, in der Brennkammer, oder in seiner Selbstkontrolle? Häng dich auf, wenn etwas an der Kabine wäre! Sein Schädel wird ihm zu eng, das Gehirn scheint zu sieden … Luft! Hinaus! Er kann durch einen Griff eine spezielle Treibladung zur Explosion bringen, die den ganzen Sitz mit ihm und seinem Fallschirm herausschleudert, wonach er den Mechanismus zum Lösen der Sitzgurte betätigen und das Abspringen vom Sitz durchführen muß, ferner nach einigen Sekunden das Öffnen des eigenen Fallschirms … keine so einfache Sache … doch das Flugzeug liegt wieder auf Kurs … ist da voraus nicht die Lichtspur … nach der Karte kommt bald die Sperrzone, allen Flugzeugen untersagt … aber wird es nicht großartig sein, wenn er die Luftpiraten grade über dem »top secret« erledigt?

Und wenn es eigene Raketenflugkörper wären? Bis 14 000 Meter wisperst du zu mir hinauf, Beß? Lächerlich! Ich habe hier ein andres Blickfeld … 300 Kilometer voraus in die Nacht oder 30 Kilometer … ich sehe, was mein Radargerät sieht … weg da … ein Feuerstoß mit den MGs und hinterher mit den radargerichteten Bordkanonen … ah, du willst dich einnebeln … das nächste Mal wird von hier das Elektronengehirn das Ziel finden, den Vorhaltewinkel berechnen und selbsttätig feuern … aber jetzt bin ich noch da, du feige Schleiereule … wischst mir nicht weg …

Die Skyknight nimmt plötzlich eine enge Kurve. Trotz der hohen Geschwindigkeit sackt die Maschine in der dünnen Luft durch. Und wieder sucht Donald sie gradezustellen und hochzuziehen. Doch wieder klemmt das Querruder … er zieht und zerrt am Knüppel … ein Ruck … hat er denn nichts mehr in der Hand … fängt die Maschine an zu taumeln … Beß, was sagst du, kleine Bestie … die Kanzel abwerfen, aussteigen … mein Gott, wäre man bloß unten …

Er wagt nicht den Absprung mit der Kabine. Fast automatisch fährt er die Sturzflugbremsen aus und schiebt den Knüppel nach vorn. Der Zeiger des Höhenmessers kreist rasend rückwärts. In immer engeren Spiralen trudelt die Maschine steuerlos über die Seite zur Erde. Schon montiert in der Luft eine Tragfläche ab …

Beim Aufschlag auf den Boden schießt eine Flamme hoch. Dann brennt eine mächtige Fackel. Nach und nach glüht das Aluminiumgerippe auf der verkohlten Erdnarbe aus.

Ein schwarzer Trichter bleibt mit dem kopfstehenden Monstrum im Mondlicht.


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