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Fünftes Kapitel

 

12. Ohm Ernest geht zum Hafen. Der Heuerboß pfeift.

Am Tag nach der Beerdigung von Beß schickt Ohm Ernest Mom Rose in die Werkstatt, daß er wegen Krankheit ein paar Tage aussetze; er müsse sich wegen dauernder Schmerzen in der Nierengegend untersuchen lassen. In Wirklichkeit geht Ohm Ernest auf etwas ganz anderes aus. Auch er ist – ohne es zu äußern – Addas Meinung, daß man Beß nicht behandeln dürfe »wie eine ins Wasser geworfene tote Katze«.

Aber etwas anderes spielt da noch eine Rolle. Der Gedanke läßt ihn nicht los: das Ganze von Old Bill – Robbys Vater – über den Rekrutenrobby bis zu dem ungeklärten Tod von Beß ist eine lange Kette, die nicht bei Beß' Tod endet. Und zweitens, es gibt da einen Satz, der besagt: eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied.

Ohm Ernest fährt also zum Hafen des Eastriver, wo – wie Adda im Protokoll gelesen hat – Beß' Leiche von zwei Arbeitslosen an den Ankerketten eines Schiffes hängend gefunden worden sei. Da er sich früh aufgemacht hat, kommt er gerade in die morgendliche Anheuerung der Hafenarbeiter zur Entladung oder Ladung der großen Frachter. Über der Flußmündung und den Kais liegt der Frühdunst eines heißen Augusttages. Vereinzelte Portalkrane schwenken vom Ufer polternd und kreischend schon ihre Last über die offenen Schiffsluken.

Aber für viele andere Kähne müssen die Schauerleute erst angeheuert werden. Ohm Ernest gelangt auf dem kilometerlangen Kai des Osthafens gerade an den Punkt, wo der Heuerboß der Contracting Corporation, ein Schrank von einem Mensch, auf einem niederen Holzpodium im Freien steht zusammen mit dem Steward, dem Betriebsobmann der Schauerleute des Docks, während der Vertreter der Gewerkschaften unten die Anheuerung beobachtet und die Permits der Gewerkschaft den Arbeitsuchenden für zwei Dollar die Woche ausschreibt … eigentlich eine Art Lotterielos, das dem Permitinhaber im gewissen Sinn eine Chance gibt.

Drunten vor dem Boß im Kreis drängen sich die arbeitsuchenden Männer – unter ihnen viele Neger –, einzelne in Overalls, andere bloß in alten Hosen, bunten Hemden oder Trikots, manch armer Teufel auch, dem der Gelegenheitsarbeiter aus den Löchern seiner einzigen Jacke sieht, in seinem gleichzeitigen Sonntags - und Alltagsfrack. Ohm Ernest schiebt sich in den Kreis, als stehe er selbst nach Arbeit an. Neben ihm quetscht sich ein etwa zwanzigjähriger, athletischer Neger nach vorn, nur mit ärmellosem Trikot und Hose bekleidet. Wie Ohm Ernest ihn mahnt, eigentlich mehr, um sein Gesicht besser zu sehn: »Junge, brich dir mal kein Bein vor der Arbeit!«, da antwortet der Neger erstaunlicherweise nicht mit einem Fluch, sondern mit einem gutmütigen Grinsen: »Steckst du jetzt den Löffel nicht in die Suppe, Alter, dann verlierst du beide Beine!«

 

Der Heuerboß hat nun schon gepfiffen. Fünf Trupps zu je fünfzehn Mann werden zusammengestellt und von den »Lieutenants« in ihren Notizbüchern vermerkt. Sobald der Name aufgerufen ist, geht der Glückliche zum Büro und läßt sich die Arbeitskarte geben, die sofort gestempelt, in der Stechuhr gestochen und in ein alphabetisches Regal gelegt wird.

Der erste Trupp ist unter einem dieser Helfer, der »Lieutenants« des Bosses, bereits beim Heueroffice angetreten, nachdem er dort in die Liste eingetragen wurde und die Arbeitskarten erhielt, um zu dem Schiff zu gehen. Die ganze Werbung vollzieht sich von seiten des Bosses mit einer eisernen Ruhe, für die Wartenden aber in einem Höllentempo.

Der Heuerboß und der Steward, der oft die Interessen der Unternehmerfirma mehr vertritt als die der Schauerleute, arbeiten auf Grund ihrer genauen Kenntnis der Stammarbeiter und der Gelegenheitsarbeiter nach einem bewährten System. Ohm Ernest weiß zwar aus den Diskussionen der linken »rank and file« und deren Flugblättern, daß die Günstlinge – die »favorites« – des rechten, korrumpierten Gewerkschaftsführers Joe Ryan außerhalb der Reihe bevorzugt werden und so die ständige Garde »King Joes« bilden. Heute aber sieht er mit eigenen Augen, wie selbstverständlich diese Favorites, als erste aufgerufen, sofort alle vorderen Plätze einnehmen und auf den großen Schiffen für leichte Deckarbeiten und in den Lagerräumen am Kai zu bequemen Aufräumverrichtungen verwendet werden, während für die Menge der »kleinen Mäuse« entweder die harte, schmutzige und oft auch gefährliche Schufterei beim Löschen der Unterdeckfracht bleibt oder gar plötzlich das unerbittliche »I got enough!« des Bosses ertönt … »Ich hab genug!«

Schon setzen sich auf diesen Alarmruf »I got enough!« die überzähligen Dockers in Trab zu einem anderen Heuerpunkt. Ohm Ernest ist in das Gerenne der alten und jungen Arbeitsuchenden, der drohenden, fluchenden, keuchenden, zur Ordnung mahnenden Männer mit hineingerissen. »Los, zum Dock 24!« – »Tritt dir nicht auf den Blinddarm, Charly!« – »Langsam, Jonny, da hilft dir kein Regen!«

Aber auf Dock 24 ist die Sache auch bereits zu Ende. Gerade noch zwei Mann kriechen unter; wie es scheint, haben sie sich an die Lieutenants, die Vormänner des dortigen Bosses, herangeschmiert und nach dem bewährten, aber schoflen Kickbacksystem – durch Prozentbeteiligung der Lieutenants an ihrem Lohn – sich vorgeschoben, diese dreckigen Bankerte!

Auch der kräftige junge Neger im ärmellosen Trikot mit den Muskelpaketen an den Schultern schaut mit noch zwei Dutzend anderen Schauerleuten in den Mond. Gleich einem Haufen Passanten, vor denen die Brücke über einem breiten Fluß weggebrochen ist, stehen die Männer einen Augenblick wie vor den Kopf geschlagen da.

Plötzlich ruft einer: »Zum Dock 30!« Die meisten spritzen los, obschon nirgendwo ein Heuerboß auf seinem Podium mehr zu sehen ist und der Kai bereits überall von arbeitenden, angeworbenen Schauerleuten wimmelt. Der schwarze Muskelmann im Trikot neben Ohm Ernest macht mit der Hand bloß eine wegwerfende Bewegung: Laß sie sausen! und zündet sich eine Zigarette an.

»Na, vielleicht morgen?« sagt Ohm Ernest.

»Sollen sich die Zuhälter doch das Genick brechen!« fährt der Athlet los.

»Werden dir den Gefallen kaum tun, Mark!« meint neben ihnen ein etwa vierzigjähriger untersetzter Neger, dem man an seinem schweren, schlendernden Gang und mächtigen, gekrümmten Buckel schon vorher den alten Docker ansah. »Für einen Tag Verdienst in der Woche mußt du zwei Dollar opfern für King Joe und seine Garde …« Er nimmt seinen Permitschein, reißt ihn in kleine Schnitzel und wirft sie in die Luft.

»Wie sie fliegen, die Täubchen!« stichelt der Jüngere. »Du bist mir 'ne richtige Honigschnitte, aber nicht für dich, sondern für die Bigbellies, diese Bulldoggen!«

»Wieso Honigschnitte?« fragt Ohm Ernest.

»Weil unser John Honeycut tatsächlich 'ne Honigschnitte ist«, lacht der andere, »kannst dir gleich vorn und hinten was von ihm abschneiden, wie unsre Bosse es machen.«

»Still, boy, wenn du noch mal zwanzig Jahre auf dem Buckel hast mit dem zugehörigen Drum und Dran«, gibt Honeycut ihm kontra, »dann wird an dir kaum 'n Scheibchen mehr abzuschneiden sein.«

»Hör mal, Jonny«, mischt Ohm Ernest sich jetzt ein, »ich will verdammt sein, wenn ihr hier keinen Sonnenstich bekommt mit all eurem Honig. Los, Jungens, wollen uns irgendwo 'nen Harten genehmigen!«

Die beiden sagen hierzu nicht nein. Der junge Mark ist für die nahe Ohiobar. Doch Honeycut behauptet, in der »White Rose« würde man den Whisky nicht aus dem Hudson fischen, sondern man könne damit ein Lämpchen brennen. Honeycuts Vorschlag wird akzeptiert.

Das neue Dreierkollegium – Honeycut, der rückengewaltige ältere Neger, Mark, der junge schwarze Muskelmann, und Ohm Ernest pendeln jetzt den Kai entlang zu ihrem schattigen Ziel.

Bei allen Schiffen ist der Ladebetrieb in vollem Gang. Auf einem der großen Kähne werden gerade kanadische Häute eingelassen.

Der Weg der drei wird hier aufgehalten durch die Anfahrt eines Bulldogs mit mehreren Loris, auf denen sich in wuchtigen Holzkästen das Rohmaterial befindet. Der Signalmann auf Deck des Schiffes steht schon an der Seite der Luke; er gibt den Männern an der Winde des Ladebaums mit dem Daumen ein Zeichen, die Greifer des Krans packen mit ihren hakenförmigen Stahlfingern den ersten schweren Kasten mit den Häuten – ein Pfiff des Signalmanns, und der Wrenchman, der Mann an der Winde, läßt die Trommel laufen, die Stahltrosse rollt sich kreischend auf, die Last geht hoch, der Zeigefinger des Signalmanns dirigiert jetzt den Kasten genau über das Loch; ein zweiter Pfiff und Hinweis mit dem Finger nach unten zugleich mit dem Warnruf »Heads up!« – und der zehn Zentner schwere Kasten windet ab in den Laderaum.

Ohm Ernest, der aufmerksam diese Arbeit beobachtet, meint: »Sieht nicht schlecht aus … von hier, bloß schwerhörig darf man nicht sein!«

»Weshalb?« fragt Honeycut.

»Na, ich möchte so 'ne Wucht nicht auf den Schädel bekommen.«

»Dazu brauchst du nicht erst schwerhörig zu sein«, meint Mark, »so 'ne kleine Rückenmassage haben wir grade letzte Woche erlebt. Los, Jonny, leg mal los, warst doch dabei!«

Honeycut verzieht sein Gesicht wie ein Kater, wenn's donnert. »Schiet, mir tut 's Kreuz weh, wenn ich bloß dran denke; shut up!«

»Na ja, schön sah's nicht aus«, sagt Mark, »er konnt nicht mehr weg, der Schauermann, wie die Kiste runtersauste …«

»So 'ne Kiste?« fragte Ohm Ernest und deutet zu den Loris auf einen der großen Kasten.

»Da hast du die Auswahl«, knurrt Mark, »'ne Whiskykiste war's damals … immerhin mit 'nem Dutzend Flaschen Scotch drin, und auf dem Pilot, wie er hochging, standen fünfundzwanzig solcher Kisten … den ganzen Tag ging's hopphopp wie im Akkord … und bei der Antreiberei, dem dauernden Gepfeife, dem Rasseln der Winde und immer dies verdammte ›come on! come on!‹ der Lieutenants, da mußt du ja verrückt werden, dazu noch die Hitze … und jetzt rutscht so 'ne locker stehende Kiste ab, und bevor alle unter den Eisenträger springen können, trifft sie den einen …«

»Spring du mal, wenn du kannst!« meint Old Jonny.

»Na ja … als wir ihn dann rauftrugen, hatte er schon 'nen kalten Arsch, und im Schauhaus wollt ich ihn auch nicht mehr sehn.«

Offenbar macht es keinem der drei mehr großen Spaß, unter dem strahlendblauen Himmel sich weiter am Kai herumzutreiben und dem Verladegeschäft der Dockers zuzusehen. Sie nehmen also geraden Kurs in Richtung der »White Rose« quer über die Landeplätze. Es herrscht eine Bullenhitze. Die beiden Schauerleute mit ihrem schweren Gang suchen möglichst schnell die Schattenseite der Häuser an der Markthalle zu gewinnen.

Ohm Ernest sagt in das Schweigen hinein: »Verflucht fix geht so was …«

»So was …« knurrt Mark. »Was weißt denn du?«

»Wieso?«

»Hab dich nie hier gesehn.«

»Hört, Jungens«, erklärt Ohm Ernest und packt zu, »das Mädel meiner Schwester hat man vor fünf Tagen hier am Kai aus dem Fluß gefischt, hing an 'ner Ankerkette.«

»Tot?« fragt Honeycut.

»Tot.«

»Wieso hier?« meint Mark.

»Möcht ich gern von euch wissen, Jungens«, erwidert Ohm Ernest. »Treiben eigentlich öfters Leichen bei euch an, und weiß man, wo sie in den Fluß geworfen wurden?«

»Mann, was du nicht fragst!«

»Die Frage ist nicht so ohne«, bemerkt Honeycut. »Aber hier ist's mir verflucht zu heiß!« Er peilt in großer Fahrt die Schattenseite an.

In diesem Augenblick erscheint bei der Sanitätswache des Hafens eine von zwei Mann getragene Bahre, auf ihr ein röchelnder Mensch mit grauweißem Gesicht. Ein scharfer ammoniak- oder naphthalinartiger Dunst geht von seinen Kleidern aus. Hinter der Bahre trottet eine aufgeregte Gruppe lärmender Schauerleute, die auf den Steward des Docks einreden; es sei eigentlich seine Schuld, wenn er zulasse, daß in diesem alten Kahn ohne Ventilatoren das giftige Zeug mit den schädlichen Gasen ausgeladen werde. Der Steward sucht die erbitterten Männer zu beruhigen, er werde sofort mit dem Boß sprechen.

»Sprechen, sprechen!« schreit einer der Dockers.

Und ein anderer: »Kennen wir!«

»Wo hat's denn hier noch ganze Handschuhe …«

»Meine Pfoten sind von der Säure und dem chemischen Zeug total zerfressen …«

»Und das verdammte Naphthalin, das offen herumliegt, und das Gas, das aus den undichten Säureflaschen bläst …«

»Mir ist schon zum Lungeauskotzen …«

»Und stinken tut's in dem Affenkasten wie die Pest …«

»Wo bleibt überhaupt unsre Schmutzzulage … die paar Cents sind ja bloß 'nen Trinkgeld für den Leichenkutscher!«

Der Steward wendet sich und ruft dem lärmenden Trupp, der die Arbeit niedergelegt hat, zu: »Moment, Jungens, ich hol den Boß.«

Inzwischen ist der Gasgeschädigte in den Raum der Sanitätswache gebracht worden. Einige nachdrängende Kollegen werden wieder hinausgeschoben. Ohm Ernest meint zu Honeycut: »Das sieht ja bei euch hier aus wie nach 'nem G-man-Gespräch mit hands up! in Chikago.«

Mark erwidert an Jonnys Stelle: »Wieso – sieht aus? Ist doch so! Jede Woche liegen zwei oder drei auf der Schnauze, und wenn sie dir 's Hemd nicht ausziehen, ziehn sie dir die Lunge aus dem Leib.«

Gerade kommt der Boß breitbeinigen Schritts mit dem Steward zurück. Die Ruhe selbst in der Stimme, erklärt er: »Also, Jungens, was gibt's? Der Teufel hol mich, wenn ihr nicht heute früh schon zuviel aus der Buddel gelutscht habt.«

Ein Schrei knallt dazwischen: »Aus den Giftbuddeln in deinem Dreckskahn, meinst du! Einer liegt schon!«

»Bekannt!« sagt der Boß. »Bin ich von gestern, Jungens? Aber der Kahn muß gelöscht werden; das wißt ihr genauso wie ich. Also, geht an die Arbeit! Ich werde für das Nötige sorgen!«

»Für das Nötige sorgen …«

»Haben wir schon mal gehört …«

»Was wollt ihr eigentlich?« fragt der Boß.

Sich überschlagende Rufe: »Handschuhe fehlen! Schürzen! Ventilatoren! – Mehr Risikozulagen wollen wir! – Sicherheit! – Garantie für Achtstundenarbeit!«

Der Boß, der sofort erkennt, daß die Sache diesmal ernst ist, hebt die Hand, als wolle er eine wichtige Botschaft verkünden, worauf sofort Ruhe eintritt. Er zuckt jedoch nur die Achseln und sagt fast gleichgültig: »Bitte, wie ihr wollt.« Er wendet sich und geht.

Einen Augenblick herrscht drückende Stille. Dann sagt der Steward: »Kollegen, für heute genug! Ob ihr richtig gehandelt habt, weiß ich nicht. An eurer Stelle würde ich jetzt zum Office gehen und wenigstens die Karten stechen.«

»Faule Pflaume!« platzt Mark heraus. »Jungens«, meint er zu seinen Kollegen und erntet damit offene Zustimmung, »kommt nach dem Punch im Büro zur ›White Rose‹!« Und mit einem Augenzwinkern gegen Honeycut und Ernest: »Hier sind welche, die haben auch was zu sagen.«

 

13. In der White Rose Bar. Ein Königreich statt einer Eselin.

Da es noch nicht 10 Uhr ist, kann das Dreierkollegium sich einen hinteren Tisch mit Rückendeckung wählen. Ohm Ernest läßt sich nicht lumpen. Es werden von der Bar zwei Flaschen Porter und einige Gläser Whisky und Gin von Mark zur Ecke hinübergetrimmt, während Honeycut – der am Hafen mehrfach Aufträge des Negro Labor Councils durchzuführen hatte – spürt, daß es hier nicht bloß um eine Löschaktion durstiger Kehlen geht.

Übrigens siedeln sich angesichts der verschiedenen Flaschen und Gläser dennoch sehr bald mehrere der arbeitslosen Schauerleute an den Nebentischen an, in der berechtigten Erwägung, daß die Kollegen sie nicht verdursten lassen würden. Zudem füllt sich die »White Rose« jetzt mit den feiernden Dockers des Stinkkahns, auf dem infolge des Naphthalins und der Säuregase der Mann ohnmächtig wurde. Bald wimmelt die Bar von erregt den Fall diskutierenden Hafenarbeitern.

Die drei in der hinteren Tischecke fühlen sich bei dem allgemeinen Lärm wie auf einer Insel. Hier mit der Wand im Rücken kann sie niemand drängen und stoßen. Zudem scheint Old Jonny etwas mehr zu sein als eine Honigschnitte. Er ermahnt Mark und die Gäste am Nebentisch, sich nicht »auf dem Whisky zu wälzen«; er beginnt, mit erstaunlich geschickter – wie Ohm Ernest jetzt bemerkt –, verstümmelter Hasenpfotenhand den beiden Kameraden und sich einen »Tom Collins« mit Eis, Zitrone und Sodawasser zu bereiten.

»Tut wie ein Lord und arbeitet für 'nen Pflaumenkern!« stichelt Mark, nachdem er sein Glas gekippt hat.

»Gut?« fragt Honeycut.

»Mach weiter! Man spürt noch nichts!«

»Jungs, ihr habt ein Tempo!« bemerkt ein sehniger Alter vom Nebentisch und leckt sich die Lippen.

Honeycut schaut auf Ohm Ernest, der nickt.

»Hol dir was!« sagt Honeycut.

Es springen gleich zwei Gäste auf und besorgen sich an der Bar Gefäße. Wie auch sie aufgefüllt sind, hält es Honeycut nun doch für an der Zeit, sich an den gütigen Spender mit einer Ansprache zu wenden: »Unser aller Freund«, beginnt er, »unser aller Freund …«

»Ohm Ernest nennt man mich.«

»Also, Ohm Ernest! Als Gott, der Herr, Himmel und Erde erschuf, das Festland und das Wasser …«

»Hör bloß auf mit dem Wasser!« unterbricht ihn einer der Gäste und gießt sich einen puren Whisky nach.

»Und als das Wasser immer höher stieg«, psalmodiert Honeycut weiter, »da landete Noah auf 'nem Gebirge …« und als habe er diesen Umweg gebraucht, um endlich zum Thema zu gelangen, fragt er jetzt Ohm Ernest: »Sie war also tot, als man sie aus dem Wasser zog?«

»Das war sie«, erwidert Ohm Ernest.

»Hast sie selbst nicht gesehn?«

»Das ist's ja. Sie soll in 'ner Ankerkette gehangen sein, vor vier Tagen; man hat sie schnell in die Leichenhalle geschafft, mit 'nem Schuß in der Stirn …«

»Und woher der?« wirft jetzt Mark ein.

»Jungens, alles ist da ungeklärt«, meint Ohm Ernest, »man hat sie einszweidrei seziert, nichts gefunden, sagte man, und dann – weil sie schon roch – rein in den Sarg! Wenn man bloß wüßte, wie sie ins Wasser kam und wer sie rausfischte …«

»Hat's Zeit bis morgen?« fragt einer der Gäste.

»Muß wohl, wenn man's nur erfährt.«

»Jungs, es war die Schwestertochter von unserm Freund«, erklärt Honeycut feierlich, »sie ist so gut wie unsre Tochter!« Er hebt sein Glas zu einem stummen Schluck auf die Tote. »Kein Mensch soll verlorengehn wie 'n geplatzter Fisch!« fährt er fort. »Früher, als kleinem Boy, erzählte mir die Mutter – früher, da fischten sie fast jeden Tag 'nen Neger mit eingeschlagenem Schädel aus dem Mississippi, und wenn Mutter oder Vater es meldeten, da fragte der Sheriff: ›Willst wohl 'nen Weißen beschuldigen, du schwarze Krähe?‹ Da zogen meine Leute stumm ab.«

»Und jetzt schwimmen auch weiße tote Fische im Fluß«, sagt Mark, der schwarze Athlet.

»Traurig genug, Mark; das ist kein Spaß! Denn welche weißen Fische? Die kleinen, denen die Lungen platzen vor Kummer, die sich den Kopf zerschlagen … die kleinen weißen und die schwarzen Fische sind dieselben, keiner darf verlorengehen!« mahnt ernst der alte Negerdocker auch die Gäste. »Schwarz und weiß – das ist hier eine Farbe.« Und seine schwere, faltige schwarze Hand Ohm Ernest auf die Schulter legend: »Wir müssen ihm helfen, Kollegen!«

»Morgen früh 10 Uhr hier zur Berichterstattung!« resümiert der ältere der beiden mithaltenden Schauerleute. »Wenn Cucumber die Sache übernommen hat …«, er macht eine vielsagende Bewegung mit dem Daumen, wobei seine tatsächlich gurkenähnliche, blaurot gesprenkelte Nase zu zittern beginnt.

Übrigens ist in dieser Sache sowieso nichts mehr zu ermitteln, zumal die letzten Worte der »Gurke« schon in dem vorn an der Bar anschwellenden Lärm versacken. Dort geht grade ein neuer Trupp Hafenarbeiter vor Anker. Sie haben einen Mann in ihrer Mitte. Und dieser Mann entpuppt sich bei näherem Hinsehn als der Ohnmächtige mit dem bleichen Gesicht – der Naphthalin- oder Säuregasgeschädigte. Offenbar hat die Sanitätswache nicht viel Federlesens mit ihm gemacht und ihn, als er wieder zu sich kam, mit den ihn besuchenden randalierenden Schauerleuten an die frische Luft gesetzt. Die meisten der als Gelegenheitsarbeiter beschäftigten Dockers sind ja von sich aus in keiner Kasse, sondern durch die Contracting Corporation kollektiv auf Unfall versichert. Doch weder der Boß noch die Versicherung haben ein Interesse daran, irgendwie länger für einen Unfall dieser fluktuierenden Arbeitskräfte Zeit oder gar Kosten aufzuwenden. Daran ist nichts Ungewöhnliches.

In der letzten Woche scheinen jedoch die Unfälle sich gehäuft zu haben – vielleicht infolge des gesteigerten Hetztempos bei der Überlastung des Hafens mit Militärtransporten, vielleicht auch wegen der großen Hitze. Jedenfalls herrscht vorn an der Bar eine ziemlich explosive Stimmung. Wie Geschosse fliegen die Worte hin und her.

»Soll er doch selbst drunten ins Loch steigen und den Dreck einatmen!«

»Wird sich hüten …«

»Wozu hat er uns?«

»Um die Schmutzzulage bescheißt er uns doch immer wieder!«

»Und du läßt dich bescheißen?«

»Und du – häng dich auf!«

»Mich aufhängen, wenn mir wie Kirk 'ne Whiskykiste ins Genick fällt?«

Das bezog sich auf den Fall Kirk Babcock, den Mark vorher am Kai Ohm Ernest erzählt hatte.

»Und wißt ihr, wieviel Rente Kirks Witwe bekommt?« ruft Mark jetzt von der Tischecke zur Bar, wo alle sich umdrehen, »'nen abgelutschten Pflaumenkern!«

»Hast die Witwe wohl selbst gelutscht?« frotzelt jetzt ein Kerl mit einem Gesicht wie braungegerbtes, faltiges Büffelleder.

Mark, der Muskelmann, ist aufgesprungen: »Wenn ich so 'ne dreckige Filzlaus wäre …«

»So 'n Jim Crow, so 'ne schmierige schwarze Krähe kann auch nicht jeder sein!« spuckt der Büffellederne dagegen.

Mehrere Neger sind auf das Schmähwort »Jim Crow« hochgefahren; Mark setzt über den Tisch, daß die Gläser zu Boden klirren, sich auf das Schrumpfgesicht zu stürzen. Mit erstaunlicher Schnelle ist Honeycut zwischen ihnen. »Weg da, Mark!« sagt er, und dann dicht vor dem in die Ecke geklemmten, provozierenden Typ: »Sie scheinen hier am Hafen nicht grade zu Hause zu sein, Herr, sonst wüßten Sie, daß es in der White Rose und bei unsern weißen Kollegen keine schwarzen Krähen gibt, daß aber gewissen Stinktieren aus dem Süden die Luft bei uns nicht gut bekommt.«

»Habe gar nicht die Absicht, die Luft zu verderben«, erwidert das Ledergesicht und hockt wieder in seine Ecke hin.

Der Fall scheint erledigt, zumal jetzt wegen Kirk Babcock und der heutigen Sache die Gesprächsfetzen schon wieder zwischen dem Ausschank, dem mittleren Raum und der Ecke hin und her fliegen. »Hier, den Charly, seht ihn euch an!« eifert ein anderer von der Bar her, indem er den noch immer blassen Naphthalinmann auf seinem Hocker wie ein Beweisstück zur Mitte und zum Tisch des Dreierkollegiums dreht. »Was machen sie mit unsereinem auf der Sanitätswache? 'nen kalten Lappen ins Gesicht … höchstens noch 'ne Spritze, und ab durch die Mitte!«

»Wo das Naphthalin und die Säure uns bei der Hitze die Lungen wegbeizen …«

»Und alles ohne die Zulage …«

»Und noch nicht mal Garantie 'ner Sechsstundenarbeit …«

»King Joe kann auch ohne sechs Stunden leben …«

»So wichst ihn doch raus!« schreit der mit dem Ledergesicht dazwischen.

Honeycut ist jetzt aufgestanden. Mit einer kaum merklichen Bewegung der Hüfte schiebt er den Tisch beiseite und geht halbwegs auf den Mann zu. »Raus!« sagt er ohne jede Betonung. Sein mächtiger Buckel scheint sich über seinen Kopf zu wölben. »Raus!«

Der mit dem Ledergesicht tippt mit dem Finger auf seine Stirn und verschwindet mit einem bösen Grinsen. Mark und noch zwei schwarze Schauerleute sind zu Old Jonny getreten. Erst jetzt erhebt Honeycut seine Stimme. Er hält seine verstümmelte Hasenpfote hoch. »Jungens!« ruft er. »Das war mal 'ne richtige Hand; jetzt ist's ein Stummel! Woher, Jungens? Ihr kennt Old Jonny, der jetzt um Arbeit ansteht, den John Honeycut, der eben sein Permit zerrissen hat; von vier Tagen gab's bloß einen Tag Arbeit, stimmt's, Jungens?«

»Es stimmt! – Auch bei mir! – Exakt! – Wenn das jetzt nicht anders wird …« schreien die Dockers durcheinander.

»Und jetzt hier der Kollege«, er zeigt auf den Naphthalinmann, »und vor drei Wochen der mit dem gebrochenen Kreuz, wo sie schließlich der Witwe durch ihre Favorites beweisen ließen, es sei von Kirk selbst verschuldet gewesen …«

»Gemeinheit …«

»Das läßt sie sich gefallen …«

»Und die Gewerkschaft …«

Honeycut hebt seine verstümmelte Rechte, um Ruhe zu gebieten. »Seid ihr denn von gestern, Jungens? Liegt die Gewerkschaft mit dem Boß nicht in einem Bett? Haben sie's vor sieben Jahren mit mir anders gemacht? ›Come on! Come on!‹ treibt der Lieutenant und pfeift der Signalmann; aber wie hörst du den Pfiff, wenn du bei dem Lärm und Gehetze die Hand grad zwischen dem Pilot und der Eisenstange hast … Come on! Come on!«

»Ist vor zwei Wochen genauso Dick Haggerty passiert …«

»Und kriegt er 'ne Rente?«

»Weiß man nicht.«

»Aber bei mir weiß man's«, erklärt Honeycut. »Selbstverschuldet! hieß es. Selbstverschuldet – damals machten sie's bloß mit uns so, den Farbigen, den ›Niggers‹, wie sie sagten. Ihr wißt, grade die Schmutzarbeit in den tiefsten Comparts mußten wir tun, grade die schwerste und gefährlichste Arbeit …«

»Mir hat's das Bein fast weggeputzt!« ruft ein Neger, der mit gestrecktem steifem Unterschenkel auf einem niederen Hocker sitzt.

»Geht's uns denn heute besser?« wirft Cucumber dazwischen.

Und Honeycut: »Seht ihr, heute mahlt die große Mühle uns alle zu Graubrot – Weißmehl und Schwarzmehl, das ist schon 'ne andre Sache. Damals aber warf die Versicherung der verstümmelten schwarzen Pfote aus purer Gnade fünf Dollar den Monat hin. Jungs, ich hab darauf gespuckt …«

»Bravo! Schiet drauf!« schreit einer von der Bar.

»Falsch!« sagt Honeycut. »Ich hätte nicht spucken, sondern mehr verlangen und auch die Union zwingen sollen …«

»Zwing du mal!«

Von der Bar her klingt jetzt auf einer Mundharmonika, begleitet von zwei, drei Schauerleuten, der »Suppe-Song«, von dem man zuerst nur den Tuttirefrain hört:

Suppe, Suppe, Suppe? –
Fahr ab, du alte Schaluppe!

Doch schon rollt der andere Vers an:

Ich schuftet 'zig Jahre in der Fabrik,
Hab auf manchem Kahn auch geschafft,
Ich lud auf dem Pilot manch schweres Stück,
Bin siech jetzt und ohne Saft.

Wer gibt mir 'ne Suppe, 'ne Suppe? –
Fahr ab, du alte Schaluppe!

Und jetzt singen ein paar jüngere Matrosen an der Bar:

Ich zog in den Krieg und focht für mein Land,
Und ich ließ da draußen mein Blut,
Und ich dacht, daß ich dafür Hilfe fand;
Und wißt ihr, was man antworten tut

Auf mein: Suppe, Suppe, Suppe? –
Fahr ab, du alte Schaluppe!

»Schiet auf das Zeug dadraußen! Wir wollen nichts mehr davon hören!«

»Richtig; wir haben mit uns genug!«

»Uns genügt das da!« meint der Nachbar des Naphthamanns und legt um ihn den Arm.

»Und das war nichts?« fährt Mark los und reißt erregt Honeycuts schwarze Pfotenhand hoch, als wär es seine eigene. »Und Kirk mit der Kiste im Kreuz?«

»Jungens«, sagt einer der Matrosen an der Bar, »wir hatten 'nen Transport von Korea, da lagen mindestens fünfzig ohne Beine und noch mal soviel ohne Arme … und da sangen sie den Suppe-Song.«

Es ist ruhiger geworden in der Bar. »Gurke«, der alte Docker, meint: »'ne schlimme Sache in Korea; aber das hier im Hafen ist auch kein Spaß.«

Und eine andere ältere Stimme: »Der Matrose hat recht, man soll auch draußen das nicht vergessen … unsre Jungens in Korea …«

»Warst wohl mit dabei?« fragt ein Jüngerer nicht ohne Spott.

»Ich nicht«, antwortet Ohm Ernest, »aber mein Sohn, Mackie, mein Junge … wird seit Dezember am Yalufluß vermißt.«

Mit einem Mal ist's ganz still in der Bar.

»Auf Mackie, deinen Jungen, Ernest!« sagt Honeycut und stößt mit ihm an, »vielleicht kommt er doch noch.« Er leert sein Glas.

Auch die andern trinken auf die Rückkehr des Sohnes.

Ohm Ernest schüttelt den Kopf. »Gut gemeint, Jungens. Aber was ist damit getan? Jungens, wenn ich euch so sehe, Kerle mit Muskeln wie Fünfzolltaue, prächtiges Futter für General Ridgway …«

»Hol ihn der Teufel …«

»Soweit ist's noch lange nicht …«

»Uns braucht man hier am Dock!«

»Ach so, deshalb seid ihr in der Bar zur Arbeitszeit?«

»Sollen wir in dem Kahn noch mehr Gift schlucken?« fragt ein Junger.

»Sollt ihr gar nicht. Bloß der General wird euch noch ganz was anderes schlucken lassen!« erwidert Ohm Ernest.

»Halt 's Maul!«

»Laß ihn!«

»Wo er 'nen Sohn in Korea hatte«, mahnt Honeycut.

»Jungens, nehmt's nicht zu leicht!« sagt Ohm Ernest. »Seht, ich alter Knochen nahm's auch zu leicht, ich dachte, der Mackie ist alt genug, ans Tischbein kannst du ihn sowieso nicht binden, soll er sich ein bißchen die Hörner einrennen, ein bißchen …« Dann fährt er fort: »Und an die Koreaner selbst denkt ihr gar nicht, ein Volk von Arbeitsleuten wie wir?«

Es ist still geworden. Nur am Ausschank läßt sich der vorhin opponierende junge Docker einen Whisky eingießen, schüttet ihn hinunter und schaut dann wie unbeteiligt zur Decke.

»Ja, da oben bekommt ihr keine Antwort«, wendet sich Ohm Ernest direkt an ihn. »Fühlt euch nicht zu sicher! Ihr wißt, Truman, die Bosse und die Generale haben ihre Rekrutierungsbill, und es geht ihnen nicht schlecht dabei …«

»Der Teufel hol sie!«

»Was haben wir davon?«

»Was ihr davon habt? Nun, es wird immer mehr Kriegsfracht verladen, wofür ihr natürlich mehr Lohn bekommt«, erwidert Ohm Ernest. »Stimmt's nicht? – Ruhe, Jungens! Aber mehr Kähne müssen an den Pier, schneller muß verladen werden, ein paar Finger gehen drauf, ein paar Dockers, die nicht aufgepaßt haben …«

»Verdammt noch mal!«

»Wenn das kein Roter ist …«

»Brauchst du 'n Roter zu sein, um nicht im Naphthalindreck und Gas verrecken zu wollen?« mischt Honeycut sich jetzt ein.

»Recht hat er!«

»Weiter!«

»Sind wir denn Rote, bloß, weil wir Farbige und Weiße anständige Arbeit verlangen und unser Recht … Handschuhe, Sechsstundengarantie? Old Jonny sagt euch, wenn heute das Naphtha in eurem Kahn stinkt und brennt, wer weiß, wo's morgen überall brennen wird?«

»Wieso überall?« ruft einer herüber.

Und Ohm Ernest:

»Na schön, sprechen wir von uns! Wißt ihr denn, wieviel eure Bosse schon verdient haben an Korea und der Bewaffnung? Wo in dem Jahr allein für die Rüstung über 60 Milliarden bewilligt wurden!«

»60 Milliarden …«

»Schreib's mal an die Wand mit den Nullen …«

»Das kannst du machen, mit den Nullen!« erwidert Ohm Ernest. »Aber hast du, Bill und Joe und Mark mal darüber nachgedacht, was du von den 60 Milliarden in deiner Tasche spürst außer den Nullen?«

»Verflucht«, platzt jetzt auch die »Gurke« los, »uns wollen sie nicht mal die 25 Cents Schmutzzulage geben, diese Haifische!«

»Was willst du schon machen gegen 'nen Haifisch?« knurrt ein anderer.

»Ihm 'ne Schürstange ins Maul rammen!« ruft einer von der Bar herüber.

»Jungens«, erklärt Ohm Ernest, »ein Haifisch ist verflucht stark; aber hundert Thunfische sind stärker, wenn sie zusammenbleiben.«

»Das ist's!« sagt Honeycut.

»Wenn's so leicht wäre …«, meint ein anderer.

»Kriecht doch dem Heuerboß in die Hose, das ist leichter!« Mark ist aufgesprungen. »Jungens, wir fordern die Sechsstundengarantie für die ganze Woche! Wir machen 'ne Versammlung!«

Und als sei dies das erlösende Wort, dessen Sinn schon tagelang und vielleicht wochenlang in den Köpfen der jungen und alten Schauerleute rumorte, lärmt es jetzt durch den Raum: »Jawohl, 'ne Versammlung! – Ich ruf zwanzig Kollegen ran! – Gleich morgen! – Soll der Boß mal spucken! – Zweihundert werden kommen, garantiert! – Und was sollen wir ihnen sagen?«

»Was wir ihnen sagen, Jungens?« wirft Mark dazwischen. »Was jeder von uns weiß und denkt und hundertmal für sich gebrummt hat … 25 Cents Schmutzzulage …«

»40 Cents!« hagelt es von allen Seiten.

»Gut, 40 Cents! Und all das andere bis zur Sechsstundengarantie die Woche! Sonst holt uns doch noch der General!« Er legt seinen athletischen schwarzen Arm um Ohm Ernest. »Unser Freund hat verflucht recht!«

Elektrisiert von dem Gedanken beginnen die Schauerleute unter erheblichem Lärm den Plan durchzusprechen. Ohm Ernest merkt, daß für die Männer die Frage der Lohnzulage und der Sechsstundengarantie ihre zentrale Frage ist, daß er mit der Friedensfrage nicht recht ankam.

Honeycut hat jetzt das Wort. Er meint, man müsse nach der Schicht vor allem die Gelegenheitsarbeiter – die permit-members – nach den Serienunfällen der letzten Wochen sich gleich hier mal vornehmen und über die Stewards die alten Forderungen schriftlich der Gewerkschaftsleitung übergeben. Wenn sie Glück hätten und die Unzufriedenen ein bißchen Vernunft, so seien sie zweihundert bis dreihundert Mann allein an diesem Kai.

In der lärmenden Zustimmung schafft Mark sich Gehör: Großartig sei es, wenn morgen früh vor 8 Uhr der Boß wieder pfeife, und sie blieben, als sei er Luft, ruhig fünfzig Schritt abseits stehen, und wenn er dann noch mal pfeife, der Boß, so wie man Hunde heranpfeift, dann würde er – Mark – zu den Kollegen laut sagen: »Boys, I got enough!«

Alle brechen bei dieser grotesken Vorstellung in ein wildes Gelächter aus. Ja, so muß es einmal kommen! Soll der Boß allein dastehen! Höchstens mit seinen Lieutenants und dem Gang der Favorites, diesen Schießbudenfiguren! Sollen sie doch versuchen, die Kähne allein zu löschen! Sollen sie sich für fünf Dollar den Monat die Hände verstümmeln lassen, diese Nobodies!

Einer der Matrosen erzählt, wie im letzten Jahr an der Westküste vierzigtausend Dockers und Matrosen streikten und ihre Forderungen durchsetzten.

»Da waren auch nicht King Joe und sein Gang!« sucht einer zu meckern.

»Hau ab und frag King Joe um Erlaubnis!« ruft Cucumber ihm zu.

»Die Favorites und Streikbrecher gehen eines Tags über die Planke«, sekundieren mehrere Schauerleute Cucumber, »genauso wie Casey Jones übern Rand seiner Lokomotive!«

Und schon beginnen einige Joe Hills Song von Casey Jones, in den bald auch die Matrosen an der Bar einfallen mit ihren Mundharmonikas und dem taktierenden Gläsergeklirr.

Doch die Cucumber-Gruppe – stimmgewaltig und ganz groß – hat nun einmal die Führung, wie sie die spöttischen aufrührerischen Verse mit der Lokomotive heranrattern läßt:

Die Burschen von der »Pazific« gaben zum Streik das Signal,
Doch Casey Jones, dem Maschinist, dem war das schnurzegal,
Der Kessel war leck, das Ventil voll Dreck,
Und bei jeder Kurve brach die Kiste fast weg. –
Casey Jones gab ihr da immer noch 'nen Dreh,
Casey Jones machte Doppelschicht,
Casey Jones bekam die Medaille aus Holz,
Weil er brav war und streikte nicht.

»Wenn das bloß nicht ins Auge geht, Casey Jones!« schreit ein Matrose von der Theke zu den Schauerleuten.

Und Mark, der jedesmal bei dem »Casey Jones« mit seiner mächtigen schwarzen Faust auf den Tisch hämmert: »Es geht, bloody old Bill, es geht! Paß auf und sing mit!«

Da sagten die Burschen zu Casey: »Streik mit uns, du Sapperlot!«
Doch Casey sagte: »Weg da! Habt mich lieb ums Morgenrot!« –
Nun also zog man Stahltrossen quer übers Geleis,
Und Casey begann so seine schnelle Himmelsreis'.

Casey sauste kopfüber in den Fluß,
Casey brach sich sein edles Genick,
Casey wurde ein Engelchen
Auf der Himmelfahrt übern Südpazifik.

Da flogen die Engel zusammen: Nanu, was stinkt denn hier?
Dieser Streikbrecher Casey – was soll'n wir mit dem Stinktier?
Die Engelgewerkschaft 23, die brachte ihn auf den Trab
Und feuerte ihn schnurstracks die Himmelstrepp hinab.

Casey flog ohne Zwischenlandung zur Hölle.
»Casey Jones?« sagte der Teufel. »Oh, das ist aber schick!
Casey Jones, jetzt kannst du Schwefel trimmen
Für deinen Streikbruch auf der ›Südpazific‹!«

»Möcht wissen, wieviel von uns am Hafen mal Schwefel trimmen müssen?« fragt ein junger Docker.

»Wenn wir unsern Leuten den Dreck aus den Augen wischen«, entgegnete Mark, »dann werden's nicht viele sein.«

»Wenn und wo …«

»Wir müssen heute anfangen …«

»Ruhe, Jungens! Heute nach der Schicht übernehmen je fünf Mann 'ne Bar!« sagt ein älterer Docker.

Und Honeycut zum Barkeeper: »Wir bringen dir Kundschaft, Jackie! All right?«

»All right.«

Ohm Ernest schreibt sich Honeycuts Quartier auf. Er zahlt noch eine Runde und verspricht, wiederzukommen.

 

Wie er draußen steht in der flimmernden Luft, drehen sich um ihn Häuser und Hafen wie ein glühender Ball. Er hält sich im Schatten der Markthalle. Von den Docks dringt das Kreischen und Rasseln der großen Krane und Ladebäume herüber, das Pfeifen der Signalmänner und das Rattern der Bulldogs mit ihren Karren.

Er steht noch einen Augenblick und stopft sich seine Pfeife. Was wollte er bloß hier? Er wollte Näheres über die Bergung von Beß' Leiche erfahren. Und er geriet in eine Sache, die nach Aktion der Schauerleute aussieht, nach einer Versammlung, vielleicht nach einem vorerst wilden Streik. Gewiß, auf seine Argumente gegen den Koreakrieg und die Rüstung gingen sie nicht groß ein. Lohnzulage und Arbeitskleidung, das ist es, was sie vor allem interessiert; dafür wollen sie die Versammlung starten. Ist das etwa schlecht? Und wäre es schlecht, vielleicht noch eine andere Versammlung zu organisieren – hier am Hafen?

Er zündet seine Pfeife an und tut ein paar Züge. Von irgendwoher aus der Tiefe seiner Kindheit taucht ein komischer Vergleich auf, aus der Bibelstunde vor Jahrzehnten … ging da nicht jemand aus, eine Eselin zu suchen, und fand ein Königreich?


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