Sophie Wörishöffer
Onnen Visser - Der Schmugglersohn von Norderney
Sophie Wörishöffer

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17

Ein langer heißer Tag folgte der Begegnung mit dem Leibeigenen und den wilden Pferden. Die Steppe hat keine Quellen, ihr Boden ist steinig und zum Teil salzhaltig, er bringt kein genießbares Wasser hervor, unsere drei Wanderer mußten sich daher mit dem wenigen begnügen, das noch von dem letzten Dorfe mitgenommen worden war. Einmal erschienen in der Ferne die roten Ziegeldächer eines Gehöftes, wahrscheinlich dessen, wo der Leibeigene seine Heimat besaß, dann aber kam erst gegen Abend, allmählich am Rande des Horizontes auftauchend, die Stadt Odessa in Sicht.

Auch hier keine Bäume, kein Schatten, nur seitwärts eine kahle Hügelkette und hinter der damals erst im Werden begriffenen Stadt das weite offene Meer mit seinen Schiffen und Flaggen, seinen Mastspitzen und umherfahrenden Booten. Onnen schwenkte die Mütze, er konnte einen lauten Jubelschrei nicht unterdrücken. »Das Meer! – Ach, das Meer!«

»Ich liebe es nicht«, gestand Mikosch. »Meinen Wagen und das Pferd werde ich wohl hier in Odessa zurücklassen müssen; Ruff begleitet uns auf jeden Fall.«

Onnen hörte und sah nicht, seine Blicke waren nur immer auf das Meer gerichtet. »Bist du hier bekannt, Mikosch? Denkst du, daß wir ein Schiff finden werden?«

»Natürlich! Aber du giltst als einer von meinem Volke, sonst erregen wir hier Aufsehen und könnten auch in Deutschland nicht ruhig unseres Weges ziehen. Dort herrschen nach wie vor die Franzosen; alle Fremden bedürfen der Reisepässe.«

Onnen erschrak. »Besitzt du denn welche, Mikosch?«

»Gewiß! Du giltst darin als mein Sohn.«

Unser Freund reichte ihm gerührt die Hand. »Und du hast wahrlich wie ein Vater an mir gehandelt, Mikosch – ich werde dir danken, solange ich atme.«

Der Alte lächelte. »Schon gut, Freundchen, schon gut. Sieh, das ist nun die Grenze des russischen Grund und Bodens – nach ein paar Tagen haben wir ihn verlassen.«

»Das gebe der Himmel. Ach, Mikosch, wenn ich mich erst wieder an den Tauen schaukeln darf! Wenn ich –«

»Aber«, unterbrach er sich, »sind denn die Zigeuner jemals Seeleute?«

»Nie. Doch können sie sämtlich klettern wie die Katzen und mehr verlangst du ja für den Augenblick nicht.«

Die Vorstädte, damals aus Holzbaracken bestehend, waren erreicht und Mikosch nahm Quartier in einer Matrosenherberge, deren Wirt er kannte. Alles ringsumher erinnerte unseren Freund an die Heimat, der Blick auf das weite Wasser, die ungepflasterten Straßen, die niederen Häuser und das Schiffer- und Fischervolk, welches sie bewohnte. Schon am nächsten Tage machte er die Bekanntschaft mehrerer Seeleute, die hier auf eine Heuer warteten, und fuhr mit ihnen im Boot umher; seine oberflächliche Kenntnis der russischen Sprache schützte ihn vor einem Verrat, den er ohne Absicht hätte begehen können – seelenfroh, so glücklich wie seit langer Zeit nicht mehr, schaukelte er auf den Wellen herum.

Mikosch suchte und fand indessen ein englisches Schiff, das unter dem Schutze der heimatlichen Kriegsfahrzeuge nach Helgoland unter Segel gehen sollte; er bezahlte für sich selbst und die beiden jungen Leute sowie Ruff den Passagepreis, dann gelang es ihm nach tagelangem Forschen auch noch, einen Zigeuner aufzufinden, der den Seinigen Gruß und Botschaft zu bringen versprach, ebenso den Befehl des Stammeshauptes, Wagen und Pferd von Odessa abzuholen, oder wenigstens doch das Pferd, wenn auch der Karren verkauft werden mußte.

Am 30. März ging die »Anna Elisabeth« unter Segel, um ihren Weg durch das Schwarze Meer, das Ägäische und Mittelmeer bis in den Atlantischen Ozean fortzusetzen. In den südrussischen Häfen hatten Hunderte von englischen Schiffen während des Winters mit voller Ladung brach gelegen, ohne die Waren löschen oder auch nur aussegeln zu können; jetzt aber, wo der Frühling gekommen war, wagten sich die Fahrzeuge wieder hinaus auf See, um Waren nach Deutschland zu schmuggeln.

Helgoland war immer noch Stapelplatz derselben, auch die »Anna Elisabeth« sollte Talg und Getreide hinbringen, um dann zur Ausbesserung nach Plymouth zu gehen. Die Ladung hatte während des Winters schon Schaden gelitten; man mußte sie jetzt so schnell wie nur möglich verwerten und dann das Schiff ausbessern – es herrschte unter den englischen Matrosen an Bord eine sehr erbitterte, kriegerische Stimmung. Wenn sich französische Kaper sehen ließen, so würden sie einen heißen Empfang finden.

Im ganzen verließen zehn englische Kauffahrer den Hafen von Odessa, fast sämtlich nach Helgoland bestimmt; zwei Kriegsschiffe waren, um ihnen den Weg freizuhalten, schon tags vorher abgegangen.

Mehr als zwölf Millionen Mark, lauter englisches Nationaleigentum, steckten in den Schiffen und ihrer Ladung, das mußte tatkräftig beschützt werden, denn in den Häfen begann es der Zerstörung anheimzufallen. Die Bretter faulten, die Waren verdarben – also vorwärts auf das gute Glück hin.


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