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Sechstes Kapitel. Schluß.

Erst am Sylvesterabende kehrten die Brüder mit Erdmuthe aus R*** zurück. Graf Alban war an demselben Tage direct nach Herrnhut abgereist. Zu diesem längeren Aufenthalte wurden sie durch das Ableben Wimmer's veranlaßt, der noch vor Mitternacht nach der erfolgten Versöhnung mit den Gebrüdern Ammer, scheinbar ohne große Schmerzen, gestorben war. Der Pater Guardian machte unsern Freunden sofort Anzeige von diesem Ereigniß, und da sowohl die Brüder, wie auch Graf Alban es für schicklich hielten, der Beerdigung des Mannes beizuwohnen, der so hart bestimmend in ihr Leben eingegriffen hatte, schrieb einer der Brüder an Seltner, meldete das Vorgefallene und zeigte diesem an, daß sie erst nach erfolgter Beerdigung des Verblichenen zurückkommen würden.

Die Bestattung Wimmer's war sehr einfach. Da es in R*** keinen protestantischen Kirchhof gab, eben so wenig einen protestantischen Geistlichen, wollte man den Verstorbenen anfangs nach dem nächsten Orte transportiren. Den Vorstellungen des Grafen indeß gelang es, diese Bedenken zu beseitigen. Die große und wahre Religiosität, welche die Mönche an den allerdings andersgläubigen Fremden bemerkt zu haben vermeinten, schien eine Aufnahme der Hülle des in ihrer Pflege, unter ihren Händen Verstorbenen zu entschuldigen, und so gestattete man denn die Einsenkung desselben in die geweihte Erde. Der Graf hatte ebenso wenig, als die Brüder und Erdmuthe etwas dagegen, daß am Grabe, wo Alban einige ergreifende Worte sprach, der prächtige Gesang » O Sanctissima, o piissima« von Chorknaben angestimmt ward, noch daß der fungirende Pater in der Kirche eine Seelenmesse für den Abgeschiedenen las.

Frau Anna begrüßte ihre Söhne mit eigenthümlichen Gefühlen. In diesem stillen, duldenden Gemüth ging jetzt der Morgenstern eines nie gekannten Friedens auf. Sie leugnete nicht, daß sie sich vergangen habe gegen Wimmer, aber, sprach sie, ich konnte dennoch nicht anders; mein Herz zog mich unaufhaltsam zu dem Manne, der euer Vater war, und seit jenem Tage verfolgte mich und uns Alle der Beleidigte, der ja, Gott Lob, endlich auch versöhnt worden ist. Möge er sanft ruhen im Grabe, sanfter als das Leben ihn führte. Uns Andern aber, die wir noch leben und wirken sollen, uns gebe er Kraft, daß wir uns sammeln und würdig werden der Gnade, die sich an uns so seltsam erwiesen hat!

Dieser letzte Wunsch der Wittwe Ammer's ging buchstäblich in Erfüllung. Mit dem neuen Jahre begann ein neuer Lebensabschnitt für die ganze Familie. Christlieb und Fürchtegott ergaben sich mit ausdauernder Vorliebe dem Betriebe der Jaquardweberei und da ihnen von früherher alle Kunstgriffe des Handwerks bekannt, wenn auch nicht mehr geläufig waren, so bedurfte es nur einiger Monate, um sie selbst zu einem Versuche zu befähigen.

Schon um Ostern sah man Fürchtegott in dem Hause, das früher Flora bewohnte, hinter dem ersten Jaquardstuhle sitzen und rüstig arbeiten. Einige Wochen später stand ein zweiter im Zimmer, an dem sich Christlieb zu schaffen machte; doch wollte es diesem, der jetzt ein ganz besonderes Wohlgefallen am Zeichnen neuer Muster fand, und sich deßhalb mit Eifer dieser Beschäftigung ergab, weniger glücken als dem Bruder.

Den Welthandel gaben beide Brüder auf, obschon ihnen von alten Freunden nach erfolgter gänzlicher Ausgleichung vortheilhafte Anträge gemacht wurden. Hätten sie darauf eingehen und nochmals etwas wagen wollen, so würde es ihnen wahrscheinlich beim zweiten Versuche besser geglückt sein, als beim ersten. Fürchtegott wäre wohl auch zu neuem, energischen Vorgehen zu bewegen gewesen, allein Erdmuthe, die kein Heil, keinen Frieden für die Familie darin sah, rieth so lange und mit solcher Entschiedenheit davon ab, daß ihr Gatte alle Anträge von der Hand wies. Er zog es vor, mit alten, soliden Häusern, die er von früherher kannte, in dauernder Verbindung zu bleiben und an diese seine Erzeugnisse zu liefern, die schon nach wenigen Jahren einen bedeutenden Ruf auch jenseits des atlantischen Oceans besaßen. Die Firma Ammer aber änderten die Brüder, um Niemand Anstoß zu geben. Das Haus, deren Chefs ehedem die geldmächtigen Brüder waren, nahm den Namen »Seltner und Compagnie« an.

Mit dieser Veränderung des Geschäfts mußte nothwendig auch eine Umgestaltung aller Verhältnisse innerhalb der Kreise sich verknüpfen, auf welche die Ammer mit ihrem Schwager Seltner einwirkten. Alle diejenigen, welche von den Genannten abhängig waren, in wiefern sie mit ihnen und auf ihre Veranlassung arbeiteten, schwangen sich vom gewöhnlichen oder Zwillichweber zum kunstreicheren Jaquardweber auf, und war mit dieser Veränderung des Geschäfts, das eben erst gelernt werden wollte, auch nicht sogleich eine günstige Umgestaltung der materiellen Lage Aller verbunden, so konnte eine solche doch nicht lange ausbleiben, da sich Alle einer entschieden aufblühenden Thätigkeit hingaben. So wurden denn die Gebrüder Ammer, freilich erst nach Verlauf eines Jahrzehnts, die Gründer und Schöpfer des Glückes für viele Familien. Schon aus angeborenem Rechtsgefühl ließen sie es sich angelegen sein, alle früheren Arbeiter, von denen Viele in eine gar trübe Lage gekommen waren, wieder an sich zu ketten, und somit eine Schuld, die sie oft gedrückt, nach und nach gegen zahlreiche Familien abzutragen.

Kaufmann Mirus, der noch eine Reihe von Jahren lebte, und, obwohl er immer lederfarbener ward, doch nie über Unpäßlichkeit zu klagen hatte, billigte das Verfahren der Brüder und ließ es nicht an Empfehlungen fehlen, um den von ihnen gelieferten Artikeln mehr Verbreitung und Absatz zu verschaffen. Er war mit dieser Wendung so wohl zufrieden, daß er nie unterließ, denjenigen der Ammer'schen Familie, welcher ihn in Geschäftsangelegenheiten besuchte, zu Tische zu laden. Er setzte diesem dann sogar ächten Rheinwein vor, indem er, die goldene Dose auf- und zuklappend, sprach:

Herr, ich muß Ihr sagen, Sie haben verdient, daß man sich angreift. Ist ein Verfahren, das ein reeller Mann nur loben kann.

Gelang es solchergestalt den Brüdern, nach und nach die Wunden zu heilen, die sie, wenn auch nicht ganz durch eigenes Verschulden, Andern geschlagen hatten, und sich selbst zu einer stillen Ruhe, zu gesicherter Lebensstellung durchzuarbeiten, so trugen die beiden Frauen, Flora und Erdmuthe, wesentlich bei zur Verschönerung des Familienlebens und zur geistigen Ausbildung des heranwachsenden Geschlechts. Erdmuthe, die kinderlos blieb, fühlte einen unwiderstehlichen Drang zum Lehren, und da es ihr an Gelegenheit fehlte, diesem Drange im Umgange mit Erwachsenen vollkommen zu genügen, so gründete sie eine Art Kinderschule, d.h. sie ward Vorsteherin und Leiterin einer jener Anstalten, in denen die unbeschäftigte Kinderwelt zweckmäßige Beschäftigung findet. Und der Einfluß Erdmuthe's auf die Kinder des Ortes, wo sie lebte, war ein so großer, daß man auch aus benachbarten Ortschaften dieser Herzensbildnerin bald eine Anzahl Kinder anvertraute. So setzte gewissermaßen die sittsame, feinfühlende, lehreifrige Herrnhuterin ihre Wirksamkeit als Missionärin auch jetzt noch fort. Sie ward eine Missionärin für Kinderseelen, und wenn je der Ausdruck »innere Mission« eine segensvolle Bedeutung gehabt hat, so war diese Bedeutung der segensreichen, Seelen und Herzen bildenden Wirksamkeit beizulegen, welche Erdmuthe in harmloser Stille, ohne alle Prätension und ohne jeglichen Anspruch auf weltliche Anerkennung mit nie ermüdender Ausdauer trieb. Ihrem Herzensdrange folgend, machte sie oft weit und breit beschwerliche Wanderungen in's Gebirge, um zu hören und zu sehen, wo sie etwas helfen, wo sie ein verwahrlostes oder der Verwahrlosung entgegen gehendes Geschöpf retten könnte. Sie verdiente sich den Namen »Engel des Gebirges«, den das Volk ihr dankbar beilegte und der ihr bis an ihren Tod, der nur zu früh erfolgte, verblieb.

Advocat Block zog nach Ammer's Tode wieder zu Candidat Still, mit dem er sich fortan sehr wohl vertrug, wenn er auch bisweilen einen malitiösen Scherz sich erlaubte, ohne den ihm nun einmal das Leben schaal und flach vorkam. Frau Sempiterna gewöhnte sich das Schelten mit den Jahren ganz ab und konnte ihrem Gatten einigen Respect nicht versagen, seitdem derselbe die große goldene Medaille wegen Anerkennung seiner Verdienste um Erforschung und Darstellung der Provinzial-Geschichte erhalten hatte. Nicht bloß die Chronik seiner Vaterstadt war von dem fleißigen Gelehrten neu bearbeitet und in lesbares Hochdeutsch umgeschrieben worden, auch die Kirchengeschichte hatte durch ihn einen höchst werthvollen Beitrag erhalten, indem er die Reformationsgeschichte der Provinz nach gründlichem Quellenstudium lichtvoll darstellte.

Walter ließ sich als Arzt in der Gegend nieder, besuchte die Brüder wöchentlich wenigstens einmal und erwarb sich durch seine Geschicklichkeit und sein zuvorkommendes Wesen die Liebe und das Vertrauen namentlich der Landleute in hohem Grade.

Frau Anna überlebte ihren Gatten nur wenige Jahre, auch Jeremias Seltner folgte dem Jugendfreunde bald nach. Nur der alte Glassammler schien unsterblich zu sein. Er fuhr als neunzigjähriger Mann noch immer mit seiner »klimprigen Waare«, wie er sagte, nach der Glashütte, trug fort und fort seine altmodische Tracht und versah nebenbei den Dienst eines Briefboten zwischen den einzelnen Ortschaften. Er erlebte noch die Verlobung Otto Seltner's mit einer Schülerin Erdmuthe's, die einige Jahre nach dem Heimgange dieses Engels in Menschengestalt gar festlich begangen ward.

Christlieb blieb unverheirathet. Er bildete sich zum geschicktesten Musterzeichner der Provinz aus, gründete später eine Musterzeichner-Schule und stand als solcher in eben so hohem Ansehen, wie sein Bruder Fürchtegott als Erfinder eigenthümlicher und geschmackvoller Muster. Beide Brüder erreichten kein hohes Alter. Die schweren Sorgen der ersten Mannesjahre schienen ihre Lebenskräfte früh aufgerieben zu haben. Sie starben beide in einem Jahre, bald nach der Verheirathung ihres Neffen Otto. Nur Seltner und Flora lebten und erfreuten sich jener Gemüths- und Herzensruhe, die das Erbtheil von Charakteren zu sein pflegt, welche sich ohne Schwierigkeit in die Verhältnisse schicken können und jeden glücklichen Tag als eine Blüthe betrachten, die das Leben dem Menschen nur zum Geschenk, zum Schmucke, nicht als eine täglich zu fordernde Gabe überreicht.


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