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Drittes Kapitel. Des Candidaten Still Zusammentreffen mit den Herrnhutern.

Frau Sempiterna schmollte. Still ließ sich jedoch davon nicht stören. Er schob seine Chronikbücher und Manuscripte bei Seite, bestellte trotz des fortdauernden, stürmischen Wetters persönlich einen Wagen für den nächsten Tag und zeigte sich zur Verwunderung seiner höchst unzufriedenen Gattin viel praktischer, als je zuvor.

Das thut er für stockfremde Menschen, sagte sie kopfschüttelnd, und wenn er mir die Wolle halten soll, die ich zu seinen eigenen Winterstrümpfen verbrauche, verwirrt er mir den ganzen Strang. Man könnte doch gleich weinen vor Aerger über solche Verkehrtheiten der Männer.

Sempiterna weinte indeß nicht, sondern begnügte sich mit sehr gemäßigtem Brummen. Still war überaus geschäftig, dabei aber auch für seine eigene Person besorgt. Der lange Weg über die hochziehende Straße in offener Kalesche einen andern Wagen konnte er nicht erhalten war keine Vergnügungsreise, und da das immerwährende Stubensitzen ihn verweichlicht hatte, so mußte er auf warme Kleidung Bedacht nehmen.

Mit hochgestellten Personen war Still nie im Leben zusammengekommen. Seine an Blödigkeit streifende Schüchternheit hielt ihn ab, vornehme Verbindungen zu suchen. Graf Alban kannte er von Ansehen aus früheren Tagen her. Mit ihm, der überhaupt seinen Adel nicht stolz zur Schau trug, hatte er sogar schon Worte gewechselt, und da ohnehin der Graf in jüngeren Jahren als Prediger auf den Inseln des chinesischen Meeres gelebt und gewirkt hatte, betrachtete ihn Still in gewissem Sinne als Collegen. Er fühlte deßhalb weder Befangenheit noch Angst, als er, ungeachtet seiner warmen Kleidung, ziemlich durchfroren, vor dem Thor des gräflichen Gartenhauses ausstieg.

Graf Alban empfing den Candidaten, dessen er sich flüchtig erinnerte, mit zuvorkommender Freundlichkeit, seine Züge verdüsterten sich aber, als Still das Begehren Ammer's vortrug.

Erlaubten es meine Geschäfte, sagte der Graf, nachdem er den Candidaten ruhig angehört hatte, so würde ich unverweilt den vielfach bedrängten, alten Herrn besuchen. Leider aber bin ich dergestalt mit Correspondenzen überhäuft, daß ich in den nächsten Wochen keine Zusage geben kann. Indeß sollte ich meinen, ein Brief würde mein persönliches Erscheinen ersetzen können. Es kommt ja tausendfach im Leben vor, daß die Person durch einen Brief vertreten wird.

Candidat Still erlaubte sich, auf die große Wichtigkeit hinzudeuten, die der Weber gerade auf ein Gespräch mit dem Grafen legte.

Ich glaube Ihnen gern, Herr Candidat, erwiderte Graf Alban, dennoch kann ich dem Wunsche Ammer's nicht entsprechen. Ich weiß wohl, fuhr er fort, wir Herrnhuter sind dem alten Herrn zu Dank verpflichtet, und gern, ich gestehe es, gern möchte ich ihm beistehen, ihm irgend etwas Liebes erweisen. Allein, wie soll man in dieser traurigen Angelegenheit seine Hand dazwischen stecken, ohne sich selbst zu beschmutzen! Die Söhne des alten Herrn haben schmachvoll und undankbar an uns gehandelt, und uns zehnmal mehr dadurch geschadet, als des Vaters erprobte Redlichkeit uns nützte. Nie im Leben hätte ich geglaubt, daß so junge Männer aus Liebe zum Gewinn in kurzer Zeit so tief sinken könnten!

Den Candidaten überlief es bei diesen Aeußerungen bald heiß, bald kalt. Entgegnen konnte er nichts, da ihm alles Verständniß abging, und wollte er gutmüthig entschuldigen, so konnte er sich in den Augen des Grafen lächerlich machen.

Räthselhaft ist es mir nur, fuhr Graf Alban fort, daß der jüngere Ammer einen vollen Monat vor der Entdeckung seiner Unredlichkeiten die Stirn haben konnte, sich mir zu entdecken und mir dabei die frechsten Lügen in's Gesicht zu sagen. Ich war nahe daran, selbst Theilnehmer seiner Betrügereien zu werden, was er wahrscheinlich klug berechnend beabsichtigt haben mag. Zum Glück traute mein erfahrener Freund, Herr Wimmer, schon seit langer Zeit nicht und nur seiner Vorsicht, seinem raschen Handeln und seinem Schweigen gegen Jedermann habe ich es zu danken, daß ich den Brüdern nicht die enormen Summen vorschoß, welche zu decken waren. Zwei Tage später würde das geschehen sein, die Lüge hätte triumphirt und wir, die wir halfen, waren die Geprellten und mußten doch schweigen.

Still begriff von dem Allen nichts. Er erwiderte deßhalb auch keine Sylbe, sondern bat nur, und zwar in sehr herabgestimmtem Tone, der Graf möge die Güte haben, dies Alles Herrn Ammer in seinem Briefe recht deutlich und ausführlich auseinanderzusetzen. Graf Alban sicherte ihm dies nochmals zu und versprach dem Candidaten, das Schreiben nach Verlauf von zwei oder drei Stunden einzuhändigen.

In großer Unruhe ging Still straßauf straßab, ohne des heftigen Sturmes zu achten, der noch immer mit ungebrochener Gewalt forttobte. Es bangte ihm vor der Rückkehr, vor der Heftigkeit Ammer's, der ja ihm und seiner Ungeschicklichkeit das Mißlingen der ganzen Sendung Schuld geben konnte.

Während dieses zweck- und ziellosen Umherwanderns hörte er sich unerwartet bei Namen rufen. Er blieb stehen und sah sich um, allein die Straße war leer. Da rief es zum zweiten Male und nun erst gewahrte Still an dem geöffneten Fensterflügel eines Parterrezimmers ein Gesicht, das er zu erblicken nicht erwartete.

Sie haben sich wohl verirrt, lieber Herr und Bruder in Christo? redete der im Fenster Liegende den Candidaten an. Treten Sie doch herein. Mein schlichtes Haus wird geehrt, wenn der Fuß eines so wahrhaftigen Gottesgelehrten und getreuen Arbeiters im Weinberge des Herrn die Schwelle desselben überschreitet. Haben uns lange nicht mehr gesehen. Mein Auge streifte Sie, erinnere ich mich recht, beim großen Prunkfeste auf Weltenburg. Ist seitdem wohl etwas still geworden dort, wie? Ein böses, böses Ereigniß! Hab' mich selbst davor erschrocken, wahrhaftig! Aber es mußte dennoch geschehen zu Ehren der Gerechten. Hat Herrn Ammer senior etwas stark angegriffen wie? Ach ja, konnte mir's denken. Armer Mann! Theurer, beklagenswerther Freund!

Wimmer erhob sich, griff in die Tasche seines faltigen Hausrockes und trocknete sich mit einem weißen Linnentuche die Augen.

Er betrachtete das Tuch und sagte dann:

Das ist noch ein Ueberrest von der guten alten Ammer'schen Waare. Treffliche Arbeit, wahrhaftig! Ein Faden wie der andere, man hat noch jetzt seine Freude daran. Die Kinder webten's, als sie noch in die Bleiche fuhren. Die guten Jungen! – Wollte ihnen aufhelfen und dann verwarfen sie sich. – Aber freilich, sie wurden mit dem Gelde, das ihnen von allen Seiten zuströmte, alsbald hochmüthig; sie beteten nicht und da fielen sie in Versuchung und Stricke! Just beim Trocknen meiner oft thränenden Augen entdeckte ich den Betrug. Bedaure sie aber doch, die armen, jungen Menschen. Ich will für sie bitten, recht wie ein Vater und Bruder. Sie sind so schon genug gestraft. Sind arm geworden, oder werden's doch künftig sein, und die Ehre, ach, ach die Ehre ist verloren für immer! Wie mich das dauert ich kann's wahrhaftig nicht sagen!

Er zog abermals das Tuch hervor und trocknete damit seine von Thränen überfließenden Augen.

Candidat Still, obwohl unerfahren in allen weltlichen Angelegenheiten, gingen doch beim Anblick dieses Mannes die sonderbarsten Gedanken durch den Kopf. Er wußte, daß Wimmer ein Freund der Familie Ammer gewesen war, daß auf sein Begehr die Verhaftung Fürchtegott's stattgefunden hatte. Die Thränen des alten Herrnhuters schienen ihm jetzt erkünstelt, wie das ganze sonderbare Wesen des schwer zu beurtheilenden Mannes. Ohne ein Wort zu erwidern, sah er ihn forschend an.

Wimmer schlug die Augen nieder.

Will's Gott und mein Heiland, sagte er, so gedenke ich meinen alten, lieben Freund bald wieder zu sehen. Es wird hohe Zeit, daß wir vollends Abrechnung halten mit einander, denn ich fühle auch täglich meine Kräfte mehr sinken und gedenke mich deßhalb zur Ruhe zu setzen, um als frommer Christ mich in Demuth vorzubereiten auf mein letztes Stündlein. Aber bitte, bitte, Herr Candidat, treten Sie doch ein! Meine Haushälterin soll Ihnen eine ächte Tasse Mokka bereiten. Feines Getränk das stärkt die Nerven; sag' Ihnen, wär' ein vortreffliches Mittel, den armen, eingesperrten Jungen frisch zu erhalten. Ist aber sehr, sehr kostbar, weßhalb man es dem Fürchtegott jetzt nicht empfehlen kann. Nicht Haushalten, mein lieber Herr und Bruder in Christo, nicht Haushalten kommt unmittelbar nach den sieben Todsünden!

Still entschuldigte sich mit dringenden Geschäften. Wimmer's Redseligkeit und seine sich stets von Neuem wiederholenden Anspielungen auf das der Familie Ammer zugestoßene Unglück schienen eine gewisse Absichtlichkeit zu haben, die seinem Dafürhalten nach an Hohn streifte.

Der Alte soll es doch wissen, sagte Still zu sich selbst. Er hat ja lange genug mit dem Schleicher gehandelt, er muß ihn besser kennen, als ich. Ich werde ihm mittheilen, was er mir da vorgeplaudert hat.

Wimmer grüßte lächelnd und schlug das Fenster zu. Still ging wieder nach dem Gartenhause des Grafen, der inzwischen einen langen Brief an Ammer geschrieben hatte und diesen dem Candidaten jetzt übergab.

Grüßen Sie den leidenden, alten Herrn recht freundlich von mir, sagte Graf Alban. Ich bin etwas weitläufig geworden, um einige dunkle Punkte schärfer beleuchten zu können. Mein verehrter Freund wird nach Lesung dieses Schreibens mir vollkommen Recht geben und sicher keinen Proceß anfangen. Es ist ein entsetzlicher Schlag, der die Familie getroffen hat. Die Schuldigen werden schwer dafür büßen müssen. Der Herr hat von Glück zu sagen, daß er nicht mit all den Seinigen an den Bettelstab kommt. Was er ungern that, wozu er sich erst nach langem Zureden entschloß, die Separation seines ursprünglichen Geschäftes von dem der Firma »die Gebrüder Ammer« ist jetzt seine Rettung und kann auch den Söhnen nach vollständig ausgebrochenem Banquerott noch von bedeutendem Nutzen sein.

Leer an Hoffnungen verließ Still den Brüderort. Hatten seine Mühewaltungen auch bei Block keine besseren Folgen, so mußte man die Ammer verloren geben.

Unterwegs überlegte der Candidat, was er thun solle. Ammer erwartete ihn wahrscheinlich persönlich in Weltenburg, um sogleich direct Erkundigungen von ihm einziehen zu können. Ein abermaliges Zusammentreffen mit dem nervös reizbaren, auffahrenden und zu heftigen Ergüssen geneigten Weber schien ihm unter obwaltenden Umständen gar nicht erwünscht. Was der Graf geschrieben, wußte er nicht, und daß er mit Wimmer zusammengetroffen, daß dieser ihn einen Blick in eine verborgene Kammer seines Herzens hatte thun lassen, ließ sich eben so gut brieflich melden, als die Versicherung des alten Speculanten, daß er mit seinem alten Freunde demnächst Abrechnung zu halten gedenke.

Still wollte weder Ursache zur Aufregung und zur Erzürnung Anderer werden, noch selbst darunter leiden. Er schrieb deßhalb, in seiner Behausung wieder angekommen, sogleich an den greisen Weber, fügte seinen Zeilen den größeren Brief des Grafen bei und gab beide Schreiben unverweilt auf die Post.

Mit Frau Sempiterna hatte der Candidat am Abend dieses Tages noch ein nicht ganz freundschaftliches Gespräch durchzuführen. Erst als der sehr genauen und haushälterischen Frau die wiederholte Versicherung von Seiten ihres Gatten geworden war, daß er außer seiner Zeit kein Opfer gebracht habe, gab sie sich nach und nach zufrieden über die närrischen Liebhabereien ihres Bücherwurms und dessen unbegreifliche Dienstwilligkeit für nichts und wieder nichts.


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