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Sechstes Kapitel. Im Kerker.

An den weiß getünchten Wänden des kleinen Zimmers malte das herabgebrannte, nur von Zeit zu Zeit hell aufflackernde Licht phantastische Schatten. Draußen heulte der Wind um die Schornsteine und jagte schrillend die Wetterfahne auf ihren verrosteten Spillen hin und her.

Auf ärmlichem Lager lag schwer athmend ein junger Mann. Er schlief, aber bange, schwere Träume mußten ihn quälen, denn auf der bleichen Stirn, über welcher die braunen Locken seines reichen Haares unordentlich herabhingen, perlten dicke Schweißtropfen. Obwohl es nicht sehr warm im Zimmer war, schien der Schlummernde doch an Hitze zu leiden. Er hatte sich die Kleider auf der Brust gelöst und drückte die festgeballte Rechte im Schlafe gegen das Herz, während seine Linke schlaff herabhing und fast die Diele berührte.

Wir befinden uns in Fürchtegott's Kerker. Der junge Kaufmann, welchen im Augenblicke stolzer Siegesgewißheit das gebieterische Wort des Mannes, dem er ein Lebehoch ausbrachte, gleichsam aus allen Himmeln herabstürzte, hatte seit jener Stunde Niemand von seiner Familie mehr gesehen. Als er die erste Ueberraschung dieses plötzlichen und schrecklichen Glückwechsels überwunden, wollte er sein Heil durch Bestechung versuchen. Er versprach dem Aufseher, gegen dessen Betragen er sich übrigens in keiner Weise beschweren konnte, eine ansehnliche Summe, wenn er ihm erlauben wolle, ein paar Briefe zu schreiben und diese pünktlich an ihre Adresse zu befördern. Diesem Antrage, den Fürchtegott am ersten Tage seiner Haft zweimal wiederholte, antwortete jedoch nur ein ablehnendes Achselzucken.

Obwohl diese Pflichttreue den leidenschaftlichen und in Folge der langen, geistigen Aufregung nervös höchst reizbar gewordenen jungen Mann empörte, mußte er sich doch entweder gelassen in das Unabwendbare fügen oder sich zu andern Schritten entschließen. Zum Bitten war Fürchtegott zu stolz; es würde ihm schwer geworden sein, gegen einen ihm völlig Gleichstehenden eine ernsthafte Bitte auszusprechen, wie vielmehr gegen ein Individuum, dem er in seinem ungemessenen Dünkel kaum gleiche Menschenrechte mit sich selbst zuerkannte. Er hüllte sich deßhalb in Schweigen und hoffte auf Nachricht, entweder von seinem Bruder, seinem Schwager, oder sonst irgend jemand Anderm; denn er war fest überzeugt, daß seine Haft nur von kurzer Dauer sein könne und daß Graf Alban, mit dem er ja Alles schon früher durchgesprochen hatte, die vielleicht nur aus kaufmännischer Vorsorge ergriffenen Maßregeln durch seinen Einfluß und seine Fürsprache wieder rückgängig machen werde.

Als nun aber Tag nach Tag verging, als eine ganze Woche sich zu Ende neigte, ohne daß er die geringste Kunde von den Seinen erhielt, ja, als man ihn wiederholt mit Verhören zu peinigen begann, in denen er allerdings ein hartnäckiges Schweigen und Leugnen sich zur Maxime machte, da begann er das Aergste zu fürchten. Seine Zuversicht schwand, sein Muth brach. Er fing an, sich unwohl zu fühlen, obwohl er nicht eigentlich kränkelte. Der Mangel an Beschäftigung, die Sorge um den zeitlichen Besitz, an dem jetzt, wo er mehr denn je gefährdet, ja vielleicht sogar schon verloren war, seine ganze Seele hing, versetzte ihn in fieberhafte Aufregung.

Die Einsamkeit des Kerkers war für den an abwechselnden Lebensgenuß Gewöhnten eine unsagbare Pein. Mit wenigen Schritten durchmaß er das kleine Gemach, das freilich nicht comfortable eingerichtet war, als Gefängniß aber doch immer noch anständig genannt werden konnte. Er hätte schreien, toben, mit den Fäusten gegen die Thür donnern mögen, um die innere Unruhe zu beschwichtigen, die ihn aufrieb. Allein sein Verstand sagte ihm doch, daß er dadurch seine Lage nur verschlimmern werde.

Erschien nun der bedauernswerthe Gefangene äußerlich auch ruhig, die Gluth des verheimlichten Grimmes fraß unter sich, steigerte seine Reizbarkeit und magerte ihn sichtlich ab. Ohne krank zu sein, fieberte Fürchtegott immer. Am quälendsten aber war für ihn die Nacht, oder wenn der Schlaf den müden Körper überfiel, was nicht gar selten auch am hellen Tage geschah.

Den Aufseher dauerte dieser in der That bedenkliche Zustand des jungen Gefangenen, weßhalb er auf eigene Veranlassung hin ihm eine Erleichterung zu verschaffen bemüht war. Mit freudiger Miene sagte er ihm eines Tages, daß er gern an Jedermann schreiben dürfe, nur müßten diese Briefe unversiegelt der Behörde zur Weiterbeförderung übergeben werden.

Ich will sterben, nicht schreiben, versetzte Fürchtegott auf diesen Vorschlag, kehrte dem Gefängnißwärter den Rücken und würdigte diesen seitdem keines Blickes mehr. Selbst die kurzen Nachrichten, die der mitleidige Mann bisweilen wie im Selbstgespräch seinem Gefangenen von den Personen gab, die ihm theuer und werth sein mußten, beachtete Fürchtegott nicht. Er schwieg trotzig, genoß wenig und verfiel immer mehr.

In dieser schweren Bekümmerniß gewährte nur die wiederholte Lectüre jener Tagebuchblätter, die zuerst seine Sehnsucht nach Erdmuthe zur heißen Flamme angefacht hatten, dem Gefangenen einige Zerstreuung. Diese Aufzeichnungen der ehemaligen Missionärin, in denen sich ihr kindlich reines Herz, ihr edles Wollen so ungekünstelt und wahr kund gab, trug Fürchtegott immer bei sich. Sie waren ihm früher ein Talisman gewesen, der ihn vor jeglichem Unfall behütet, ihn glücklich in die Wildniß geführt und zum ersehnten Ziele hingeleitet hatte. Mit einem gewissen Aberglauben klammerte sich auch noch der verwegen handelnde Weltmann, der von der Lust am Irdischen umstrickt war, an ihn. Konnte er auch nicht sagen, daß Erdmuthe seinen Wünschen gänzlich genüge, daß er sie noch eben so leidenschaftlich liebe, als früher, es hielt ihn doch immer eine gewisse heilige Scheu ab, irgend etwas, das von ihr kam, das sie berührt, besessen hatte, mit Unachtsamkeit oder geringschätzig zu behandeln.

Lange Zeit hatten Erdmuthe's Tagebuchblätter unbeachtet auf Fürchtegott's Brust geruht. Die trüben Lebenswirren, die sich auf seinem Wege häuften, ließen ihm keine Zeit übrig, an diese Seufzer einer wahrhaft christlichen Seele zu denken. Sie wurden vergessen, wie so Vieles, und hätte der Zufall sie seinem Eigenthümer entführt, würde dieser Verlust schwerlich so bald von ihm bemerkt worden sein.

Erst jetzt fielen sie dem Einsamen wieder in die Hände. Mehr um die Zeit zu tödten, als weil sein Herz ihn dazu trieb, durchblätterte Fürchtegott das zierliche Büchlein. Bald aber fesselten ihn Gedanken und Ausdruck. Das war die Stimme eines von ihm selbst himmelweit verschiedenen Wesens. Welche unendliche Liebe, welche Dankbarkeit, welche Ergebenheit blickte ihn wie mit verklärten Engelsaugen aus jedem Worte an! So konnte nur ein mit Gott völlig versöhntes, ein gleichsam in Gott lebendes Gemüth schreiben.

Fürchtegott las und las wieder, und je mehr er sich in Erdmuthe's Herzens- und Seelenergüsse vertiefte, desto schmerzlicher empfand er den Abstand zwischen sich und ihr.

Diese Wahrnehmung gab dem Verlassenen viel zu denken. Sie machte ihn unglücklich, und doch war es ihm nicht möglich, seine Gedanken einem andern Gegenstande zuzukehren. Er las und las, bis er die Worte auswendig wußte. Eine Sehnsucht nach Erdmuthe, wie er sie nie gefühlt, seit er sie sein nannte, erfüllte jetzt wie ein Heimwehschmerz seine Seele. Was hätte der Aermste geopfert, wäre es ihm vergönnt gewesen, sie zu sich zu rufen! In der Einsamkeit des Kerkers, dünkte ihn, müßte er an Erdmuthe's Busen alle Schmerzen der Erde, allen Druck, alles Elend der Welt vergessen.

Und dieses große Herz, sprach Fürchtegott zu sich selbst, habe ich achtlos von mir gestoßen! Und dennoch, dennoch kam nie ein Wort der Klage, des Vorwurfes über ihre Lippen! Wahrhaftig, sie ist eine Heilige, wie Vater sie nennt! O, und ich, ich bin ein Undankbarer, ein Frevler vor Gott und der Liebe, die uns bessern, heiligen soll!

Seitdem kam eine mildere Stimmung über den Gefangenen, aber der Friede der Seele floh ihn fortwährend. Die Qual seiner Nächte rieb ihn mehr auf, als die Sorge um das Zeitliche, die Sehnsucht nach Erdmuthe und die Vorwürfe, welche sein Gewissen ihm machte.

So oft er die Augen schloß, sah er das bleiche, vorwurfsvolle Antlitz seines greisen Vaters, wie es in ewiger Bewegung ihm zugekehrt blieb. Selbst das Gebet, zu dem Fürchtegott bisweilen seine Zuflucht nahm, befreite ihn nicht von diesem unangreifbaren Feinde seiner Nächte.

Auch jetzt blickte er ihn wieder an, unverwandt, und sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ruhe der Blick Gorgo's auf dem Träumenden. Der kalte Schweiß rieselte über seine zermarterten Züge, die herabhängende Hand hob sich abwehrend gegen das quälende Gespenst; er röchelte, stöhnte, schrie endlich laut auf, Erdmuthe's Namen nennend, und erwachte.

O Gott! sprach er, tief aufathmend und sich emporrichtend auf seinem Lager. Immer derselbe Traum. Er ist ein Theil meines Selbst geworden, er nistet in meinem Gehirn, und nichts, nichts kann ihn mehr vertreiben. Könnte ich mir doch nur den grollenden Vater versöhnen!

Sein müdes, in Schweiß gebadetes Haupt auf beide Hände stützend, blieb Fürchtegott sitzen. Er dachte nicht eigentlich, er ließ seine Gedanken schwärmen. Dies zerstreute und beruhigte ihn einigermaßen. Bald durchwanderte er die Urwälder der Tropen, bald stand er auf hohem Top und blickte über die unermeßliche Meeresfläche, deren alleinige Grenze das blaue Himmelsgewölbe war. Dann sah er sich wieder als Jüngling, die Karre schiebend oder Garn scheerend, während der rüstige Vater freundliche Worte mit ihm wechselte. Wie lange er so dem Spiel seiner Gedanken gelauscht haben mochte, wußte Fürchtegott nicht. Ein Geräusch vor der Thür störte es und machte ihn aufhorchen.

War das nicht Walter's Stimme? fragte er sich. Ich kenne sie unter Tausenden. Walter, ach Walter! rief er laut aus, könntest du mir doch Trost und Rettung bringen, wie du mir Freund und Führer warst durch die Wälder Surinam's!

Ich kann es, mein armer, lieber Freund! antwortete Walter, der jetzt zugleich mit Seltner und Mirus in das Gemach des Gefangenen trat. Ja, du schwer Geprüfter, ich bringe Trost und hoffentlich auch Rettung. Noch hat uns Gott nicht ganz verlassen. Freundestreue, uneigennützige Freunde haben sich um uns geschaart, und ihren vereinten Bemühungen wird es gelingen, die scheinbar so verwickelten Angelegenheiten deiner Familie zu entwirren und hoffentlich auch wieder zu ordnen. Du sollst deinen Vater wiedersehen, er hat nach dir verlangt. Schon morgen wird es dir gestattet sein, gegen Ehrenwort diesen Kerker zu verlassen. Das Alles verdanken wir Herrn Mirus, der sich unser Aller eifrigst angenommen hat.

Mirus? sagte Fürchtegott mit verdüstertem Auge, indem er Walter und seinem Schwager Seltner beide Hände reichte. Ich hielt Herrn Mirus für einen meiner Gegner, denn er war es, der den Vater durch seine Mittheilungen zuerst gegen uns aufbrachte.

Herr, ich muß Ihr sagen, fiel der alte, gewiegte Großhändler ein, Sie haben sich als ein junger Mann von sehr schweren Begriffen gezeigt. Meine wohlgemeinten Verwarnungen schlugen Sie eigensinnig in den Wind, und zweimal warnen ist nicht meine Manier. Bildete mir stets ein, etwas zu verstehen vom Handel; war nie leichtfertig in meinen Unternehmungen, speculirte jederzeit mit Verstand. Nur einmal habe ich mich verspeculirt. Das war damals, als der Herr Vater mich durch den geistlichen Herrn aus Prag zu sich citiren ließ und ich ihm reinen Wein einschenkte. Glaubte Recht zu thun und bin auch jetzt noch gleicher Meinung, aber die Speculation schlug doch fehl. Herr, ich muß Ihr sagen, wollte die Gebrüder Ammer retten, zur Umkehr bewegen, drängte Sie aber nur vorwärts zum Sturze. War das eine erbärmliche Speculation!

Mirus nahm eine Prise und reichte Fürchtegott die Dose. Dieser dankte.

Nun, fuhr der Kaufmann fort, da es so schnell zum Brechen kam, war es meine Pflicht, in der Stille mich umzuthun und nachzufragen, durch welchen Wind denn eigentlich das große, schwer beladene Glücksschiff der Ammer gescheitert sei. Wollte mir anfangs scheinen, es säße nur festgekeilt auf spitzem Korallenriff, sah aber bald, daß es stark leck war. Verzweifelte dennoch nicht, sondern setzte meine Nachforschungen fort. Der feindliche Luftzug strich direct herein von Herrnhut. Im Kopfe Wimmer's ward er gebraut, wie ich von jeher vermuthet hatte. Herr, ich muß Ihr sagen, wußte jetzt genug. Kenne den Wimmer, ist ein Schleicher, ein Meineidiger. Kann's und werd's beweisen, und gedenke ich damit dem Friedensstörer den Garaus zu machen. Vor langen Jahren schon sagt' ich's dem Bruder Christlieb, der aber nicht daran glauben wollte, denn die Sonne der Ammer stieg damals grade leuchtend über der Glatze des Herrnhuters herauf.

Fürchtegott sah noch immer ungläubig aus, denn wenn er auch eben keine Ursache hatte, freundlich an Wimmer zu denken, so konnte er sich doch eben so wenig von der völligen Uneigennützigkeit des Kaufmannes überzeugen.

Es würde mich freuen, erwiderte er, die dargebotene Hand des Handelsherrn kühl mit seinen Fingerspitzen berührend, wenn Sie mir zu beweisen vermöchten, daß Ihre Handlungsweise nicht mit zur Beschleunigung unseres Falles beigetragen hat. Was Herrn Wimmer betrifft, so wird er mir nach beendigter Untersuchung doch wohl gegenüber treten müssen. Dann habe ich auch noch ein Wort mit ihm zu reden. Aber bedenken Sie wohl, Herr Mirus, daß dieser Mann nicht allein steht, daß er weder Gutes noch Schlimmes ohne vorherige Ueberlegung thut, ja, daß er Beides dergestalt zu verschmelzen weiß, daß ihm schwerlich ein wirkliches Vergehen nachgewiesen werden dürfte.

Herr, ich muß Ihr sagen, entgegnete Mirus, kenne meine Leute, und kannte den Wimmer noch ehe er fromm ward. Ist durch mich zu etwas gekommen, hat's mir aber schlecht gedankt. Und weil ich jetzt Gelegenheit finde, es ihm wieder zu bezahlen, will ich der frommen Bestie an's Fell. Soll mich herzinnig freuen, wenn sie recht lustig zappelt.

Fürchtegott forschte weiter, allein Mirus verweigerte jede fernere Auslassung. Wollen ihn erst haben, zwischen zwei Feuern haben, und dann reell mit ihm tractiren, sagte er. Soll auch ganz frei ausgehen, nur den ehrlichen Namen will ich ihm zuvor abnehmen und lachend in meine Tasche stecken. Ist ein sehr probates Mittel, böse Herzen zahm zu machen.

Fürchtegott erkundigte sich nun mit einiger Befangenheit nach seinen Eltern und Geschwistern, fragte Walter fast heimlich, wie Erdmuthe sich befinde, wie sie wohl gegen ihn gesinnt sei, und erhielt ziemlich beruhigende Antworten.

Vergiß jetzt das Vergangene, sagte Walter, und richte dein ganzes Augenmerk nur auf das Kommende. Es ist ein Sturm durch unser Aller Leben gebraust, der schwere Verheerungen angerichtet hat. Noch müssen wir manches nachfolgenden Windstoßes gewärtig sein, allein trotz dem Allem haben wir doch nicht Veranlassung, zu verzweifeln. Geprüft, geläutert, weiser und vorsichtiger wirst du aus dieser Krisis hervorgehen und wenn auch weniger reich an vergänglichen Gütern, doch im sichern Besitze unvergänglicher dich glücklicher fühlen, als früher. So hoffe und vertraue der Treue deiner Freunde!

Albrecht Seltner sprach in ähnlichem Sinne. Er erzählte Fürchtegott von Flora, theilte ihm mit, daß des Vaters altes Geschäft bisher noch durchaus keine Nachwehen von den Erschütterungen fühle, die vielleicht mit dem Verlust Weltenburg's endigen dürften, und trug durch diese Versicherung wesentlich bei zur Beruhigung des geistig und körperlich sehr angegriffenen Schwagers.

Mirus versprach, am andern Tage noch vor Mittag wieder zu kommen, um den Gefangenen der Freiheit zurück zu geben.

Herr, ich muß Ihr sagen, fügte er beim Abschiede noch hinzu, die Luft wird Ihnen wunderbar wohl thun, und werden Sie große Augen machen, wenn Sie meine Wohnung betreten. Ist tüchtiger Succurs eingetroffen, damit auch der Schlaueste keinen Spalt zum Entschlüpfen benutzen kann. Gute Nacht!

Fürchtegott war wieder allein. Das Gehörte beunruhigte ihn bald, bald fühlte er sich dadurch gehoben. Schon daß er den Vater wiedersehen sollte, war ihm ein Zeichen von dessen versöhnlicher Gesinnung. Nur wie Mirus darthun wollte, daß Wimmer sich mit so schwerer Schuld belastet habe, wie er sagte, konnte er nicht begreifen. Gutes wünschte er dem Herrnhuter nicht, im Gegentheil, er würde es gern gesehen haben, hätte auch ihn ein düsteres Schicksal ereilt. Denn er war längst überzeugt, daß Wimmer absichtlich seinen Sturz vorbereitet habe, wenn er auch die Motive dieses verwerflichen Verfahrens nicht zu errathen vermochte.

Um seine Aufregung zu beschwichtigen, griff er abermals nach Erdmuthe's Tagebuchblättern. Sein Herz klopfte stärker als gewöhnlich, es flirrte ihm vor den Augen.

Morgen, morgen soll ich sie wiedersehen! sprach er leise zu sich selbst. Wie sehr ich mich sehne nach ihrem Anblick, so bangt mir doch auch davor. – Wie wird sie mich wohl empfangen? – Ob sie mich wirklich noch liebt, mich, der ich ihr gegenüber doch als Verbrecher dastehe.

Fürchtegott saß lange vor dem Tagebuche. Er war zu aufgeregt, um schlafen zu können. Auch fürchtete er die quälerischen Träume, die mit dem Niedersinken der Wimpern alpähnlich auf seine Seele fielen. So wachte er bis nach Mitternacht. Dann übermannte ihn der Schlaf, am Tische sitzend. Das helle Schmettern eines Posthorns erweckte ihn wieder. Er vernahm das rasche Rollen eines Wagens auf der stillen Straße. Eine halbe Stunde verging und das Posthorn ließ sich abermals vernehmen. Aus dem fernen Gerassel entnahm er, daß der vorhin angekommene Wagen weiter fahre. Zu so später Nachtstunde trafen damals keine regelmäßige Posten ein; es konnte also nur eine Extrapost, vielleicht ein Courier sein.

Der muß sehr eilig haben, dachte er, daß er bei diesem unangenehm stürmischen Herbstwetter des Nachts in die Gebirge hineinfährt.

Fürchtegott fühlte sich sehr erschöpft und seit langen Wochen zum ersten Male verbrachte er den Rest der Nacht in erquickendem, traumlosen Schlummer.


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