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Drittes Kapitel. Die Heimkehr.

Ueber die Bergstraße herein gegen das Rohr flogen sechs Schlitten, von denen die drei vordersten bedeckt waren. Die Pferde erschienen dicht mit Reif überzogen, denn es war bitter kalt. Als sie das Rohr erreichten, zügelten die Führer ihre Pferde, um auf der glatt abschüssigen Bahn nicht etwa umzuwerfen, denn der scharfe Luftzug hatte hier nur geringe Schneemassen liegen lassen und die Passage dadurch etwas beschwerlich gemacht.

Unterhalb des Rohres stiegen aus den Schornsteinen des Weberortes hohe Rauchsäulen in die stille, kalte Winterluft empor, und das Klappern und Klirren der Stühle aus den vielen sauber gehaltenen Häusern und Häuschen machte auf Fremde und Durchreisende einen wohlthuenden Eindruck. Man fühlte aus der ganzen Haltung des Dorfes, daß die Bewohner desselben nicht reich, aber zufrieden sein mußten, und daß diese Zufriedenheit wieder das Ergebniß unermüdeter Thätigkeit, strenger Arbeit war.

Die meisten dieser Häuser, auch die stattlicheren, mit Ziegeln gedeckten, waren zum Schutz gegen die strenge Winterkälte »versetzt«, d.h. die Eigenthümer hatten festgeflochtene Strohbündel um die aus Holzbohlen bestehenden Wände wohl an zwei Fuß dick aufgehäuft und dieselben mittelst kreuzweise übereinander gelegten Latten befestigt. Die solchergestalt »versetzten« Häuser gewährten einen ganz malerischen Anblick, namentlich dann, wenn die Anhäufung der winterlichen Strohumhüllung mit einigem Geschmack und symmetrisch angebracht war.

Auch die frühere Wohnung Ammer's, das jetzige Besitzthum Albrecht Seltner's, zeigte sich in angegebener Weise »versetzt«. Auf den Firsten sämmtlicher Gebäude funkelten die vergoldeten Spitzen mehrerer Blitzableiter, eine Vorsichtsmaßregel, welche die häufigen und schweren Gewitter nöthig machten, die während des Sommers fast regelmäßig zünden, wo man diese Franklinische Erfindung vernachlässigt. Vor diesem Hause hielten die Schlitten. Flora, die von dem näher kommenden lauten und harmonischen Schellengeläut schon auf die Schwelle der Thür gelockt worden war, trat jetzt, ihren Sohn Otto an der Hand, rasch auf den ersten Schlitten zu, stieg auf die Kufe und blickte unter die Bedachung.

Gott Lob, Gott Lob! sprach sie erheitert. Da hab' ich euch ja endlich wieder! O, wie will ich euch pflegen und lieben! Ich habe Alles genau so herrichten lassen, wie es vor dem Feuer war. Du wirst dich ganz heimisch und heimlich dabei fühlen, Vater! Und du, beste Mutter, dir habe ich gerade wieder solch einen Drehschemel machen lassen, wie du ihn sonst hattest, wenn du dich Abends zum Spinnen an den Ofen setztest. Du brauchst nicht zu spinnen, bei Leibe nicht! Aber ich dachte, der Drehschemel würde dir Freude machen. Auch die alten Bilder habe ich in der mir von früher noch bekannten Ordnung aufgehangen, und da Albrecht oder ein Gehilfe bisweilen ein paar Stunden zu weben pflegt, um die Kunst nicht ganz zu verlernen, so steht auch ein Webstuhl in der Ecke.

Während Flora dies Alles rasch und in heiterster Stimmung in den Schlitten hineinsprach, sprang Seltner heraus, half Frau Anna von dem Gefährt und hob dann mit starkem Arm seinen Schwiegervater, den alten Ammer heraus, ihn rasch in's Haus tragend. Mittlerweile waren aus den nächsten beiden Schlitten die Brüder Christlieb und Fürchtegott mit Walter und Erdmuthe gestiegen. Alle begaben sich eilig in's Haus, die glückliche Flora nebst Otto herzlich begrüßend. Von den drei offenen Schlitten luden später die Färbeknechte und Kutscher eine Menge Kisten, Kasten und Koffer, denn Herr Ammer und seine Söhne hatten das bereits verkaufte Weltenburg für immer verlassen, und wollten nun an den Orte, wo das Glück die ersten vielversprechenden Keime getrieben, die ersten Blüthen angesetzt, die so reiche Früchte getragen hatten, nach Ueberstehung heftiger Lebensstürme ein neues, stilleres, wenn auch weniger glänzendes Leben beginnen.

Diese Uebersiedlung Ammer's, oder, wie der Greis sagte, dieser Heimgang fand etwa vierzehn Tage nach Abwickelung der Geschäftsverhältnisse seiner Söhne statt. Alle hatten ihn gewünscht, so viel auch mit diesem Glückswechsel der verkleinerungssüchtigen Welt Gelegenheit zu mißliebigen Bemerkungen gegeben war. Weltenburg kam in die Hände eines englischen Hauses, das die Besitzung besonders deßhalb an sich brachte, weil die vorhandenen baulichen Einrichtungen die Wiedereröffnung von Spinnereien ohne Schwierigkeiten gestatteten.

Ammer saß jetzt in einer ganz eigenen Stimmung an derselben Stelle, wo er so viele Jahre vordem, wenn er ausruhte von der Arbeit, die Abende zugebracht hatte. Flora hatte das Wohnzimmer wirklich ganz so wieder einrichten lassen, wie sie es von früher her kannte. Selbst eine schwarzwälder Uhr mit dem Kukuk, welcher bei jedem Glockenschlage sein »Kukuk« rief, fehlte nicht.

Für diese Aufmerksamkeit dankte Ammer der geliebten Tochter nur durch wiederholte Händedrücke. Uebermannt von Rührung, vermochte er geraume Zeit nicht zu sprechen. Erst als der muntere Otto dem Großvater von seinem eigenen Thun und Treiben ein Langes und Breites vorplauderte und Frau Anna jetzt wieder in althergebrachter Weise den blank gescheuerten Lindentisch mit weißer Damastserviette überbreitete, fand er Worte.

Wahrhaftig, Mutter, sagte er, seinen Enkel mit beiden Armen umschlingend, die alten Zeiten kehren wieder! Wußte ich doch in den letzten Jahren gar nicht recht, wie mir zu Muthe war. Jetzt sehe ich wieder hinunter in's Thal, drüben blinken die Thürme der Stadt, ich höre das Geklapper der »Gezehe« und dort sitzt richtig Nachbar Jeremias noch an seinem fichtenen Tisch, wie ich ihn immer sitzen sah, wenn ich ab und zu manchmal über das Stacket hinüberschielte. Ja, ja, grüß' Gott, Alter! Es ist auch Zeit, daß du dich wieder sehen läßt. Konnte es ihm freilich nicht verdenken, daß er Weltenburg nicht leiden mochte. Da kommt er, noch rasch und stramm, als wäre er ein mittlerer Fünfziger!

Jeremias Seltner, dem das Glück der Ammer nie behagt und deßhalb auch nie ihn aus seiner engen Lebensbahn gedrängt hatte, trat jetzt in's Zimmer und schüttelte dem Alten herzlich die Hand.

Endlich wird es wieder ein vernünftiges Bissel Leben hier geben, sprach er. So lange du und deinen Kindern das Schloß am Halse hing, konnt' ich's nicht loben. Es war mir rein unmöglich, dich dort zu besuchen, und lieb ist's mir wohl, daß du nicht darauf drangst und mir deßhalb auch nicht gram wurdest. Jetzt, denk' ich, soll's hier wieder einmal nach altmodischer Weberart hoch hergehen.

Ammer schüttelte den Kopf. Nicht mehr gar lange, Bruder Jeremias, sprach er. Das Feuer, das mir mein Haus verzehrte und mich späterhin forttrieb, hat mich zu arg beschädigt. Und nachher kam das große Unglück. Das nahm mir die Kräfte vollends mit, Seltner. Aber jedennoch denk' ich noch einmal Weihnacht zu feiern im Kreis der Meinen und wär's möglich, was ich freilich bezweifeln muß, so möcht' ich wohl auch noch eine Christnacht in der Kirche mitmachen.

Jetzt kam Erdmuthe mit Flora aus der obern Etage zurück, wo die mitgebrachten Habseligkeiten von den beiden jungen Frauen einstweilen aufbewahrt worden waren. Sie reichte dem Greise die Hand, küßte ihm die hohe breite Stirn und umarmte dann mit hingebender Zärtlichkeit ihren Gatten, der in gar seltsame Gedanken vertieft auf der schmalen Holzbank hinter dem Webstuhle saß und spielend die Lade hin- und herbewegte. Fürchtegott war das ganze Ebenbild des Vaters geworden, nur weniger stark. Hätten statt der schon ergrauten Haare weiße Locken sein Gesicht umspielt, so hätte man Vater und Sohn wohl für Brüder halten können.

Ich danke dennoch Gott heute mehr, als damals, wie wir unter dem Jauchzen der Geigen in deinen glänzenden Muschelwagen stiegen, um nach Weltenburg zu fahren, sagte Erdmuthe, eine Freudenthräne zwischen den Wimpern erdrückend. Damals betraten wir eine Welt, die uns nicht eigenthümlich zugehörte. Wir sollten uns nach ihr umformen, unser innerstes Wesen verleugnen und weil dies unmöglich war, strauchelten, wir. Erst der Fall gab uns die volle Besinnung wieder und diese zeigte uns den Pfad zur Rettung. Jetzt, mein theuerster Seelenfreund, im Besitz wahrer Zufriedenheit, werden wir uns nie zurücksehnen nach jenem Flittertand falschen Glanzes, der Herzen trennen, nie aber einigen kann. Wir wollen arbeiten und im Schweiße unseres Angesichtes uns vorbereiten auf die uns verheißene vollkommnere Welt.

Fürchtegott lächelte, der Gattin die Hand küssend.

Du kannst Recht haben, sagte er. Bin ich erst hier wieder eingewohnt, so ist's nicht unmöglich, daß du mich eines schönen Morgens noch einmal »den Schützen schieben« siehst. Nur glaub' ich, ich befasse mich nicht mehr mit dem für mich begrabenen Geschäft. Es knüpfen sich daran gar zu viel trübe Erinnerungen. Vielmehr denk' ich, um mit dem Vater zu sprechen, ich greif's fein vorsichtig und nicht gar groß auf andere Weise an. Die Weberei hat in den letzten Jahren wieder einen großen Fortschritt gemacht. Es ist ein verbesserter Webstuhl erfunden worden, und bin ich erst hier wieder im Gange und alle andern Wunden sind vernarbt, werd' ich's mit der neuen Weberei doch versuchen, aber fein vorsichtig und ganz stäte.

Jetzt mußte Erdmuthe lächeln, der alte Ammer aber wendete sich seinem Sohne zu, nickte ihm mit vielsagendem Blicke Beifall und wiederholte scharf betonend die Worte:

Ja, ja, immer fein vorsichtig und ganz stäte! Man bleibt dann jederzeit Herr seiner selbst, seiner Mittel und greift nicht weiter als man sehen kann.

Die Zurückkunft Ammer's in seinen Geburtsort war für alle Bewohner desselben ein Ereigniß. Zwar dachten nicht Alle gleich, denn dem früher so glücklichen Weber fehlte es nicht an Neidern und Feinden, immerhin aber konnte man ohne Uebertreibung annehmen, daß bei Weitem die große Mehrzahl sich darüber freute. Es ist schon zu Anfang dieser Erzählung erwähnt worden, wie segensreich der Einfluß Ammer's auf eine Menge Familien wirkte; wie er dort wirklich Darbenden durch freiwillige Gaben aufhalf, hier augenblicklich Bedürftige durch Rath und That unterstützte. Sein eigenes Beispiel spornte Viele an, ihm nachzueifern, hielt Manche ab, ihren Neigungen den Zügel schießen zu lassen, und somit konnte man behaupten, daß die bloße Nennung seines Namens ein moralisches Gewicht in die Wagschaale des Lebens Aller im Orte legte.

Dies war seit Ammer's Uebersiedelung nach Weltenburg anders geworden. Schon in den letzten Jahren, noch während Fürchtegott's Aufenthalt in der neuen Welt, zeigte sich der reiche Weber weniger mittheilend, als ehedem. Die weit verbreiteten Verbindungen, das Anwachsen stets neuer Sorgen, die Menge Lasten und Kümmernisse, die ihn drückten, machten ihn verschlossen, barsch und schreckten deßhalb Manchen, der sich früher mit größtem Vertrauen ihm näherte, ab, den jetzt so reichen Mann mit einer Bitte auch nur vorübergehend zu behelligen. Später, als Fürchtegott sich mit der ehemaligen Missionärin verheirathete, war Ammer aus andern Gründen wenig zugänglich, und als endlich der unglückliche Brand sein Haus zerstörte, sah Jeder ein, daß bei so großen Verlusten wenig Neigung auch bei einem Begüterten vorhanden sein konnte, Hilfsbedürftigen als bereitwilliger Retter oder Helfer sofort beizuspringen.

Dennoch that Ammer, wenn er zufällig erfuhr, daß irgendwo ohne Verschulden ein Bedrängter litt, auch damals noch Gutes; nur mit seiner Abreise nach Weltenburg, um ganz dort zu bleiben, hörten diese weniger bekannten als tief empfundenen Unterstützungen für immer auf. Der ganze Ort erlitt daher durch die Entfernung des reichen Webers einen höchst empfindlichen Verlust.

Jetzt, wo das Glück auch diesen begünstigten Mann seine Launen so schwer hatte fühlen lassen, gedachten Viele an das früher genossene Gute, und ohne für die Zukunft Aehnliches beanspruchen zu wollen, da ja die Verhältnisse in der Ammer'schen Familie ganz anders geworden waren, ließ Anhänglichkeit an den würdigen Greis, wohl auch eine nicht ganz kleine Dosis Neugier einer Anzahl Dorfbewohner keine Ruhe, als das Gerücht von der Heimkehr der ganzen Familie sich von Haus zu Haus verbreitete. Schon nach wenigen Stunden fanden sich erst die nächsten Nachbarn, dann auch ferner Wohnende im Hause Seltner's ein, um den vielgeprüften Greis, wohl auch, um die früh gealterten Söhne wieder zu sehen und ihnen ein paar glückwünschende Worte zu sagen.

Ammer freute diese, wie er glauben mußte, im Allgemeinen ungeheuchelte Theilnahme. Er fühlte sich wieder heimisch; dies Kommen und Gehen so vieler Bekannter hatte etwas Patriarchalisches, und obgleich sowohl Anna, wie auch Flora und Erdmuthe dem Andrange immer neuer Freunde gern gewehrt hätten, indem sie fürchteten, eine solche fortwährende Aufregung des sehr geschwächten Vaters könne die nachtheiligsten Folgen für dessen Gesundheit haben, begehrte Ammer selbst doch Jeden zu sehen und zu sprechen.

So ward dieser erste Tag im Hause seines Tochtermannes, das er ja auch als sein eigenes betrachten durfte, dem hinfälligen Greise zu einem wahrhaften Freudentage. Er unterließ nicht, besonders Jüngere auf die großen Wandelungen aufmerksam zu machen, die nicht bloß mit ihm selbst, sondern mit seiner ganzen Familie vorgegangen seien. Daran knüpften sich von selbst Betrachtungen der belehrendsten Art. Ammer sprach mit bewundernswürdiger Offenheit über sein Geschick. Er pries es sogar, ungeachtet der schweren Schläge, die sein ganzes Haus betroffen hatten, ja, er stand nicht an, gerade diese letzte Wandlung eine wohlthätige zu nennen, weil sie sein eigenes Herz, das bisweilen auch stolzen Regung Raum gegeben, demüthig gemacht, seine Kinder aber in der Fülle der Jahre den Willen Gottes kennen gelernt habe.

Mancher verließ das Haus Albrecht Seltner's mehr erbaut, als wenn er eine in banalen Redensarten und schlecht angewandten Bibelcitaten sich bewegende Predigt mit angehört hätte. Und Ammer, einmal erregt, gefiel sich in der Rolle eines mild Belehrenden. In seinem Polsterstuhle ruhend, die müde Rechte auf den Krückenstock stützend, saß er, umgeben von allen Kindern, mitten im wohl durchwärmten Zimmer. Stunde nach Stunde verging und, als endlich der letzte Besuchende sich vorher entfernte, wunderte sich der glückliche Greis, daß die schwarzwälder Uhr auf zehn aushob.

Otto, der den lieben, so lange vermißten Großvater nicht verlassen wollte, war zuletzt doch, an seinem Knie ruhend, eingenickt, selbst Frau Anna, die Platz in dem bequemen Drehschemel genommen und in dieser traulichen Umgebung sich wieder recht wohl fühlte, lehnte schon längst mit über der Brust gekreuzten Armen in ihrem Stuhle und neigte das müde Haupt, dessen Haarflechten Alter und Sorgen ebenfalls gebleicht hatten, auf die Brust herab.

Unter Allen am wenigsten Beifall fanden diese vielen Besuche bei dem Brüderpaar. Sie fühlten, daß ihnen die Begrüßungen nicht galten, daß es für sie eigentlich besser gewesen wäre, sie hätten nichts davon weder gesehen, noch erfahren. Des Vaters Freunde, die jetzt erschienen, um ihn zu beglückwünschen, konnten nicht aufrichtig auch ihre Freunde sein. Waren sie selbst doch die eigentliche Veranlassung zu des Vaters Unternehmungen gewesen, hatten sie doch den am Alten hängenden Mann vermocht, dem bewegteren Treiben einer Welt sich anzuschließen, die er nicht kannte, in der er nur unsicher tappend oder dem Worte Anderer vertrauend, es Andern gleich thun konnte. Sie hatten den Vater um seine Ruhe, später um sein Vermögen gebracht. Sie waren schuld, daß er als ein Schiffbrüchiger heimkehrte in den stillen Hafen, wo er die erste Jolle befrachtete, die seines Glückes Schiff mit Gütern aller Art versehen sollte. Freilich konnten sie mittelbar auch als diejenigen bezeichnet werden, die ihn nach langer Irrfahrt zurückgeleitet in die Heimath, allein sie selbst befanden sich doch bei solchen Betrachtungen nicht sonderlich wohl.

Aus diesem Grunde hielten Christlieb und Fürchtegott sich möglichst zurückgezogen während der ab und zugehenden Besuche. Sie vermieden es, mit Bekannten zu sprechen, und da es genug zu ordnen und zu besorgen gab, um, wenn auch nur für den Augenblick das Allernöthigste für die Zukunft vorzubereiten, so konnten beide Brüder ein längeres Zusammensein oder vertraulicheres Begegnen mit den Besuchenden vermeiden.

Das ist mir lange nicht begegnet, Kinder, sprach Ammer, jugendlich heiter, aber bedenklich erhitzt, als der Letzte ihm auf baldiges Wiedersehen die Hand geschüttelt und das Haus verlassen hatte. Mich dünkt wahrhaftig, ich werde wieder jung. Wären nur die alten Gebeine nicht so eigensinnig steif und lahm, und der Kopf nicht so seltsam schwer. Sieh, die Mutter schläft auch, und der kleine Krauskopf da zu meinen Füßen schnarcht gar, als ob eine Katze vor lauter Freude spänne. Vergeßt nicht, Kinder, für so viel Liebe und Gnade heute noch Gott zu danken! Ich denke, mir wird wohl sein, wenn seine Engel mich einlullen. Gute Nacht beisammen! Erdmuthe und Flora, ihr sollt mir noch die Hand reichen, wenn ich schon ruhe. Mir läuft das Herz ordentlich über vor Wonne, daß ich euch endlich, endlich allesammt wieder habe zwar etwas bestoßen da und dort, aber Gott sei gepriesen doch unverloren, Alle unverloren!

Ammer erhob sich mit Hilfe seines Krückenstockes aus dem Stuhle.

Führt mich in die Kammer, sagte er zu seinen Söhnen. Das müssen wir morgen anders einrichten, die Treppe hinauf und dann wieder hinunter kann ich das lahme Gebein nicht alltäglich schleppen. Rechne mir deßhalb, Albrecht wird mir derweile sein Cabinet einräumen. Ich treib' es ja doch nur noch eine kurze Zeit, ehe ich mich ganz und für immer verabschiede, um zu erfahren, wie der Herr das Weltregieren treibt. Nochmals, gute Nacht!

Die Brüder trugen den sehr erschöpften Vater mehr als sie ihn führten, die Treppe hinauf, und bald herrschte im Hause Seltner's eine so tiefe Ruhe, daß man das Rieseln des Schnees vernahm, der, vom leisen Westwind getrieben, an die Fenster surrte.


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