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Drittes Kapitel. Die Unterredung.

Erdmuthe nahm wieder Platz auf dem niedrigen Sessel zu Ammer's Füßen. Der Greis, beide Hände auf den Krückenstock legend, sah hinaus in die sonnige Luft, man konnte jedoch an dem Ausdruck seiner Augen bemerken, daß nicht die Außenwelt ihn beschäftigte, sondern sein Blick nach Innen gerichtet war.

Du denkst, bester Vater, sagte Erdmuthe, ihren Arm auf seine Kniee legend und theilnehmend zu ihm aufblickend. Hat der Besuch des Bruders dich beunruhigt?

Ammer schüttelte den Kopf. Beunruhigt hat er mich nicht, erwiderte er, wohl aber gibt er mir zu denken. Wie heißt es doch in der Schrift? »Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollen.« Ja, ja, so ist es. Ruhm begehren wir wohl, aber leider nur Ruhm, den die Welt gibt, den rechten, der von Oben kommt, den stoßen wir von uns wie einen räudigen Hund. Und sollten doch auf unsern Knieen bitten, daß er bei uns bleibe alle Tage bis an unser Ende.

Du bist bewegt, Vater. Soll ich dir vorlesen aus dem Leben der Missionäre? Das wird dich unterhalten, erquicken, deinen Geist in ferne Gegenden versetzen und von allerlei Trübem, das hier um dich schwirrt und Nebelkreise um deine reine Stirne legt, abziehen.

Ammer ließ seine lahme Rechte vom Krückenstocke herab auf das dicht an sein Knie gebeugte Haupt Erdmuthe's gleiten und sagte:

Gute, fromme Seele! Wie schwer würde ich zu tragen haben an der Last meiner Jahre, und an den Schmerzen, die mir die Welt bereitet, hätte mein Schöpfer mir nicht vergönnt, in dein von gutem Geist erleuchtetes Auge zu sehen. Verlasse mich nicht, Erdmuthe, wenn dereinst der Sturm an den Grundvesten meines Hauses rütteln sollte, und nun lies mir vor aus deinen prächtigen, belehrenden Büchern.

Erdmuthe küßte die Hand des Greises, nahm dann ihr Buch wieder zur Hand und las mit wohltönender Stimme die merkwürdigen Schicksale und Abenteuer eines Missionärs unter den Malayen. Da Ammer nicht Alles verstand, unterbrach er die Lesende oft, und Erdmuthe erklärte mit würdiger Bescheidenheit dem Greise, was er wünschte, und setzte die Lectüre erst fort, wenn er sagte, es sei nun genug, er begreife jetzt, was der gelehrte Buchschreiber gemeint habe.

In dieser friedlichen Beschäftigung wurden Beide durch den Eintritt Fürchtegott's gestört. Erdmuthe legte sofort ein Zeichen in das Buch, schlug es zu und verließ ihren Sitz, um Fürchtegott entgegen zu gehen. Dieser duldete mehr die Umarmung seiner Gattin, als daß er sie erwiderte, obwohl er sie mit seltsam flammendem Auge betrachtete. An ihrer Hand trat er zu dem Vater, nach dessen Befinden er sich in reinem Geschäftstone erkundigte.

Du hast mich lange warten lassen, mein lieber Sohn, sagte Ammer, ihn scharf ansehend. Weßhalb läßt du dich immer erst bitten, ehe du zu mir kommst? Ist es dir eine Last, mit deinem alten Vater zu sprechen?

Die Geschäfte, du weißt

Sie machen dir unruhige Stunden, fiel Ammer ein. Ach ja, ich weiß zwar nicht, aber ich habe so meine eigenen Gedanken über die Geschäfte von heute.

Bist du schon wieder mißtrauisch? warf Fürchtegott empfindlich ein. Siehst du, Vater, das ist's, was mich verdrießlich macht, mich verletzt. Immer fragst du die Kreuz und die Quer, daß Einem die Geduld ausgeht. Alles willst du wissen, und wenn man dir mit größter Bereitwilligkeit antwortet, so bist du nie zufrieden, tadelst das Geschehene und sähest es am liebsten, man machte es ohne Widerrede nach deinen Vorschriften. Das Letztere kann ich nicht, mithin finde ich es überflüssig, darüber zu sprechen.

Recht so, sagte Ammer. Immer schlage den Alten auf den Mund. Gar lange hält er doch nicht aus, so schweigt er; und wenn nur der Mund erst still geworden ist, so wird das Auge wohl auch nicht gar lange wachsam bleiben. Weißt du auch, daß ich Grund habe, dir nicht volles Vertrauen zu schenken?

Grund? Den möchte ich kennen.

Es ist mir gar mancherlei zu Ohren gekommen, mein Sohn. Die Welt munkelt dies und das und erzählt sich wunderliche Geschichten.

Die Welt! erwiderte lachend Fürchtegott. Wenn ich nicht annehmen soll, daß meine Frau, über deren zu großer Theilnahme an weltlichen Angelegenheiten ich bis jetzt zu klagen durchaus keine Ursache hatte, dich von den Dingen unterrichtet, welche in der Welt sich ereignen, möchte ich die Behauptung aufstellen, du sei'st darüber nicht unterrichtet.

Das bin ich auch nicht; dennoch kann ich dem Winde nicht verbieten, er solle nicht rauschen, und meinem Ohre nicht, es solle nicht hören. Ich habe gehört und nicht lauter Gutes, mein Sohn, und darum begehre ich als dein wohlmeinender Vater, von dir zu erfahren, was Andere mir nicht mittheilen können.

Weigere ich mich dessen? Sprich, wenn ich antworten kann, werde ich nicht schweigen.

Denkst du immer daran, daß deine Arbeiter zugleich deine Nebenmenschen sind, und behandelst du sie als solche?

Hat mich etwa Jemand verklagt? fragte Fürchtegott leicht erröthend.

O nein, sagte Ammer. Das würde Keiner wagen, denn vergäßest du über dem Gewinn die Milde, so würde eine Klage denjenigen, der sie mir vortrüge, später sicher in's Unglück stürzen.

Nun, erwiderte der vornehme Sohn mürrisch, so darf ich mit gutem Gewissen behaupten, daß über mich Niemand sich beschweren kann. Ich drücke Keinen, sollte sich dennoch irgend Jemand gedrückt fühlen, so steht es ihm ja frei, mit mir sich zu verständigen, auch hat er volle Freiheit, zu gehen, wenn es ihm bei mir nicht gefällt.

Mein Sohn, versetzte Ammer, ich will dir weder Vorschriften machen, noch Rath ertheilen. Kenne ich ja doch, was die junge Welt davon hält. Weil ich aber noch der alten angehöre, mach' ich's, wie weiland unser Herr und lege meine Ansicht in einem Gleichniß dir an's Herz. Siehe mein Sohn, es lebte vor Zeiten ein Mann, den speiste Gott nicht mit Manna, das er des Nachts vom Himmel fallen ließ, sein tägliches Brod war harte Arbeit und Trübsal. Der Mann aber blieb schlicht und wacker, und es gelang ihm nach langer Zeit, sich emporzuschwingen, also daß er weltliches Gut in Fülle erwarb, und alsbald des Reichthums fast schier zu viel bei ihm ward. Da vergaß er, daß er ehedem ein gar kärgliches Leben geführt hatte, der Besitz machte ihn stolz, übermüthig und hart, und wenn ein Bedürftiger ihn ansprach um Hilfe, da wendete er sich kalt von ihm ab oder er half in einer Weise, die mehr eine Strafe als eine Wohlthat für den Bedürftigen war. Das trieb der Uebermüthige viele, viele Jahre. Da trat der Herr eines Tages zu ihm und sagte, indem er ihn berührte: Du bist lange genug im Glück gewesen, damit nun deine Seele von dem Purpurstaube nicht verschüttet werde, der da abfliegt von den kostbaren Gewändern, welche du trägst, magst du die letzten Jahre in tiefer Finsterniß zubringen. Kehre in dich in dieser Nacht der Sinne und reinige deine Seele von den Flecken, die sie jetzt beschmutzen. Da ward der Mann blind und bedurfte der Hilfe Anderer. Und er rief an Vornehm und Gering, daß sie ihn führen möchten, und wenn Einer seine Stimme nicht hörte oder seinen bittenden Ruf nicht beachtete, da strauchelte der Arme und litt viele, viele Schmerzen

Ammer schwieg und sah dem Sohn fest in's Gesicht.

Ist das Alles? fragte Fürchtegott.

Es ist ein Gleichniß, so verständlich, mein' ich, daß wer nur hören will, den Sinn desselben wohl fassen kann.

Fürchtegott wendete sich plötzlich zu Erdmuthe, die bisher schweigend dieser Unterredung beigewohnt hatte.

Liebes Herz, sprach er, lernt der Vater das Alles von dir? In früheren Jahren mußten wir uns wohl auch zuweilen von ihm zurechtweisen lassen, und nahmen das gern an, wie es christlichen Kindern geziemt. Es geschah aber in einer mehr derben Manier; jetzt spricht der Vater fast wie ein Apostel, und dieser Sprache bin ich, zu weit entfernt von apostolischer Weisheit, weit schwerer zugänglich.

Erdmuthe ergriff die Hand ihres Gatten und erwiderte:

Fürchtegott, ich habe dir Hand und Herz und mich selbst zu eigen gegeben, weil ich dich liebte; ich werde auch nie von dir weichen, nie dich allein die Wege der Welt ziehen lassen; Eins nur, mein Freund, bitte ich: bändige die Leidenschaften, die dich beherrschen, und frevle nicht mit Worten und Gedanken!

Sie zog ihn mit sich zu dem Lehnstuhle des Greises.

Hier, mein Freund, fuhr sie fort, sich auf ein Knie vor Ammer niederlassend, hier ist eine Stelle, die uns heilig sein soll. Du schmähst mich in Gedanken, weil ich mitten im Reichthume mich nicht entäußern will der Einfachheit, die mir Glück und Frieden gebracht hat; du verlachst meine Gespräche und meine Beschäftigungen, die, wenn sie auch ein irdisches Ziel haben, doch nie der Zukunft ganz vergaßen, und du findest es albern, daß ich als Frau die Hülle nicht ablegen will, in der mich der Herr dereinst gesegnet hat. Das ist Unrecht, mein Freund, und trübt unser Glück, vor Allem das deines Vaters. Versprich mir, dies ändern zu wollen, und gelobe es bei dem Haupte deines greisen, jetzt eben von dir beleidigten Vaters.

Erdmuthe sprach mild und doch so ernst, daß jedes ihrer Worte wie ein Befehl klang. Ihr gewöhnlich sehr bleiches Gesicht überglänzte eine feine, durchsichtige Röthe. Fürchtegott erstarb das Wort auf den Lippen. Er stand verwirrt, unschlüssig neben ihr.

Folge meinem Beispiele, werther Freund, sagte Erdmuthe in demselben ernst-milden Tone des Befehlens. Wir demüthigen uns nicht, wir ehren uns nur, wenn Vater Ammer ohne unsere Bitte seine Hand auf unsere Häupter legt und spricht: Gehet hin in Frieden!

Wie es geschah und wie es geschehen konnte, wußte Fürchtegott selbst nicht, aber er sah sich plötzlich neben Erdmuthe niedergebeugt, die zitternde Hand des Vaters berührte seine Stirn und das Gelöbniß war, wenn auch nicht in Worten, gethan.

Ich danke dir, Freund meiner Seele, sagte jetzt Erdmuthe mit jenem wunderbaren Zauber ihres Wesens, der Alle entzückte und ihr zu dienen und zu huldigen nöthigte, und indem sie liebreich lächelnd den so ganz anders gearteten Gatten in ihre Arme schloß, sank Fürchtegott überwunden an ihr Herz. Ohne Aufforderung reichte er jetzt dem Vater die Hand, und wenn er auch nicht sprach, so lag doch in seinen Blicken das Geständniß einer Bitte.

Ich will nach deinen Worten handeln, lieber Vater, sprach er nach einer Weile, so schwer es auch sein mag, Welt und Herz dauernd mit einander zu versöhnen.

Aehnliche Scenen waren schon einige Male vorgekommen, seit Ammer auf Weltenburg lebte. Bisweilen hatte es den Anschein, als würden sie durch das ganz eigenthümliche Wesen und Walten Erdmuthe's veranlaßt. Hätte die Welt ahnen können, was in den Räumen des alten Schlosses vorging, so würde sich bald das Gerücht überall hin verbreitet haben, der junge Ammer lebe in einer höchst unglücklichen Ehe. Wahrhaft glücklich konnte man den zwischen Fürchtegott und Erdmuthe geschlossenen Bund in der That nicht nennen, und dennoch liebten Beide einander mit einer leidenschaftlichen Innigkeit. Die äußern Verhältnisse einerseits, die Verschiedenartigkeit der Charaktere Beider andererseits ließen es aber nicht zu, diese leidenschaftliche Liebe vor Andern zu bekennen. Fürchtegott war zu stolz, um sich vor den Augen der Welt eine Blöße zu geben; auch kam es ihm nicht in den Sinn zu bitten, wo er befehlen zu dürfen glaubte, hätte er nur im Voraus wissen können, ob ein Befehl von Wirkung sein werde. Erdmuthe dagegen trug die felsenfeste Ueberzeugung in sich, es müsse ein Tag, eine Stunde, ein Augenblick im Leben ihres Gatten sich einstellen, der ihn von selbst zur Umkehr zwingen und ihr ganz zu eigen geben werde. Wie dies zu bewerkstelligen sein möchte, darüber sann die ehemalige Missionärin zwar häufig nach, es fiel ihr jedoch nicht ein, selbst unmittelbar darauf hinzuwirken, da sie ihrer religiösen Ueberzeugung nach die Umkehr Fürchtegott's der Gnade Gottes anheim geben zu müssen glaubte.

Das junge Ehepaar blieb kinderlos und dies mochte mit zu der Verstimmung beitragen, die man häufig an Fürchtegott wahrnehmen konnte. Sein Benehmen gegen Erdmuthe, die schon am Tage nach der Vermählung in ihrer gewohnten einfachen Kleidung wieder erschien, und durch alles Bitten des Gatten nicht zur Ablegung des Schwesterhäubchens zu bewegen war, blieb fast immer kühl, nicht selten etwas ironisch. Den spöttisch-ironischen Ton schlug Fürchtegott am leichtesten an, wenn er seine Frau als Vorleserin und gewissermaßen Lehrerin seines Vaters traf. Ueberhaupt mußte er sich darin finden, Erdmuthe in den schmucklosen Räumen aufzusuchen, die der alte Ammer nach ihrem Wunsche für sie auf seine eigenen Kosten hatte einrichten lassen. Weiße Wände ohne Spiegel und ein Meublement, an dem keine Spur von Zierrath oder gefälligem Schmuck zu entdecken war, zeichneten den Aufenthalt Erdmuthe's aus. Hier lebte sie, wenn sie allein sein wollte. Von den allerdings mit unnützer Pracht ausgestatteten Zimmern ihres Gatten, der ein fast krankhaftes Wohlgefallen an Glanz und Schimmer fand, hielt sie sich fern. Sie würde selbst die Wohnung ihrer Schwiegereltern noch zu reich und verschwenderisch gefunden haben, wäre Ammer in Folge seines Unfalles nicht der sorgsamsten Pflege und größerer Bequemlichkeit bedürftig gewesen.

Die Vorliebe Erdmuthe's für alles Prunklose, ja im gewissen Sinne für das Aermliche, und das hartnäckige Wohlgefallen Fürchtegott's an Glanz und Pracht ließen sich unmöglich vereinigen. Dieser mochte aus männlichem Trotz nicht nachgeben, und bei Erdmuthe war es eine Art religiöser Scheu, eine heilige Keuschheit des Gemüthes, die sie abhielt, Theil zu nehmen an der Verschwendung ihres Gatten. So geschah es, daß Beide sich immer nur in den Zimmern der Eltern trafen, ausgenommen, wenn sie bisweilen einen gemeinschaftlichen Spaziergang im Park machten oder zusammen ausfuhren. Auch dann waren sie nur selten allein, sondern entweder von Christlieb oder Walter begleitet, der als Hausarzt und Freund ebenfalls einige Zimmer auf Weltenburg bewohnte und Allen unentbehrlich geworden war. Hatte Erdmuthe ihrem Gatten eine Mittheilung zu machen, die zu Erörterungen und Auseinandersetzungen Veranlassung geben konnte, so erwählte sie Walter zur Mittelsperson, und umgekehrt gab Fürchtegott seine Willensmeinung ebenfalls durch den Mund seines Freundes kund, wenn er bei etwaiger Gegenrede Erdmuthe's heftig zu werden besorgen mußte.

So hatte sich zwischen dem jungen Ehepaar eine Etikette gebildet, die kaum in hochfürstlichen Häusern strenger gehandhabt werden konnte. Und dennoch würde man ihnen Unrecht gethan haben, hätte man behaupten wollen, Fürchtegott und Erdmuthe liebten einander nicht, sie fühlten sich in ihrer gegenseitigen Gebundenheit, in der schroffen Verschiedenheit ihrer Naturen unglücklich. Es war nichts als ein Kampf geheim gehaltener oder in strenge Formen eingeengter Liebe und diese Liebe wird für Beide erst dann eine beseligende, das Leben verklärende werden, wenn Einer oder der Andere den starrsinnigen Gegner vollständig besiegt.


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