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Zweites Kapitel. Dunkle Aussichten.

Nach diesem Rückblick in die Vergangenheit wenden wir uns der Gegenwart wieder zu, und treten zuerst mit dem Gebirgsmanne in das Comptoir der Gebrüder Ammer. Hier finden wir in einem besonders abgegrenzten Zimmer Christlieb allein. Der noch junge Mann hat sichtlich gealtert. Seine Züge sind fahl und hart, die tiefliegenden Augen fliegen stets scheu von einem Gegenstände zum andern und fallen durch ihren Mangel an Glanz seltsam auf. Man sieht es dem reichen Mann an, daß er seit Jahren Tag und Nacht rastlos gearbeitet haben muß, daß aber alle Arbeit die Sorge nicht von seinem Lager, nicht hinter seinem Schreibstuhle zu vertreiben vermocht hat.

Christlieb sieht Rechnungen durch und bemerkt sich den Gesammtbetrag derselben auf einem Zettel mit Rothstift. Ein leises Klopfen stört ihn in seiner Beschäftigung. Er fährt unmerklich zusammen, wie stark nervöse Menschen bei jedem Geräusch zu thun pflegen, dann ruft er Herein! Die Thür öffnet sich und der Mann aus dem schlesischen Gebirge, jetzt ohne seinen Packen, tritt in's Comptoir.

Bitte um Entschuldigung, Herr Ammer, wenn ich störe, sprach respectvoll der Gebirgsmann. Ich habe dreimal geklopft und war schon Willens umzukehren, als ich des Herrn Stimme hörte.

Ach, Ihr seid es, Bolder, sagte Christlieb etwas zerstreut. Habt Ihr ein Anliegen?

Ich bringe Garn, Herr, das feinste aus dem ganzen Gebirge im Umkreise von zehn Meilen. Ich glaube, es wird des Herrn Billigung finden.

Ist's viel?

O nein, ein paar Schocke.

Was soll's kosten?

Ich lass' es dem Herrn noch zum alten Preise, obwohl ich es eigentlich nicht kann.

Dann behaltet's für Euch; ich habe Garn mehr, als ich brauche.

Ich verlange ja nicht mehr, sagte Bolder so bescheiden und freundlich, als verstecke sich hinter seinen Worten eine Bitte. Darf ich's hereinbringen?

Meinetwegen, sagte verdrießlich Christlieb, sich abermals über seine Rechnungen beugend. Ich habe nicht viel Zeit, macht also rasch.

Bolder eilte hinaus und kam sogleich mit einem Bündel des feinsten Garnes, das einen nicht unangenehmen, reinen Flachsgeruch verbreitete, zurück. Christlieb warf nur von der Seite einen Blick darauf und befühlte es mit prüfendem Finger.

Nicht wahr, Herr, das ist noch ein Gespinnst, worüber man sich freuen kann?

Hab's schon besser und auch feiner gehabt, erwiderte Christlieb kühl, ergriff die Feder, schrieb eine Zahl auf Papier, setzte seinen Namen darunter und gab es dem Garnsammler.

Hier, sprach er, laßt Euch den Betrag vom Cassirer auszahlen. Einer Quittung bedarf's nicht, denn Ihr könnt ja doch nicht schreiben.

Bolder nahm den Zettel und betrachtete die Zahl.

Das ist zu wenig, Herr, sagte er betrübt.

Mir ist's beinahe schon zu viel, ich geb' nicht mehr. Bedenkt, was ich für Risiko dabei habe! Der Handel geht nicht mehr wie sonst. Seit sie die Schnellbleiche erfunden, ist mit reellen Waaren nichts mehr zu verdienen. Ich muß zusetzen alle Jahre, und wenn ich Unglück habe mit dem Versenden, wenn wohl gar eins meiner Schiffe zu Grunde geht oder leck wird und mit halb verdorbener Ladung in der neuen Welt ankommt, muß ich bei richtig befundener Verklarung den Schaden allein tragen. Ich sag' Euch, Bolder, greift zu! Wenn Ihr wieder kommt, geb' ich nicht mehr so viel.

Sie kennen meine Verhältnisse, Herr Ammer

O ja, aber Ihr kennt die meinigen nicht, Bolder. Glaubt meinem Worte, Ihr würdet mit mir nicht tauschen, obschon ich Herr auf Weltenburg bin.

Das mag wohl sein, dennoch bitt' ich –

Geht, Bolder, wenn wir Freunde bleiben sollen. Ich gebe, was ich aufgeschrieben habe, keinen Deut mehr!

Bolder seufzte und verließ das Comptoir. Christlieb sah ihm von der Seite nach und als er den Gang hinabgeschritten war, griff er hastig nach dem Bund Garn, löste die Schnur, welche es zusammenhielt, und betrachtete die seidenweichen, untadeligen Fäden mit sichtbarem Wohlgefallen.

Diesmal, sagte er lächelnd, diesmal werde ich meinem ewig unzufriedenen Bruder doch wohl zu Dank gekauft haben. Der Himmel weiß es, ich thue es ungern. Bolder braucht es wirklich. Er ist der beste Sammler im Gebirge und macht ihn uns ein Anderer abspänstig, so würden wir Mühe genug haben, den Verlust zu ersetzen. Aber was soll man thun? Jeder ist sich doch selbst der Nächste, und je billiger der Einkauf, desto sicherer der Verdienst. Wenn er nur nicht etwa wieder hereinkäme, um sich über das Geld zu beschweren. Ich wäre am Ende schwach genug, ihm das Agio nachzuzahlen, nur um nicht in sein unglückliches Gesicht sehen zu müssen, das mir dann regelmäßig viele Nächte hintereinander im Traume erscheint.

Bolder kam jedoch nicht. Christlieb sah ihn bald darauf nachdenklich zwischen den Spinnereien nach dem zu Thal führenden Wege gehen.

Etwas später trat Fürchtegott sehr erhitzt in's Cabinet.

Was hast du? fragte Christlieb den Bruder. Du bist doch in dieser Hitze nicht ausgeritten?

Wohl, erwiderte dieser. Das ewige Sitzen, Rechnen und Schreiben verdickt das Blut. Ich kann es nicht aushalten. Ein recht toller Ritt, womöglich immer im Galopp, erhitzt mich zwar, stimmt mich aber auch wieder heiter.

Wo warst du?

Bei der Försterei. Im Walde war es köstlich; hätte ein Luftzug die Bäume bewegt, man würde am liebsten ganz dort geblieben sein. Die Jäger haben, genau betrachtet, doch ein weit naturgemäßeres Leben, als wir Handelsleute. Hast du gekauft?

Ja.

Billig?

Sehr billig.

Es ist auch nöthig; unsere Verluste sind zu bedeutend gewesen in den letzten Jahren, und wenn wir auch ferner vor neuen verschont bleiben, haben wir doch alle Ursache, sparsam zu sein.

Im letzten Jahre konnten wir doch nicht klagen.

Gewiß nicht, allein ich lebe ewig in Furcht. Die Briefe Beinheim's klingen so wunderlich, und Wimmer schreibt gar nicht mehr.

Beide werden alt, sagte Christlieb, und Beide haben von jeher ihren Jargon gehabt. Das kennst du ja schon!

Das ist's nicht allein, erwiderte Fürchtegott. Ich fürchte eine veränderte Handelsrichtung. Kann man sich ihrer bemächtigen, während sie im Entstehen begriffen ist, so würde der Unterschied von wenig Belang sein, überrascht sie uns aber und erhalten wir erst sichere Kunde, wenn sie bereits fertig ist, so dürften wir schwer darunter leiden.

Unsere Producte müssen immer gehen, erwiderte Christlieb zuversichtlich. Die Façon und mancherlei Anderes mag der Mode unterworfen sein, den Stoff selbst kann die Welt nicht entbehren. Und wir sind ja biegsam, machen es den Andern theils nach, theils thun wir es ihnen zuvor.

Du bist wie der Vater, sagte Fürchtegott, der wird auch noch beim letzten Athemzuge behaupten, seine Art, Handel zu treiben, sei die beste gewesen.

In gewissem Sinne hat er auch Recht. Sie war immer sicher und darum gut. Unsere balancirt auf der scharfen Schneide der Willkür unserer Abnehmer.

Fürchtegott antwortete nicht, sondern las die für ihn bereit liegenden Briefe. Als er damit fertig war, fragte er den Bruder:

Ist sonst etwas vorgekommen?

Mir ist nichts bekannt.

Dann will ich zum Vater gehen. Er hat mich zu sprechen gewünscht, und bisweilen muß man ihm doch zu Gefallen leben. Kommst du bald nach?

Sobald ich mit dem Rechnungsauszuge fertig bin.

Nun denn, auf Wiedersehen!

Fürchtegott verließ das Comptoir, ging jedoch nicht zum Vater. Er ward schon seit Wochen von innerer Unruhe gepeinigt, die ihn nirgend lange rasten ließ. Seiner Umgebung konnte diese auffallende Verwandlung nicht gänzlich verborgen bleiben, obwohl der junge Mann einige Fortschritte in der Kunst der Verstellung gemacht hatte und sein Gesicht selten ein klarer Spiegel seines Innern war. Was ihn in diese Unruhe versetzte, wußte Niemand, selbst Christlieb erhielt auf seine dahin zielenden Fragen keine bestimmte Antwort. Da inzwischen in geschäftlicher Hinsicht weder Stockungen vorkamen noch beunruhigende Nachrichten eingingen, nahm Christlieb an, der Bruder möge körperlich leidend sein. In dieser Ansicht bestärkten ihn die häufigen weiten Touren, welche Fürchtegott zu Pferde machte, und von denen er, wenn auch nicht immer heiter, doch jederzeit gesprächig zurückkehrte. Ueberdies war er ein ebenso kühner als leidenschaftlicher Reiter geworden, so daß er für ein tadelloses Roß bereitwillig eine bedeutende Summe ausgab, auch wohl selbst dem Geschäft sich einige Tage entziehen konnte, wenn irgendwo ein Wettrennen veranstaltet ward oder eine renommirte Kunstreitergesellschaft ihre anziehenden Vorstellungen eröffnete. Dreimal schon war er, um sich diesen Genuß zu verschaffen, in der Residenz gewesen und jedesmal gleichsam neu aufgelebt zurückgekommen.

Obwohl der jüngere Ammer nicht weniger mit Sorgen zu kämpfen hatte, war er doch bei Weitem nicht so stark gealtert, als Christlieb. Dies mochte in seiner Lebensweise liegen, die zu manchen aristokratischen Gewohnheiten hinneigte. Außer seinen häufigen Spazierritten spielte er Billard und ging oft mit auf die Jagd. Nur zum Tanzen wollte sich keine Gelegenheit zeigen. Christlieb dagegen enthielt sich aller derartigen Vergnügungen, da er keinen Gefallen daran zu finden vorgab. Verließ er Abends das Comptoir, so machte er regelmäßig einen Spaziergang in's Thal, durchwanderte den Schloßgarten, Park genannt, und bestieg dann den Thurm, in dessen oberstem Theile er sich ein kleines Gemach hatte einrichten lassen. Dort blieb er oft bis tief in die Nacht hinein sitzen, um ungestört lesen zu können.

Wir überlassen beide Brüder sich selbst und betreten jetzt den alten Schloßbau. Hier lagen in dem geräumigen ersten Stock drei in einandergehende Zimmer. Das größte derselben, einen Vorsprung in der Mauer bildend, war jenes schon früher beschriebene mit dem alterthümlichen Kamine. Statt der Tapeten bedeckten die Wände alte Landschaftsgemälde, die noch immer recht gut erhalten waren, obwohl sie das Gemach verdüsterten.

An einem der großen, hohen Bogenfenster, das dunkler Epheu umrankte und unter dessen oberstem Sandsteinbogen ein Schwalbennest hing, stand ein Rollstuhl. In den weichen Polstern desselben saß der alte Ammer. Er trug noch immer sein volles, weißes Haupthaar, durch den halbmondförmigen Kamm zurückgestrichen in den Nacken. Ueber die schwarzsammetnen Beinkleider waren dicke, weißwollene Strümpfe weit über das Knie heraufgezogen, und die leidenden Füße steckten in weichen, bequemen Pelzstiefeln.

Der früher so fleißige Weber hielt einen Krückenstock in der Linken, hatte den lahmen rechten Arm auf das weiche Fensterpolster gelehnt, und sah bald hinaus in die sonnige Landschaft, bald lächelte er freundlich der jugendlichen Frau zu, die auf niedrigem Sessel neben ihm saß und ihm vorlas.

Diese Frau war sehr sauber, aber einfach gekleidet, und wäre gewiß durch ihr Aeußeres nicht aufgefallen, hätte sie nicht die herrnhutische Schwesterhaube getragen. Wir erkennen in dieser Gesellschafterin des verunglückten Webermeisters seine jugendliche Schwiegertochter Erdmuthe.

Du bist müde, Papa, sprach sie, das Buch, aus dem sie vorgelesen, weglegend. Es ist auch auffallend schwül heut; du mußt ein wenig Mittagruhe halten. Lege nur das müde Haupt zurück in den Sessel. Ich wehre dir die Fliegen ab, Väterchen, und damit du nicht gestört wirst, gebe ich zuvor Befehl, Niemand zu dir zu lassen, nicht einmal die Mutter.

Ammer wendete sein Gesicht Erdmuthe zu, reichte ihr die Hand und sagte:

Wo du bist, da ist der Frieden. Deine Einrichtungen und Vorkehrungen sind immer gut.

Rasch eilte Erdmuthe durch das ungemein wohnliche Gemach und wollte eben die dunkle, hohe, schwere Eichenthür öffnen, als sie klopfen hörte. Sie trat ein paar Schritte zurück und lauschte.

Klopfte nicht Jemand? fragte der Greis, wieder in die Landschaft hinausblickend. Hindere ihn nicht einzutreten, meine Tochter; mein Schlaf kommt immer zurecht, denn du weißt ja, ich gehöre jetzt zu den ächten, richtigen Freiherrn.

Ammer lächelte gutmüthig. Indem klopfte es zum zweiten Male und auf das sofortige laute Herein! des gebrechlichen Alten trat der barmherzige Bruder in das Gemach.

Erdmuthe erkannte sogleich den katholischen Geistlichen in dem Fremden, und indem sie sich gemessen vor ihm verbeugte, forderte sie ihn durch eine Handbewegung auf näher zu treten, indem sie sprach:

Belieben Ew. Hochwürden Platz zu nehmen?

Der barmherzige Bruder erwiederte die Verbeugung der jungen Frau, indem er sagte:

Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, daß ich es wage, so ganz ohne vorangegangene Anmeldung hier einzutreten. Man sagte mir, Herr Ammer, der ehemalige Weber in**, lebe jetzt hier, und da unsere Brüderschaft diesem vortrefflichen Manne vielen Dank schuldig ist, konnte ich unmöglich hier vorübergehen, ohne den würdigen Wohlthäter zahlreicher Menschen von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen und mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Ich glaubte hier oben, wohin ein Dienstbote mich wies, irgend Jemand zu finden, bei dem ich nähere Erkundigungen würde einziehen können, und nun

Ja, mein Herr Pater oder Caplan, unterbrach ihn jetzt Ammer, sichtlich erheitert, da hätten Sie lange warten müssen. Schloß Weltenburg ist freilich mein Eigenthum, oder vielmehr, die paar Steine, welche die Wände der von mir bewohnten Zimmer bilden, gehören mir, aber an die vornehmen Manieren und Sitten kann ich alter Knabe, der Zeit seines Lebens immer nur mit gemeinen Leuten verkehrt hat, mich nicht gewöhnen. Ich besitze, obwohl ich ein ganz erbärmlicher Krüppel bin, weder Bediente noch Kammerdiener. Mein Krückenstock da ist mein Führer, mein Rollstuhl die Equipage, in der ich aus einem Zimmer in's andere kutschiere, und hier meine kleine Heilige behütet ihren alten Schwiegervater besser, als die Erzengel die hochseligen Märtyrer. Also nur näher heran, und seien Sie mir recht von Herzen willkommen.

Der geistliche Herr nahm dem alten Weber gegenüber Platz. Zu meinem großen Bedauern muß ich hören und sehen, sprach er, daß auch Sie den Prüfungen, welche Jedem bevorstehen, nicht entgangen sind. Ich hoffe aber, daß Ihre Seele nicht darunter leidet. Ihr freies, klares Auge wenigstens deutet auf ein heiteres Gemüth.

Gott sei Dank, versetzte Ammer, dem der Besuch des barmherzigen Bruders gar nicht unerwünscht kam, weil er sich von jeher mit diesen trefflich unterrichteten Herren gern unterhalten hatte; jetzt, nun ich das Schlimmste, ich meine den Anfang des Nichtsthuns überwunden habe, jetzt beginne ich die Welt und Alles, was geschieht, mit ganz andern Augen zu betrachten. Früher war ich der Meinung, das allzuviele Nachdenken ohne sichtbaren Zweck sei vom Uebel, davon bin ich itzund zurückgekommen. Ich denke eigentlich jederzeit ohne bestimmten Zweck nach, und wenn ich Methusalem's Alter erreichen sollte, glaube ich, würde noch eine Art Philosoph aus mir.

Die Sonne schien jetzt hell in's Zimmer und ihr heißer Strahl fiel auf das Antlitz des Greises. Ammer ergriff deßhalb seinen Krückenstock und schob sich mit Hilfe desselben in seinem Rollstuhl etwas mehr vom Fenster zurück.

Was gibt es Neues im Königreiche? fragte er.

Der Geistliche lächelte fast ironisch. Wenn Sie mein Geburtsland damit meinen, Herr Ammer, erwiderte er, so bin ich freilich nicht der Mann, welcher Ihnen viel erzählen kann von dem, was dort Neues geschieht. Hier draußen über den Bergen aber, wie wir drinnen wohl manchmal sagen, hier scheint sich mehr geändert zu haben, als bei uns. Ich hörte unterwegs davon sprechen.

Ammer ward aufmerksam. Was könnte das sein? fragte er.

Es schlägt recht eigentlich in Ihr Fach; aber freilich, da Sie selbst schon seit längerer Zeit sich von Geschäften zurückgezogen haben, wird Ihnen auch Manches entgangen sein.

Nun, da wäre ich wirklich begierig, ein wenig von Ihnen zu erfahren.

Ammer kehrte sich um und gab Erdmuthe durch einen Augenwink zu verstehen, daß er mit dem barmherzigen Bruder allein zu sein wünsche.

Erdmuthe verließ stillschweigend das Zimmer.

Wer war diese zarte, wie es scheint, innerlich leidende Frau? fragte der geistliche Herr.

Ammer holte tief Athem. Meine Schwiegertochter, versetzte er seufzend, ein Gemüth voll wahrer unerschöpflicher Christenliebe, ein Herz, rein und treu wie Gold, und eine edle, jeder Aufopferung fähige Gattin.

Ich wußte nicht, daß die Herren auf Weltenburg

Zu den Herrnhutern gehören, wollen Sie sagen? fiel ihm Ammer in's Wort. Nein, das konnten Sie nicht wissen, weil bisher noch kein Ammer der Brüdergemeinde sich angeschlossen hat. Ich weiß auch nicht, ob es jemals geschehen wird; wenn aber die Brüder viele solcher Mitglieder zu den ihrigen zählen, wie diese meine Schwiegertochter, so möchte ich wohl wünschen, daß alle Menschen Herrnhuter würden. Wir kennen keine Heilige in unserer protestantischen Kirche, Herr Pater, dennoch will es mir manchmal vorkommen, als sei dies ein Mangel unseres Bekenntnisses; denn Menschen mit solchen Gesinnungen, wie die Frau da, die uns eben verlassen hat, nimmt's mit dem heiligen Nepomuck und, wenn's sein muß, glaub' ich, auch mit dem heiligen Antonius auf, von denen uns doch die Legenden erzählen, daß sie rechte Kerle gewesen sind.

Ammer sprach diese Worte mit Feuer, fast mit Begeisterung, und der sammelnde Bruder war zu sehr gebildeter Priester, als daß er dem lahmen, wohlwollenden Greise zu widersprechen Miene gemacht hätte.

Ich freue mich aufrichtig, Sie in so guter Gesellschaft zu sehen, sagte er mit freundlicher Theilnahme.

Danke, danke, erwiderte ungeduldig Ammer, und nun, mein Hochwürdiger, was können Sie mir von Veränderungen mittheilen, die hier bei uns vorgegangen sein sollen?

Der barmherzige Bruder erzählte, was er aus den Mittheilungen des Garnsammlers erfahren hatte und knüpfte daran noch einige moralisirende Bemerkungen.

Ammer ward darüber sehr nachdenklich. Hochwürden haben mir da wirklich etwas zugeflüstert, wovon ich noch von Niemand ein Wort vernommen bis heute, sprach er. Es ist mir lieb, so wenig mein Herz sich deßhalb in Freude regt. Bin ich auch alt und hinfällig und kann diesen Stuhl nicht mehr verlassen ohne Anderer Hilfe, so denke ich doch, ein Wort von mir, zu rechter Zeit gesprochen, soll nicht allerwärts ungehört verhallen.

Sie sind beunruhigt, Herr Ammer, sagte der sammelnde Bruder, verzeihen Sie mir, wenn ohne mein Wissen und Willen ein Theil der Schuld auf mich zurückfällt.

Was Schuld, Herr Pater, Dank hab' ich Ihnen zu sagen. Ein Unkraut, das eben keimt, läßt sich entfernen, das schon in Blüthe und Frucht geschossene streut weithin den Samen des Unheils und ist nicht mehr auszurotten. Führt Sie vielleicht Ihr Weg nach der Stadt?

Ich hoffe, schon morgen daselbst einzutreffen.

Dann möchte ich mir von Ihnen eine Gefälligkeit erbitten.

Ich bin gern zu jedem Dienst bereit, Herr Ammer. Dienen ist Christenpflicht; Gehorsam und Dienstwilligkeit sind heilige Vorschriften unseres Ordens.

Es lebt mir in der Stadt ein Freund, sagte Ammer, ein geradsinniger Mann, etwas schroff im Auftreten, zackig und abstoßend von Außen, aber im Inneren lauteres Gold. Der Mann heißt Mirus und ist Kaufmann. Sie können ihn leicht finden. Er wohnt am Markt. Wollten Sie ihn mündlich von mir grüßen und hinzufügen, es wäre mein Wunsch, den Herrn zu sprechen, sobald seine Zeit es erlaubte, so wird diesen Liebesdienst unser Schöpfer und Herr Ihnen dereinst hoch anrechnen.

Verlassen Sie sich auf mein Wort. Hier meine Hand, Herr Ammer.

Der greise Mann schüttelte die Hand des katholischen Priesters, ihm mit einem warmen Blicke dankend. Zugleich stieß er wiederholt mit seinem Stocke gegen die Diele. Erdmuthe trat ein. Auf einen stummen Wink des Greises kam sie näher, drückte dem sammelnden Bruder ein versiegeltes Papier in die Hand und sprach:

Möge es Vielen zum Segen und zur Erquickung gereichen, Hochwürden!

Der Priester dankte durch eine stumme Verbeugung und empfahl sich.


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