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Fünftes Kapitel. Eine Versöhnung.

Eine allgemeine Trauer ging durch die Provinz, als sich die Kunde von dem Ableben Ammer's verbreitete. Mit ihm war ein Mann gestorben, der ungeachtet des herben Mißgeschickes der letzten Jahre die Handelsthätigkeit und besonders die Industrie verschiedener Zweige auf eine früher nie gekannte Höhe gehoben hatte. Wohin man hörte auf den großen, volkreichen Dörfern, deren Einwohner sich fast ausschließlich von der Weberei ernähren, überall ward der Name Ammer als derjenige genannt, der Leben und Regsamkeit in das Geschäft gebracht, in dessen Schule sich gewissermaßen viele hundert dankbare Schüler gebildet hatten, die, Manche als selbstständige Fabrikanten, in seinem Sinne und Geiste fortwirkten und dadurch wieder andere Hunderte der von Ammer ausgegangenen Thätigkeit zuführten. Man durfte sich daher nicht wundern, daß sein Tod Viele tief erschütterte. Dieser starre, aber bemittelte und in seinem Thun consequente Weber hatte thatsächlich mehr genützt, als mancher sogenannte große Mann, der mit Ordenssternen, die er nur seiner zufälligen Stellung, nicht seinen Verdiensten zu verdanken hat, in der Welt herumläuft. Daß es seiner Charakterfestigkeit und zuverlässigen Freunden gelungen war, noch gerade zur rechten Zeit die zu weit gegangenen Söhne vom Abgrunde zurückzureißen, machte nicht bloß außerordentliches Aufsehen, es dankten ihm dafür auch Tausende, denn der wirkliche Untergang der Ammer würde Zahllose, ja ganze Ortschaften in's Elend, viele Familienväter in Verzweiflung und Tod gestürzt haben.

Der Sitte gemäß wartete man volle sieben Tage, ehe man den Verstorbenen beerdigte; eine Sitte, von der nur in höchst dringenden Fällen oder in Folge eines von der Behörde eingegangenen Befehles abgewichen ward. Der strenge Frost erlaubte dieses Hinzögern.

In dieser langen Zeit wurden alle Vorkehrungen zu einem höchst glänzenden Begräbnisse getroffen. Mehr als vierhundert Personen erhielten specielle Einladungen zu dieser ernsten Feierlichkeit. Wer sonst einem Verstorbenen aus besonderer Anhänglichkeit, Achtung oder sonstigen Gründen »das letzte Geleite«, wie man zu sagen pflegt, geben will, bleibt dies unbenommen. Es wird Niemand daran verhindert, Niemand zurückgewiesen. Daher kommt es vor, daß bei Beerdigungen von Persönlichkeiten, die sich einer seltenen Popularität erfreuten, »Grabegänger« viele Stunden weit herkommen. Man kennt sogar Einzelne, welche eine Art Geschäft aus diesen Grabegängen machen, und zu diesem Behufe fast immer, aus einer eigenthümlichen Leidenschaft, Beerdigungen beizuwohnen, unterwegs sind.

Ob auch bei Ammer's Beisetzung solche Grabegänger aus Liebhaberei sich eingefunden, ist uns nicht bekannt geworden, gewiß aber ist, daß Keiner von denen, die auch nur entfernt einmal mit dem Abgeschiedenen in Verbindung gekommen waren, die mittelbar oder unmittelbar von ihm oder später von den Söhnen abhingen, bei dem Begräbnisse fehlte. Man schätzte die Zahl derer, welche dem Sarge Ammer's folgten als sogenannte »Leidtragende«, auf mehrere Tausende. Diese bildeten einen Leichenzug, wie man seit Menschengedenken keinen ähnlichen gesehen hatte. Auch Abgeordnete der Brüdergemeinde bemerkte man, unter diesen den Grafen Alban, der schon zwei Tage vor dem Begräbnisse angelangt war.

Die große Aufregung, welche dieser Todesfall weit und breit hervorbrachte und die ganz besonders die Hinterlassenen des Webers in den ersten Tagen zu gar keiner Ruhe kommen ließ, hatte die Auffindung des Briefes verhindert, welchen am Sterbtage der barmherzige Bruder in der Wohnung Seltner's zurückgelassen. Flora fiel derselbe zuerst in die Hände; da er nun aber an den Vater adressirt war und der unersetzliche Verlust, den sie erlitten, ihr ganzes Wesen durchschütterte, glaubte sie nichts Unerlaubtes zu thun, wenn sie das Schreiben unerbrochen bis nach der Beerdigung zurücklegte. Sie dachte auch wirklich nicht früher daran, als nach der Rückkehr von dem ziemlich fern gelegenen Kirchhofe, wo sich die Mitglieder der Familie und die vertrautesten Freunde des Verstorbenen bei Seltner wieder versammelten.

Jetzt überreichte Flora den Brief ihrem Gatten, der, weil die Adresse den Namen Ammer nannte, ihn seinen Schwägern einhändigte. Christlieb erbrach und las ihn. Er wechselte die Farbe. Alle umstanden ihn erwartungsvoll.

Das ist mehr als seltsam, sprach er nach kurzem Schweigen. Hört, was da zu lesen ist. Der Brief lautete:

»Im Namen eines Unglücklichen hält Schreiber dieses sich für verpflichtet, Herrn Ammer den Vater und dessen Söhnen die Anzeige zu machen, daß sie ein gutes Werk thun würden, wenn sie nicht zauderten, nach R*** zu eilen, um dort im Kloster der Barfüßer sich zu melden und weitere Aufschlüsse sich vom Bruder Guardian zu erbitten. Ein im Namen und zum Wohle aller Menschen, weß Glaubens dieselben immer sein mögen, sammelnder

barmherziger Bruder.«

Im ersten Augenblicke waren Alle über diese räthselhaft klingenden Worte dermaßen erstaunt, daß sie selbst den großen Verlust vergaßen, den sie gehabt. Niemand wußte sich den Zusammenhang zu erklären, Niemand zu sagen, welcher barmherzige Bruder sich zum Briefträger für einen Ungenannten bereitwillig aufgeworfen haben möge. Es durchwanderten mehrere dieser Priester die Gebirgsdörfer, keiner derselben war jedoch streng auf einen bestimmt abgegrenzten Bezirk angewiesen.

Endlich fiel es Seltner ein, daß am Sterbetage des Vaters einer dieser geistlichen Herren am Lager des Sterbenden gekniet und gebetet hatte. Flora, die doch eine Thorheit begangen zu haben fürchtete, gestand zögernd, sie habe den Brief gefunden und bei Seite gelegt, später aber wirklich gänzlich vergessen. Man sann und rieth hin und her, ohne zu einem Ziele zu kommen. Da sprach Graf Alban, welcher der Eröffnung des Briefes beiwohnte und den man ebenfalls mit dessen Inhalt bekannt machte:

Könnte dieser Unglückliche, von welchem hier die Rede ist, nicht ein Mann sein, den wir Alle sehr genau kennen? Wer, außer einem Einzigen, vorausgesetzt, daß er noch lebt, dürfte mit dem Verstorbenen dringend zu sprechen, oder seine Söhne zu sehen wünschen?

Wimmer! riefen zugleich die Brüder mit Flora und Erdmuthe.

O Gott, Wimmer! sagte Frau Anna, beide Hände über ihre durch häufige Thränen gerötheten Augen deckend.

Ich vermuthe, Sie sind auf rechter Fährte, fuhr Graf Alban fort. Es ist mir aufgefallen, daß man ungeachtet aller Nachforschungen gar nichts mehr von dem Verschollenen gehört hat. Man glaubte, er würde irgendwo wieder zum Vorschein kommen, da es ihm nicht an Anhängern fehlt, die wohl etwas für ihn thun könnten, wenn er in seiner eigenthümlich gewinnenden Weise Jemand zu bereden sich angelegen sein ließ. Martha, seine treue Haushälterin, hat ihn vermißt und redlich beweint. Sie ist vor Kurzem in's Schwesterhaus zurückgekehrt, da das kleine Besitzthum ihres bisherigen Brodherrn ebenfalls die Beute seiner Gläubiger ward. Meines Wissens ließen sich die Spuren des Geflüchteten bis nach Böhmen verfolgen. Auf der Glashütte, wo er eingesprochen war, verloren sie sich. Damals begann das große Schneetreiben. Die Wege wurden ungangbar, es kamen in jenem furchtbaren Wetter viele Menschen und Thiere um, Wimmer aber war verschwunden. Die Meisten von uns glaubten, auch ihn möge das böse Wetter auf einsamer Gebirgsstraße ereilt und irgendwo in eine versteckte Schlucht gestürzt haben.

Diese Worte machten einen tiefen und beunruhigenden Eindruck auf die Brüder. Beide waren unschlüssig, theils, weil man ja doch nicht wissen konnte, wer der Unglückliche sein möge, theils, weil sie, falls wirklich der schlimm geartete Herrnhuter damit gemeint war, einen Widerwillen fühlten, mit dem ihnen so feindselig gesinnten Manne nochmals zusammen zu treffen. Sie äußerten diese Meinung unverhohlen gegen den Grafen und zugleich schlug Fürchtegott vor, Jemand in das bezeichnete Kloster zu schicken, um vorerst Nachfrage zu halten. Es bliebe ihnen dann ja immer noch unbenommen, zu thun und zu lassen, was sie für gut fänden.

Wir dürfen wohl annehmen, entgegnete Graf Alban, daß hier ein gutes Werk Ihrer harrt. Diese barmherzigen Brüder sind ohne Ausnahme sehr wackere Christen. Wenn sie für Jemand bitten, muß er der Hilfe bedürftig sein. Nun aber liegen zwischen heut und jener Bitte schon acht volle Tage. Da drängt die Zeit. Wollen Sie also helfen, wollen Sie dem Rufe, der an Sie ergeht, Folge leisten, so dürfen Sie nicht zaudern, weder als Christen, noch als Menschen! Gewiß, meine Freunde, Sie handeln ganz im Sinne des edlen Mannes, dessen sterbliche Hülle wir heute zur Ruhe gebettet haben, wenn Sie thun, was der barmherzige Bruder von Ihnen begehrt. Sind Sie dazu gewillt und entschlossen, so bin ich gern erbötig, Ihr Begleiter zu sein, werden Sie aber durch gewichtige Gründe davon zurückgehalten, nun, dann will ich allein diesen Gang auf mich nehmen. Vielleicht komme ich noch früh genug, um einem Bekümmerten, einem tief Gebeugten, von Gewissensbissen Gefolterten die Stirn zu kühlen mit dem Weihwasser des ewigen Lebens!

Diese Entschiedenheit des Grafen machte die Brüder schnell andern Sinnes. Beide erklärten ihre Bereitwilligkeit, nach R*** aufzubrechen, um dem ihrer Harrenden, wer es auch sein möchte, den begehrten Trost zu bringen.

Laßt mich euch begleiten, sprach jetzt Erdmuthe. Schon früher war es mein Wunsch, mit dem Manne zu sprechen, der uns Allen so viel Leid zugefügt hat. Damals hieltet ihr mich zurück, weil Gott seine Schneewellen über die Erde rollte und der Athem des Sturmes auch einem Liebeswerke feindlich begegnen konnte. Heute schlafen die Elemente. Wir werden die alten Klostermauern des freundlichen Städtchens noch vor Abend erblicken, und, will's Gott, noch vor Nacht ein gutes Werk stiften.

Fürchtegott hatte zwar mancherlei Einwände gegen diese Begleitung Erdmuthe's, allein er war genöthigt, diesmal sich zu fügen. Erdmuthe's fester Wille fand einen sehr starken Hinterhalt an dem Grafen, der mit sanftem Lächeln zu Fürchtegott sagte:

Wehren Sie ihr nicht, junger Freund. Der Drang, Kranken Heilung zu bringen, ist stark in ihr entwickelt. Sie wird glücklich sein, wenn sie ihm folgen kann, und wer mag wissen, ob nicht gerade das Wort einer Frau da, wo die Mahnungen der Männer erfolglos bleiben, einen schönen Sieg erringt?

Schweigend, wenn auch ungern, ließ es Fürchtegott geschehen, daß Erdmuthe sich reisefertig machte. Als man den Wagen bestieg, den man der unsichern Wege halber im Gebirge ungeachtet des hohen Schnees dem Schlitten vorzog, sprach Christlieb zu seiner Mutter:

Sollten wir morgen noch nicht zurückkommen, so laßt Euch dies nicht kümmern. Ist er es, den wir finden, so scheiden wir nicht eher, als bis wir uns geeinigt haben. Das aber kann bei dem sonderbar versteckten Charakter eine geraume Zeit in Anspruch nehmen.

Nach Verlauf von zwei Stunden erblickten die Reisenden die Kirche des hoch gelegenen Städtchens. Auf den Kreuzen des Klosters, das vor demselben an einer Thalsenkung mit der Aussicht auf das nahe Gebirge lag, verloschen die letzten Funken der winterlichen Sonne. In dem einzigen Gasthofe am Marktplatze ließ man den Wagen stehen und begab sich sogleich nach dem Kloster.

Unterwegs dahin fiel es den Männern erst ein, indeß man möglicherweise Erdmuthe den Eintritt verwehren könne, da der Orden der Barfüßer eine strenge Observanz beobachtet und Frauen in die geheiligten Räume seiner Klöster niemals Zutritt gestattet. Erdmuthe jedoch hatte guten Muth.

Wenn sie erfahren, daß ich vor meiner zweiten Verheirathung Missionärin war, sprach sie, machen die guten Mönche gewiß eine Ausnahme. Wir Missionärinnen gehören ja gewissermaßen auch einem Orden an, und meiden wir auch nicht den Umgang mit Männern, so, denk' ich, kann man uns doch eines unheiligen Lebenswandels nicht bezichtigen. Ueberdies kommen wir ja auch nicht als Neugierige. Ich bin keineswegs begierig, die Zellen der armen Barfüßer zu besuchen oder ihren Andachtsübungen beizuwohnen, nur als barmherzige Schwester einem Leidenden die Hand zu reichen, war und ist noch jetzt mein Streben.

Graf Alban zog die Schelle der Klosterpforte, die grell forttönend in allen Theilen des ziemlich weitläufigen Gebäudes gehört werden mußte. Von der Kirche her scholl dumpfer Gesang, denn es war um die Zeit der ersten Abendhora. Nach Verlauf einiger Minuten erschien der Bruder Guardian, öffnete die innere Thür, welche den Eingang zum eigentlichen Kloster noch von der äußern, oben mit einem Holzgitter versehenen Pfortenthür trennte, und fragte, wer und zu welchem Zwecke man Eingang begehre?

Graf Alban erkundigte sich, ob vor Kurzem ein barmherziger Bruder aus Prag das Kloster besucht und ob in demselben ein Leidender Aufnahme gefunden habe?

Nennen sich der Herr vielleicht Ammer? fragte der Mönch.

Ich nicht, erwiderte der Graf, aber diese meine Begleiter gehören der Familie Ammer an.

Man bezeichnete mir das Haupt derselben als hinfälligen Greis, sagte der Guardian.

Dieses Haupt haben wir heute in kühle Erde gebettet.

O, dann treten Sie ein, sprach der Mönch, sichtlich ergriffen und schnell die Pforte öffnend. Er schien dabei gar nicht auf Erdmuthe zu achten, die auf Fürchtegott's Arm gestützt zugleich mit den Uebrigen in das Sprechzimmer trat.

Sie haben wohl die Gefälligkeit eine kurze Zeit zu verziehen, Verehrte, der Mann, welcher das Haupt der Ammer zu sprechen begehrte, ist seit der Abreise unseres geistlichen Bruders viel schwächer geworden und überhaupt ein seltsamer Charakter. Wer kann wissen, ob er nicht gerade jetzt mit bösen Geistern ringt und in diesem Zustande unfähig ist, Sie zu sprechen? Der Arme hat schwer zu leiden und schon dieser entsetzlichen Leiden willen ist ihm die Ruhe wohl zu gönnen. Die beiden dienenden Brüder, die Tag und Nacht an seinem Lager wachen, entsetzen sich nicht selten über die gotteslästerlichen Worte, die er, von Körper- und Seelenschmerzen gleich heftig gepeinigt, ausstößt.

Als sich unsere Freunde wieder allein sahen, sprach Fürchtegott:

Es ist Wimmer, unser beklagenswerter Gegner. Wie aber kommt er hieher, in's Kloster dieser Barfüßer?

Bald wird uns darüber Gewißheit werden, versetzte der Graf. Was dem Irrenden auch zugestoßen sein mag, es ist geschehen zu seiner Rettung.

Erdmuthe befiel eine seltsame Unruhe. Sie ging ungewöhnlich lebhaft im Sprechzimmer auf und nieder. Der Guardian kam zurück und lud die Fremden ein, ihm in's Krankenzimmer zu folgen.

Der unglückliche Mann ist still, sprach er. Er hatte nichts dagegen, die Gebrüder Ammer vor sich zu lassen, denn, sagte er, einmal begegne ich ihnen doch noch und es ist besser, daß ich sie jetzt wiedersehe, als vielleicht an einem Orte, wo man nicht einmal mehr Herr seiner Zunge ist. Was der arme Kranke damit sagen wollte, weiß ich nicht.

Der Guardian führte nun die späten Ankömmlinge über lange, hallende Corridore, an deren äußerstem Ende er eine Thür öffnete. Das Gemach war traurig genug. Kahle, schmucklose Wände, ein Fenster ohne Vorhänge, jetzt mit einem Laden verschlossen, zwei Schemel, ein kleiner schmaler Tisch von Fichtenholz und am Boden ein niedriges Lager aus einigen Matratzen bestehend. In der Mitte dieses wenig einladenden Zimmers hing von der Decke herab, eine irdene Lampe, deren Schein ein trübes Licht rund umher verbreitete.

Auf diesem Lager erblickten die Eintretenden die hagere Gestalt eines Mannes, dessen Arme bis zu den Ellenbogen mit dichten Hüllen umwickelt waren. Sein Scheitel war fast kahl, die Züge verzerrt und eingefallen. Alle erkannten sogleich den alten Herrnhuter, den ehemals so rüstigen Kaufmann Wimmer.

Seid ihr doch gekommen? redete dieser sie an, indem er einen vergeblichen Versuch machte, seinen Oberkörper aufzurichten. Nur immer heran, ich kann euch nichts mehr anhaben, denn es hat meinem Schöpfer gefallen, würde der Alte sagen, wenn er noch lebte und fromm thun könnte, mich zum Krüppel zu schlagen in seiner unergründlichen Weisheit.

Während Wimmer diese Worte mühsam und mit heiserer, kaum verständlicher Stimme herausstieß, hatten die dienenden Brüder ihn behutsam aufgerichtet, dennoch mochte auch diese sehr vorsichtige Bewegung ihm furchtbare Schmerzen verursachen, denn er schrie laut auf und sagte in scheltendem Tone:

Zerreißt mich doch nicht vor der Zeit mit euern Tatzen! Bin ich erst des Teufels Eigenthum, muß ich mir's gefallen lassen, ob er mich fein brüderlich behandeln oder wie einen Kerl tractiren wird, der sich ungern in seinem feuerfarbenen Reiche niederläßt.

Ein schauerliches Stöhnen unterbrach diesen höhnenden Redefluß des Gemarterten. Als er sich wieder etwas erholt hatte, richtete er seine tief eingesunkenen, funkelnden Augen erst auf den Grafen, dann auf die Brüder, und ließ sie endlich auf Erdmuthe ruhen. Dann lachte er, daß die Brüder zusammenschraken.

Ha, ha, ha, ha! Ihr habt richtig nicht getraut, daß ich euch packen und zerschmeißen würde, wie hohle Scherben! Darum mußte die Fromme mitkommen und ihr Brautführer, über die ich freilich keine Gewalt habe. Nun, es ist Alles gleich, und mir schon recht. Also der Alte, der mich so lästerlich verfluchte, ist abgefahren? Bon, wünsche glückliche Reise! Es freut mich, daß er drüben Quartier bestellen kann. Invaliden gehören zusammen und ich bin jetzt ebenfalls Invalide, wie euer Vater es war. Nur hat mich nicht die Flamme, sondern ihr Todfeind, das Eis, zum Krüppel gemacht. Ha, ha, ha, ha! da heißt's, der Teufel hole die Seinen in feuriger Gestalt! Es war eine recht niederträchtige und dumme Teufelei von ihm, daß er mir statt heißer Asche, kalten Schnee in die Augen warf, um wenigstens meine Knochen zu erhaschen. Denn ganzbeinig hätte er kein Zipfelchen meines Haares erwischt, der alberne, nach Seelen lüsterne Kerl.

Aus jedem Worte des Leidenden sprach eine ingrimmige Verzweiflung und die Furcht vor dem täglich, ja stündlich näher heranrückenden Tode.

Ihr Ammer, fuhr er fort, ihr habt immer Glück. Ihr macht's gerade wie die Katzen; wirft man euch kopfüber von der schwindelndsten Höhe hinunter in den Abgrund, der nur zwei Fuß breit ebenen Raum darbietet, so kommt ihr gewiß mit beiden Füßen gerade auf diese ebene Stelle, und schüttelt euch höchstens. Das Genick ist euch nicht zu brechen, weder im Guten noch im Schlimmen. Euer Glück hat mich besiegt, nicht eure Klugheit, noch die eurer Freunde und Anhänger. Hätte der Alte, der mir mit seinen plumpen Weberstiefeln die Hürde eintrat, in der ich mich niederlassen und Gutes thun wollte nach meines Herrn und Heilandes Willen, mir nicht so lästerlich viele Flüche nachgeschleudert, so daß mir von dem unnützen, wüsten Lärm Sehen und Hören verging auf Wochen: ich hätte mich nicht verirrt mit meinem stegekundigen Klepper in der wilden Sturmnacht, als mich euer Glück herausgebissen aus meinem stillen Hause.

Wimmer richtete seine geisterhaft funkelnden Augen fest auf die Brüder, ein dumpfes, pfeifendes Röcheln entrang sich der Brust, und indem er beide verhüllte Arme wimmernd vor Schmerz gegen sich erhob, sprach er weiter:

Da hat sich das Glück der Ammer angehängt, und unten an den Beinen lastet's mit Centnergewicht. Eures Vaters Fluch, der mich dämelig machte, überheulte zehnfach den Sturm der Novembernacht und schrie immer hinter mir drein und meinem Rößlein: hinunter, hinunter! Und da mußte ich wohl folgen und mich bücken. Der Schnee fiel dichter und immer dichter, die Eispfeile bohrten sich wie feine, spitze Schwefelflammen in meine Augen, daß ein rollender Feuerpfuhl in grellen rothen Flammen um, unter und über mir loderte, und von allen Seiten über mich hinstrudelte, bis er mir die Sehkraft vernichtet hatte und schwarze Nacht über mich kam. Drei Tage später erst kehrte mir die Besinnung zurück und das Licht der Augen. Ich sah sie wieder, die vermaledeite Welt, und mich selbst. Meinem Rößlein war der parteiische Herr Himmels und der Erde gnädig gewesen in jener Nacht; er hatte es erfrieren lassen im Schneesturme. Mir aber ließ er aus Gnade und Barmherzigkeit, und wie mir von früh bis Abends diese frommen Klosterbrüder jetzt vorsingen, zu meiner Seelenrettung nur Arme und Beine erfrieren, damit ich still liegen bliebe und mich nicht wehren könne, weder gegen die Wespen, die ihre giftigen Stacheln in mein Gehirn bohren, noch gegen die bittern und scharfen Worte rechtgläubiger Bekehrungseiferer! Ich dachte, der Tanz solle rascher zu Ende gehen, wenn ich den, der dies Unglück über mich gebracht, mit der für mich sehr schweren Bitte anginge, er solle den Fluch von mir nehmen. Aber da thut er mir, um nicht aus seiner Glücksrolle zu fallen, den malitiösen Tort an, noch vorher zu sterben. Dank's ihm der Teufel!

Erschöpft von Schmerz und der Anstrengung des Sprechens schloß Wimmer die Augen und sank röchelnd, das Haupt unruhig von einer Seite zur andern werfend, auf sein ärmliches Lager zurück. Ihrer Gewohnheit gemäß und wohl auch, um selbst ihren Muth beim Anblick dieses erschütternden Jammerbildes nicht zu verlieren, begannen die beiden dienenden Brüder lateinische Gebete herzusagen.

Unsere Freunde waren von tiefstem Mitleid ergriffen und wären gern zu jeglichem Opfer bereit gewesen, hätte ein solches dem Unglücklichen überhaupt Linderung seiner qualvollen Leiden bringen können.

Während Erdmuthe, auf Christlieb's Schulter gelehnt, ihren Thränen freien Lauf ließ, beugte Fürchtegott sich nieder zu dem Lager des Leidenden.

Herr Wimmer, sprach er, wenn Sie zurückblicken in die Vergangenheit und Ihr Gedächtniß Ihnen treu ist, dann werden Sie sich auch erinnern, daß nicht wir feindlich gegen Sie auftraten. Es möge jetzt ununtersucht bleiben, welche Gründe Ihre Handlungen leiteten. Gott hat uns schwer geprüft, uns zuletzt den Vater genommen; er hat Sie fühlen lassen, daß er allein mächtiger ist, als Tausende von uns. Nach solchen Erfahrungen, sollte ich meinen, wäre es billig, daß wir uns allesammt mit Eins die Hände reichten, nicht kleinlich Schuld gegen Schuld abwögen, sondern rasch und ohne zu mäkeln das Wort der Versöhnung aufrichtig und ohne Hinterhalt sprächen.

Ein häßliches Zucken bewegte die Gesichtsmuskeln des Unglücklichen.

Du hast gut reden, versetzte er. Du bist die Katze, die auf die Beine kam, als ich meinte, sie würde den Schädel sich spalten zum Entsetzen des Alten, der mir das Glück der Welt gestohlen und meine Seele im Innersten geschädigt. Ich bin elend geworden und weiß, daß ich dahinfahren muß, von wannen noch Keiner zurückgekommen. Ob sie dort die Schalmeien blasen, wenn die Engelein tanzen und ihre Röcklein schwenken, oder ob die Musik der Ewigkeit aus eitel Zähnegeklapp der sogenannten Verdammten besteht, wird mir zeitig genug offenbar werden. Der Fluch deines Vaters brennt mir in Herz und Hirn. Der ihn ausstieß, lebt nicht mehr, er kann ihn also auch nicht von mir nehmen. Ich denke deßhalb, es wird christlich sein, wenn ich Gleiches mit Gleichem vergelte. So seid denn ihr, an deren Fersen das Glück dieser Welt haftet, seid ewig

Gesegnet! rief mit Prophetenton Erdmuthe, neben Fürchtegott sich niederbeugend zu Wimmer's Schmerzenslager. Ich sah' es geschrieben auf deiner Stirn, über deren Falten bereits unsichtbare Hände die Schleier des Todes zusammenlegen, daß jener große Augenblick auch dir naht, vor welchem selbst todeswürdige Verbrecher zittern. Nicht Fluch, nein, ein Segensspruch soll über deine Lippen gleiten, ehe der Sendbote erscheint, den der Herr abschickt, um die Seelen einzusammeln, die er hinausstreute mit dem stillen Wunsche, daß sie wirkten und lebten zur Verherrlichung seines Namens! Wimmer, dereinst mein Bruder, ich rufe zurück in dein Gedächtniß alle die Tage, wo du im Verein mit den Brüdern das Brod der Liebe brachst. Es ist nicht möglich, daß du es thatest, ohne dabei bewegt zu werden, ohne Regungen jener heiligenden Bruder- und Schwesterliebe in dir zu fühlen, die das Band ist aller derer, welche sich zu unserm Bunde bekennen. Du magst uns verlassen haben, Bruder Wimmer, im Zorn einer trüben Secunde, verloren bist du uns dennoch nicht; denn wer das Brod mit uns brach und den Kelch der Liebe mit uns theilte, der kann niemals unser Feind und Gegner werden! Darum, du Armer, Gequälter, oft Getäuschter, öffne den Mund zum Lobe des Herrn, nicht zum Fluche deines Nächsten! Ich, die Gattin des Mannes, der ein Sohn deines Freundes ist, der nach vielen traurigen Erfahrungen auch abgeworfen hat die Schlacken des Bösen, ich, die gewesene Missionärin, der es unter dem Beistande des Heilandes gelang, selbst Wilde zu zähmen: ich öffne deinen Mund der Liebe und Vergebung, indem ich im Namen und Auftrage des Verewigten, den Fluch von dir nehme, den Ammer ausstieß im Augenblicke des Zornes, und den er, wie ich weiß, hundertmal bereute! Sei gesegnet von mir, du Geprüfter! Der Herr Himmels und der Erden nehme von dir die Last irdischer Schmerzen und lasse dich eingehen zu deines Herrn Freude!

Ueber Erdmuthe war jene Begeisterung gekommen, die eine Eigenschaft und besondere Begabung aller Propheten ist. Sie sprach mit so hinreißender Beredtsamkeit, mit solcher Innigkeit des Gefühls, mit einer Ueberzeugung und Glaubenskraft, daß jeder Hörer von der Allgewalt dieser Worte bezwungen werden mußte. Nicht bloß Christlieb und der Graf, auch die beiden dienenden Barfüßer beugten während ihrer Rede die Knie und umgaben betend das Lager des Leidenden.

Wimmer hatte während dem seine Augen geschlossen. Mit den erfrorenen Händen machte er Bewegungen, als wolle er sie falten. Seine Züge wurden milder, er hörte auf zu röcheln. Als Erdmuthe ein sanftes Amen flüsterte, bemerkte sie, daß Wimmer die Lippen bewegte und ein Lächeln auf die blassen, eingefallenen Wangen trat.

Sie kann doch Recht haben, sprach er kaum hörbar. Mit ihrem Segensspruche hören die Schlangen auf zu nagen an meinem Herzen, und ein Thau des Friedens fällt lindernd auf meine glühende Stirn. Ich will ihnen doch nicht fluchen, ich will lieber sagen: möge Gott sie segnen, wenn sie es verdient haben.

Die Barfüßer beteten. Graf Alban legte seine Hand auf die Stirn des Leidenden.

Mein Bruder, sprach er bewegt, mit schwerem Herzen riß ich mich damals los, als mir offenbar geworden waren die Irrwege, die mit Vorbedacht einer der Unsrigen eingeschlagen hatte. Jetzt wird es Licht wieder auch in seinem Geiste, denn eine reine Hand und ein gotterfüllter Mund hat Wunder gethan an dir, du Armer! Fühle denn, wie wohl es thut, wenn der Haß vertrieben wird von dem Licht der Liebe, das Alles erfüllt rund umher! Von jenem Licht, in dessen Aether die Sonnen sich bewegen, das im Stein, im Moos, in jedem Grashalm, jeder Blume leuchtet, und das als Gottes heiliger Odem uns, seine Kinder, erfüllt! Meine Hand, die ich damals dir entziehen mußte zu deinem Heile, lege ich jetzt auf dich, mein Bruder. Du bist mir und Allen, was du immer warst! Lebe in Frieden, wenn du noch leben sollst, und gehe hin in Frieden, wenn deine Zeit abgelaufen ist!

Die Mönche beteten noch immer; von der Kirche herauf klangen Orgeltöne und der monotone Gesang der zweiten Abendhora. Im trüben Schimmer der matt brennenden Ampel bemerkten sämmtliche Anwesende, daß aus den fest geschlossenen Lidern des regungslos Daliegenden Thränen sickerten.

Er ist versöhnt mit uns und seinem Gott, sagte zuversichtlich Erdmuthe, indem sie sich erhob. Die Hände hat Gott ihm gelähmt, weil er mit ihnen gefrevelt oft und arg; diese Hände können wir ihm also nicht drücken zum Zeichen der Versöhnung und Vergebung. Berühren wir ihm deßhalb nach Brüdersitte die Stirn und sprechen dazu ein mildes Wort der Liebe.

Erdmuthe war die Erste, welche dem Leidenden dies Wort zuflüsterte. Wimmer bewegte kaum merklich Lippen und Augen, aber man gewahrte an dem Ausdruck seiner Mienen, die jetzt eben so mild und sanft sich zeigten als sie früher hart und verzerrt gewesen waren, daß sein Starrsinn gebrochen, daß die Rache und der Haß der Vergebung und Liebe gewichen seien.

Christlieb und Fürchtegott richteten noch einige Fragen an Wimmer, erhielten aber keine Antwort.

Sein Geist schwärmt, sagte Graf Alban. Ich habe diese Verwandlung schon mehrmals erlebt und immer noch war sie ein sicherer Vorbote baldiger Auflösung. Ich glaube, wir werden in sehr kurzer Zeit diesen Versöhnten ebenfalls der Erde wiedergeben.

Da dem Leidenden nach dieser erschütternden Scene möglichste Ruhe nöthig zu sein schien, gaben sie dem Pater Guardian einen Wink und verließen die Zelle. Noch immer sangen die Mönche die Hora. Im Erdgeschosse des Klosters angekommen, schimmerte Lichterglanz vom Kreuzgange her, welcher zur Kirche führte.

Ist es erlaubt? sprach Graf Alban, zum Guardian gewandt. Ich weiß, daß im Innern der Klosterkirche eine Nachahmung der casa sacra di Loretto sich befindet. Die Schwester hier hat längst gewünscht, dieselbe zu sehen.

Ein Wink des Guardian sagte dem Grafen, daß die Bitte gewährt sei. Unsere Freunde betraten das Innere der Klosterkirche. In der casa sacra brannte eine silberne Ampel. Der kleine Altar war trotz des Winters mit duftenden Blumen geschmückt. Erdmuthe trat in den weihraucherfüllten Raum. Sie kniete nicht, aber sie betete für die Ammer, für Wimmer, für ihre Bekehrten in Surinam. Auch für sich selbst schickte sie einen Seufzer zum Himmel, denn sie glaubte noch schwach zu sein und etwa in der Zukunft drohenden Versuchungen nicht durch eigene Kraft widerstehen zu können.

Die Klosterschelle schlug die neunte Stunde, als unsere Freunde das düstere Gebäude verließen. Draußen funkelten und blitzten die Sterne am dunkeln Nachthimmel. Die Straßen waren schon still, nur der Schnee knisterte unter ihren Tritten, als sie, Jeder in seine eigene Gedanken vertieft, nach dem Gasthofe zurückgingen.


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