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Zweites Kapitel. Wimmer.

Wir müssen uns jetzt einige Wochen zurückversetzen, um uns nochmals mit einem Manne zu beschäftigen, der so lange unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Als Wimmer, belastet mit dem Fluche seines ehemaligen Jugendfreundes, Schloß Weltenburg verließ, war er zum ersten Male seit langer Zeit nicht zufrieden mit sich selbst. Zwar konnte er sich nicht tadeln, daß er der Heftigkeit des so tief beleidigten Webers kaltblütige Ruhe entgegengesetzt, daß er überhaupt diesem Manne gegenüber nach seinem Dafürhalten nie aus der Rolle gefallen war. Er konnte mit dem Erreichten sich wohl begnügen. Wollte er doch nichts, als den vom Glück über Hunderttausende hoch Emporgehobenen sehen, wie er jetzt gedemüthigt, ein Gelähmter, Machtloser dalag, umgeben von Kindern, die er nie anblicken konnte, ohne sich selbst zu verklagen, ohne ihnen still zu grollen. Der Name Ammer war kein makelloserer mehr im Munde des Volkes. Das Wort Ammer galt nicht mehr, wie sonst; man bemäkelte es, man zuckte die Achseln, und die Aeußerung: sie wollten zu hoch hinaus, wollten es Allen zuvorthun, darum gingen sie zu Grunde oder sanken in wenig beachtete Kleinheit hinab, lief mit allerhand ehrenrührigen Nebenbemerkung durch's Land.

Befriedigte einerseits den schadenfrohen Mann dies Ergebniß seiner Handlungsweise, so beängstigte ihn andererseits die offene Parteinahme für Ammer von Menschen, denen er, weil er sie für Egoisten gehalten, diese nie zugetraut. Weber Mirus noch Block waren in seinen Augen als einfach persönliche Feinde zu fürchten, wohl aber konnten sie gefährlich werden, wenn gemeinsame Pläne sie innig verbanden, und wenn sie es darauf anlegen sollten, ihm Schaden zuzufügen.

Während er den Schloßhügel hinunterstieg, klangen noch immer die Worte des erzürnten Webers in seinen Ohren. Er bemühte sich freilich, diese Töne fortzulächeln, er fing sogar zur Zerstreuung an, ein Lied zu trällern, aber der Fluch saß zu fest in seinem Gedächtniß. Wie ein Rabe krächzte er fort und fort, bis ihm dabei fast unheimlich zu Muthe ward.

Wimmer ließ sich Wein geben, um auf lustigere Gedanken zu kommen, aber der Wein erheiterte ihn nicht. Er machte ihm Herzklopfen und die Stimme des Webers klang noch in seinem Innern lauter als zuvor.

Die Luft wird mich kräftigen, sprach er zu sich selbst, bezahlte seine Zeche und fuhr der Stadt zu. Unterwegs aber peinigte ihn der Postillon mit Fragen, die er, wenn auch nur kurz und verdrossen, doch beantworten mußte, um ihn nicht noch neugieriger zu machen. Der Mensch wollte durchaus erfahren, was die Herren, die so angelegentlich nach ihm gefragt, wohl auf dem alten Schlosse gewollt haben mochten. Dies Aushorchen brachte ihn immer und immer wieder in das Zimmer Ammer's zurück, oder es hielt ihn vielmehr ganz darin fest, so daß er sich zuletzt selbst erblickte, wie er an der Wand lehnte und der erzürnte Mann seine weißen, langen Locken gegen ihn schüttelte.

Verstimmt und unschlüssig, betrat der Herrnhuter nach einer ermüdenden Reise sein leeres Haus, dessen geräuschlose Stille ihn diesmal mehr als sonst unangenehm berührte. Zwar sorgte Martha in gewohnter Weise für seine Bedürfnisse, aber was sie auch that, es geschah doch Alles nur aus Pflichtgefühl, nicht aus Liebe. Wimmer hatte es kaum jemals so schmerzlich empfunden, daß ihn auf der ganzen weiten Welt Niemand liebe, daß er völlig allein stehe unter so vielen Tausenden, daß kein Herz sich betrüben, kein Auge sich mit Thränen füllen werde, wenn ihn ein Unglück treffe oder der Tod ihn dahin raffe.

Das kommt davon, daß sie mich verließ, daß ich keine Kinder habe, sagte er düster, indem er sein Pult öffnete und sich mit den Rechnungsbüchern zu schaffen machte. Ich wollte ihre Kinder an mich knüpfen, sie mir dienstbar machen ich wollte dies, um die Leere auszufüllen, die ich seit ihrem Wortbruche fühlte, und auch um mich an ihm, der mir sie stahl, zu rächen. Es ist mir geglückt, aber ihre Kinder hassen mich nun doch und fluchen mir wie der Vater! Das, ach, das habe ich schlecht gemacht! Es wird nun eine böse Zeit kommen für mich, der ich schon jetzt entgegenarbeiten muß.

Wimmer vertiefte sich in seine Bücher, machte Auszüge, hin und wieder änderte er auch eine der großen Zahlen, mit denen die Folioseiten angefüllt waren.

Ich muß mich vorsehen, wenn die rachsüchtigen Menschen die Oberhand behalten sollten, sprach er. Ist mein Buch in Ordnung und stehen nur die Brüder zu mir, so kümmert alles Andere mich wenig. Sie müssen doch falliren und das überkommt mein alter Freund nicht. Dann bin ich am Ziele. Ich wünsche nur noch, daß sie später genöthigt werden, mich doch im Guten wieder anzusprechen; thun sie's, so will ich ihnen helfen und alles Geschehene soll zwischen uns vergessen sein.

Wimmer arbeitete zwei Tage ununterbrochen in seinen Büchern, verwendete dann andere zwei Tage zum Briefschreiben und glaubte sich schon gesichert, als eine Botschaft des Grafen ihn zugleich überraschte und beunruhigte. Graf Alban schrieb in einem steif geschäftlichen Style, den er sonst vermied, daß er »Herrn Wimmer«, nicht »seinen lieben Bruder« nothwendig sprechen müsse. Dabei gab er die Stunde an, wo er für den Handelsherrn zu Hause sein werde.

Ungern und voll banger Ahnungen folgte Wimmer dieser gewissermaßen befehlenden Einladung. Der Graf empfing ihn kühl und gemessen. Wimmer's Blicke glitten ruhelos von einem Gegenstande zum andern, und blieben endlich auf der Friedenspfeife haften, welche Erdmuthe dereinst ihrem verehrten, väterlichen Freunde aus der schönen Wildniß Surinam's als Andenken geschickt hatte.

Herr Wimmer, begann Graf Alban, ich habe Sie in einer Angelegenheit zu mir beschieden, die ich höchlichst bedaure. Es sind Klagen über Sie eingegangen, die nicht bloß Sie allein als Geschäftsmann, Mensch und Bruder, sondern die leider auch unsere ganze Gemeinde compromittiren. Die Aeltesten haben in Erfahrung gebracht, daß Sie sich unerlaubter Mittel bedienten, um den Gebrüdern Ammer Schaden zuzufügen. Still! Unterbrechen Sie mich nicht! Leugnen wird Ihnen sehr wenig helfen. Wir sind genau unterrichtet, da wir Zeit hatten, uns zu erkundigen. Die Verhaftung Fürchtegott Ammer's nöthigte zu Nachforschungen. Ich selbst stand lange an, dem Drängen entfernter Freunde nachzugeben, weil ich Sie für den uneigennützigsten Freund der Ammer gehalten. Erst, als mir von den verschiedensten Seiten die klarsten Beweise übersendet wurden, daß Sie in feindseligster Weise und äußerst schlau den Fall der Ammer vorbereitet, übersah ich den ganzen Plan Ihres seltsamen Spieles. Es kann mir nicht in den Sinn kommen, einem Manne von Ihrem Alter jetzt Moral predigen zu wollen, mein Wunsch und mein Streben geht einfach dahin, unsere Brüdergemeinden makellos zu erhalten, Ihnen aber womöglich eine öffentliche Schmach und eine beschämende Demüthigung zu ersparen. Herr Wimmer, Sie waren das weist Ihre Handlungsweise aus im Herzen nie einer der Unsern; Sie borgten sich die äußere Maske, Sie liehen von uns das große, edle Vertrauen, dessen sich die mährischen Brüder diesseits und jenseits des atlantischen Oceans erfreuen ihrer unantastbaren Redlichkeit halber, um im sicheren Schutz dieser erborgten Eigenschaften Ihre egoistischen Gelüste, Ihre unlauteren Neigungen befriedigen zu können. Es ist Ihnen dies, wir wissen es, leider bis zu einem gewissen Grade gelungen, weiter aber soll Ihr Triumph nicht gehen. Sie sind am Ziele, man hat Sie entlarvt. Die Gemeinde wird aber aus Rücksicht auf Sie sowie ihrer eigenen Ehre halber schweigen und das Andern zugefügte Unrecht möglichst wieder auszugleichen suchen, wenn Sie, Herr Wimmer, die Gemeinde und den Brüderort verlassen.

Ich sehe wohl, daß es auch unter uns Rachsüchtige gibt und schlecht Geartete, versetzte Wimmer, die selbst die Ehre eines doch jederzeit thätig gewesenen Bruders nicht achten. Noch kann ich nicht glauben, verehrter Freund und Bruder, daß man wirklich so ungerecht sein und mich ungehört verbannen wird.

Mit derselben kühlen Ruhe, welche das Benehmen des Grafen kennzeichnete, sagte dieser: Hegen Sie nicht leere Hoffnungen! Auch bitte ich, beehren Sie mich fernerhin nicht mehr mit dem Namen eines Bruders. Die Gemeinde wird Sie verdammen, weil sie sehr genau weiß, daß Sie schuldig sind und man Ihnen also kein Unrecht zufügt. Ich bin als ein näherer Bekannter von Ihnen, mit dem für mich persönlich sehr unangenehmen Auftrage von den Aeltesten beehrt worden, das, was Sie bereits wissen, Ihnen zu eröffnen. Ich habe mich dieses Auftrages ohne Umschweife und ohne Lieblosigkeit entledigt, und frage jetzt nochmals, ob Sie die Ihnen gelassene Zeit benutzen oder eine im entgegengesetzten Falle nicht ausbleibende Untersuchung abwarten wollen?

Wenn ich nun auf meinem Recht bestehe, mein Bruder, wird die Gemeinde dann wüthen gegen ihr eigenes Fleisch und Blut?

Sie wird den Makel, der ihr im Augenblick anhaftet, ausätzen.

Die arme Gemeinde! sagte Wimmer, Sie sollte klüger und vorsichtiger sein, denn wenn sie mich verstößt, weiß sie wirklich nicht, welchen Schaden sie sich selbst zufügt.

Sie wird ihn zu tragen verstehen, und zwar ohne Murren, versetzte der Graf, Sie kennen jetzt meinen Auftrag, haben Ihre eigene Zukunft in der Hand und dürfen sich nicht beschweren, wenn Ihnen später etwas Menschliches begegnen sollte. Adieu, Herr Wimmer!

Der alte Speculant machte dem Grafen eine stumme, steife Verbeugung, während seine grauen Augen giftige Blicke auf ihn schossen. Ohne noch ein Wort zu erwidern, verließ er die Villa, schritt nachdenklich in seine Wohnung zurück und schloß sich hier ein.

Wimmer schwankte lange, ehe er einen unwiderruflichen Entschluß faßte. Er widerstrebte ihm, seinen Gegnern zu weichen und doch mußte er sich sagen, daß er verloren sei, wenn der Graf die Wahrheit gesprochen. Um sicher zu gehen, schrieb er an einige sehr vertraute Freunde, die, bekannt mit seinen Verhältnissen, ebenfalls genaue Kunde von der Stimmung der Brüder gegen ihn haben mußten. Die Antworten auf diese Anfragen lauteten einhellig beunruhigend und unterstützten die Weisung des Grafen.

Wimmer war niedergeschmettert, aber er wollte weder schwach erscheinen, noch seinen Feinden den Triumph eines Sieges gönnen. Zittern sollen Sie vor mir, sprach er zähneknirschend, in aller Eile zusammenraffend, was er von werthvollen Gegenständen besaß. Frei will ich bleiben, um ein späteres Handeln selbst bestimmen zu können. Mögen sie inzwischen mich verleumden, mich verfolgen, es kommt wohl noch ein Tag, wo ich mich wieder sehen und hören lassen kann.

Entschlossen, den Brüderort vorläufig zu verlassen, trug er Martha auf, das Haus zu hüten, bestieg seinen Klepper und ritt, hinter sich einen wohlgefüllten Mantelsack, lächelnd von dannen. Niemand erfuhr, wohin er sich gewendet. Erst als seine Flucht ruchbar ward, lief das Gerücht um, die bekannte Person des Herrnhuters sei an der böhmischen Grenze gesehen worden. Das bald darauf einfallende heftige Schneegestöber verwischte jede Spur des Geflüchteten.


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