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Achtes Kapitel. Ein ungebetener Gast.

In Folge dieser gewaltsamen Erschütterungen erkrankte Ammer. Walter fürchtete den Ausbruch eines hitzigen Fiebers, der alte Weber besaß aber eine so unverwüstliche Natur, daß schon nach wenigen Tagen die Hilfe des Arztes nicht mehr erforderlich war, und er bald eben so kräftig und geistig klar wie früher wieder in die Welt schaute.

Zwischen Vater und Söhnen dauerte die Spannung fort, doch nöthigte die Weltklugheit beide Theile, den weit aufklaffenden Riß Andern möglichst zu verbergen. Walter übernahm als Vertrauter Aller unter der Hand das Amt eines Vermittlers, verdiente sich aber, wie fast immer in solchen Fällen, Niemandes Dank. Durften auch die Brüder und ganz besonders Fürchtegott den trefflichen Menschen als treu ergebenen Freund betrachten, in ihre weltlichen Verhältnisse, die in Folge der Zeitumstände so seltsam verwickelt sich gestaltet hatten, wollten sie ihn doch nicht blicken lassen. Da nun die eigentliche Veranlassung der herben Verstimmung zwischen dem Vater und seinen Söhnen dem Vermittler ein Geheimniß bleiben mußte, so konnten auch seine Bemühungen nur Geringes wirken. Es ward durch sie kein Frieden, nur ein grollender Waffenstillstand geschlossen.

Walter hoffte nun durch die Befragung Erdmuthe's tiefer in die Verhältnisse eingeweiht zu werden, diese jedoch, die immer stiller, trauriger und nachdenklicher ward, schwieg hartnäckig, und ließ endlich auf wiederholtes Drängen des wohlmeinenden Arztes die Aeußerung fallen, ihre Zeit sei noch nicht gekommen.

Ein Glück für die Brüder war es, daß überhäufte Geschäfte ihre Thätigkeit mehr als gewöhnlich in Anspruch nahmen. Sie hatten damit eine Jedermann einleuchtende Entschuldigung für die Vernachlässigung des Vaters, den sie seit jenem traurigen Auftritte nicht mehr sahen.

Inzwischen geschah Manches in Weltenburg, was nicht ganz spurlos vorübergehen konnte. In den Spinnereien wurden Einrichtungen getroffen, die auf eine lauere Betreibung des Baumwollengeschäftes hindeuteten. Die Brüder entließen aber ihre Arbeiter nicht, im Gegentheil, sie zahlten den plötzlich zum Feiern Gezwungenen einen vollen Wochenlohn aus und versprachen ihnen sogar Zulage, falls sie sich schnell mit der Flachsspinnerei vertraut machen wollten.

Dies gab viel zu sprechen, und da eben eine beträchtliche Anzahl ganz feierte und ihre Mußezeit nach Belieben verwenden konnte, so hieß es bald in der ganzen Umgegend von Weltenburg, die Gebrüder Ammer wollten demnächst den Handel mit baumwollenen Stoffen ganz aufgeben und nur noch Linnen fabriciren.

Was die feiernden Arbeiter erzählten, sprach sich bald weit und breit im Lande herum. Es ward von Fremden Mancherlei hinzu erfunden, von Andern geglaubt, von Hunderten weiter erzählt, und so ballte sich über den Häuptern der ruhelos arbeitenden Brüder eine Wolke zusammen, die je nach den Umständen befruchtenden Regen oder verheerende Blitze aus ihrem Schooße auf sie herabschleudern konnte.

Eines Morgens, Ende Juli, traf der Walkmüller mit einigen Arbeitern zusammen, die aus der Waldschenke zurückkamen und in fröhlichster Stimmung waren. Schon von Weitem hörte er sie singen und jodeln. Als sie ihn bemerkten, blieben sie stehen, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.

Was ist Euch denn zugestoßen? sagte Leberecht. Die liebe Sonne meint's gut mit uns und Allem, was da lebet, mag's laufen, kriechen oder fliegen, und Ihr steht da, seht dem Herabschäumen des Wassers zu und macht dabei ein Gesicht, als ob Ihr wünschtet, da unten im Strudel zu liegen.

Hätte auch nichts dagegen, erwiderte der Walkmüller. Wenn Einer sieht, daß es mit ihm rückwärts geht, fehlt die Courage.

Nun, geht's mit Euch denn rückwärts? fragte der Arbeiter.

Das wißt Ihr nicht? Die Herren haben mir ja gekündigt. Nach einem halben Jahre soll die Walke ganz eingehen.

Ja, warum denn? fragte Leberecht.

Da fragt die Herren, die können's Euch sagen, d.h. wenn sie Lust dazu haben. Ich schlage mich so mit allerhand Gedanken.

Doch nicht mit bösen?

Der Walkmüller zuckte die Achseln. Wie Ihr's nehmen wollt, erwiderte er. Es will mir vorkommen, als wenn die goldenen Füße der Stühle, auf denen die Ammer sitzen, in heftigem Feuer ständen und nahe am schmelzen wären.

Die Arbeiter lachten. Was Ihr Euch einbildet! Die Ammer sind die reichsten Handelsherren im ganzen Lande. An hundert Matrosen führen ihre Schiffe über alle Meere. Wenn die Post kommt, ist immer ein eigner Kasten für die Ammer drauf, in dem die Gelder verschlossen werden, die allwöchentlich in ihre Truhen fließen. Nein, Walkmüller, das sind eitel thörichte Einbildungen. Wenn die Ammer aufhören reiche Leute zu sein, dann hört auch die Sonne auf zu scheinen und zu wärmen.

Nicht voreilig! sagte der verdrießliche Walkmüller. Ich hab' so meine Anzeichen, die mich noch niemals betrogen. Wenn ein Licht erlöschen will, flammt's zuvor gern ein paarmal noch recht hell auf. Gerade so machen's auch die Reichen. Sie bestecken und umhüllen sich mit Allem, was glänzt, funkelt und recht in die Augen fällt. Damit soll die Menschheit geblendet werden. Hintennach kommt auf einmal der Ruin, und dann hat alles Funkeln ein Ende.

Haben sie denn nicht alle Hände voll zu thun? erwiderte Leberecht. Richten sie nicht neue Spindeln für uns zu und bezahlen sie uns nicht besser als sonst? Thun das etwa Leute, die nicht wissen, wo's Geld wächst, he? Oder die sich's von Andern gegen hohe Zinsen borgen müssen?

Im Trüben fängt man Fische, meinte der Walkmüller. Kann aber auch sein, fügte er hinzu, daß ihnen der Hochmuth zu Kopfe gestiegen ist und sie vor Uebermuth nicht mehr wissen, was sie beginnen sollen. Man könnt' auf solche Gedanken verfallen, sieht man die Vorkehrungen zum Geburtstage des alten Herrn.

Seht, das gefällt mir, Walkmüller, fiel der Arbeiter ein. Der alte, lahme Herr feiert im nächsten Monat seinen siebzigjährigen Geburtstag und hat fünfzig Jahre auf eigene Rechnung handthiert. Aus einem kleinen Weber ist in dieser Zeit ein großer Herr, ein Schloßbesitzer geworden, seine Söhne sind Kaufherren und ihre Wechsel gelten drüben in der neuen Welt und bei Mongolen und Chinesen eben so gut, wie hier. Wer's so weit gebracht hat durch eigene Kraft, der darf wohl den Kopf in den Nacken werfen und fragen: Was kostet die Welt? Will mir's überlegen, ob ich ein Stück davon an mich bringe! Der Alte hat's um die ganze Weberei verdient, daß man ihn ehrt. Es heißt sogar, er solle zu seinem Geburtstage einen Orden kriegen. Darum sind auch die Minister eingeladen.

So? sprach der Walkmüller. Und das wißt Ihr so genau? Leichtgläubige Narren! Die Minister haben mehr und Wichtigeres zu thun, als bei einem gewesenen Weber einen Löffel heiße Suppe zu essen.

Eingeladen sind Viele! versetzte der Gefährte Leberechts, und darunter Grafen und Herrn. Es müssen ein paar Hundert Personen zusammenkommen, wenn nicht einige ausbleiben. Seit vierzehn Tagen schon wird im neuen Schloßflügel geputzt, polirt und Sammt und Seide massenhaft verschnitten, um die Säle wahrhaft fürstlich auszustaffiren. Solche Pracht soll noch gar nicht erfunden sein. Zwanzig Kronleuchter haben die Herren direct aus Wien kommen lassen, und alle zwanzig sind reich vergoldet, daß es einem ordentlich vor den Augen flirrt, wenn man sie nur ansieht.

So ist's, sagte der Walkmüller. Die unnützen Dinger kosten mehr, als zwanzig arme Familien in einem Jahre verzehren dürfen, und wenn ich einen Stein nehme und schmeiße ihn hinein, da ist der ganze Plunder keinen Zehnkreuzer mehr werth. Wißt Ihr, wie das vernünftige Leute nennen, die das Geld zu schätzen verstehen? Dumme, unsinnig dumme Verschwendung!

Der Alte gibt's aber doch zu, erwiderte Leberecht, und der hat, wie alle Welt weiß, sein Lebtag kein Wohlgefallen an unnützen Geldausgaben gehabt.

Ob er es zugibt, weiß ich nicht, sagte der Walkmüller; daß er es nicht hindern kann, ist mir dagegen sehr einleuchtend. Wenn sich ein paar Hunde um einen Knochen beißen, bleibt immer derjenige im Besitze des Knochens, der die schärfsten Zähne hat.

Ihr denkt unwürdig von den Brüdern, sprach Leberecht; die tragen den Alten auf den Händen.

Vielleicht haben sie's gethan, erwiderte der Walkmüller, gegenwärtig vermuthe ich, daß sie sich die Augen nicht ausweinen würden, wenn plötzlich ein Schlaganfall ihn hinraffte. Ich hab' zufällig einem Gespräch der Herren zugehört, ohne daß ich just Verlangen darnach trug. Die Haare standen mir dabei zu Berge und ich sagte mir im Stillen, wo solcher Unfriede, solche Bitterkeit, solcher Grimm und Haß zwischen Vater und Söhnen herrscht, da zieht auch das Glück aus! Das Glück ist verletzbar, wie die unsichtbaren Hauskobolde, die uns nur so lange treu und ehrlich dienen, als wir in der Furcht des Herrn bleiben.

Hier wurden die Sprechenden durch die Ankunft einer ganzen Schaar Arbeiter unterbrochen, die sich irgendwo gütlich gethan haben mußten, denn sie waren ausgelassen munter und brachten in ihrer glücklichen Laune den freigebigen Herren auf Weltenburg ein Lebehoch nach dem andern. Sie nahmen die mit dem Walkmüller Sprechenden in die Mitte, zogen, so breit die Straße war, Arm in Arm weiter, und wankten, immerwährend singend und jauchzend, den Hügel hinan, um endlich in der großen Spinnerei zu verschwinden. Der Walkmüller folgte den Singenden mit den Augen, ließ dann noch lange seine Blicke auf den stattlichen Gebäuden und dem alten Schlosse von Weltenburg ruhen, und trat endlich mit den Worten: Wem wird das Alles dereinst gehören? in die feiernde Mühle.

Ammer erfuhr das Vorhaben seiner Söhne zuerst durch Walter. Dieser war gewissermaßen beauftragt, den alten Herrn auszuhorchen.

Wozu wollen sie's thun? fragte er den Arzt. Etwa mir zu Ehren? Hat mein Schöpfer bisher seine Hand über mir gehalten, wird er's auch ferner thun, bis die Stunde meiner Abberufung herannaht. Ich sag' zu ihr: sei willkommen, denn ich kann abkommen. Lieber wär' mir's, mein Herr Doctor, sie ließen es sein. Ich hab's ungern, daß die Leute viel von mir reden. Es läuft immer 'was Ungewaschenes mit dazwischen.

Ihre Söhne, Herr Ammer, versetzte Walter, glauben diese Festlichkeit ihren Geschäftsfreunden schuldig zu sein. Mit Veranstaltung eines glänzenden Festes können sie, wie sie mir auseinandergesetzt haben, unmöglich noch lange zögern. Es ist eine Aufmerksamkeit gegen alle diejenigen, deren Hilfe und Unterstützung sie bedurften, um die großen Erfolge zu erringen, deren sie bisher sich zu erfreuen hatten. Ihnen aber, Herr Ammer, gebührt doch unter Allen die höchste Ehre, der Zoll des innigsten Dankes.

Herr, sagte Ammer, wenn's just so wäre, wie Sie sagen, könnt' ich's wohl loben; daß man aber wieder mit maskirtem Gesicht spricht, sehn Sie, das verdrießt mich. Jedennoch will ich nicht stören, beileibe nicht! Mein alter Vater pflegte zu sagen: wie man sich bettet, so liegt man, und ich füge hinzu: schluckt einer zu gierig, so verdaut er schwierig. Also lasse man den Herren Söhnen ihren Willen, besonders, da ich's nicht zu hindern wüßte. Und sagen Sie ihnen, ich würde mich 'nüber schleppen in ihr Prachtschloß, wenn ich die Zinken blasen und die Pauken brummen hörte. Ansehen wollt' ich mir die Herrlichkeit, genießen aber möcht' ich nichts davon.

So leichten Kaufs glaubten die Brüder nicht davon zu kommen. Sie bezeugten sich daher gegen Walter sehr dankbar, baten ihn, auch Erdmuthe günstig zu stimmen, und waren unermüdlich in Vorbereitungen, um nur nichts zu versäumen und zu vergessen.

Von den Eingeladenen hatten fast Alle zugesagt. Jeder war begierig, die reichen Besitzer Weltenburg's als Wirthe in ihren, wie das Gerücht ging, feenhaft glänzenden Räumen zu sehen. Ein kurzes Jahrzehnt hatte diese Fülle des Glückes über die Brüder ausgeschüttet. Manchem der Geladenen war es wohl noch erinnerlich, wie die jetzigen Herren auf Weltenburg in leichter Kattunjacke, bestäubt und schweißtriefend, den Schiebkarren geschoben, um ihres Vaters Gewebe nach den entfernten Bleichen am Queiß zu fahren. Seit sie Fabrik- und Handelsherren geworden waren, hörten die Meisten nur von dem ungeheuern Glück der Ammer sprechen, sehen ließen sich die Herren gar nicht oder nur selten. Es nahmen deßhalb eine Menge Menschen die ihnen zugekommene Einladung mehr aus Neugier, als aus wirklichem Interesse für die Familie an.

So nahte endlich der langvorbereitete, sehnlich und doch auch wiederum mit Bangen erwartete Tag heran. Ammer mußte es sich gefallen lassen, am frühen Morgen durch ein Ständchen begrüßt zu werden. Dies Ständchen brachten ihm die Arbeiter der Fabrik mit Beihilfe einiger aus Böhmen zu diesem Behufe verschriebener Musikanten. Der Greis war freundlich genug, aus dem Fenster zu sehen und auf das dreimalige Lebehoch seine Mütze zu ziehen. Auf's Reden ließ er sich nicht ein. Es war ihm nicht so gut zu Muthe, als könne er viel Heiteres und Gutes sagen. Die Atmosphäre drückte ihn, und als er jetzt der vielen Flaggen ansichtig ward, die man ihm zu Ehren auf allen Gebäuden aufgepflanzt hatte, ward er düster und schweigsam. Er rief Erdmuthe und ließ sich von ihr vorlesen, anfangs weltliche Geschichten, später ein Kapitel aus dem Buche »Jesus Sirach«. Als Erdmuthe diese Lectüre beendigt hatte, fragte sie Ammer:

Bist du heute Wirthin?

Ich habe Fürchtegott versprochen, bei dem Feste nicht zu fehlen, versetzte sie, indeß verstehe ich zu wenig von diesen weltlichen Einrichtungen, um wirklich als Wirthin auftreten zu können. Dafür sind Andere bestellt, ich bin nur die Frau des Schloßherrn.

Dann schmücke dich, meine Tochter, sagte der Greis, ihr sanft die bleiche Wange streichelnd. Schmücke dich recht ordentlich, da wir heute doch ganz und gar weltlich sein müssen. Du wirst deinen Gatten dadurch erfreuen und nicht ein Ziel für Spötter werden.

Wenn du es wünschest, bester Vater, so will ich mich schmücken, obwohl der Magd des Herrn, deren Herz voll Sorgen, voll Bangen und Zagen ist, die Gewänder der Baalskinder eine schwere Last sein werden.

Erdmuthe ging und schmückte sich. Als sie abermals in Ammer's Zimmer trat, hätte sie der Greis beinahe nicht erkannt. Die kleine, bescheidene Herrnhuterin stellte sich als Salondame vor, ohne ihr Inneres mit dieser schimmernden Hülle in Einklang bringen zu können. Sie hatte in dieser ihr gänzlich fremden Tracht ungefähr das Ansehen einer geschminkten Leiche. Erdmuthe fühlte den Eindruck ihrer Erscheinung auf Ammer und lächelte trüb.

Recht so, bester Vater, sprach sie, gib immerhin deinen Widerwillen zu erkennen, der sich in dir regt gegen mich. Die Lüge ist nie liebenswürdig, sie wird ewig häßlich bleiben und alle Edlen immer abstoßen. Dennoch werde ich das Ende dieses Tages in dieser Umhüllung erwarten. Ich thue Buße. Und einer Büßerin bedarf es wohl unter so Vielen, die heute alle mit unbußfertigen Gedanken hier zusammenkommen.

Ammer zog die Herrnhuterin an seine Brust und küßte ihre Stirn.

Bleibe bei mir, sprach er, denn es will Abend werden, dünkt mich, und mein Lebenstag geht stark auf die Neige!

Er setzte sich in seinen Rohrstuhl, stieß ihn mit Hilfe des Krückenstockes an's Fenster und beobachtete die Straße, auf der es jetzt von heranrollenden Kutschen, welche die geladenen Gäste nach Weltenburg führten, immer lebendiger wurde. Hier blieb Ammer, zu dem sich bald auch Frau Anna gesellte, in Nachdenken vertieft sitzen, bis Flora und Albrecht eintraten, die der greise Vater über Monatsfrist nicht mehr gesehen hatte.

Beide Theile fanden einander verändert. Albrecht kam dem Vater gemessener, ceremoniöser vor, als er ihn früher gekannt hatte, und dieser fand den Schwiegervater so düster, daß er nach der Ursache dieser auffallenden Verwandlung nicht einmal fragen mochte. Nur die Bemerkung konnte er nicht unterdrücken, daß er sich die Grille der Brüder, wie er es nannte, nicht recht zu erklären wisse.

Ammer gab darauf keine Antwort. Er schmeichelte mit Flora, die sich neben ihn setzen, ihm von seinem Enkel erzählen und mittheilen mußte, was derselbe zu jeder Stunde des Tages treibe.

Unter diesem Geplauder verging die Zeit rasch. Mittlerweile waren die Gäste von Fern und Nah angekommen. Der innere Schloßhof wimmelte von Pferden und Wagen und die festlich geschmückten Räume des Neubaues strahlten schon ein Meer von Licht aus. Bald auch vernahm man erst leise, dann lauter das lustige Schmettern der Trompeten, die zum frohen Mahle riefen.

In diesem Augenblicke erschienen Christlieb und Fürchtegott, von Walter und den vornehmsten Geschäftsführern begleitet, in Ammer's Gemach. Er hatte seit der geschilderten Scene seine Söhne nicht wieder gesehen und die Begegnung war ungeachtet des festlichen Tages, der sie veranlaßte, doch keine wohlthuende. Da man aber von beiden Seiten das Vergangene nicht weiter berühren, wohl aber die Gelegenheit benutzen wollte, um vor den Augen der Welt ein glänzendes Schauspiel aufzuführen, beherrschte man sich, und die Brüder gewannen Zeit, theils durch den Mund des unbefangenen Walter dem Jubilar ihre Glückwünsche darbringen zu lassen, theils selbst einige schüchterne Worte von göttlicher Fügung und dergleichen zu stammeln.

Der Beglückwünschte hörte ruhig zu, das Ganze hinnehmend wie ein Schicksal. Auch als die Brüder jetzt vortraten und jeder derselben dem Vater den Arm reichte, um ihn zur bereits harrenden Gesellschaft zu leiten, widerstrebte er nicht. Gefolgt von den Uebrigen, ließ er sich über die hell erleuchteten, mit Dienern gefüllten Corridore nach dem rauschenden Saale führen.

Beim Eintritt des ehrwürdigen Greises in den von Menschen fast überfüllten Raum spielte die Musik einen Jubelmarsch, unter dessen Klängen, von allen Seiten freudig begrüßt, der gebrechliche Alte nach einem Sitz geleitet ward, den man besonders für ihn und Anna bereitet hatte. Mit vielem Geschmack war am obersten Ende der mittelsten Tafel, an welcher die angesehensten Gäste saßen, aus grünem Epheu eine Laube erbaut, die genau dem Fenster des Zimmers glich, an welchem Ammer so gern in die Landschaft hinausblickte, wo er die meisten Abende hinter den violetten Waldsäumen die Sonne versinken sah.

Rechts und links von diesem Sitze, den eine reizende Draperie in den Farben der Provinz überwölbte, so daß, aus der Ferne gesehen, jene grüne schimmernde Laube in glänzendem Gewölk zu ruhen schien, hatte man Ammer's Lieblinge, Flora und Erdmuthe, placirt.

In den bis dahin so trüben, ja verdüsterten Mienen des alten Webers leuchtete ein Freudenstrahl auf bei diesem Anblick. Er drückte seinen Söhnen unwillkürlich die Hand und es hatte ganz den Anschein, als würde der Plan der Brüder, die große Welt über ihre gefahrvolle Lage zu täuschen, den Vater aber zu versöhnen, vollkommen glücken.

Bald auch belebte ein fröhlicher Geist die Gäste. Unter ihnen fehlte kein Freund des Jubelgreises, mit Ausnahme des Advocaten Block, der zwar zugesagt hatte, aber nicht eingetroffen war, und Wimmer's, von dem die Brüder noch immer nichts wußten. Dieses auffallende Schweigen brachte sie auf die Vermuthung, der gleichsam Verschollene möge irgendwo in der Ferne verunglückt sein. Auch Graf Alban, der die Brüder mit der frohen Botschaft überraschte, daß jede beliebige Summe ihnen schon in den nächsten Tagen ausgeantwortet werden solle, sobald sie es wünschten, wußte nichts von ihrem gemeinsamen Freunde.

Die Gebrüder Ammer hielten Wort. Das Fest auf Weltenburg verdunkelte Alles, was man je Aehnliches der Art in der Provinz gesehen hatte. Es war nicht nur die fabelhafte Pracht der Ausschmückung, die selbst dem in der Welt weit und breit bewanderten Grafen Alban Worte des Lobes und der Bewunderung entlockte, sondern das ganze Arrangement, das sich sogar auf die unmittelbare Umgebung des Schlosses erstreckte. Mit Einbruch der Nacht flammten Park und Waldung in bengalischem Farbenfeuer, alle Gebäude Weltenburg's bedeckten sich mit Tausenden von Lampen, und von der Zinne des alten Thurmes leuchteten in riesigen Buchstaben die Worte: » Dem Vater Ammer Heil!« ein paar Stunden weit in's Land hinein.

Die zahlreiche Gesellschaft war voll des Lobes über den Geschmack der Gebrüder Ammer, und man gab dies den Anordnern des Festes von verschiedenen Seiten zu erkennen. Die Freuden der Tafel, welche mit den auserlesensten Speisen besetzt war, wurden noch erhöht durch sinnige Trinksprüche, die sich häufiger wiederholten, je gemüthlicher sich die anfangs einander fremden Elemente verschmolzen.

Ammer, dem zu Ehren schon manches Glas geleert worden war, erwachte zu ungekünstelter Theilnahme, auch Flora und Erdmuthe, die oft Worte und Winke miteinander wechselten, theilte sich der allgemeine Hauch der Freude mit, und je öfter ein Toast ausgebracht wurde, je lauter die Hörner und Trompeten in das Rufen der Fröhlichen, in das Klirren der Gläser schmetterten, desto weiter entfernten sich die Schatten der Bangigkeit, die so lange um manche Seele gelagert.

Schon nahte das Ende der Tafel; da trat Fürchtegott auf, erhob sein Glas und rief mit lauter Stimme, überzeugt, daß der Bau seines Glückes jetzt fester gekittet und gefugt dastehe, denn je:

Einem alten Freunde unseres Vaters, einem Manne, dem wir zumeist verdanken, was wir jetzt unser nennen, einem Bruder im Herrn, der uns mehr als Freund und Rathgeber war: ihm, dem Fernen erklinge der Becher! Glück, Heil und langes Leben Herrn Lazarus Wimmer.

Das Jubeln der Gäste, das Zusammenklingen der Gläser ward von dem Tusch der einfallenden Musik übertönt. In diesem allgemeinen Freudentaumel achtete man nicht auf ein Flüstern der Diener, von denen mehrere mit bestürzten Mienen vom Corridor in den Saal und gleich darauf wieder hinaus eilten. Plötzlich schrie Flora so laut auf, daß augenblicklich Todtenstille eintrat. Nur hie und da klang noch ein Glas oder das klirrende Geräusch eines niedergelegten Messers ward noch vernommen; ein paar Secunden später hätte man ein Blatt können fallen hören.

Aller Augen kehrten sich dem oberen Ende der Tafel zu, wo Flora saß. Die junge Frau war aufgestanden und sah mit stieren Augen nach der Gegend, wo die Brüder ihren Platz hatten.

Jetzt fühlte sich Fürchtegott von einem Finger an der Schulter berührt. Er wandte sich um und blickte in das faltige, erdfahle Gesicht des Mannes, dem er eben Glück, Heil und langes Leben gewünscht hatte.

Wimmer sah den jungen Ammer starr an, nicht lächelnd wie sonst, sondern hart und kalt. Fürchtegott erbebte vor diesem Blick, denn er wußte, daß er ihm nicht Gutes prophezeie.

Bitte sehr um Entschuldigung, lieber Bruder, sagte jetzt Wimmer, eine Handbewegung gegen die Gesellschaft machend, als wolle er sie zum Schweigen auffordern. Du läßt etwas viel darauf gehen, wie ich sehe. Nun, ich mag es wohl leiden, daß der Mensch sich ein Vergnügen macht, nur darf er, ehe er verschwendet, nicht vergessen, seine Verpflichtungen gegen Andere zu erfüllen; denn ehrlich, lieber, junger Bruder, ehrlich währt am längsten. Was sagst du wohl, wenn ich behaupte und zugleich beweise, daß deine Ehrlichkeit schon längst beide Beine gebrochen hat? Still, still, kleiner Zeisig! Sollst dein Liedlein alsobald ganz bequem im Käfig singen können! Mit gebrochenen Gliedern kann man nicht gehen, ich habe deßhalb ein paar Krücken mitgebracht.

Wimmer richtete sich hoch auf, und indem er mit seinem Quäckerhute gegen die Thüre winkte, rief er laut, daß man es von einem Ende des geräumigen Saales zum andern hören konnte:

Herein, ihr da draußen!

Vier Gerichtsdiener traten ein, und näherten sich dem Platze, wo der Herrnhuter stand. Die Gesellschaft gerieth in Unruhe und Bestürzung. Frau Ammer rang verzweiflungsvoll, ohne eine Sylbe über ihre bebenden Lippen zu bringen, die Hände. Ammer saß mit vorgebeugtem Oberkörper neben ihr und bemühte sich vergeblich, aufzustehen. Erdmuthe und Flora standen hinter ihm.

Jetzt griff Wimmer in die Brusttasche seines abgetragenen grauen Rockes und zog ein Papier hervor.

Fürchtegott Ammer, sprach er laut, fast kreischend, du wirst verhaftet wegen überführten Betrugs! Das Gericht hat die Beweise in Händen. Es ist mir leid, aber die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben und Ehrlichkeit geht noch über Freundschaft.

Dann machte er eine steife Verbeugung gegen die Gesellschaft, auf seinem Gesicht stand wieder das stereotype Lächeln, das Jeder an ihm kannte, und indem er sagte:

Bitte die Herrschaften, sich nicht weiter stören zu lassen, wandte er sich zum Gehen.

Die Stimme des Grafen hielt ihn zurück.

In wessen Namen, sagte Graf Alban bewegt, geschieht das, mein Bruder?

Wimmer setzte, recht wie zum Hohne, seinen Hut auf, erhob die magere Hand und sprach:

Im Namen aller Gemeinden, die er betrogen hat! Fort mit dem Verbrecher!

Fürchtegott ward bald roth, bald blaß. Er wollte reden, aber er vermochte es nicht. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, er fürchtete ersticken zu müssen. Widerstrebend, mit ihnen ringend, folgte der Unglückliche den Schergen, die sich seiner bereits bemächtigt hatten. Da fiel sein Blick auf das Antlitz des Vaters. Er sah den ehrwürdigen Greis in der Umrahmung des Epheus gerade so den Kopf bewegen, wie er ihn schon oft in seinen folternden Träumen erblickt hatte. Bei diesem Anblick schrie er krampfhaft: Mein armer, armer Vater! fiel in Zuckungen und brach zusammen.

Ammer hatte dieser ganzen Scene lautlos beigewohnt. Seine Blicke waren fest auf den Sohn gerichtet. Als er ihn fortführen sah, hörte man ihn laut schluchzen und die Nächststehenden bemerkten, wie große Thränen über seine bleichen Wangen herabrollten.


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