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Viertes Kapitel. Das Ende eines Gerechten.

Auch die nächsten Tage brachten noch keine Ruhe, denn nun erschienen von allen Seiten die Freunde aus der Ferne, um ebenfalls den Vielgeprüften ihre Glückwünsche darzubringen. Daß unter diesen weder Mirus, der treu Erfundene, noch Candidat Still, der sich nicht genug wundern konnte, wie er ohne sein Wissen und Wollen ein Werkzeug zur Rettung der Familie Ammer geworden sei, nicht fehlten, versteht sich von selbst. Aber auch ferner Stehende fanden sich ein, und so treffen wir sowohl den aufschneiderischen Oberförster wie den lateinischen Justus in traulicher Unterhaltung mit dem Greise, der, umgeben von so vielen theilnehmenden Seelen, die bittern Erfahrungen der letzten Monate wirklich zu vergessen schien.

Walter, der sich mit sammt den Brüdern in dem ursprünglich für Flora erbauten Hause wohnlich eingerichtet hatte, rieth zwar wiederholt zu größerer Schonung, Ammer jedoch schlug alle seine Ermahnungen und Warnungen in den Wind.

Hat es meinem Schöpfer gefallen, sprach er, mich wieder einzusetzen, in das Reich meiner alten Herrlichkeit, dem ich hochmüthig Valet sagte, so will ich die paar Freudenstunden auch recht gründlich genießen, die er mir noch darin vergönnt. Flackert dabei in heranwehendem Freudenhauche das Licht meines Lebens vollends aus, je nun, was thut's! Es ist immer die Hand der Milde und Liebe, die mir das zufügt, und ein Abscheiden von der Welt, während Freunde um uns sind, stelle ich mir nicht allzu schwer vor, obwohl jeglichen Menschen vor dem Tode ein leiser Schauer und ein Frösteln überrieselt.

So verlebte Ammer eine ganze Woche. Niemand bemerkte eine Veränderung in seinem Wesen, seinem Benehmen, nur sein Gesicht verwandelte sich merkwürdig. Es ward knöcherner, die Zügen steifer, als man sie je gesehen, und in den großen, blauen Augen des ehrwürdigen Greises leuchtete ein Glanz, vor dem Mancher erschrak, wenn der Alte ihn plötzlich anblickte.

Endlich ward es wieder still im Hause Albrecht Seltner's. Ammer bewohnte das Cabinet des Schwiegersohnes, das ziemlich an derselben Stelle wieder erbaut worden war, wo früher der Weber in rühriger Thätigkeit und geräuschlosem Streben so große Erfolge vorbereitet hatte. Nur etwas größer war dieser Raum geworden.

Hier unterhielt sich Ammer durch die stets offen stehende Thür mit den im Wohnzimmer befindlichen Personen. Bisweilen humpelte er wohl selbst hinüber, um an den Fenstern die Runde zu machen und nach dem Wetter auszuschauen, denn das große Familienzimmer gewährte nach zwei Himmelsgegenden und besonders auf das hohe Grenzgebirge eine freie Aussicht.

In den Abendstunden besuchte regelmäßig Jeremias Seltner den Jugendfreund, um den Rest des Tages mit ihm zu verplaudern. Diese Abendstunden waren für Ammer die genußreichsten des ganzen Tages. Er durchlief und überschlug dann im Gespräch mit Seltner sein ganzes vergangenes Leben und liebte es bei allen wichtigern Epochen, mochten sie nun erfreulicher oder unerfreulicher Art sein, mit einem gewissen Wohlgefallen zu verweilen. Des Irrthümlichen der letzten Jahre ward dabei ebenfalls gedacht, nicht aber mit herben Worten, sondern ruhig prüfend, indem er ohne Leidenschaft und Bitterkeit das Geschehene recapitulirte.

Eines Abends sagte Ammer zu dem alten Freunde:

Was meinst du, Jeremias? Ist's wohl zu billigen, daß meine Söhne es mit der neu erfundenen Weberei versuchen wollen? Du darfst's mir nicht verdenken, Alter, daß ich 'was ängstlich um mich sehe, wenn ich überschlage, was die Neuerungen mich und den Meinigen gekostet haben, und doch mag ich keine Einwendungen dagegen machen, weil's ja doch eine reelle Weberei ist, so wenig ich die Sache auch begreifen kann.

Du meinst den Jaquardstuhl? erwiderte Jeremias Seltner.

Gerade diesen Zippelzappel mit der Musterrolle oberhalb der Lade.

Nun, lieber Freund, damit kann ein kluger Kopf viel Gutes stiften. Ich hab' mir die Sache genau besehen, und wär' ich nicht zu alt, würden mir die Augen nicht blöde und hätte ich überhaupt noch die Kräfte dazu, so versuchte ich's wohl selber auf dem Jaquardstuhle. Ich sage dir, Freund, es ist dies eine Erfindung, die jedenfalls mehr Segen bringt, als die Berthel Schwarz'sche. Mit dem Jaquardstuhle, von dem ich glaube, daß er sich noch bedeutend verbessern läßt, werden sich Gewebe herstellen lassen, die es an Sauberkeit und Schönheit mit dem feinsten Groß-Schönauer Damast aufnehmen.

Das meint mein Fürchtegott auch, erwiderte Ammer nachdenklich. Vor ein paar Tagen fuhr er nach W***, um bei einem meiner ältesten Weber aus der früheren Zeit sich einen solchen Stuhl genau zu betrachten. Er hat sich die ganze sinnreich zusammengesetzte Maschine auseinander nehmen und die Einrichtung derselben zeigen lassen. Dann war er flugs bei der Hand, um sie ohne Mithilfe eines Andern wieder zusammen zu setzen. Jetzt ist er dabei, eine Musterrolle abzuzeichnen, und wenn er damit fertig sein wird, will er selbst, wie er mir sagte, ein Muster erfinden. Auch der Christlieb zeichnet von früh bis in die Nacht, und überläßt alles Andere deinem Sohne.

Laß sie, mein Freund, sprach Jeremias Seltner. Der Christlieb besitzt keine gewöhnlichen Anlagen zum Zeichnen. Es ist Schade, daß er das nicht früher bemerkt hat. Aber so ist's; was man nicht versucht, das lernt man nicht kennen; und so gehen eine Menge Talente ungekannt verloren, die, hätten sie Gelegenheit gehabt, sich auszubilden, vielleicht Treffliches leisten und Hunderten damit nützen konnten. Christlieb, scheint mir, ist ein geborener Musterzeichner. Seine Ruhe, seine Accuratesse und Ausdauer befähigen ihn dazu ganz besonders. Der unruhigere Fürchtegott dagegen, der eine lebhafte Phantasie besitzt, wird sehr bald gute und originelle Muster angeben können. Geschieht dies und arbeiten dann Beide einander in die Hände, so können, ja müssen sie sich in einigen Jahren einen recht anständigen Wirkungskreis schaffen, der es mit dem verlorengegangenen Welthandel wohl aufnehmen kann, wenn er sich auch in viel enger gezogenen Grenzen bewegt.

Ammer war mit dieser Ansicht des Freundes vollkommen einverstanden. Er sah es nun gern, wenn die Brüder bisweilen in sein Zimmer kamen und ihm die gemachten Zeichnungen vorlegten. Die Erklärungen begriff der intelligente Mann sehr bald, wie es ihm auch einleuchtete, daß die neue Construction des Webstuhles ein vielverheißender Fortschritt sei.

Während nun so die Glieder der Familie Ammer ein immer enger sich verschlingendes Band der Liebe und gegenseitigen Duldung vereinigte, schwanden die Kräfte des alten Vaters unmerklich. Seine Umgebung würde kaum Notiz davon genommen haben, hätte Ammer nicht selbst Aeußerungen gethan, die auf eine schnell überhand nehmende Schwäche hinwiesen. Er weigerte sich, sein Zimmer zu verlassen, und beschäftigte sich, auf dem Sopha liegend, mit dem Ausschneiden von Sternen, Figuren, Bäumen und Häusern für seinen Enkel, der dem Großvater keine Ruhe ließ, weil dieser dem Knaben versprochen hatte, einen Weihnachtsbaum recht schön und bunt für ihn aufzuputzen. Ammer besaß in solchen Handarbeiten ungewöhnliches Geschick; er flocht die zierlichsten Gebilde aus buntem, schillerndem Papier und ergötzte damit Otto, der nach Art lebhafter Kinder nicht genug so glänzender Sächelchen bei Seite schaffen und zu fernerweitem Gebrauche aufbewahren konnte.

So gelang es dem körperlich immer matter werdenden Greise, die Wünsche seines Enkels zu befriedigen. Selbst den Tannenbaum putzte er ihm auf. Bei dieser Beschäftigung bemerkte man, daß seine Hände heftig zitterten. Auch verfiel Ammer's Gesicht mit jedem Tage mehr.

Walter, der in der Stille den Greis sehr aufmerksam beobachtete, ohne ihm durch Vorschriften und Verhaltungsmaßregeln die Laune zu verderben, gab den Brüdern einen Wink, indem er sie auf die mit raschen Schritten nahende Katastrophe vorbereitete.

Der Vater erlebt das neue Jahr nicht, sprach er. Sein Lebensöl ist bis auf den letzten Rest verzehrt. Aber ich hoffe, nun ein gesicherter Frieden in seine Seele eingezogen ist, daß sein Ende sanft und völlig schmerzlos sein wird. Er wird, wie er es sich wünschte, gleich einem verlöschenden Lichte aufflackern.

Drei Tage vor dem Feste begehrte Ammer plötzlich Candidat Still zu sprechen. Er gab keinen Grund dafür an, aber er verlangte mit einem Anflug von Hast, daß man den Mann alsbald herbeischaffe. Es ward deßhalb unverweilt ein Bote nach der Stadt gesendet, um den Candidaten zu holen.

Inzwischen rief Ammer die Seinigen an sein Lager. Er war ruhig und gefaßt. Kinder, sprach er mit matter, immer klangloser werdender Stimme, in vergangener Nacht sah ich die Ewigkeit offen. Heute werde ich abberufen und zwar noch vor Nacht. Wenn die Sonne hinter den Hügel hinuntersinkt, wird meine Seele sich emporschwingen zu den Wohnungen, die der Herr für uns bereit hält. Ich will also Abschied nehmen von euch, nicht mit Klagen und Weinen, sondern dankend für Alles, was Gott mir gegeben hat. Durch mancherlei Fährniß sind wir von ihm geführt worden, und war's bisweilen schwer, so konnten wir's doch tragen. Viel hab' ich euch nicht zu sagen. Ich wünsche nur Dreierlei und hinterlasse euch dies als mein Vermächtniß. Zum Ersten: bleibet in Gott, so bleibet ihr auch in der Liebe zu euch und Andern; zum Zweiten: vergesset nicht, was ihr erlebt habt, damit ihr dem Hochmuthe nicht Raum gebt und der Böse keine Macht gewinne über euch; und endlich zum Dritten: thuet wohl, wo ihr könnt, und solltet ihr nochmals hören von ihm, der mich und euch geschädiget, so sehet zu, daß ihr ihn an euch kettet mit Banden der Liebe und bringt ihm die Verzeihung eines Sterbenden! So ihr dies thuet, werd' ich sanft ruhen im Schooße der Erde, die unser Aller Brautbett ist, in dem wir der Ewigkeit vermählt werden!

Ammer's Augen waren schon gebrochen, noch während er sprach. Seine Hand griff tastend nach den Seinigen.

Ist er noch nicht da? fragte er, das erkaltende, müde Haupt in die Kissen drückend. Ich wünschte, daß er den Segen über mich sprechen sollte, wenn mein Schöpfer die Seele von mir genommen. Er war immer ein schlichter, redlicher Mann, ohne viele Worte, und just weil ihm das Reden auf der Kanzel nicht glücken wollte, verstand er's im Zimmer desto besser, Freunden zum Herzen zu sprechen.

Der Sterbende wiederholte noch einige Male seine Frage nach Still. Endlich hörte man einen Wagen. Er hielt vor Seltner's Hause. Gleichzeitig trat ein hoher Mann in dunklem Mantel auf die Flur.

Er ist es, sprach Ammer, ohne sich zu bewegen. Wer begleitet ihn?

Christlieb führte den Candidaten an das Lager des Vaters. Ein barmherziger Bruder aus Prag, sagte Fürchtegott, bittet um ein Viaticum.

Euern Segen – Euern Segen! lallte der Sterbende.

Der katholische Geistliche, welcher von Weltenburg kam, wo er Ammer noch zu treffen hoffte, fragte jetzt, wie es dem Greise ergehe? Die Bestürzung Aller gab ihm zu spät Antwort.

Er stirbt? fragte er. O, so lassen Sie mich mit Ihnen vereint an seinem Lager beten. Der Tod eines Gerechten mehrt den Segen der Ueberlebenden.

Ammer athmete nicht mehr. Während der Candidat, den Segen leise und gerührt sprechend, ein dreimaliges Kreuz über die Stirn des Greises schlug, umknieten die Uebrigen das Sterbelager, Einige betend, Andere leise weinend. Auch der barmherzige Bruder betete. Dann erhob er sich und verließ, von Niemand gefolgt, das Zimmer des Verblichenen. In der Wohnstube legte er einen Brief auf den Tisch.

Sie werden ihn finden, sprach er leise. Möge er wirken, was er soll. Ich habe meine Pflicht gethan.


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