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Erstes Buch.

Erstes Kapitel. Rückblicke.

An dem Nordabhange eines der vielen steilen Paßwege über das Gebirge lag unter hoher Tanne, deren dunkle Nadelbehänge beinahe die Erde berührten, ein Mann. Unter seinen Kopf hatte er einen schweren Pack geschoben, der einem Sacke von grober Leinwand ähnelte, oben aber zugeschnürt war. Grobe, weite Beinkleider von gleichem Stoffe, nur durch langen Gebrauch stark abgenutzt, plumpe Stiefel, eine blautuchene Jacke und ein rothbaumwollenes Tuch, lose um den sehnigen Hals geschlungen, bildeten die dürftige Kleidung des Wanderers.

Der Weg zog sich weiter abwärts über kahle, grauweiße Sandsteinblöcke fort, auf denen man hie und da tiefe Radspuren bemerkte, oder er senkte sich in tiefe Schlünde, die mit Geröll angefüllt und zu beiden Seiten mit üppig wucherndem Brombeergesträuch, auch wohl bisweilen mit mannshohen Königskerzen, bewachsen waren. Erst tiefer unten, in einer Entfernung von wohl zwei Stunden, blickte aus sonnigem Thale der braunrothe Thurm einer Kirche und weiterhin sah man Ziegeldach an Ziegeldach sich reihen bis an die begrünten Hügel, welche den Horizont im Norden begrenzten.

Der rastende Wanderer hatte die Augen geschlossen und beide Hände unter den Kopf gelegt, um die heißeste Tageszeit in dieser Lage abzuwarten. Ein lautes Pfeifen, das er anfangs für die rufende Stimme eines Waldvogels hielt, machte ihn aufhorchen, als es nach und nach näher kam. Gleichzeitig vernahm er Tritte, und bald zeigte sich in der obern Windung des Passes die stattliche Figur eines gemächlich herabklimmenden Mannes, der sich zur Unterhaltung ein Liedchen pfiff. So oft sein Fuß auf dem steilen und glatten Sandstein ausglitt, was häufig der Fall war, unterbrach er sein Liedchen und brummte oder stieß unverständliche Worte aus.

Einige Augenblicke richtete sich der unter dem schattigen Tannenbaum Siesta Haltende halb auf, da er aber sah, daß er von keinem Wegelagerer bedroht werde, nahm er ruhig seine frühere Lage wieder ein und schloß abermals die Augen, als wolle er schlafen.

Der fröhliche Wanderer kletterte indeß vollends die felsige Stiege herab und zeigte sich jetzt als ein Mann in den besten Jahren, schlank von Wuchs und in einer Kleidung, die schon von Weitem seinen Charakter, seine Stellung in der Welt errathen ließ. Der lange Rock von dunklem Tuche, die hohen, blanken Stiefel und die schwarze Halsbinde mit dem feinen, weißen Rande unter dem Kinn ließen den katholischen Geistlichen nicht verkennen.

Gegenüber der Tanne, auf der andern Seite des Pfades, lag ein moosbedeckter Sandsteinblock. Diesen erwählte jetzt der zweite Wanderer zum Ruhesitze, nahm seinen Hut ab, trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die etwas kurzen und dünnen Haare zurück und schlug dann mit seinem Stocke auf ein paar kleinere, im Wege liegende Sandsteinbrocken, die, was nicht selten ist, einen leise verhallenden Ton von sich gaben. Jetzt bewegte sich der Liegende, richtete sich auf und begrüßte den Sitzenden mit dem üblichen »guten Tag«.

Ein heißer Johannistag, entgegnete der Sitzende, den Gruß erwidernd. Man hat an sich selbst genug zu tragen, wie schwer mag es Euch erst werden, die Ihr solche Lasten über die Berge schleppen müßt.

Hätte man auf der Welt nichts Schlimmeres zu dulden, erwiderte der Mann unter der Tanne, so wäre man wohl auch aufgelegt, sich unterwegs ein Lied zum Zeitvertreib zu pfeifen. Geht der geistliche Herr sammeln auf die Dörfer?

So ist es, versetzte dieser, ein barmherziger Bruder aus Prag, die alljährlich in den Grenzdörfern einsprechen, um milde Gaben für die Pflege Kranker zu erbitten, welche die humane Brüderschaft Jedem, gleichviel, welchem Religionsbekenntnisse der Bedürftige angehören mochte, bereitwilligst angedeihen ließ.

Da könnten wir einander Gesellschaft leisten, sagte der Andere, wenn nämlich der geistliche Herr sich nicht an meinem Rock stößt.

Wie könnte ich! sagte der barmherzige Bruder. Ich werde mich unterhalten, dabei meine Kenntnisse erweitern, und brauche vor langer Weile nicht mehr zu pfeifen.

Zu viel Güte, erwiderte der Mann unter der Tanne. Ein armer Mensch wie ich, der Jahraus Jahrein mit Niemand zusammenkommt, als mit den Spinnern im Gebirge, hat selten Gelegenheit, etwas zu lernen. Ich weiß selber so viel wie nichts, wie könnte ich Andern und gar einem Gelehrten, einem geistlichen Herrn von meiner Armuth etwas abgeben!

Doch, doch, mehr als Ihr glaubt, sagte der Geistliche. Ihr blickt in Verhältnisse, die Tausenden unbekannt bleiben, weil man die Kreise gering achtet, die Ihr gründlich kennt. Ihr verkehrt mit Menschen, die auch ein Glied bilden in der großen Kette, welche das Volk ausmacht. Gewiß, wenn man Euch fragte, Ihr würdet mehr zu erzählen wissen, als mancher vornehme Herr, der mit Vieren von einem Ende der Welt zum andern fährt.

Nun so fragt, lieber Herr, versetzte der Andere munter, indem er rüstig aufsprang, seinen schweren Packen auf den Rücken hob, den starken Dornstock ergriff und, beide Hände darauf stützend, den barmherzigen Bruder mit offenen, gutmüthigen Augen ansah. Sind Sie wieder bei Kräften, so können wir aufbrechen. Die Zeit wird uns rascher vergehen, als da vom Kamm herunter, wo man jeden Schritt mit Winkelmaß und Zirkel hätte ausmessen mögen.

Der Geistliche war bereit. Indem er behutsam voranschritt und dem schwer Bepackten vorsorglich die sicher zu betretenden Stellen des noch immer beschwerlichen Pfades andeutete, sagte er:

Der Aussprache nach müßt Ihr ein Schlesier sein, aus der Gegend vom Iserkamme her?

Da bin ich zu Hause, erwiderte dieser, ich habe mich aber auch sonst im Lande weit und breit umgesehen, weil's das Geschäft so verlangt.

Ihr sagtet vorhin, warf der Geistliche ein, daß Ihr viel mit den Spinnern des Gebirges verkehrtet. Hinauf auf die Kämme und breiten Kammwiesen bin ich nie gekommen, weil das, fügte er mit schalkhaftem Lächeln hinzu mein Geschäft wenig fördern dürfte. Es soll aber den armen Leuten dort oben seit Jahren nicht allzu gut gehen. Wie mag das kommen?

Darüber, gelehrter Herr, ließe sich Vieles sagen. Ganz genau weiß ich selber auch nicht Bescheid, was ich aber so hörte, hat mich wohl einen Blick in die Verhältnisse thun lassen, so daß ich wenigstens darüber sprechen kann.

Ich bin begierig, Eure Ansicht zu erfahren.

Ehedem, d. h. schon vor längeren Jahren, fuhr der Gebirgsmann fort, hatten die Leute in den Bergen, nach ihrer Art zu leben, guten Verdienst. Sobald der Herbst kam, und später, wenn es ganz zuwinterte, spann Alt und Jung, und schmolz der Schnee im Frühjahre, konnten sie die Arbeit ihrer Hände leicht verwerthen an die großen Garnhändler, die mit Pferd und Wagen nach den Gebirgsdörfern kamen. Das ist jetzt anders geworden, nicht auf einmal, sondern nach und nach, eigentlich ganz unmerklich. Die Leute sind aber übel daran und kommen arg zurück.

Und wie läßt sich diese traurige Erscheinung erklären? Tragen die kriegerischen Zeitläufe Schuld daran?

Schwerlich, Herr, es mag wohl mehr im Ganzen liegen, in den veränderten Ansichten der Menschen und in der Sucht, alle gute Leinewand ganz und gar abzuschaffen.

Der barmherzige Bruder hemmte seine Schritte und wartete, bis der ihm folgende Gebirgsmann an seiner Seite stand.

Das ist doch wohl noch keinem vernünftigen Menschen eingefallen? sagte er. Nie habe ich ein Wort davon gehört.

Es spricht auch Niemand davon, dennoch muß es sich so verhalten, denn wie wäre es sonst möglich, daß nur äußerst wenig Handgespinnst jetzt begehrt wird? Daß selbst das Feinste im Preise gesunken ist und daß nur selten einer von den großen Fabrikanten ein paar Schock des besten Garnes monatlich verarbeiten läßt?

Und doch stand die Weberei nie zuvor in solcher Blüthe, meinte der geistliche Herr, einen waldigen Wiesenpfad einschlagend, der gerade auf ein großes Gehöft zuführte.

Der Gebirgsmann schüttelte den Kopf. Das ist bloße Rederei, sagte er. Der Weber sind freilich mehr geworden als je zuvor, gehoben aber hat sich das Geschäft, der Nahrungszweig selbst nicht, denn wer heut zu Tage mit dem »Schützen« umgeht, der hat immer auch schon die Nähnadel eingefädelt, mit der er sich den Bettelsack nähen kann, wenn's einmal über Nacht ein Ende nimmt.

Die letzten Worte sprach er bitter, gab seinem schweren Packen einen kräftigen Ruck und legte den Stock quer unter denselben, ihn an beiden Enden fassend, um sich dadurch die Last etwas zu erleichtern.

Ihr habt doch nicht selbst traurige Erfahrungen gemacht? forschte der Geistliche weiter.

Ich selber nicht, lautete die Antwort, mein Bruder aber, wenn er noch lebte, könnte davon erzählen. Doch wozu über nicht zu ändernde Dinge unnütze Worte verlieren! Eins steht fest, lieber Herr, es gibt schon seit Jahren wenig reelle Weber mehr. Darum darben die Flachsspinner im Gebirge; darum hält man wenig vom Handgespinnst und darum haben wir meistentheils schlechte Leinwand. Schlechte Leinwand mag ich aber noch weniger leiden, als das baumwollene Zeug, was jetzt so viele Tausende dem besten Linnen vorziehen.

Der geistliche Herr aus Prag konnte auf diese Bemerkungen seines Begleiters nichts erwidern, da er sich auf ein Feld versetzt sah, wo er sich durchaus nicht heimisch fühlte. Man hatte inzwischen das Gehöft erreicht, die Gegend öffnete sich, ein prächtig bewaldetes Thal, in dessen Tiefe ein klarer Fluß rauschte, ward sichtbar, und weiter thalabwärts zeigten sich hohe Gebäude, deren Wände und Fenster jetzt in der Nachmittagssonne hell erglänzten.

Wie heißt der Ort dort mit den vielen prächtigen Häusern? fragte der barmherzige Bruder.

Weltenburg, versetzte der Gebirgsmann. Ein schönes Besitzthum, obwohl ich keine Lust verspüre, dort zu wohnen.

Weltenburg? wiederholte nachdenklich der Geistliche. Gehört das nicht den reichen Ammer?

Die reichen Ammer nennt man die Herren von Weltenburg, erwiderte etwas düster der Mann mit dem Packen. Ich weiß nicht, ob das Gerücht wahr spricht, aber ich mag die Herren nicht, obwohl ich häufig mit ihnen verkehre.

Ihr verkauft ihnen wahrscheinlich Gebirgsgarn?

Ja, Herr, und erhalte dafür pünktlich reelle Bezahlung.

Und deßhalb mögt Ihr sie nicht leiden?

Das hat einen andern Grund, Herr.

Ihr habt etwas auf dem Herzen; wenn Ihr sprecht, wird Euch leichter werden.

Kann sein, erwiderte der Gebirgsmann, ich spreche nur nicht gern davon, weil ich Niemand Unrecht thun mag. Da wir nun aber doch einmal darauf gekommen sind, kann ich's Ihnen ja wohl sagen. Ich habe außer meiner eigenen Familie auch noch die Wittwe meines Bruders zu ernähren, und da muß ich mich wacker rühren, um durchzukommen. Und doch wollen das die Ammer auf Weltenburg niemals einsehen. So oft ich sie auch bediene, wie sie's wünschen mögen, bei der Bezahlung wird doch jedesmal abgezogen. Jetzt wissen Sie, weßhalb ich nicht in dem prächtigen Schlosse wohnen möchte.

Der barmherzige Bruder bemühte sich, den Garnhändler auf andere Gedanken zu bringen. Er führte an, daß Geschäftsleute wie die Herren von Weltenburg gewöhnlich mit weit mehr Sorgen belastet seien, als man glaube, daß Sparsamkeit bei Ordnungsliebe und Pünktlichkeit ihnen Niemand zum Vorwurf machen dürfe, da sie ja sicherlich Verbindlichkeiten der mannigfachsten Art zu erfüllen haben würden. Dann würden Männer mit so ausgebreiteten Geschäften von Zahllosen bestürmt, von Manchem auch wohl in unziemlicher Weise und dies verstimme sie dann und ließe sie vielleicht hart erscheinen, ohne daß man ihnen mit Grund einen solchen Vorwurf machen könne.

Der alte Ammer, schloß er seine längere Auslassung, war ein grundehrlicher, dabei in hohem Grade mildthätiger Mann. Ich weiß nicht, ob er noch leben mag; unsere Brüderschaft ehrte ihn sehr, wie er auch uns wieder gewogen war. Meine älteren Collegen besuchten ihn jährlich zweimal, und nie verließen sie sein Haus ohne reiche Geschenke von ihm zu erhalten.

Da haben Sie Recht, lieber Herr, versetzte der Garnhändler. Wären die Herren Söhne nach dem Vater gerathen, so müßte jetzt in Weltenburg das Himmelreich auf Erden anzutreffen sein. Allein in den jungen Herren, die freilich jetzt auch nicht mehr die Allerjüngsten sind, ist Alles ausgeartet. Darum mit Verlaub hass' ich sie eigentlich, obwohl ich mir sagen muß, daß dies unchristlich, vielleicht gar sündhaft ist.

Die Wanderer waren jetzt dem Schlosse mit seinen vielen Nebengebäuden so nahe gekommen, daß sie die ganze großartige und schon von Außen imponirende Anlage überblicken konnten. Jedermann mußte schon bei diesem Anblick überzeugt sein, daß die Eigenthümer einer so ausgedehnten Besitzung durch ihre großen Mittel mächtig und vielgebietend dastehen müßten. Dieser Eindruck verlor sich auch nicht, je näher man den Gebäuden kam, denn überall sah man unverkennbare Zeichen nie ruhender Thätigkeit.

An der im Thale liegenden Walkmühle trennten sich die Wanderer. Der barmherzige Bruder stieg den Schloßberg hinan, der Garnhändler wandte sich nach einem abgesondert liegenden nur einstöckigen Hause mit grünen Jalousieen, über dessen Thür auf langer schwarzer Tafel mit weithin leuchtenden Buchstaben die Worte zu lesen waren: Comptoir der Gebrüder Ammer.

Während der aus den Gebirgen kommende Garnhändler in dieses tritt und der barmherzige Bruder dem Portale des alten Schlosses zuschreitet, werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, um uns im Schooße der Familie, deren Schicksale uns beschäftigen, zu orientiren.

Es sind Jahre vergangen seit jener Nacht, wo Fürchtegott seine junge Gattin nach Weltenburg führte. In dieser langen Zeit hatten die Ammer viel Trübes erfahren. Eine Reihe von Unfällen, die, sich oft wiederholend, wie Nadelstiche prickelten und Niemand Ruhe gönnten, störten den Frieden der ganzen Familie.

Wenige Wochen nach Fürchtegott's Vermählung wurden die Brüder eines Tages von der Nachricht erschüttert, das Haus Zobelmeier in Wien habe plötzlich seine Zahlungen eingestellt, der Chef desselben sei flüchtig geworden, das Geschäft versiegelt. Die Gebrüder Ammer hatten Wechsel auf jenes Haus laufen, welches für sie die Hauptagentur ihres Handels nach der Levante besorgte. Diese Wechsel mußten vor Allem gedeckt werden, um größeres Unglück zu verhüten. Deßhalb entschloß sich Christlieb, genau vertraut mit den Verhältnissen, ohne Säumen nach Wien zu reisen, um durch seinen Einfluß wenigstens den vollen Ausbruch eines Concourses zu verhindern und überhaupt zu retten, was etwa noch zu retten sein möchte. Allein noch ehe er abreisen konnte, traf ein Eilbote auf Weltenburg ein, den Zobelmeier selbst entsendet hatte. Dieser überreichte den Brüdern ein Schreiben, dessen Inhalt sie in die größte Bestürzung versetzte. Es war zur Kenntniß der Behörden gekommen, daß durch Anwendung geheimer List ein ansehnlicher Gewinn im Lotto an die Ammer gefallen war, nähere Nachforschungen, die man in größter Stille und äußerst behutsam anstellte, warfen ein verdächtigendes Licht auf Zobelmeier, man bemächtigte sich unerwartet seiner Papiere, fand einen bisher unbeachtet gelassenen Zettel von Christlieb Ammer's Hand, und gab darauf unverweilt Befehl, diesen Mann, dessen Name wohl bekannt war und der, seines großen Einflusses wegen, der Behörde wichtiger als jeder andere erschien, zu verhaften, sobald er die Grenze überschreiten werde.

Christlieb's zitternder Hand entfiel dies Unglückspapier, er selbst war dem Umsinken nahe. Nur Fürchtegott's resolutes Wesen, das noch immer bei jedem bedeutenden Unfälle eine außergewöhnliche Spannkraft entwickelte, richtete den Niedergeschmetterten wieder auf. Die persönliche Freiheit mußte um jeden Preis gesichert werden. Nach langem Hin- und Hersinnen erklärte Fürchtegott eine offene Anfrage an geeignetem Orte durch einen unbetheiligten Dritten für das sicherste Auskunftsmittel. Es galt nur, das eigene Vermögen zu retten und gleichviel auf welche Weise den drohenden Verhaftsbefehl für immer aufzuheben. Dem ungemein klugen Vorgehen Fürchtegott's gelang wirklich Beides, freilich erst nach mehreren Monaten und mit sehr großen Geldopfern. Christlieb durfte ungefährdet den Kaiserstaat wieder betreten, das in Stocken gerathene Geschäft ward geordnet, die abgebrochenen Verbindungen auf's Neue angeknüpft, allein es gingen weit über hunderttausend Gulden dabei verloren!

Diesen Verlust würden beide Brüder leichter verschmerzt haben, wäre es ein solcher gewesen, von dem sich sprechen ließ. Aber man mußte ihn geheim halten, durfte ihn nicht einmal den Nächststehenden ahnen lassen. Dies peinigte und drückte die Brüder, machte sie bisweilen unsicher, sogar unentschlossen in wichtigen Geschäftsangelegenheiten und entwickelte in Beiden eine gewisse Schärfe, die sie am unangenehmsten ihre Untergebenen, und unter diesen wieder die Abhängigsten mehr als Andere fühlen ließen.

So kam es, daß bald das Gerücht sich verbreitete und immer mehr Kraft gewann, die reichen Gebrüder Ammer seien harte, herzlose Menschen, denen es bisweilen Vergnügen gewähre, Bedürftige zu quälen und sie ihre unbegrenzte Macht fühlen zu lassen. Die Brüder selbst ahnten nichts davon, sie hatten auch nicht die Absicht, Andere ungerecht zu behandeln, denn welch scharfe und leicht verwundende Spitzen und Hacken in ihrem Charakter sich angesetzt hatten, das vermochten sie schon darum nicht zu beurtheilen, weil ihnen alle Selbstprüfung fremd war und sie, im Gefühl gethanen Unrechtes, sich alle mögliche Mühe gaben, jeden Gedanken, jede Erinnerung daran gänzlich in sich zu ertödten.

Um in allen rein geschäftlichen Dingen völlig unabhängig zu sein, vielleicht auch um trübere Stimmungen den Näherstehenden leichter verheimlichen zu können, erbauten sie jenes kleine, aber comfortable eingerichtete Haus mit den grünen Jalousieen, das entfernt vom Schlosse mitten zwischen den rastloser Arbeit gewidmeten Etablissements lag. Dahin verlegten die Gebrüder Ammer ihr Comptoir.

Fast wider Erwarten gelang die Ausgleichung der Wiener Fatalität so geräuschlos, daß nicht einmal der ewig spionirende Wimmer die geringste Kunde davon erhielt.

Mit diesem Gelingen begnügten sich aber die Brüder nicht. Sie waren freilich reich, dennoch schmerzte sie der gehabte Verlust, und gerade, weil die Schuld ihnen ganz allein zufiel, wollten sie das Verlorene auch wiedergewinnen. Die einmal glücklich überstandene Gefahr machte sie vorsichtig. Nicht durch Umgehung der Gesetze wollten sie ihr Besitzthum vermehren, kaufmännische Genauigkeit sollte ihnen von jetzt an eine ungleich festere Brücke zu sicherem Gewinne bauen.

Ihr Herz hing bereits dergestalt an dem blinkenden Metall, daß sie es gegen Andere unverhohlen aussprachen, das größte Unglück auf Erden sei der Nichtbesitz des Geldes. Damit war auch der Grundsatz kundgegeben, man dürfe nie aufhören, eine Habe zu mehren. Bei den ungeheuern Verbindungen der Gebrüder, bei den vielen tausend Händen, welche sie beschäftigten, die von ihnen abhingen, waren immer große Summen zu verdienen, wenn man den Arbeitern unmerkliche Abzüge machte. Die Concurrenz eines Mächtigeren hatten die Brüder nicht zu fürchten, im Gegentheil, sie verbanden sich Andern durch Einführung eines solchen Verfahrens.

Die Gelegenheit dazu war bald gefunden. Eine Handelsstockung von nur einigen Wochen, die aber doch hemmend auf die Production zurückwirkte, nöthigte die Brüder zu der längst beabsichtigen Erklärung gegen ihre Arbeiter, wobei sie es diesen anheimstellten, ob sie gänzliche Entlassung einer so geringfügigen Lohnverkürzung vorzögen. Was man vorausgesehen hatte, geschah. Kein Einziger verließ die Arbeit, vielmehr baten eine ansehnliche Zahl erst neu dazu Gekommener, die Herren auf Weltenburg möchten doch ihre Hand nicht von ihnen abziehen.

Rentirte schon dies Manöver, so warf ein anderes, das dem rastlos thätigen Gehirn Fürchtegott's entsprang, noch ungleich größere Summen ab.

Die ernste Warnung des Kaufmann Mirus an seinem Hochzeitstage, die ihm den Himmel seiner Flitterwochen gar sehr trübte, hatte doch gute Folgen. Die alten Kunden in Amerika, die nur deßhalb von dem ihnen gespielten Betruge nichts gemerkt hatten, weil zufällig die ersten Sendungen jener unsoliden Waaren raschen Absatz in die westlichen Staaten und überhaupt in das Innere des unermeßlichen Landes fanden, konnten seit jenem ersten Drohworte nicht besser bedient werden. Die Gebrüder Ammer waren, um in jeder Hinsicht solid bleiben zu können, so vorsichtig, daß sie sich nur für eine geringere Quantität verpflichteten, und die so Bedienten erhielten fort und fort nur Waaren von den alten Ammer'schen Webstühlen.

Diese überaus kluge Machination befestigte den Credit auf's Neue, und weil man jetzt einen nicht mehr wankenden sichern Grund hatte, auf dem man zu jeder Zeit fußen konnte, war in anderer Weise schon wieder etwas zu wagen, ohne sich selbst zu schaden.

In Surinam fand die leichtere, mit Baumwolle gemischte Leinwand ungleich mehr Beifall als die ächte. Dort sah man mehr auf das Aeußere und wäre vielleicht nicht einmal abgeneigt gewesen, eine besonders anmuthig in's Auge fallende Apretur mit höheren Preisen zu bezahlen. Auf diese Apretur ward demnach jetzt ganz außerordentliche Sorgfalt verwandt, dagegen war der Stoff von gar keiner Haltbarkeit. Aber auch hier blieb den klugen Brüdern das Glück treu. Ihre Agenten in Surinam waren befriedigt, erneuerten regelmäßig ihre Bestellungen und sendeten pünktlich den Betrag dafür in guten Papieren auf die ersten europäischen Häuser ein.

Erforderten alle diese schwierigen Unternehmungen auch viele Arbeit, war deren Zustandekommen mit Sorgen und Aerger mancherlei Art verbunden, dennoch würde die Welt die Gebrüder Ammer zu den vom Glück selten Bevorzugten gezählt haben. Ein trauriges Ereigniß aber, das schon im dritten Jahre nach Fürchtegott's Verheirathung eintrat, stürzte die ganze Familie in tiefe Betrübniß.

Vater Ammer hatte auf Zureden seiner Söhne eine neue Einrichtung in der Färberei treffen lassen, um gewissen Stoffen, die in der Levante stark begehrt wurden, mittelst derselben eine besonders glänzende Farbe geben zu können. Dazu bedurfte es der Verwendung einer giftigen Substanz, die nur verabfolgt wurde, nachdem deren Verwendung in genügender Weise nachgewiesen worden war. Ammer selbst war ein zu vorsichtiger Mann, als daß durch eine Vernachlässigung seinerseits irgend Jemand hätte gefährdet werden können; allein er wußte nicht und man hatte es ihm zu sagen vergessen daß während des Kochens der geringste damit in Berührung kommende Funke die Substanz sofort entzünde.

Es war tief im Herbst, das Wetter hell, aber windig, als Ammer noch vor Schlafengehen die erwähnten Ingredienzen zum Gebrauch für den nächsten Tag vorbereiten wollte. Der starke Wind schlug dabei heftig die Thür der Färberei zu, wehte von dem brennenden Lichte eine glimmende Flocke ab und trieb sie in den brodelnden Kessel. Sogleich schlug eine dunkelrothe Lohe hoch auf bis an die Decke, der Kessel strömte über, erstickender, die Lungen schwer belästigender Rauch erfüllte den Raum, und ehe der erschrockene, von dem giftigen Dunst fast betäubte alte Mann sich noch besinnen konnte, stand das ganze Gebäude bereits von der Sohle bis zum Giebel in hellen Flammen.

Ammer stürzte hinaus in die Nacht. Die rothe Gluth, von der Windsbraut erfaßt, rollte fort über die nächsten Gebäude, und ehe noch irgend Jemand an Rettung oder Hilfe denken konnte, stand das ganze Gewese des reichen Webers, das Haus des Nachbars Seltner und mehrere andere in vollen Flammen.

In den vom Winde strudelnd umhergetriebenen Feuerflocken versengten die weißen Haare des alten Mannes, der, um das Wichtigste der Vernichtung zu entreißen, in sein Cabinet stürzte. Eiligst erschloß er hier mit zitternder Hand, während Schauben und Sparren schon von der gefräßigen Lohe verzehrt wurden, einen Wandschrank, entnahm demselben mehrere Papierrollen, schnallte sich möglichst schnell eine schwere Geldkatze um den Leib, knöpfte seinen Rock fest zu, sah sich nochmals um in den ihm so theuern Räumen, wo er so viel verlebt, so manche bange Stunde durchgekämpft hatte, und wollte nun sein dem Untergange verfallenes Eigenthum für immer verlassen, da prasselte, als er eben das Wohnzimmer durchschritt, ein Theil des aus Holzwerk gezimmerten Giebels nieder in die Gasse. Der immer heftiger vom Gebirge hereinfegende Wind jagte die Flammen dem Weber gerade entgegen, so daß in wenigen Secunden die mit Oelfarbe und einem Lacküberzuge angemalte Hausthür sofort in Brand gerieth.

Ammer schrie nach Hilfe und suchte durch die Hinterthür zu entkommen. Allein hier wirbelten die Flammen des Färbehauses, die bereits auf die Wohnung Seltners hinübergesprungen waren und jetzt über den nächsten Gruppen der Obstbäume ein roth glühendes Gewölbe bildeten, ihm toddrohend entgegen. Dennoch mußte die Flucht über brennendes Gebälk am Boden, durch stürzende Schindeln, Latten und niederprasselndes Stückwerk gewagt werden.

Ammer faltete die Hände über seiner breiten Brust, betete laut und entfloh dann mit dem Rufe: Sei und bleibe bei mir, mein Gott und Herr bis an's Ende!

Es gelang ihm, mit unbedeutenden Brandwunden die Trümmer zu überspringen. Schon glaubte er sich gerettet, da schnurrte der letzte Rest des zusammenbrechenden Schaubendaches, dessen hoher First mit breiten Ziegeln belegt war, herab, einige der größten Ziegelstücke erreichten den Fliehenden, er stürzte nieder unter lautem Schmerzensruf, und wie Rauch und Flammen über ihm zusammenschlugen, vergingen dem Aermsten die Sinne.

Als der greise Weber wieder zum Leben erwachte, sah er an seinem Schmerzenslager seine Gattin, die weinende Flora, beide Seltner, Vater und Sohn, und seinen Enkel Otto, der den Großvater mit seltsamen Augen betrachtete. Der Brand wüthete noch immer. Die zur Rettung Herbeigeeilten waren nur auf Einengung des entfesselten Elementes in gewisse Grenzen bedacht. Die einmal vom Feuer ergriffenen Gebäude mußte man bei dem Forttoben des Windes und der heftigen Gluth verloren geben.

Ammer war schwer verletzt. Der herbeigerufene Arzt fand ihn nicht allein von mehreren Brandwunden beschädigt, er bemerkte auch, daß der alte Mann die rechte Schulter ausgesetzt und den linken Fuß gebrochen hatte.

Diese Nachricht berührte den bis dahin so rüstigen Mann so schmerzlich, daß er sich kaum der Thränen zu enthalten vermochte.

Also doch noch ein Krüppel geworden auf meine alten Tage! sagte er bekümmert. Nun, es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, und der Herr folgt dem Gehäuse, das ihn bis dahin beherbergt hat.

Ammer besaß aber eine eiserne Constitution. Trotz der heftigen Körperschmerzen, die ihn Tag und Nacht peinigten, und ungeachtet der tausend Sorgen, die auf ihm lasteten, blieb er geistig doch frisch, wie sonst. Von seinem Lager aus disponirte er über geschäftliche Angelegenheiten, ließ sich die Risse zu dem Neubaue zeigen und von den Architecten und Polirern erklären, was ihm undeutlich daran war, verfügte über die erforderlichen Geldmittel, ja prüfte sogar die Weben, die allwöchentlich seine Arbeiter ihm ablieferten.

Darüber vergingen Wochen. Endlich war der alte Herr wieder so weit hergestellt, daß er sein Lager verlassen konnte. Da freilich gewahrte er zu seinem großen Verdruß die Unfähigkeit, ohne Hilfe und Stütze Anderer auch nur einen Schritt thun zu können. Der rechte Arm blieb schwach; er konnte sich seiner nur bedienen, wenn er einen festen Ruhepunkt hatte. Ihn selbstständig zu bewegen, dazu fehlte es Muskeln und Sehnen an Kraft. Der gebrochene Fuß war auch nach den Versicherungen aller Aerzte vollkommen kunstgerecht geheilt, allein biegen konnte ihn der Weber nicht. Fußblatt und Knöchelgelenke schienen in eine feste, starre Masse zusammengewachsen zu sein.

Bei dieser Entdeckung sank Ammer wieder zurück in seinen Lehnstuhl und wiederholte die Schmerzensworte:

Also doch ein Krüppel!

Dies unvorhergesehene Brandunglück, von dem auch noch mehrere Andere betroffen wurden, war ein schwerer Schlag für die Familie Ammer. Der Verlust an weltlichen Gütern ließ sich kaum berechnen. Außer den Werthpapieren und der zum Glück nicht übergroßen Summe baaren Geldes, welche der Weber gerade im Hause vorräthig hatte, war Alles ein Raub der Flammen geworden. Das ganze reiche Lager an fertigen Waaren, ein großer Vorrath des feinsten Garnes war verbrannt. Und weder diese Waaren noch die Baulichkeiten hatte Ammer versichert! Seine praktischeren Söhne forderten ihn wiederholt auf, diese Vorsichtsmaßregeln auf alle mögliche Fälle doch ja nicht zu vernachlässigen; sie führten ihm zu Gemüthe, daß Graf Alban, ebenso Wimmer und der alte, grämliche Mirus gleichfalls diese neue Einrichtung für zweckmäßig erklärt und Alle davon Gebrauch gemacht hätten; Ammer schüttelte consequent den Kopf und sagte hartnäckig: Nein!

Will mein Schöpfer mich strafen oder prüfen, sprach er, so wird er's dann erst recht thun, wenn ich aus purem Mißtrauen oder aus eitel Verstandesübermuth so frech bin, zwischen mich und seine allmächtige Hand einen Streifen Papier zu schieben. Wer's verantworten kann vor seinem christlichen Gewissen, mag es thun, ich für mein Theil spreche früh und Abends mein Bitt- und Dankgebet, und lasse dem Herrn freie Hand und freies Spiel allüberall nach seiner unerforschlichen Weisheit.

Diesen Verlust an Hab' und Gut, so bedeutend er war, und so sehr er unmittelbar nach der Katastrophe eine Menge Menschen drückte, verschmerzte Ammer von Allen zuerst und am leichtesten. Er machte ihn selber nicht arm, und das Verlorne war ja durch Arbeit wieder zu gewinnen; schwerer dagegen konnte er sich an seine körperliche Gebrechlichkeit gewöhnen.

Da Flora's Haus von den Flammen verschont geblieben war, richteten Vater und Mutter sich vorläufig ganz bei ihr ein. Ammer konnte hier vom Fenster aus den Bau gewissermaßen leiten und überwachen, und hatte eine Freude daran, die vielen Gebäude täglich mehr emporwachsen und endlich sich vollenden zu sehen.

Nach gänzlicher Beendigung auch der innern Einrichtung, die den Bedürfnissen der Neuzeit etwas mehr entsprach, als die des abgebrannten alten Hauses, wollte der Weber wieder Besitz davon nehmen, allein schon die erste Besichtigung machte ihn anderen Sinnes. Nichts war so, wie es sonst gewesen, wie er es von Jugend auf gewöhnt war. Alles war schöner, nach Ammer's Behauptung aber viel, viel unbequemer. Dies machte ihn mürrisch, über die Maßen eigensinnig und oft sogar zänkisch. Seine besten Arbeiter konnten ihn nicht mehr befriedigen. Er verwarf Alles, fand überall zu tadeln, und wenn er dann seine Aussetzungen rechtfertigen wollte und der rechte Arm ihm den Dienst versagte, gerieth der alte Mann in einen stillen Ingrimm, daß die Nächststehenden mit vereinten Bitten in ihn drangen, er möge sich doch fortan schonen und das ganze Geschäft, das ihm doch keine Freude mehr gewähre, für immer aufgeben.

Anfangs weigerte sich Ammer hartnäckig, da aber die angedeutete Stimmung und in Folge deren auch die heftigen Scenen sich wiederholten, der gebrechliche Mann auch durchaus nicht zu bewegen war, den zweckmäßigen Neubau zu beziehen, kam er nach einiger Zeit selbst zu der Einsicht, es sei besser für ihn, wenn er das Arbeiten und Sorgen jetzt Andern überlasse.

Nach langen und ausführlichen Unterhandlungen, an denen seine sämmtlichen Kinder Theil nahmen, übertrug Ammer seinem Schwiegersohn Albrecht Seltner das Geschäft, ließ das neu erbaute Haus auf ihn umschreiben und setzte sich selbst zur Ruhe.

Als diese Uebertragung rechtskräftig beendigt war, seufzte Ammer, denn er kam sich jetzt überflüssig vor in der Welt.

Ich wollte, nun käme bald mein Schöpfer, sagte er, berührte meine Augen mit seinem Finger und spräche: Komm Alter, ich will dich sehen und dich verstehen lehren die Gefilde der Seligen und die Räthsel des Glaubens. Aber so leicht wird es mir nicht werden. Mein Herz, ich fühl's, schlägt noch gar zu weltlich und sodann ist's auch sündhaft, hab' ich mir allzeit vorpredigen lassen, sich selber den Tod zu wünschen, zumal wenn man noch zu leben hat und Kinder, die einen alten, hinfälligen Menschen, wenn's sein muß, pflegen können. Darum: wie der Herr will!

Ammer's Gemüthsstimmung heiterte sich auf. Er mochte gern am Fenster sitzen, mit Otto oder auch, wenn die Zeit es ihr erlaubte, mit Flora plaudern, und auf die Arbeitsleute, besonders auf die Garnschläger achten, die an sonnigen Tagen stets einige Stunden damit beschäftigt waren, gefärbte oder auch nur gebrühte Garne auf Stangen zum Trocknen aufzuhängen und dann so lange auszuschlagen, bis jeder Faden sich wieder von dem andern gelöst hatte. Es bedurfte zu dieser für den Fabrikanten wichtigen Arbeit sehr zuverlässiger Leute, weil sie Vorsicht und Ausdauer erheischt. Es kam daher auch nicht selten vor, daß der Finger des alten Mannes an das Fenster klopfte, wenn einer der Garnschläger auch nur zufällig in dieser Beziehung sich eine kleine Nachlässigkeit zu Schulden kommen ließ.

Bei trübem oder gar bei Regenwetter gab es leider nichts zu beobachten. An solchen Tagen fuhren kaum einige Frachtwagen vorüber, und wenn nicht das Spiel der Wolken, das Verschwinden und Wiedersichtbarwerden der Bergkuppen in den rollenden feuchten Nebeln ihm einige Unterhaltung gewährte, fühlte Ammer bald Langeweile.

Er griff dann wohl nach einem Chronikbuche und blätterte darin, allein des Lesens ungewohnt, schmerzten ihn sehr bald die Augen. Auch enthielten die Geschichten für ihn nichts Neues, denn er hatte sie wohl zehnmal schon gelesen. Seltner, der es bald merkte, daß sein Schwiegervater Zerstreuung suchte, legte, ohne vorher anzufragen, ein paar Volksschriften neueren Datums auf das Fensterbrett. Ammer sah sie an, las Titel und Jahreszahl und schob sie dann ungelesen bei Seite. Weßhalb? konnte Niemand erfahren, denn er verlor darüber kein Wort.

Bisweilen machte es dem in seiner gezwungenen Unthätigkeit sich unwohl fühlenden Greise Vergnügen, mit seinem Enkel Mühle zu spielen. Er freute sich dann, beim Ansetzen der Steine den aufgeweckten Knaben in die Irre zu führen, ließ ihn aber aus Gutmüthigkeit stets gewinnen.

Fast ein ganzes Jahr hatte der alte Ammer dies Leben mit leidlicher Geduld ertragen, da erklärte er plötzlich, es sei ihm unmöglich, länger mit ansehen zu müssen, wie Andere arbeiteten und er selbst, obwohl er noch wohl bei Kräften sich fühle, dem lieben Gott die Tage abstehle.

Das neu erbaute Haus hatte er schon lange nicht betreten. Der Buchhalter bewohnte jetzt die für ihn selbst bestimmt gewesenen Zimmer. Er mochte, wie er ohne Umschweife erklärte, nicht mehr sehen, daß Andere, wenn auch ihm zunächst stehende, auf seinem Revier handthierten.

Ich bin nichts mehr nütze allhier, sagte er, und darum werde ich auswandern zum Mai. Im alten Thurme auf Weltenburg will ich den Wächter machen. Dort kann mir Erdmuthe 'was vorplaudern oder meinetwegen auch vorlesen, und sind wir beide des weltlichen Wirrwarrs überdrüssig, so reden wir zusammen von himmlischen Dingen.

Flora sah es zwar ungern, daß der alte, seit dem unglücklichen Brande der Pflege so bedürftige Vater die Heimath ganz verlassen wollte, dennoch wagte sie auch nicht, ihm abzurathen. Ammer traf Anstalten, welche bewiesen, daß sein Entschluß ihm Ernst und unwiderruflich sei, und Ende Mai übersiedelte er wirklich mit Anna, seiner treuen, nie ungeduldig werdenden Pflegerin, nach Weltenburg. Dort bezog er die schon erwähnten alterthümlichen Zimmer im alten Schlosse, die ihn so oft der prächtigen Aussicht wegen gefesselt hatten.


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