Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Zehnter Gesang.

1 Schon sinkt der Tag, und trauernd wirft die Nacht
(Ach! nicht vertraulich mehr in süßer Herzensfülle
Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig ihre trübste Hülle
Ums öde Eiland her, wo aus der tiefen Stille
Nun keinen Morgen mehr der Freude Lied erwacht;
Nur ein Verlassener von allem was er liebet
Der Pflichten schrecklichste durch stilles Dulden übet.
2 Ihn hört Titania, in ein Gewölk verhüllt,
Tief aus dem Wald herauf in langen Pausen ächzen,
Sieht den Unglücklichen in stummer Angst verlechzen,
Und wendet sich von ihm. Denn, ach! vergebens schwillt
Ihr zartes Herz von innigem Erbarmen.
Ein stärk'rer Zauber stößt mit unaufhaltbar'n Armen
Sie weg von ihm; und wie sie überm Strand
Dahin schwebt, blinkt vor ihr ein Goldreif aus dem Sand.
3 Amanda hatte ihn, im Ringen mit den Söhnen
Des Raubes, unvermerkt vom Finger abgestreift.
Die Elfenkönigin, indem sie ihn ergreift,
Erkennt den Talisman, dem alle Geister fröhnen.
Bald, ruft sie freudig, ist das Maß des Schicksals voll!
Bald werden wieder dich die Sterne mir versöhnen,
Geliebter! Dieser Ring verband uns einst; er soll
Zum zweyten Mahl zu meinem Herrn dich krönen!
4 Inzwischen hatte man im Schiff, mit großer Müh,
Amanden, die in Ohnmacht lag, ins Leben
Zurück gerufen. Kaum begonnte sie
Die schweren Augen trostlos zu erheben;
So fiel vor ihr der Hauptmann auf die Knie,
Und bat sie, sich dem Gram nicht länger zu ergeben:
Dein Glück ist's, sprach er, bloß, wovon ich Werkzeug bin;
In wenig Tagen bist du unsre Königin.
5 Besorge nichts von uns, wir sind nur dich zu schützen
Und dir zu dienen da: dich, Schönste, zu besitzen
Ist nur Almansor werth, der dir an Reitzen gleicht.
Er wird beym ersten Blick in deinen Fesseln liegen;
Und, glaube meinem Wort, du wirst ihn mit Vergnügen
Zu deinen Füßen sehn. Der Hauptmann spricht's, und reicht
(Um allen Argwohn, den sie hegen mag, zu stillen)
Ein reiches Tuch ihr dar, sich ganz darein zu hüllen.
6 Der ist des Todes, (fährt er fort,
Mit einem Blick und Ton, der alles Volk am Bord
Erzittern macht) der je des Frevels sich verwäget
Und seine Hand an diesen Schleier leget!
Betrachtet sie von diesem Augenblick
Als ein Juwel, das schon Almansorn angehöret.
Er sagt's, und zieht, damit sie ungestöret
Der Ruhe pflegen kann, kniebeugend sich zurück.
7 Amanda, ohne auf des Räubers Wort zu hören,
Bewegungslos, betäubt von ihrem Unglück, sitzt,
Die Hände vor der Stirn, die Arme aufgestützt
Auf ihre Knie', mit starren, thränenleeren,
Erloschnen Augen da. Ihr Jammer ist zu groß
Ihn auszusprechen, ihn zu tragen
Ihr starkes Herz zu zart. Ach! diesen letzten Stoß
Erträgt sie nicht! Sie sinkt, doch sinkt sie ohne Klagen.
8 Sie schaut nach Trost sich um, und findet keinen; leer
Und hoffnungslos, und Nacht, wie ihre Seele,
Ist alles, alles um sie her;
Die ganze Welt verkehrt in eine Mörderhöhle!
Sie starrt zum Himmel auf – auch Der
Hat keinen Trost, hat keinen Engel mehr!
Am Abgrund der Verzweiflung, wo sie schwebet,
Steht noch der Tod allein, der sie im Sinken hebet.
9 Mitleidig reicht er ihr die abgezehrte Hand,
Der letzte, treuste Freund der Leidenden! Sie steiget
Hinab mit ihm ins stille Schattenland,
Wo aller Schmerz, wo aller Jammer schweiget;
Wo keine Kette mehr die freye Seele reibt,
Die Scenen dieser Welt wie Kinderträume schwinden,
Und nichts aus ihr als unser Herz uns bleibt:
Da wird sie alles, was sie liebte, wiederfinden!
10 Wie ein verblutend Lamm, still duldend, liegt sie da,
Und seufzt dem letzten Augenblick entgegen:
Als, in der stillen Nacht, sich ihr Titania
Trost bringend naht. Ein unsichtbarer Regen
Von Schlummerdüften stärkt der schönen Dulderin
Matt schlagend Herz, und schläft den äußern Sinn
Unmerklich ein. Da zeigt sich ihr im Traumgesichte
Die Elfenkönigin in ihrem Rosenlichte.
11 Auf! spricht sie, fasse Muth! Dein Sohn und dein Gemahl
Sie athmen noch, sind nicht für dich verloren.
Erkenne mich! Wenn du zum dritten Mahl
Mich wieder siehst, dann ist, was Oberon geschworen,
Erfüllt durch eure Treu'. Ihr endet unsre Pein,
Und wie Wir glücklich sind, so werdet Ihr es seyn.
Mit diesem Wort zerfließt die Göttin in die Lüfte,
Doch wehen, wo sie stand, noch ihre Rosendüfte.
12 Amand' erwacht, erkennt an ihrem Duft
Und Rosenglanz, die nur allmählich schwanden,
Die göttergleiche Frau, die in der Felsengruft,
Gleich unverhofft, ihr ehmahls beigestanden.
Gerührt, beschämt von diesem neuen Schutz,
Ergreift ihr Herz mit dankbarlichem Beben
Dieß Pfand von ihres Sohns und ihres Hüons Leben,
Und beut mit ihm nun jedem Schicksal Trutz.
13 Ach! wüßte sie, was ihr (zu ihrem Glücke)
Verborgen bleibt, wie trostlos diese Nacht
Ihr unglücksel'ger Freund, mit siebenfachem Stricke
An einen Eichenstamm gebunden, zugebracht,
Wie bräch' ihr Herz! – Und Er, vor dessen Augenblitze
Nichts dunkel ist, der gute Schutzgeist, weilt?
Er steht, am Quell des Nils, auf einer Felsenspitze,
Die, ewig unbewölkt, die reinsten Lüfte theilt.
14 Den ernsten Blick dem Eiland zugekehrt,
Wo Hüon schmachtet, steht der Geisterfürst, und hört
Sein Ächzen, das aus tiefer Ferne
Zu ihm herüber bebt, – schaut nach dem Morgensterne,
Und hüllt sich seufzend ein. Da nähert, aus der Schaar
Der Geister, die theils einzeln, theils in Ringen,
ihn überall begleiten und umschwingen,
Sich einer ihm, der sein Vertrauter war.
15 Erblassend, ohne Glanz, naht sich der Sylfe, blickt
Ihn schweigend an, und seine Augen fragen
Dem Kummer nach, der seinen König drückt;
Denn Ehrfurcht hält ihn ab die Frage laut zu wagen.
Schau auf, spricht Oberon. Und mit dem Worte weist
In einer Wolke, die mit ausgespanntem Flügel
Vorüber fährt, sich dem bestürzten Geist
Des armen Hüons Bild als wie in einem Spiegel.
16 Versunken in der tiefsten Noth,
An seines Herzens offnen Wunden
Verblutend, steht er da, verlassen und gebunden
Im öden Wald, und stirbt den langen Martertod.
In diesem hoffnungslosen Stande
Schwellt seine Seele noch das zürnende Gefühl:
»Verdient' ich das? verdiente das Amande?
Ist unser Elend nur den höhern Wesen Spiel?
17 »Wie untheilnehmend bleibt bey meinem furchtbarn Leiden,
Wie ruhig alles um mich her!
Kein Wesen fühlt mit mir; kein Sandkorn rückt am Meer
Aus seinem Platz, kein Blatt in diesen Laubgebäuden
Fällt meinetwegen ab. Ein scharfer Kiesel wär'
Um meine Bande durchzuschneiden
Genugsam – ach! im ganzen Raum der Zeit
Ist keine Hand, die ihm dazu Bewegung leiht!
18 »Und doch, wenn meine Noth zu wenden
Dein Wille wär', o Du, der mich dem Tod so oft
Entrissen, wenn ich es am wenigsten gehofft,
Es würden alle Zweig' in diesem Wald zu Händen
Auf deinen Wink!« – Ein heil'ger Schauder blitzt
Durch sein Gebein mit diesem Himmelsfunken;
Die Stricke fallen ab; er schwankt, wie nebeltrunken,
In einen Arm, der ihn unsichtbar unterstützt.
19 Es war der Geist, dem Oberon die Geschichte
Des treuen Paars im Bilde sehen ließ,
Der diesen Dienst ihm ungesehn erwies.
Der Sohn des Lichts erlag dem kläglichen Gesichte.
Ach! rief er, inniglich betrübt,
Und sank zu seines Meisters Füßen,
So strafbar als er sey, kannst du, der ihn geliebt,
Vor seiner Noth dein großes Herz verschließen?
20 Der Erdensohn ist für die Zukunft blind,
Erwiedert Oberon: wir selbst, du weißt es, sind
Des Schicksals Diener nur. In heil'gen Finsternissen,
Hoch über uns, geht sein verborgner Gang;
Und, willig oder nicht, zieht ein geheimer Zwang
Uns alle, daß wir ihm im Dunkeln folgen müssen.
In dieser Kluft, die mich von Hüon trennt,
Ist mir ein einzigs noch für ihn zu thun vergönnt.
21 Fleug hin, und mach' ihn los, und trag' ihn auf der Stelle,
So wie er ist, nach Tunis, vor die Schwelle
Des alten Ibrahim, der, nahe bey der Stadt,
Die Gärten des Serai's in seiner Aufsicht hat.
Dort leg' ihn auf die Bank von Steinen,
Hart an die Hüttenthür, und eile wieder fort:
Doch hüte dich ihm sichtbar zu erscheinen,
Und mach' es schnell, und sprich mit ihm kein Wort.
22 Der Sylfe kommt, so rasch ein Pfeil vom Bogen
Das Ziel erreicht, bey Hüon angeflogen,
Löst seine Bande auf, beladet sich mit ihm,
Und trägt ihn, über Meer und Länder, durch die Lüfte
Bis vor die Thür des alten Ibrahim;
Da schüttelt er von seiner starken Hüfte
Ihn auf die Bank, so sanft als wie auf Pflaum.
Dem guten Ritter däucht was ihm geschieht ein Traum.
23 Er schaut erstaunt umher, und sucht sich's wahr zu machen:
Doch alles was er sieht bestätigt seinen Wahn.
Wo bin ich? fragt er sich, und fürchtet zu erwachen.
Indem beginnt, nicht fern von ihm, ein Hahn
Zu krähn, und bald der zweyte und der dritte;
Die Stille flieht, des Himmels goldnes Thor
Eröffnet sich, der Gott des Tages geht hervor,
Und alles lebt und regt sich um die Hütte.
24 Auf einmahl knarrt die Thür, und kommt ein langer Mann
Mit grauem Bart, doch frisch und roth von Wangen,
Ein Grabscheit in der Hand, zum Haus heraus gegangen;
Und beide sehn zugleich, was keiner glauben kann,
Herr Hüon seinen treuen Alten
In einem Sklavenwamms – der gute Scherasmin
Den werthen Herrn, den er für todt gehalten,
In einem Aufzug, der nicht glückweissagend schien.
25 Ist's möglich? rufen alle beide
Zu gleicher Zeit – »Mein bester Herr!« – »Mein Freund!«
»Wie finden wir uns hier?« – Und, außer sich vor Freude,
Umfaßt der alte Mann des Prinzen Knie, und weint
Auf seine Hand. Ihn herzlich zu umfangen
Bückt Hüon sich zu ihm herunter, hebt
Ihn zu sich auf, und küßt ihn auf die Wangen.
Gott Lob, ruft Scherasmin, nun weiß ich daß ihr lebt!
26 Was für ein guter Wind trug euch vor diese Schwelle?
Doch zum Erzählen ist der Ort hier nicht geschickt;
Kommt, lieber Herr, mit mir in meine Zelle,
Eh' jemand hier beisammen uns erblickt.
Auf allen Fall seyd ihr mein Neffe Hassan, (flüstert
Er ihm ins Ohr) ein junger Handelsmann
Von Halep, der die Welt zu sehn gelüstert,
Und Schiffbruch litt, und mit dem Leben nur entrann.
27 Ja, leider! blieb mir nichts, seufzt Hüon, als ein Leben
Das keine Wohlthat ist! – Das wird sich alles geben,
Erwiedert Scherasmin, und schiebt sein Kämmerlein
Ihm hurtig auf, und schließt sich mit ihm ein.
Da, spricht er, nehmet Platz; bringt dann auf einem Teller
Das beste, was sein kleiner Vorrathskeller
Vermag, herbey, Oliven, Brot und Wein,
Und setzt sich neben ihn, und heißt ihn fröhlich seyn.

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