Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Siebenter Gesang.

1 Inzwischen ward, nach sieben heitern Tagen,
Das liebenswürd'ge Heldenpaar,
Dem jedes Element durch Oberon günstig war,
Ans Ufer von Lepanto hingetragen.
Hier lagen, wie Herr Hüon gleich vernimmt,
Zwey leicht geflügelte Pinassen segelfertig,
Die eine nach Marsiliens Port bestimmt,
Die andre Reisender nach Napoli gewärtig.
2 Der junge Herr, des Alten Wachsamkeit
Und Mentorblicks ein wenig überdrüssig,
Ist über diesen Dienst des Zufalls sehr erfreut
Und ungesäumt ihn zu benutzen schlüssig.
Freund, spricht er, Jahr und Tag geht noch vielleicht dahin,
Eh' mir's gelegen ist mich in Paris zu zeigen:
Du weißt daß ich vorerst nach Rom versprochen bin,
Und dieser Pflicht muß jede andre schweigen.
3 Indessen liegt mir ob, den Kaiser sehn zu lassen,
Daß ich mein Wort erfüllt. Du bist mein Lehensmann,
Vollbringe du für mich, was ich nicht selber kann;
Besteige flugs die eine der Pinassen,
Die nach Marseille steu'rt; dann eile sonder Rast
Nach Hof, und übergieb, den Kaiser zu versöhnen,
Dieß Kästchen mit des Sultans Bart und Zähnen,
Und sag' ihm an, was du gesehen hast:
4 Und daß, so bald ich erst des heil'gen Vaters Segen
Zu Rom gehohlt, mich nichts verhindern soll,
Die Sultanstochter auch zu Füßen ihm zu legen.
Fahr wohl, mein alter Freund! der Wind bläst stark und voll,
Die Anker werden schon gelichtet,
Glück auf die Reis', und, hast du mein Geschäft verrichtet,
So komm und suche mich zu Rom im Lateran;
Wer weiß, wir langen dort vielleicht zusammen an.
5 Der treue Alte sieht dem Prinzen in die Augen,
Wiegt seinen grauen Kopf, und nähme gar zu gern
Die Freyheit, seinen jungen Herrn
Mit etwas scharfem Salz für diese List zu laugen.
Doch hält er sich. Das Kästchen, meint er zwar,
Hätt' ohne Übelstand noch immer warten mögen,
Bis Hüon selbst im Stande war
Dem Kaiser in Person die Rechnung abzulegen.
6 Indessen da sein Fürst und Freund darauf beharrt,
Was kann er thun als sich zum Abschied anzuschicken?
Er küßt Amandens Hand, umarmt mit nassen Blicken
Den werthen Fürstensohn, den seine Gegenwart
Noch kaum erfreute, nun begann zu drücken,
Und Thränen tröpfeln ihm in seinen grauen Bart.
Herr, ruft er, bester Herr, Gott laß' euch's wohl ergehen,
Und mögen wir uns bald und fröhlich wiedersehen!
7 Dem Ritter schlug sein Herz, da zwischen seinem Freund
Und ihm die offne See stets weiter sich verbreitet.
Was that ich! ach! wozu hat Raschheit mich verleitet!
Wo hat mit seinem Herrn ein Mann es je gemeint
Wie dieser Mann? Wie hielt er in Gefahren
So treulich bey mir aus! O daß ich es zu spät
Bedacht! Wer hilft mir nun wenn mir der Rath entgeht?
Und wer in Zukunft wird mich vor mir selbst bewahren?
8 So ruft er heimlich aus, und schwört sich selber nun
Und schwört es Oberon, (von dem er, ungesehen,
Um seine Stirn das leise geist'ge Wehen
Zu fühlen glaubt) sein äußerstes zu thun
Im Kampf der Lieb' und Pflicht mit Ehre zu bestehen.
Sorgfältig hält er nun sich von Amanden fern,
Und bringt die Nächte zu, starr nach dem Angelstern,
Die Tage, schwermuthsvoll ins Meer hinaus zu sehen.
9 Die Schöne, die den Mann, dem sie ihr Herz geschenkt,
So ganz verwandelt sieht, ist desto mehr verlegen,
Da sie davon sich keine Ursach' denkt.
Doch mehr, aus Zärtlichkeit, von ihrem Unvermögen
Ihn aufzuheitern als an ihrem Stolz gekränkt,
Setzt sie ihm Sanftmuth bloß und viel Geduld entgegen.
Das Übel nimmt indeß mit jeder Stunde zu,
Und raubet ihm und ihr bey Tag und Nacht die Ruh.
10 Einst um die Zeit, da schon am sternevollen Himmel
In Thetis Schooß der funkelnde Arktur
Sich senkt' – es schwieg am Bord das lärmende Getümmel,
Und kaum bewegte sich, wie eine Weitzenflur
Auf der sich Zefyr wiegt, der Ocean; die Leute
Im Schiffe, allzumahl des tiefsten Schlummers Beute,
Verdünsteten den Wein, der in den Adern rann,
Und selbst am Ruder nickt der sichre Steuermann;
11 Auch Fatme war zu ihres Fräuleins Füßen
Entschlummert: nur von Deinem Augenlied,
O Hüon, nur von Deinem Busen flieht,
O Rezia, der Schlaf! – Die armen Seelen büßen
Der Liebe süßes Gift. Wie wühlt sein heißer Brand
In ihrem Blut! und ach! nur eine dünne Wand
Trennt sie; sie glauben fast einander zu berühren,
Und nicht ein Seufzer kann sich ungehört verlieren.
12 Der Ritter, dem der lang' verhaltne Drang
Zur Marter wird, dem jede bittre Zähre,
Die seine Grausamkeit Amandens Aug' entzwang,
Auf seinem Herzen brennt, er seufzt so laut, so bang,
Als ob's sein letzter Athem wäre.
Sie, die mit Lieb' und Scham schon eine Stunde rang,
Kann endlich länger nicht die Lind'rung sich versagen,
Zu forschen was ihn quält, und Trost ihm anzutragen.
13 Im weißen Schlafgewand, dem schönsten Engel gleich,
Tritt sie in sein Gemach, mit zärtlichem Erbarmen
Im keuschen Blick, mit furchtsam offnen Armen.
Ihm ist, als öffne sich vor ihm das Himmelreich.
Sein Antlitz, kurz zuvor so welk, so todtenbleich,
Wird feuerroth; sein Puls, der kaum so träge
Und muthlos schlich, verdoppelt seine Schläge,
Und hüpfet wie ein Fisch im spiegelhellen Teich.
14 Allein gleich wieder wirft ihn Oberons Wort danieder;
Und da er schon, durch ihre Güte dreist,
An seine Brust sie ziehen will, entreißt
Er schnell sich ihrem Kuß, sich ihrem Busen wieder;
Will fliehn, bleibt wieder stehn, kommt rasch auf sie zurück
In ihre Arme sich zu stürzen,
Und plötzlich starrt er weg, mit wildem rollendem Blick,
Als wünscht' er seine Qual auf einmahl abzukürzen.
15 Sie sinkt aufs Lager hin, hoch schlägt ihr volles Herz
Durchs weichende Gewand, und stromweis' stürzt der Schmerz
Aus ihren schmachtenden vor Liebe schweren Augen.
Er sieht's, und länger hält die Menschheit es nicht aus:
Halb sinnlos nimmt er sie (werd' auch das ärgste draus!)
In seinen Arm, die glüh'nden Lippen saugen
Mit heißem Durst den Thau der Liebe auf,
Und ganz entfesselt strömt das Herz in vollem Lauf.
16 Auch Rezia, von Lieb' und Wonne hingerissen,
Vergißt zu widerstehn, und überläßt, entzückt,
Und wechselweis' ans Herz ihn drückend und gedrückt,
Sich ahnungslos den lang' entbehrten Küssen.
Mit vollen Zügen schlürft sein nimmer satter Mund
Ein herzberauschendes wollüstiges Vergessen
Aus ihren Lippen ein; die Sehnsucht wird vermessen,
Und ach! an Hymens Statt krönt Amor ihren Bund.
17 Stracks schwärzt der Himmel sich, es löschen alle Sterne;
Die Glücklichen! sie werden's nicht gewahr.
Mit sturmbeladnem Flügel braust von ferne
Der fessellosen Winde rohe Schaar;
Sie hören's nicht. Umhüllt von finsterm Grimme
Rauscht Oberon vorbey an ihrem Angesicht;
Sie hören's nicht. Schon rollt des Donners drohnde Stimme
Zum dritten Mahl, und ach! sie hören's nicht!
18 Inzwischen bricht mit fürchterlichem Sausen
Ein unerhörter Sturm von allen Seiten los;
Des Erdballs Axe kracht, der Wolken schwarzer Schooß
Gießt Feuerströme aus, das Meer beginnt zu brausen,
Die Wogen thürmen sich wie Berge schäumend auf,
Die Pinke schwankt und treibt in ungewissem Lauf,
Der Bootsmann schreyt umsonst in sturmbetäubte Ohren,
Laut heult's durchs ganze Schiff, weh uns! wir sind verloren!
19 Der ungezähmten Winde Wuth,
Der ganze Horizont in einen Höllenrachen
Verwandelt, lauter Gluth, des Schiffes stetes Krachen,
Das wechselsweis' bald von der tiefsten Flut
Verschlungen scheint, bald, himmelan getrieben,
Auf Wogenspitzen schwebt, die unter ihm zerstieben:
Dieß alles, stark genug die Todten aufzuschrecken,
Mußt' endlich unser Paar aus seinem Taumel wecken.
20 Amanda fährt entseelt aus des Geliebten Armen;
Gott! ruft sie aus, was haben wir gethan!
Der Schuldbewußte fleht den Schutzgeist um Erbarmen,
Um Hülfe, wenigstens nur für Amanden, an:
Vergebens! Oberon ist nun der Unschuld Rächer,
Ist unerbittlich nun in seinem Strafgericht;
Verschwunden sind das Hifthorn und der Becher,
Die Pfänder seiner Huld; er hört, und rettet nicht.
21 Der Hauptmann ruft indeß das ganze Volk zusammen,
Und spricht: Ihr seht die allgemeine Noth;
Mit jedem Pulsschlag wird von Wasser, Wind und Flammen
Dem guten Schiff der Untergang gedroht.
Nie sah ich solchen Sturm! Der Himmel scheint zum Tod,
Vielleicht um Eines Schuld, uns alle zu verdammen;
Um Eines Frevlers Schuld, zum Untergang verflucht,
Den unter uns der Blitz des Rächers sucht.
22 So laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen
Was für ein Opfer er verlangt!
Ist einer unter euch dem vor der Wage bangt?
Wo jeder sterben muß hat keiner was zu wagen,
Er sprach's, und jedermann stimmt in den Vorschlag ein.
Der Priester bringt den Kelch; man wirft die Loose drein;
Rings um ihn her liegt alles auf den Knieen;
Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.
23 Geheimer Ahnung voll, doch mit entschloßnem Muth,
Naht Hüon sich, den zärtlichsten der Blicke
Auf Rezia gesenkt, die bang und ohne Blut,
Gleich einem Gypsbild steht. Er zieht, und – o Geschicke!
O Oberon! er zieht mit frost'ger bebender Hand
Das Todesloos. Verstummend schaut die Menge
Auf ihn; er liest, erblaßt, und ohne Widerstand
Ergiebt er sich in seines Schicksals Strenge.
24 Dein Werk ist dieß, ruft er zu Oberon empor;
Ich fühl', obwohl ich dich nicht sehe,
Erzürnter Geist, ich fühle deine Nähe!
Weh mir! du warntest mich, du sagtest mir's zuvor,
Gerecht ist dein Gericht! Ich bitte nicht um Gnade,
Als für Amanden nur! Ach! Sie ist ohne Schuld!
Vergieb ihr! Mich allein belade
Mit deinem ganzen Zorn, ich trag' ihn mit Geduld!

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