Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Neunter Gesang.

1 Es ist nun Zeit, uns auch nach Fatmen umzuschauen,
Die wir, seit Rezia mit Hüon sich ins Meer
Gestürzt, im Schiff, allein und alles Trostes leer
Gelassen, Tag und Nacht das Schicksal ihrer Frauen
Beweinend, und ihr eignes freylich auch.
Denn ach! sie weint, sie schreyt, sie rauft ihr Haar vergebens;
Er ist verweht, mit einem einzigen Hauch
Verweht, der ganze Bau der Ruhe ihres Lebens.
2 Was soll nun aus ihr werden, so allein
In einem Schiff, von zügellosen Söhnen
Des rauhen Meers umringt, die ihren Jammer höhnen,
Mit frechen Augen schon, berauscht in feurigem Wein,
Verschlingen ihren Raub – was wird ihr Schicksal seyn?
Zum Glück erbarmet sich der schutzberaubten Schönen
Ein unverhoffter Sturm, der in der zweyten Nacht
Die See zum Tummelplatz empörter Wogen macht.
3 Die Pinke treibt, indeß ein allgemeines Zagen
Das Volk entnervt, auf ungewissem Meer
Herum gejagt, bald west- bald südwärts hin und her;
Bis, da der Winde Wuth in sieben schrecklichen Tagen
Erschöpft ist, an den Strand von Tunis sich verschlagen
Der Hauptmann sieht. Den Zufall, der ihn sehr
Zur Unzeit überrascht, in Vortheil zu verwandeln,
Beschließt er Fatmen hier als Sklavin zu verhandeln.
4 Denn Fatme, die kaum vier und dreyßigmahl
Den May sein Blumenkleid entfalten
Gesehn, war eine aus der Zahl
Der lange blühenden Gestalten,
Die nicht so leicht verwittern noch veralten,
Und die mit Reitzen von Gewicht,
Viel Feu'r im Blick, viel Grübchen im Gesicht,
Euch für den Rosenglanz der Jugend schadlos halten.
5 Des Königs Gärtner kam durch Zufall auf den Platz,
Wo alles das um hundert Sultaninen
Zu kaufen war. Es schien Bemerkung zu verdienen.
Er trat hinzu, besah's und fand es sey ein Schatz.
Sein grauer Kopf ward nicht zu Rath gezogen.
Es fehlte, dünkt ihn, nichts in seinem Gulistan
Als eben dieß. Das Gold wird hurtig vorgewogen,
Und Fatme duldet still was sie nicht ändern kann.
6 Indeß verfolgt mit stets gewognem Winde
Der treue Scherasmin den anbefohlnen Lauf.
Kaum nahm Massiliens Port ihn wohlbehalten auf,
So setzt er sich zu Pferd, und eilt so schnell, als stünde
Sein Leben drauf, zum Kaiser nach Paris.
Er hatte schon den Märt'rerberg erstiegen
Und sah im Morgenroth die Stadt noch schlummernd liegen,
Als plötzlich sich sein Kopf an einen Zweifel stieß.
7 »Halt, sprach sein Geist zu ihm, und eh' wir weiter traben,
Bedenke wohl was du beginnst, mein Sohn!
Zwar sollte das dein weiser Schädel schon
Zu Askalon erwogen haben,
Obgleich der Wind, der dort in Hüons Segel blies,
Dir wenig Zeit zum Überlegen ließ.
Doch, wenn wir ehrlich mit einander sprechen wollen,
Du hättest damahls dich ganz anders sträuben sollen.
8 »Denn, unter uns gesagt, es ist doch offenbar
Kein Menschensinn in dieser Ambassade.
Den Kaiser, der vorhin uns nie gewogen war,
Erbittert sie gewiß im höchsten Grade.
Am Ende wär' es nur ums reiche Kästchen Schade!
Denn, wahrlich, mit der Hand voll Ziegenhaar,
Und mit den Zähnen da, Gott weiß aus welchem Rachen,
Wird deine Excellenz sehr wenig Eindruck machen.
9 »Ja, wenn Herr Hüon selbst, mit stattlichem Geleite
Von Reisigen, Trabanten und so fort,
Und mit der Tochter des Kalifen an der Seite
Herein geschritten wär', und hätte selbst das Wort
Geführt, und mit gehörigen Grimassen,
Wie einem Ritter, Duc und Pair
Geziemt, auf rothem Sammt, von goldnen Quasten schwer,
Die Sachen überreicht – da wollt' ich's gelten lassen!
10 »Da kommt des Aufzugs Pracht, die Fei'rlichkeit, der Glanz
Der Sultanstochter, an der Hand des stolzen Gatten,
Kurz, jeder Umstand kommt dem andern da zu Statten,
Und trägt das Seine bey, die Sache rund und ganz
Zu machen. Karlen bleibt nichts weiter einzuwenden,
Er hat den Glauben in den Augen und in Händen;
Der Ritter hat sein Wort gehalten als ein Mann,
Und fordert frey was ihm kein Recht versagen kann.
11 »Das alles geht auf einmahl in die Brüche,
Freund Scherasmin, wenn du nicht klüger bist
Als der dich abgeschickt. Wohlan, was Raths? was ist
Zu thun? – Das beste wär', auf allen Fall, er schliche
Mit seinem Kästchen sich ganz sachte wieder ab
Eh' jemand ihn bemerkt, und ritt' im großen Trab
Geraden Wegs nach Rom, dem Freyport aller Frommen,
Wo hoffentlich sein Herr inzwischen angekommen.«
12 So sprach zu Scherasmin sein beßrer Genius:
Und da er ihm nach langem Überlegen
Nichts klügers, wie ihn dünkt, entgegen
Zu setzen hatte, war sein endlicher Entschluß,
Der guten Stadt Paris das Schulterblatt zu weisen,
Und sporenstreichs nach Rom zu seinem Herrn zu reisen.
Er übersteigt die Alpen, langet an,
Und gleich sein erster Gang ist – nach dem Lateran.
13 Allein, umsonst ermüdet er mit Fragen
Nach seinem Herrn den Schweizer, der die Wach'
Am Thore hat, umsonst das ganze Vorgemach,
Kein Mensch kann ihm ein Wort von Ritter Hüon sagen.
Vergebens rennet er die Stadt von Haus zu Haus
Und alle Kirchen und Spitäler fragend aus,
Und schildert ihn vom Fersen bis zur Scheitel
Den Leuten vor, – all' seine Müh ist eitel.
14 Vier ewige Wochen lang, und dann noch zwey dazu,
Verweilt er sich in stets betrognem Hoffen,
Läßt keinen Tag sich selbst noch andern Ruh
Mit Forschen, ob sein Prinz denn noch nicht eingetroffen;
Und, da kein Warten hilft, beginnt er überlaut
Den großen Schwur des Baskenvolks zu fluchen,
Und schwört, so weit der Himmel blaut,
In einem Pilgerkleid den Ritter aufzusuchen.
15 Was konnt' er anders thun? Sein Geld war aufgezehrt,
Und eine Perle nur vom Kästchen anzugreifen,
(Das billig hundertfachen Werth
In Hüons Augen hat, weil's Oberon ihm verehrt)
Eh ließ er sich den Balg vom Leibe streifen!
Von einem Pilgersmann wird weder Gold begehrt
Noch Silbergeld; er kann mit Muschelschalen
Und Litaney'n die halbe Welt bezahlen.
16 So bettelt nun zwey Jahre lang und mehr
Der treue unverdroßne Alte
Sich durch die Welt, die Länge und die Quer',
Und macht an jedem Port, auf jeder Insel Halte,
Fragt überall vergebens seinem Herrn
Und seiner Dame nach – bis ihn zuletzt sein Stern,
Und ein geheimer Trieb, der seine Hoffnung schüret,
Nach Tunis vor die Thür des alten Gärtners führet.
17 Er setzt sich dort auf eine Bank von Stein,
Um, müd' und schwach von langem Fasten,
Im Schatten da ein wenig auszurasten,
Und eine Sklavin bringt ihm etwas Brot und Wein.
Sie sieht dem Mann im braunen Pilgerkleide
Erstaunt ins Aug', und er der Sklavin ebenfalls,
Und, sich mit einem Schrey des Schreckens und der Freude
Erkennend, fallen sie einander um den Hals.
18 Bist du es, Fatme? ruft an ihrer nassen Wange
Der Pilger freudig aus; ist's möglich? – Ach! schon lange
Ließ Scherasmin die Hoffnung sich vergehn!
Ist's möglich daß wir uns zu Tunis wieder sehn?
Was für ein Wind hat euch in diese Heidenlande
Verweht? Und wo ist Hüon und Amande?
Ach, Scherasmin, schreyt Fatme laut, und bricht
In Thränen aus – Sie sind – Ich Arme! – Frage nicht!
19 Was sagst du? ruft der Alte – Gott verhüte!
Was sind sie? Sprich! – »Ach, Scherasmin, sie sind –!«
Mehr bringt sie nicht heraus! Das stockende Geblüte
Erstickt die Red' in ihrer Brust – Sie sind? –
O Gott! schluchzt Scherasmin, und weinet wie ein Kind
An Fatmens Hals – In ihrer vollen Blüthe!
Das ist zu hart! Allein mir schwante lang' vorher
Nichts gutes! Fatme – ach, die Probe war zu schwer!
20 So bald die gute Frau zum kläglichen Berichte
Nur wieder Athem hat, erzählt sie Stück für Stück,
Von seiner Abreis' an bis auf den Augenblick
Der Schreckensnacht – da, beym auffackelnden Lichte
Der Blitze, Rezia durch alles Volk, das dichte
Auf Hüon drängt, sich stürzt, den Arm in Liebeswuth
Um den Geliebten schlingt und in die wilde Flut
Ihn mit sich reißt, – die traurige Geschichte.
21 Drauf sitzen sie wohl eine Stunde lang
Beysammen, sich recht satt zu klagen und zu weinen,
Und beide sich, aus treuem Liebesdrang,
Zum Preis des schönsten Paares zu vereinen,
Das je die Welt geziert. Nein, ruft sie vielmahls, nie,
Nie werd' ich eine Frau, wie diese, wieder sehen!
Noch ich, ruft Scherasmin in gleicher Melodie,
Je einem Fürstensohn wie Er zur Seite stehen!

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