Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Dritter Gesang.

1 Am fünften, da ihr Weg sich durch Gebirge stahl,
Auf einmahl sehen sie in einem engen Thal
Viel reiche Zelten aufgeschlagen,
Und Ritter, mehr als zwanzig an der Zahl,
Die gruppenweise umher in Palmenschatten lagen.
Sie ruhten, wie es schien, nach ihrem Mittagsmahl:
Indessen Helm' und Speer' an niedern Ästen hingen,
Und ihre Pferde frey im Grase weiden gingen.
2 Kaum wird die ritterliche Schaar
Der beiden Reisigen noch auf der Höh' gewahr,
So raffen alle von der Erde
Sich eilends auf aus ihrer Mittagsruh,
Als ob zum Kampf geblasen werde.
Das ganze Thal wird reg' in einem Nu,
Man zittert hin und her, man läuft den Waffen zu,
Die Ritter rüsten sich, die Knappen ihre Pferde.
3 Laß sehen, spricht mein Held zu Scherasmin,
Was diese Ritterschaft, die dem Verdauungswerke
So friedlich obzuliegen schien,
In solche Unruh setzt. – Wir selber, wie ich merke,
Erwiedert jener; seyd auf eurer Hut.
Sie kommen uns in halbem Mond entgegen.
Herr Hüon zieht mit kaltem Blut den Degen,
Freund, spricht er, der ist mir für allen Schaden gut.
4 Indem tritt aus dem Kreis, in seinem Wehrgeschmeide,
Ein feiner Mann hervor, grüßt höflich unsre beide,
Und bittet um Gehör. Mit Gunst, Herr Paladin!
Ein jeder, spricht er, ist hier angehalten worden,
Wer noch von unserm Stand und Orden
Seit einem halben Jahr in diesem Thal erschien.
Nun steht's in eurer Wahl, ein Speerchen hier zu brechen,
Wo nicht, sogleich zu thun, warum wir euch besprechen.
5 Und was? fragt Hüon züchtiglich.
Nicht weit von hier, spricht jener, mästet sich
In einer festen Burg der Riese Angulaffer;
Ein arger Christenfeind, ein wahrer Wütherich,
Auf schöne Frau'n erpichter als ein Kaffer,
Und, was das schlimmste ist, fest gegen Hieb und Stich,
Kraft eines Rings, den er dem Zwerg genommen,
Aus dessen Park die Herren hergekommen.
6 Mein Herr, ich bin ein Prinz vom Berge Libanon.
Ich hatte mich dem Dienst der schönsten aller Schönen
Drey Jahre sonder Minnelohn
Verdingt, bevor sie sich so viele Treu' zu krönen
Erbitten ließ: und wie ich nun als Bräutigam
Ihr eben itzt den Gürtel lösen wollte,
Da kam der Wehrwolf, nahm sie untern Arm und trollte
Vor meinen Augen weg mit meinem holden Lamm.
7 Fast sieben Monden sind verflossen,
Seit ich zu ihrem Heil mein äußerstes versucht:
Allein der Eisenthurm, worein er sie verschlossen,
Wehrt mir den Zugang, ihr die Flucht.
Das Einz'ge, was von Amors süßer Frucht
Ich in der langen Zeit genossen,
War, Tage lang von fern auf einem Baum zu lauern,
Und hinzusehn nach den verhaßten Mauern.
8 Zuweilen däuchte mich sogar
Ich sehe sie, in los gebundnem Haar,
Am Fenster stehn, mit aufgehobnen Armen,
Als flehte sie zum Himmel um Erbarmen.
Mir fuhr ein Dolch ins Herz. Und die Verzweiflung nun
Trieb mich, seit jenem Tag, aus bloßer Noth zu thun
Was ihr erfahren habt, wie alle diese Streiter:
Kurz, ungefochten, Herr, kommt hier kein Ritter weiter.
9 Gelingt es euch, was keinem noch gelang,
Aus meinem Sattel mich zu heben,
So seyd ihr frey und reiset ohne Zwang
Wohin ihr wollt: wo nicht, so müßt ihr euch ergeben,
Wie diese Herren hier, mir zu Gebot zu stehn,
Und keinen Schritt von hier zu gehn,
Bis wir das Abenteu'r bestanden
Und meine Braut erlöst aus Angulaffers Banden.
10 Doch, wenn ihr etwa lieber schwört
In seinen Eisenthurm geraden Wegs zu dringen,
Und meine Angela allein zurück zu bringen,
So habt ihr freye Wahl, und seyd noch Dankes werth.
Prinz, sprach der Paladin, was braucht's hier erst zu kiesen?
Genug, daß ihr die Ehre mir erwiesen!
Kommt, einen Ritt mit euch und eurer ganzen Zahl,
Vom übrigen ein andermahl!
11 Der schöne Ritter stutzt, doch läßt er sich's gefallen:
Sie reiten, die Trompeten schallen,
Und, kurz, Herr Hüon legt mit einem derben Stoß
Den Prinzen Libanons gar unsanft auf den Schooß
Der guten alten Mutter Erde.
Drauf kommen nach der Reih' die edeln Knechte dran;
Und als er ihnen so wie ihrem Herrn gethan,
Hebt er sie wieder auf mit höflicher Geberde.
12 Bey Gott, Herr Ritter, (spricht, indem er zu ihm hinkt,
Der Cedernprinz) ihr seyd ein scharfer Stecher!
Doch Basta! eure Hand! Kommt, weil der Abend winkt,
Zum brüderlichen Mahl und zum Versöhnungsbecher.
Herr Hüon nimmt den Antrag dankbar an:
Drey Stunden flogen weg mit Trinken und mit Scherzen;
Und, wie die Ritter ihn so schön und höflich sahn,
Verziehn sie ihm ihr Rippenweh von Herzen.
13 Itzt, spricht er, liebe Herr'n und Freunde, da ich euch
Was mein war ehrlich abgewonnen,
Itzt, sollt ihr wissen, geht's geraden Weges gleich
Dem Riesen zu. Ich war's vorhin gesonnen,
Und thu' es nun mit desto größ'rer Lust,
Weil einem Biedermann ein Dienst damit geschiehet.
Drauf dankt er daß sie sich so viel mit ihm bemühet,
Und drückt der Reihe nach sie all' an seine Brust.
14 Und als sie ihm zur Burg des ungeschlachten Riesen
Durch einen Föhrenwald den nächsten Weg gewiesen,
Entläßt er sie, mit der Versicherung,
Sie sollten bald von ihrer Dame hören.
Lebt wohl, ihr Herr'n! – »Viel Glücks!« – Und nun in vollem Sprung
Zum Wald hinaus. Kaum röthete die Föhren
Die Morgensonn', als ihm im blachen Feld
Ein ungeheurer Thurm sich vor die Augen stellt.
15 Aus Eisen schien das ganze Werk gegossen,
Und ringsum war's so fest verschlossen,
Daß nur ein Pförtchen, kaum zwey Fuß breit, offen stand;
Und vor dem Pförtchen stehn, mit Flegeln in der Hand,
Zwey hochgewaltige metallene Kolossen,
Durch Zauberey belebt, und dreschen unverdrossen
So hageldicht, daß zwischen Schlag und Schlag
Sich unzerknickt kein Lichtstrahl drängen mag.
16 Der Paladin bleibt eine Weile stehen;
Und, wie er überlegt was anzufangen sey,
Läßt eine Jungfrau sich an einem Fenster sehen,
Und winkt gar züchtiglich ihn mit der Hand herbey.
Ey ja! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken!
Ihr werdet doch kein solcher Waghals seyn?
Seht ihr die Schweizer nicht zur Rechten und zur Linken?
Da kommt von euch kein Knochen ganz hinein!
17 Doch Hüon hielt getreu an seiner Ordensregel,
Dem Satan selber nicht den Rücken zuzudrehn.
Hier, denkt er, ist kein Rath als mitten durch die Flegel
Geradezu aufs Pförtchen los zu gehn.
Den Degen hoch, die Augen zugeschlossen,
Stürzt er hinein; und, wohl ihm! ihn verführt
Sein Glaube nicht; die ehernen Kolossen
Stehn regungslos, so bald er sie berührt.
18 Kaum ist der Held hinein gegangen,
Indessen Scherasmin im Hof die Pferde hält,
So eilt die schöne Magd den Ritter zu empfangen;
Mit schwarzen Haaren, die ihr am Rücken niederhangen,
In weißem Atlaßrock, der bis zur Erde fällt,
Und den am leicht bedeckten Busen
Ein goldnes Band zusammen hält,
Das zierlichste Modell zu Grazien oder Musen!
19 Was für ein Engel, (spricht, indem sie seine Hand
Nur kaum berührt, das Mädchen süß erröthend)
Was für ein Engel, Herr, hat euch mir zugesandt?
Ich stand am Fenster just, zur heil'gen Jungfrau betend,
Als ihr erschient. Gewiß hat Sie's gethan,
Und als von Ihr geschickt nimmt Angela euch an.
Von ihr, die schon so oft sich meiner angenommen,
Zu Hülfe mir gesandt, seyd tausendmahl willkommen!
20 Nur laßt uns nicht verziehn; denn jeder Augenblick
Ist mir verhaßt, den wir in diesem Kerker weilen.
Ich komme nicht, spricht Hüon, so zu eilen:
Wo ist der Ries'? – O der, versetzt sie, liegt, zum Glück,
In tiefem Schlaf, und wohl, daß ihr ihn so getroffen;
Denn, ist er wieder auferweckt,
Vergebens würdet ihr ihm obzusiegen hoffen,
So lang' der Zauberring an seinem Finger steckt.
21 Doch diesen Ring ihm sicher abzunehmen
Ist's noch gerade Zeit. »Wie so?« – Der tiefe Schlaf,
Der täglich drey- bis viermahl ihn zu lähmen
Und zu betäuben pflegt, ist kein gemeiner Schlaf.
Ich will euch, weil noch wohl zwey ganze Stunden fehlen
Bis er erwacht, die Sache kurz erzählen.
Mein Vater, Balazin von Frygien genannt,
Ist Herr von Jericho im Palästinerland.
22 Beynah vier Jahre sind's, seit mich Alexis liebte,
Der schönste Prinz vom Berge Libanon;
Und wenn ich ihn durch Sprödethun betrübte,
So wußte, glaubet mir, mein Herz kein Wort davon:
Es fiel mir schwer genug! Doch, in den ersten Wochen
Hatt' ich's der heiligen Alexia versprochen,
Nur, wenn der Prinz drey Jahre keusch und rein
Mir diente, anders nicht, die Seinige zu seyn.

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