Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Gesang.

1 Auch dich, o Rezia, floh, auf deinen weichen Schwanen,
Der süße Schlaf. Du sahst in Klippen dich
Verfangen, woraus dir einen Pfad zu bahnen
Unmöglich schien. Verhaßt und fürchterlich
Ist dir das festliche Roth am morgendämmernden Himmel,
Verhaßt der Tag, der dich an Hymens Altar winkt.
Lang' wälzt sie seufzend sich um, bis endlich, vom innern Getümmel
Der Seele betäubt, ihr Haupt herab zum Busen sinkt.
2 Sie schlummert ein, und, ihren Muth zu stützen,
Webt Oberen ein neues Traumgesicht
Vor ihre Stirn. Sie glaubt, bey Mondeslicht,
In einer Laube der Gärten des Harems zu sitzen,
In Fantasieen der Liebe versenkt.
Ein süßes Weh, ein lieblich banges Sehnen
Hebt ihre Brust, ihr Auge schwimmt in Thränen,
Indem sie hoffnungslos an ihren Jüngling denkt.
3 Die Unruh treibt sie auf. Sie läuft, mit hastigen Schritten
Und suchendem Blick, durch Busch und Blumengefild,
Eilt athemlos zu allen grünen Hütten,
Zu allen Grotten hin; ihr Auge, zärtlich wild
Und thränenvoll, scheint das geliebte Bild
Von allen Wesen zu erbitten:
Oft steht sie ängstlich still, und lauscht
Wenn nur ein Schatten wankt, nur eine Pappel rauscht.
4 Zuletzt, indem sie sich nach einer Stelle wendet
Wo durch der Büsche Nacht ein heller Mondschein bricht,
Glaubt sie – o Wonne! wenn kein falsches Schattenlicht
Ihr gern betrognes Auge blendet –
Zu sehen was sie sucht. Sie sieht und wird gesehn;
Sein Feuerblick begegnet ihren Blicken.
Sie eilt ihm zu, und bleibt, in schauerndem Entzücken,
Wie zwischen Scham und Liebe, zweifelnd stehn.
5 Mit offnen Armen fliegt er ihr entgegen.
Sie will entfliehn, und kann die Kniee nicht bewegen.
Mit Müh verbirgt sie noch sich hinter einen Baum,
Und in der süßen Angst zerplatzt der schöne Traum.
Wie gerne hätte sie zurück ihn rufen mögen!
Sie zürnt sich selbst und dem verhaßten Baum;
Vergebens suchet sie sich wieder einzuwiegen,
Ihm nachzusinnen bleibt ihr einziges Vergnügen.
6 Die Sonne hatte bald den dritten Theil vollbracht
Von ihrem Lauf, und immer war's noch Nacht
Bey Rezia; so groß war ihr Ergetzen,
Den angenehmen Traum noch wachend fortzusetzen.
Doch da sie gar zu lang' kein Lebenszeichen giebt,
Naht endlich Fatme sich dem goldnen Bette, schiebt
Den Vorhang weg, und findet mit Erstaunen
Die Dame wach, und in der besten aller Launen.
7 Ich hab' ihn wieder gesehn, o Fatme, wünsche mir Glück,
Ruft Rezia, ich hab' ihn wieder gesehen! –
Das wäre! spricht die Amm', und sucht mit schlauem Blick
Herum, als dächte sie den Vogel auszuspähen.
Das Fräulein lacht: »Ey, ey, wie ist dein Witz so dick!
Man dächte doch, das sollte sich verstehen!
Ich sah ihn freylich nur im Traum; allein
Er muß gewiß hier in der Nähe seyn.
8 »Mir ahnt's, er ist nicht fern, und sprich mir nichts dagegen,
Wenn du mich liebst!« – So schweig' ich! – »Und warum?
Was wäre denn am Ende so verwegen
An meiner Hoffnung? Sprich! wie sollt' ich sie nicht hegen?«
Die Amme seufzt und bleibt noch immer stumm.
»Was übersteigt der Liebe Allvermögen?
Der Löwenbändiger, der mich beschützt, ist sie;
Und retten wird sie mich, begreif' ich gleich nicht wie.
9 »Du schweigst? du seufzest? Ach! zu wohl nur, gute Amme,
Versteh' ich was dein Schweigen mir verhehlt!
Du hoffest nichts für meine Flamme!
Ich selbst, ich hoffe nur weil beßrer Trost mir fehlt.
Die Stunde naht; schon klirren meine Ketten,
Und mein Verderben ist gewiß;
Ein Wunder nur, o Fatme, kann mich retten,
Ein Wunder nur! wo nicht – so kann es dieß!«
10 Bey diesem Worte zieht mit feur'gem Blicke
Sie aus dem Busen einen Dolch hervor.
»Siehst du? Dieß macht mir Muth! dieß hebt mich so empor!
Mit diesem hoff' ich alles vom Geschicke!«
Die Amme schwankt an ihren Stuhl zurücke,
Wird leichenblaß, und zittert wie ein Rohr.
Ach! ist dieß alles, so erbarme
Sich Gott! – ruft sie, und weint und ringt die Arme.
11 Das Fräulein drückt die Hand ihr auf den Mund:
Still, spricht sie, fasse dich! und steckt in ihren Busen
Den Dolch zurück. Du weißt, im weiten Erdenrund
Ist nichts mir so verhaßt als dieser Fürst der Drusen.
Eh' Der mich haben soll, eh' soll ein giftiger Molch
In meine Brust die scharfen Zähne schlagen!
Kommt mein Geliebter nicht, den Raub ihm abzusagen,
Was bleibt mir übrig als mein Dolch?
12 Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen,
So hört man am Tapetenthürchen pochen,
Das aus dem Schlafgemach in Fatmens Kammer führt.
Sie geht, und kommt nach einer kleinen Weile
So schnell zurück, daß sie vor lauter Eile
Und Freudentrunkenheit den Athem fast verliert.
»Nun sind wir aller Noth entbunden!
Triumf! Prinzessin, Triumf! der Ritter ist gefundener
13 Im Nachtgewand, das wie ein Nebel kaum
Den schönen Leib umwallt, fährt jene aus den Lacken
Und fällt entzückt der Amme um den Nacken:
»Gefunden? Wo? wo ist er? O mein Traum,
So logst du nicht?« – Die Amme, selbst vor Freuden
Ganz außer sich, hat kaum noch so viel Sinn,
Die wonnetaumelnde halb nackte Träumerin
In großer Eil' ein wenig anzukleiden.
14 Herein gerufen wird sodann
Die Alte, selbst ihr Mährchen zu erzählen.
Die gute Mutter fängt beym Ey die Sache an,
Und läßt es nicht am kleinsten Umstand fehlen;
Kein Zug, kein Wort das ihrem Gast entrann,
Wird im Gemählde weggelassen.
Er ist's, er ist's! wir haben unsern Mann,
Ruft Fatme aus; es kann nicht besser passen!
15 Die Alte wird von neuem ausgefragt,
Muß drey- und viermahl wiederhohlen
Was er gethan, gesagt und nicht gesagt;
Muß immer wieder ihn vom Haupt bis zu den Sohlen
Abschildern, Zug für Zug – wie gelb und lang sein Haar,
Wie groß und blau sein schönes Augenpaar;
Und immer ist noch etwas nachzuhohlen
Das in der Eil' ihr ausgefallen war.
16 Indeß sich so um zwanzig Jahre jünger
Die Alte schwatzt, entspannt der hohe Lockenbau
Der schönen Braut sich unter Fatmens Finger.
Mit Perlen, glänzender als Thau,
Wird schneckengleich ihr schwarzes Haar durchflochten,
Ohr, Hals und Gürtel schmückt so schimmerndes Gestein,
Daß ihren Glanz im Sonnenschein
Die Augen kaum ertragen mochten.
17 Vollendet stellt nunmehr, von ihrer Nymfenschaar
Zum Fest geschmückt und bräutlich angekleidet,
Gleich einer Sonne sich die Königstochter dar,
Und lieblich wie ein Reh, das unter Rosen weidet.
Kein Auge sah sie ungeblendet an,
Wiewohl sie jetzt nur Mädchenaugen sahn:
Nur sie allein schien nichts davon zu wissen,
Wie neben ihr die Sterne schwinden müssen.
18 Das Feuer, das aus ihren Augen strahlt,
Die Ungeduld, das lauschende Verlangen
Das ihre Lippen schwellt und ihre zarten Wangen
Mit ungewohntem Purpur mahlt,
Setzt ihre Jungfrau'n in Erstaunen.
Ist dieß die widerspenst'ge Braut,
(Beginnen sie einander zuzuraunen)
Der gestern noch so sehr vor diesem Tag gegraut?
19 Indessen sammeln sich die Emirn und Wessire,
Geschmückt zum Fest, im stolzen Hochzeitsahl.
Gerüstet steht das königliche Mahl,
Und, bey Trompetenklang, tritt aus der goldnen Thüre
Des heiligen Palasts, von Sklaven aller Art
Umflossen, der Kalif mit seinem grauen Bart.
Der Drusenfürst, noch etwas blaß von Wangen,
Kommt stattlich hinter ihm als Bräutigam gegangen.
20 Und gegenüber thut die Thür von Elfenbein
Sich aus dem Harem auf, und, schöner als die Frauen
In Mahoms Paradies, tritt auch die Braut herein.
Ein Schleier zwar, gleich einem silbergrauen
Gewölke, wehrt dem Engelsangesicht
Den vollen Glanz allblendend zu enthüllen;
Und dennoch scheint ein überirdisch Licht
Bey ihrem Eintritt stracks den ganzen Sahl zu füllen.
21 Dem Drusen schwillt und sinket wechselsweis'
Sein Herz, indem sein Aug' an ihren Reitzen hanget:
Er sucht im ihrigen was er zu sehn verlanget;
Allein, ein Blick, so kalt wie Alpeneis,
Ist alles was er sieht. Doch, dem Bethörten schmeichelt
Die Eitelkeit, die Selbstbetrügerin,
Daß Rezia den spröden Blick nur heuchelt:
O (denkt er) all der Schnee schmilzt über Nacht dahin!

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