Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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81 Ich kenn' ihn wohl, den Baum; er trägt im ganzen Land
Die beste Frucht, versetzt der gute Blinde:
Doch, sprich, wie machen wir's? Kein Mensch ist bey der Hand,
Es ist ein Erntetag, das ganze Hofgesinde
Im Feld zerstreut – der Baum ist hoch, und ich
Bin schwach und blind – O wäre nur der Bengel
Der Walter hier! – »Mir fällt was ein, mein Engel,
Wir brauchen niemand sonst, spricht sie, als dich und mich.
82 »Wär'st du so gut, und wolltest mit dem Rücken
Nur einen Augenblick fest an den Stamm dich drücken,
So wär's ein leichtes mir, hier von des Rasens Saum
Dir auf die Schulter mich zu schwingen;
Von da ist's vollends auf den Baum
Zum ersten Ast zwey kleine Spangen kaum;
Ich bin im Klettern und im Springen
Von Kindheit an geübt – gewiß, es wird gelingen.«
83 Von Herzen gern, versetzt der blinde Mann;
Und doch, mein Kind, wenn du zu Schaden kämest?
Es bräch' ein Ast? was könnt' ich Armer dann
Zu deinem Beystand thun? – Wie, wenn du dich bequemest
Zu warten? – »Sagt' ich nicht, daß ich nicht warten kann?
Ich sehe wohl, daß du des kleinen Diensts dich schämest;
Um alles wollt' ich dir nicht gern beschwerlich seyn!
Und doch, wer sieht uns hier? Wir sind ja ganz allein!«
84 Was war zu thun? Es konnte leicht das Leben
Von einem Erben gar bey dieser Lüsternheit
Gefährdet seyn; kurz, halb mit Zärtlichkeit
Halb mit Gewalt, muß Gangolf sich ergeben.
Er stämmt sich an, hilft selbst dem Weibchen auf,
Und vom geduld'gen Kopf des guten alten Narren
Schwingt sich Rosette frisch zum lüft'gen Sitz hinauf,
Wo ihrer, unterm Laub, verstohlne Freuden harren.
85 Nun saß von ohngefähr, da alles dieß geschah,
Auf einer Blumenbank, dem guten blinden Alten
Vorüber, Oberon, um mit Titania,
Der Feenkönigin, hier Mittagsruh zu halten:
Indeß die zefyrgleiche Schaar
Der Elfen, ihr Gefolg, zerstreut im ganzen Garten
Und meist versteckt in Blumenbüschen war,
Um Schlummernd dort den Mondschein zu erwarten.
86 Unsichtbar saßen sie, und hörten alles an,
Was zwischen Mann und Frau sich eben zugetragen.
Zum Unglück, daß sie auch die Birnbaumsscene sahn!
Dem Elfenkönig gab dieß großes Mißbehagen.
Da, sprach er zu Titanien, sieht man nun
Wie wahr es ist, was alle Kenner sagen!
Was ist so arg, das nicht, um sich genug zu thun,
Ein Weib die Stirne hat zu wagen?
87 Ja wohl, Freund Salomon, bekennt dein weiser Mund:
»Ein einzler Biedermann wird immer noch gesehen;
Doch wandre einer mir ums weite Erdenrund
Nach einem frommen Weib, er wird vergebens gehen!«
Siehst du, Titania, im Birnbaum dort versteckt
Das ungetreue Weib des blinden Mannes spotten?
Sie glaubt sich in der Nacht, die seine Augen deckt,
So sicher als in Plutons tiefsten Grotten.
88 Allein, bey meinem Thron, bey diesem Lilienstab,
Und bey der furchtbarn Macht, die mir das Reich der Elfen
Mit diesem Zepter übergab,
Nichts soll ihr ihre List, nichts seine Blindheit helfen!
Nein, ungestraft in Oberons Angesicht
Sich ihres Hochverraths erfreuen soll sie nicht!
Ich will den Staar von Gangolfs Augen schleifen,
Und auf der frischen That soll sie sein Blick ergreifen!
89 So? willst du das? versetzt mit raschem Sinn
Und Wangen voller Gluth die Feenkönigin;
So soll mein Schwur dem deinen sich vermählen!
So schwör' auch ich, so wahr ich Königin
Des Elfenreichs und deine Gattin bin,
Es soll ihr nicht an einer Ausflucht fehlen!
Ist Gangolf etwa ohne Schuld?
Ist Freyheit euer Loos, und unsers nur Geduld?
90 Doch, ohne sich an ihren Zorn zu kehren,
Macht Oberon, was er geschworen, wahr.
Berührt von seinem Lilienstabe, klären
Sich Gangolfs Augen auf, verschwunden ist der Staar.
Erstaunt, entzückt beginnt er auszuschauen,
Sieht hin, und schüttelt sich als führ' ein Wespenschwarm
Ihm in die Augen, sieht, o Himmel! soll er trauen?
Sein treues Röschen, ach! in eines Mannes Arm!
91 Es kann nicht seyn! er hat nicht recht gesehen;
Ihn blendete das lang' entwöhnte Licht;
Unmöglich kann sich so das beste Weib vergehen!
Er schaut noch einmahl hin – Das nehmliche Gesicht
Durchbohrt sein Herz. Ha, schreyt er, wie besessen,
Verrätherin, Sirene, Höllngezücht,
Du scheuest dich vor meinen Augen nicht
Der Ehr' und Treu' so schändlich zu vergessen?
92 Rosette, wie vom Donner aufgeschreckt,
Fährt ängstlich auf, indem mit einem Zauberschleier
Ein unsichtbarer Arm den blassen Buhler deckt.
Was für ein seltsam Abenteuer
Stellt, denkt sie, just in diesem Nu, so sehr
Zur Unzeit, das Gesicht des alten Unholds her?
Doch, nach dem Wort der Königin der Elfen,
Fehlt ihr's an Witze nicht, sich aus der Noth zu helfen.
93 Was hast du, lieber Mann? ruft sie herab vom Baum,
Was tobst du so? – »Du fragst noch, Unverschämte?«
Ich Arme! wie? du giebst dem Argwohn Raum?
So lohnst du mir, daß mich dein Nothstand grämte,
Daß ich, da nichts mehr half, durch schwarzer Kunst Gewalt
Mit einem Geist in Mannsgestalt
Um dein Gesicht zu ringen mich bequemte,
Und, dir zu Lieb', im Kampf den rechten Arm mir lähmte?
94 Was Dank verdient, machst du sogar zu Schuld,
Und schämst dich nicht mir solch ein Lied zu singen?
Ha, schrie er, hier verlör' Sankt Hiob die Geduld!
Was ich gesehen nennst du ringen?
So möge mir dieß neu geschenkte Licht
Des Himmels Wunderhand bewahren,
Und du, treuloses Weib, mögst du zur Hölle fahren,
Wie mir ein ehrlich Wort zu deiner That gebricht!
95 Wie? ruft sie aus, so kann mein Gangolf sprechen?
Weh mir! ach! zu gewiß muß etwas, was es sey,
An meinem Zauberwerk gebrechen;
Dein Aug' ist offenbar noch nicht von Wolken frey!
Wie könnt'st du sonst mit solchen harten Reden
Dein treues Weib zu morden dich entblöden?
Dein Sehen kann kein wahres Sehen seyn;
Es ist das Flimmern nur von ungewissem Schein.
96 O daß es möglich wär' mich selbst zu hintergehen!
Spricht Gangolf; wohl dem Mann den nur ein Argwohn plagt!
Ich Unglücksel'ger hab's gesehen!
Gesehen was ich sah! – Dem Himmel sey's geklagt!
Ward je ein Weib unglücklicher geboren?
(Schreyt die Verrätherin mit einem Thränenguß)
O daß ich diesen Schmerz noch überleben muß!
Mein armer Mann hat den Verstand verloren!
97 Und welcher Mann von zärtlichem Gemüth
Verlör' ihn nicht, trotz allen seinen Sinnen,
Der Thränengüsse aus so schönen Augen rinnen
Und eine solche Brust von Seufzern schwellen sieht?
Der Alte kann nicht länger widerstehen:
»Gieb dich zufrieden, Kind, ich war zu rasch, zu warm;
Verzeih, und komm herab in deines Gangolfs Arm,
Es ist nun sonnenklar, ich hatte falsch gesehen!«
98 Da hörst du's nun! spricht zu Titania
Der Elfenfürst: was er mit Augen sah
Schwemmt eine Thräne weg! Dein Werk ist's; triumfiere!
Doch hör' auch nun den heiligsten der Schwüre!
Ich glaubte mich geliebt, und fand mein Glück darin.
Es war ein Traum – Dank dir, daß ich entzaubert bin!
Hoff' nicht ein Thränchen werd' auch mich umnebeln können,
Von nun an müssen wir uns trennen!
99 Nie werden wir, in Wasser noch in Luft,
Noch wo im Blüthenhain die Zweige Balsam regnen,
Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft
Bey Zauberschätzen wacht, einander mehr begegnen.
Mich drückt die Luft in der du athmest! Fleuch;
Und wehe dem verräthrischen Geschlechte
Von dem du bist, und weh dem feigen Liebesknechte
Der eure Ketten schleppt! ich haß' euch alle gleich!
100 Und wo ein Mann in eines Weibes Stricken,
Als wie ein taumelnder lusttrunkner Auerhahn,
Sich fangen läßt, und liegt und girrt sie an,
Und saugt das falsche Gift aus ihren üpp'gen Blicken,
Wähnt, Liebe sey's was ihr im Schlangenbusen flammt,
Und horcht bethört der lächelnden Sirene,
Traut ihren Schwüren, glaubt der hinterlistigen Thräne,
Der sey zu jeder Noth, zu jeder Qual verdammt!
101 Und bey dem furchtbarn Nahmen sey's geschworen
Der Geistern selbst unnennbar bleiben muß,
Nichts wende diesen Fluch und meinen festen Schluß:
Bis ein getreues Paar, vom Schicksal selbst erkohren,
Durch keusche Lieb' in Eins zusammen fließt,
Und, probefest in Leiden wie in Freuden,
Die Herzen ungetrennt, auch wenn die Leiber scheiden,
Der Ungetreuen Schuld durch seine Unschuld büßt.
102 Und wenn dieß edle Paar schuldloser reiner Seelen
Um Liebe alles gab, und unter jedem Hieb
Des strengesten Geschicks, auch wenn bis an die Kehlen
Das Wasser steigt, getreu der ersten Liebe blieb,
Entschlossen, eh' den Tod in Flammen zu erwählen,
Als ungetreu zu seyn selbst einem Thron zu Lieb':

Titania, ist dieß, ist alles dieß geschehen,
Dann werden wir uns wiedersehen!
103 So sprach der Geist und schwand aus ihrem Blick.
Vergebens lockte sie mit liebevoller Stimme,
Nachfliehend, ihn in ihren Arm zurück!
Nichts kann des raschen Worts, das er in seinem Grimme
Gesprochen, hätt' er gleich es selber nun beweint,
Nichts kann ihn seines Schwurs entbinden,
Bevor, nach dem Beding, der ganz unmöglich scheint,
Zwey Liebende, wie er's verlangt, sich finden.
104 Seit dieser Zeit hat bis zu unsern Tagen
Sich Oberon in eigener Gestalt
Nie mehr gezeigt, und (wie die Leute sagen)
Bald einen Berg, bald einen dicken Wald,
Bald ein verlaßnes Thal zu seinem Aufenthalt
Gewählt, wo Liebende zu stören und zu plagen
All sein Vergnügen ist: und daß er nur für euch
Das Gegentheil gethan, ist einem Wunder gleich.
105 Hier endigte der Alte mit Erzählen;
Und Hüon nimmt Amanden bey der Hand:
Wenn, spricht er, nur ein Paar getreu verliebter Seelen
Zu Oberons und Titaniens Ruhe fehlen,
So schwebt des Schicksals Werk an der Vollendung Rand.
War er's nicht selbst, der uns so wunderbar verband?
Er, sonst der Liebe Feind, hat uns in Schutz genommen:
Die Proben – o die laßt je eh'r je lieber kommen!
106 Amande legt an Antworts-Statt
Des Jünglings Hand ans Herz mit seelenvollen Blicken.
Ihr, die so viel für ihn gethan, gegeben hat,
Was blieb ihr noch mit Worten auszudrücken?
Und eine Scene von Entzücken
Erfolgt daraus, wobey der gute Scherasmin
Des schönen Mährchens Frucht, trotz allem seinem Nicken,
Auf einmahl zu verlieren schien.
107 Zwar noch verbarg der Unschuld keuscher Schleier
Den Liebenden die wachsende Gefahr,
Und ihre Zärtlichkeit ergoß sich desto freyer,
Je reiner ihre Quelle war.
Nie war ein junges Paar in Liebessachen neuer;
Doch eben darum hing ihr Loos an einem Haar.
Ihr ganzes Glück auf ewig zu zerstören,
Braucht's einen Augenblick, worin sie sich verlören!

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