Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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54 Ein lieblich Kind, das ihre Mutterliebe
Mit jedem süßen Reitz verschwenderisch begabt,
Sich schon voraus an jedem zarten Triebe,
Der ihm entkeimt, sich schon am ersten Lächeln labt,
Womit es ihr die Leiden alle danket
Die sie so gern um seinetwillen trug,
Sich labt an jedem schönen Zug
Worin des Vaters Bild sanft zwischen ihrem schwanket.
55 Allmählich wird der wonnigliche Traum
Von schüchternen Beängstigungen
Und stillem Gram, den sie vor Hüon kaum
Verbergen kann und doch verbirgt, verdrungen.
Ach Fatme, denkt sie oft, und Thränen stehen ihr
Im Auge, wärest du in dieser Noth bey mir!
Getrost, o Rezia! Das Schicksal, das dich leitet,
Hat dir zu helfen längst die Wege vorbereitet!
56 Titania, die Elfenkönigin,
Sie hatte seit dem Tag, da Trotz und Widersinn
So unvermuthet sie um Oberons Herz betrogen,
Sich in dieß nehmliche Gebirg zurückgezogen.
Mit dem Gemahl, der ihr durch einen Schwur entsagt,
Den unterm unbegrenzten Bogen
Des himmlischen Azurs kein Geist zu brechen wagt,
Mit seiner Lieb' und ihm war all' ihr Glück entflogen.
57 Zu spät beweint sie nun die eitle, rasche That
Des Augenblicks; fühlt mit beschämten Wangen
Die Größe ihrer Schuld, den schweren Hochverrath
Den sie an ihm und an sich selbst begangen.
Vergebens kämpft ihr Stolz der stärkern Zärtlichkeit
Entgegen! – Ach! sie flöge himmelweit,
Und würfe gern, um ihr Vergehn zu büßen,
In Thränen sich zu des Erzürnten Füßen.
58 Was hälf' es ihr? Er schwor, in Wasser noch in Luft,
Noch wo im Blüthenhain die Zweige Balsam regnen,
Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft
Bey Zauberschätzen wacht, ihr jemahls zu begegnen!
Vergebens käm' ihn selbst die späte Reue an;
Auf ewig fesselt ihn der Schwur den er gethan.
Ihn auszusöhnen bleibt ihr keine Pforte offen!
Denn von der einz'gen, ach! was ist von der zu hoffen?
59 Sie ist auf ewig zu. Denn nur ein liebend Paar,
Wie keines ist, wie niemahls eines war
Noch seyn wird, schließt sie auf. Von schwachen Adamskindern
Zu hoffen eine Treu', die keines Sturmwinds Stoß
Erschüttert, eine Treu', die keine Probe mindern,
Kein Reitz betäuben kann? Unmöglich! Hoffnungslos
Sinkt in der fernsten Zukunft dunkeln Schooß
Ihr thränenschwerer Blick; nichts kann ihr Elend mindern!
60 Verhaßt ist ihr nunmehr der Elfen Scherz, der Tanz
Im Mondenlicht, verhaßt in seinem Rosenkleide
Der schöne May. Ihr schmückt kein Myrtenkranz
Die Stirne mehr. Der Anblick jeder Freude
Reißt ihre Wunden auf. Sie flattert durch das Leer
Der weiten Luft im Sturmwind hin und her,
Find't nirgends Ruh, und sucht mit trübem Blicke
Nach einem Ort, der sich zu ihrer Schwermuth schicke.
61 Zuletzt entdeckt sich ihr im großen Ocean
Dieß Eiland. Aufgethürmt aus schwarzen ungeheuern
Ruinen, lockt es sie durch seine Schwärze an
Den irren Flug dahin zu steuern.
Es stimmt zu ihrem Sinn. Sie taumelt aus der Luft
Herab, und stürzet sich in eine finstre Gruft,
Um ungestört ihr Daseyn wegzuweinen,
Und, unter Felsen, selbst, wo möglich, zu versteinen.
62 Schon siebenmahl, seitdem Titania
Dieß traurige Leben führt, verjüngte sich die Erde
Ihr unbemerkt. Als wie auf einem Opferherde
Liegt sie auf einem Stein, den Tod erwartend, da;
Der Tag geht auf und sinkt, die holde Schattensonne
Beleuchtet zauberisch die Felsen um sie her;
Vergebens! strömten auch die Quellen aller Wonne
Auf einmahl über sie, ihr Herz blieb wonneleer.
63 Das einz'ge, was ihr noch, mit einem Traum des Schattens
Von Trost, ihr ewig Leid versüßt,
Ist, daß vielleicht der Zustand ihres Gattens
Dem ihren gleicht, und Er vielleicht noch härter büßt.
Gewiß, noch liebt er sie! und o! wofern er liebet,
Er, durch sich selbst verdammt zum Schöpfer ihrer Pein
Und seiner eignen Qual, wie elend muß er seyn!
So elend, daß sie gern ihm ihren Theil vergiebet!
64 Doch, da für jede Seelenwunde,
Wie tief sie brennt, die Zeit, die große Trösterin,
Den wahren Balsam hat: so kam zuletzt die Stunde
Auch bey Titania, da ihr verdumpfter Sinn
Sich allgemach entwölkt, ihr Herz geduld'ger leidet,
Und ihre Fantasie in Grün sich wieder kleidet;
Sie giebt den Schmeicheley'n der Hoffnung wieder Raum,
Und was unmöglich schien wird itzt ihr Morgentraum.
65 Auf einmahl grauet ihr vor diesen düstern Schlünden,
Worin sie einst sich gern gefangen sah;
Schnell muß aus ihrem Aug' ein Theil der Klippen schwinden,
Und ein Elysium steht blühend vor ihr da.
Auf ihren leisen Ruf erschienen
Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen;
Ein schwesterliches Drey, das ihren Gram zerstreut,
Und der Verlaßnen, mehr aus Lieb' als Pflicht, sich weiht.
66 Das Paradies, das sich die Elfenkönigin
In diese Felsen schuf, war eben das, worin
Alfonso schon seit dreyßig Jahren wohnte;
Und, ihm unwissend, war's die Grotte, wo sie thronte,
Woraus ihm, durchs Gebüsch vom Nachtwind zugeführt,
Der liebliche Gesang, gleich Engelsstimmen, hallte;
Sie war's, die ungesehn bey ihm vorüber wallte,
Wenn er an seiner Wang' ein geistig Weh'n verspürt.
67 Auch unsre Liebenden, vom Tag an, da die Wogen
An dieses Eiland sie getragen, hatte sie
Bemerkt, und täglich spät und früh
Erkundigung von ihnen eingezogen.
Oft stand sie selbst, wenn jene sich allein
Vermeinten, ungesehn, sich näher zu belehren;
Und was sie hört' und sah gab ihr den Zweifel ein,
Ob sie vielleicht das Paar, das sie erwartet, wären.
68 Je länger sie auf ihr Betragen merkt,
Je mehr sie sich in ihrer Hoffnung stärkt.
Sind Hüon und Amanda die getreuen
Probfesten Seelen nicht, die Oberon begehrt,
So mag sie ihrer nur auf ewig sich verzeihen!
Von nun an sind sie ihr wie ihre Augen werth,
Und sie beschließt, mit ihren kleinen Feen
Dem edlen jungen Weib unsichtbar beyzustehen.
69 Die Stunde kam. Von dumpfer Bangigkeit
Umher getrieben, irrt Amanda im Gebüsche,
Das um die Hütten her ein liebliches Gemische
Von Wohlgeruch zum Morgenopfer streut.
Sie irret fort, so wie der schmale Pfad sich windet,
Bis sie sich unvermerkt vor einer Grotte findet,
Die ein Geweb von Efeu leicht umkränzt,
Auf dessen dunkelm Schmelz die Morgensonne glänzt.
70 Alfonso hatte oft vordem hinein zu gehen
Versucht, und allemahl vergebens; eben dieß
War seinem alten Freund, war Hüon selbst geschehen,
So oft er, um des Wunders sich gewiß
Zu machen, es versucht. Sie hatten nichts gesehen:
Sie fühlten nur ein seltsam Widerstehen,
Als schöbe sich ein unsichtbares Thor,
Indem sie mit Gewalt eindringen wollten, vor.
71 Schnell überfiel sie dann ein wunderbares Grauen;
Sie schlichen leise sich davon,
Und keiner wollte sich der Probe mehr getrauen.
Man weiß nicht, ob Amanda selbst es schon
Zuvor versucht; genug, sie konnte dem Gedanken,
Die erste, der's geglückt, zu seyn,
Nicht widerstehn; sie schob die Efeuranken
Mit leichter Hand hinweg, und – ging hinein.
72 Kaum sah sie sich darin, so kam ein heimlich Zittern
Sie an; sie sank auf einen weichen Sitz
Von Rosen und von Moos. Itzt fühlt sie, Blitz auf Blitz,
Ein schneidend Weh Gebein und Mark erschüttern.
Es ging vorbey. Ein angenehm Ermatten
Erfolgte drauf. Es ward wie Mondesschein
Vor ihrem Blick, der stets in tiefre Schatten
Sich taucht', und, sanft sich selbst verlierend, schlief sie ein.
73 Itzt dämmern liebliche verworrene Gestalten
In ihrem Innern auf, die bald vorüber fliehn,
Bald wunderbar sich in einander falten.
Ihr däucht, sie seh' drey Engel vor ihr knien,
Und ihr verborgene Mysterien verwalten,
Und eine Frau, gehüllt in rosenfarbnem Licht,
Steh' neben ihr, so oft der Athem ihr gebricht
Ein Büschel Rosen ihr zum Munde hin zu halten.
74 Zum letzten Mahl beklemmt ihr höher schlagend Herz
Ein kurzer sanft gedämpfter Schmerz;
Die Bilder schwinden weg, und sie verliert sich wieder.
Doch bald, erweckt vom Nachklang süßer Lieder
Der halb verweht aus ihrem Ohr entflieht,
Schlägt sie in ihrem Traum die Augen auf, und sieht
Die Drey nicht mehr, sieht nur die Königin der Feen
In Rosenglanz sanft lächelnd vor ihr stehen.
75 Auf ihren Armen liegt ein neu geboren Kind.
Sie reicht's Amanden und verschwebet
Vor ihren Augen, wie im Morgenwind
Ein Wölkchen schmilzt aus Blumenduft gewebet.
Im gleichen Nu entwacht Amanda ihrem Traum,
Und streckt die Arme aus, als wollte sie den Saum
Des rosigen Gewandes noch erfassen;
Umsonst! sie greift nach Luft, sie ist allein gelassen.
76 Doch, einen Pulsschlag noch, und wie unnennbar groß
Ist ihr Erstaunen, ihr Entzücken!
Kaum glaubt sie dem Gefühl, kaum traut sie ihren Blicken!
Sie fühlt sich ihrer Bürde los,
Und zappelnd liegt auf ihrem sanften Schooß
Der schönste Knabe, frisch wie eine Morgenros'
Und wie die Liebe schön! Mit wonnevollem Beben
Fühlt sie ihr Herz sich ihm entgegen heben.
77 Sie fühlt's, es ist ihr Sohn! – Mit Thränen inniger Lust
Gebadet, drückt sie ihn an Wange, Mund, und Brust,
Und kann nicht satt sich an dem Knaben sehen.
Auch scheint der Knabe schon die Mutter zu verstehen.
Laßt ihr zum mindsten den Genuß
Des süßen Wahns! Er schaut aus seinen hellen Augen
Sie ja so sprechend an – und scheint nicht jeden Kuß
Sein kleiner Mund dem ihren zu entsaugen?
78 Sie hört den stillen Ruf – wie leise hört
Ein Mutterherz! – und folgt ihm unbelehrt.
Mit einer Lust, die, wenn sie neiden könnten,
Die Engel, die auf sie herunter sahn,
Die Engel selbst beneidenswürdig nennten,
Legt sie an ihre Brust den holden Säugling an.
Sie leitet den Instinkt, und läßt nun an den Freuden
Des zartsten Mitgefühls ihr Herz vollauf sich weiden.
79 Indessen hat im ganzen Hain umher
Ihr Hüon sie gesucht, zwey ängstlich lange Stunden,
Und, da er nirgends sie gefunden,
Führt ihn zuletzt sein irrer Fuß hierher.
Er nähert sich der unzugangbar'n Grotte;
Nichts hält ihn auf, er kommt – o welch ein Augenblick!
Und sieht das holde Weib, mit einem Liebesgotte
An ihrer Brust, vertieft, verschlungen in ihr Glück.
80 Ihr, denen die Natur, beym Eingang in dieß Leben,
Den überschwenglichen Ersatz
Für alles andre Glück, den unverlierbar'n Schatz,
Den alles Gold der Aureng-Zeben
Nicht kaufen kann, das beste in der Welt
Was sie zu geben hat, und was ins beßre Leben
Euch folgt, ein fühlend Herz und reinen Sinn gegeben,
Blickt hin und schaut – Der heil'ge Vorhang fällt!

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