Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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25 Ihr, die mein Tod erhält, schenkt eine fromme Zähre
Dem Jüngling, den der Sterne Mißgunst trifft!
Nicht schuldlos sterb' ich zwar, doch lebt' ich stets mit Ehre;
Ein Augenblick, wo ich, berauscht von süßem Gift,
Des Worts vergaß, das ich zu rasch geschworen,
Der Warnung, die zu spät in meinen bangen Ohren
Itzt wiederhallt – das allgemeine Loos
Der Menschheit, schwach zu seyn – ist mein Verbrechen bloß!
26 Schwer büß' ich's nun, doch klaglos! denn, gereuen
Des liebenswürdigen Verbrechens soll mich's nicht!
Ist Lieben Schuld, so mag der Himmel mir verzeihen!
Mein sterbend Herz erkennt nun keine andre Pflicht.
Was kann ich sonst als Liebe dir erstatten,
O du, die mir aus Liebe alles gab?
Nein! diese heil'ge Gluth erstickt kein Wellengrab!
Unsterblich lebt sie fort in deines Hüons Schatten.
27 Hier wird das Herz ihm groß; er hält die blasse Hand
Vors Aug', und schweigt. Und wer im Kreise stand,
Verstummt; kein Herz so roh, das nicht bey seinem Falle
Auf einen Augenblick von Mitleid überwalle.
Es war ein Blitz, der im Entstehn verschwand.
Sein Tod ist Sicherheit, ist Leben für sie alle;
Und da der Himmel selbst zum Opfer ihn ersehn,
Wer dürfte, sagen sie, dem Himmel widerstehn?
28 Der Sturm, der, seit dem ersten Augenblicke
Da Hüon sich das Todesurtheil sprach,
Besänftigt schien, kam itzt mit neuem Grimm zurücke.
Zersplittert ward der Mast, das Steuer brach.
Laßt, schreyt das ganze Schiff, laßt den Verbrecher sterben!
Der Hauptmann nähert sich dem Ritter: junger Mann,
Spricht er, du siehst daß dich Verzug nicht retten kann,
Stirb, weil es seyn muß, frey, und rett' uns vom Verderben!
29 Und mit entschloßnem Schritt naht sich der Paladin
Dem Bord des Schiffs. Auf einmahl stürzt die Schöne,
Die eine Weile her lebloser Marmor schien,
Gleich einer Rasenden durch alles Volk auf ihn:
Es weht im Sturm ihr Haar wie eines Löwen Mähne;
Mit hoch geschwellter Brust und Augen ohne Thräne
Schlingt sie den starken Arm in liebevoller Wuth
Um Hüon her, und reißt ihn mit sich in die Flut.
30 Verzweifelnd will, ihr nach, die treue Fatme springen.
Man hält sie mit Gewalt. Sie sieht die holden Zwey,
So fest umarmt, wie Reben sich umschlingen,
Schnell fortgewälzt nur schwach noch mit den Wogen ringen;
Und da sie nichts mehr sieht, erfüllt ihr Angstgeschrey
Das ganze Schiff. Wer kann ihr wiederbringen
Was sie verliert? Mit ihrer Königin
Ist alles was sie liebt und hofft auf ewig hin.
31 Indessen hatte kaum die aufgebrachten Wogen
Des Ritters Haupt berührt, so legt, o Wunder! Sich
Des Ungewitters Grimm; der Donner schweigt; entflogen
Ist der Orkane Schaar; das Meer, so fürchterlich
Kaum aufgebirgt, sinkt wieder bis zur Glätte
Des hellsten Teichs, wallt wie ein Lilienbette:
Das Schiff setzt seinen Weg mit Rudern munter fort,
Und, nur zwey Tage noch, so ruht's im sichern Port.
32 Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,
Das, ohne Hoffnung, nun im offnen Meere treibt?
Erschöpft ist ihre Kraft; Besinnen, Hören, Sehen
Verschwunden – das Gefühl von ihrer Liebe bleibt.
So fest umarmt, als wären sie zusammen
Gewachsen, keines mehr sich seiner selbst bewußt,
Doch immer noch im andere athmend, schwammen
Sie, Mund auf Mund, dahin, und Brust an Brust.
33 Und kannst du, Oberon, sie unbeklagt erbleichen,
Du, einst ihr Freund, ihr Schutz, kannst sie verderben sehn?
Du siehst sie, weinst um sie, – und läßt dich nicht erweichen?
Er wendet sich und flieht – es ist um sie geschehn!
Doch, sorget nicht! Der Ring läßt sie nicht untergehn,
Sie werden unverletzt den nahen Strand erreichen;
Sie schützt der magische geheimnisvolle Ring,
Den Rezia aus Hüons Hand empfing.
34 Wer diesen Ring besitzt, das allgewaltige Siegel
Des großen Salomon, dem löscht kein Element
Das Lebenslicht; er geht durch Flammen ungebrennt;
Schließt ihn ein Kerker ein, so springen Schloß und Riegel
So bald er sie berührt; und will er von Trident
Im Nu zu Memfis seyn, so leiht der Ring ihm Flügel:
Nichts ist was der, der diesen Talisman
Am Finger hat, durch ihn nicht wirken kann.
35 Er kann den Mond von seiner Stelle rücken;
Auf offnem Markt, im hellsten Sonnenschein,
Hüllt ihn, so bald er will, auch selbst vor Geisterblicken,
Ein unsichtbarer Nebel ein.
Soll jemand vor ihm stehn, er darf den Ring nur drücken,
Es sey, den er erscheinen heißt,
Ein Mensch, ein Thier, ein Schatten oder Geist,
So steht er da, und muß sich seinem Winke bücken.
36 In Erd' und Luft, in Wasser und in Feuer,
Sind ihm die Geister unterthan;
Sein Anblick schreckt und zähmt die wildsten Ungeheuer,
Und selbst der Antichrist muß zitternd ihm sich nahn.
Auch kann durch keine Macht im Himmel noch auf Erden
Dem, der ihn nicht geraubt, der Ring entrissen werden:
Die Allgewalt, die in ihm ist, beschützt
Sich selbst und jede Hand, die ihn mit Recht besitzt.
37 Dieß ist der Ring der dich, Amanda, rettet,
Dich, und den Mann, der, durch der Liebe Band
Und deiner Arme Kraft an deine Brust gekettet,
Unwissend wie, an eines Eilands Strand
Dich und sich selbst, o Wunder! wiederfand.
Zwar hat euch hier der Zufall hart gebettet;
Die ganze Insel scheint vulkanischer Ruin,
Und nirgends ruht das Aug' auf Laub und frischem Grün.
38 Doch, dieß ist's nicht, was in den taumelnden Minuten
Der ersten Trunkenheit die Wonnevollen rührt.
So unverhofft, so wunderbar den Fluten
Entronnen, unversehrt an trocknes Land geführt,
Gerettet, frey, allein, sich Arm in Arm zu finden,
Dieß übermäßig große Glück
Macht alles um sie her aus ihren Augen schwinden:
Doch ruft ihr Zustand bald sie zum Gefühl zurück.
39 Durchnäßt bis auf die Haut, wie konnten sie vermeiden
Sich ungesäumt am Strande zu entkleiden?
Hoch stand die Sonn' und einsam war der Strand.
Allein, indeß ihr triefendes Gewand
An Felsen hängt, wohin dem Sonnenstrahl entfliehen,
Der deine Lilienhaut, Amanda, dörrt und sticht?
Der Sand brennt ihren Fuß, die schroffen Steine glühen,
Und ach! kein Baum, kein Busch, der ihr ein Obdach flicht!
40 Zuletzt entdeckt des Jünglings bangen Augen
Sich eine Felsenkluft. Er faßt Amanden auf
Und fliegt mit ihr dahin, trägt eilends Schilf zu Hauf
Und altes Moos (der Noth muß alles taugen)
Zur Lagerstatt, und wirft dann neben ihr sich hin.
Sie sehn sich seufzend an, und saugen
Eins aus des andern Augen Trost, für jede Noth
Die gegenwärtig drückt und in der Zukunft droht.
41 O Liebe, süßes Labsal aller Leiden
Der Sterblichen, du wonnevoller Rausch
Vermählter Seelen! welche Freuden
Sind deinen gleich? – Wie schrecklich war der Tausch,
Wie rasch der Übergang im Schicksal dieser beiden!
Einst Günstlinge des Glücks, von einem Fürstenthron
Geschleudert, bringen sie das Leben kaum davon,
Das nackte Leben kaum, und sind noch zu beneiden!
42 Der schimmerreichste Sahl, mit Königspracht geschmückt,
Hat nicht den Reitz von dieser wilden Grotte
Für Rezia – und Er, an ihre Brust gedrückt,
Fühlt sich unsterblich, wird zum Gotte
In ihrem Arm. Das halb verfaulte Moos,
Worauf sie ruhn, däucht sie das reichste Bette,
Und duftet lieblicher, als wenn Schasmin und Ros'
Und Lilienduft es eingebalsamt hätte.
43 O daß er enden muß, so gern das Herz ihn nährt,
Der süße Wahn! Zwar unbemerkt sind ihnen
Zwey Stunden schon entschlüpft: doch, die Natur begehrt
Nun andre Kost. Wer wird sie hier bedienen?
Unwirthbar, unbewohnt ist dieser dürre Strand,
Nichts das den Hunger täuscht wird um und um gefunden;
Und ach! ergrimmt zog Oberon die Hand
Von ihnen ab – der Becher ist verschwunden!
44 Mit unermüdetem Fuß besteigt der junge Mann
Die Klippen rings umher, und schaut so weit er kann:
Ein schreckliches Gemisch von Felsen und von Klüften
Begegnet seinem Blick, wohin er thränend blinkt.
Da lockt kein saftig Grün aus blumenvollen Triften,
Da ist kein Baum, der ihm mit goldnen Früchten winkt!
Kaum daß noch Heidekraut und dünne Brombeerhecken
Und Disteln hier und da den kahlen Grund verstecken.
45 So soll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder Pein
Sich in die Lippen, ach! so soll ich denn mit leeren
Trostlosen Händen wiederkehren,
Zu ihr, für die mein Leben noch allein
Erhaltenswürdig war? Ich, ihre einzige Stütze,
Ich, der mit jedem Herzensschlag
Ihr angehört, bin nur um einen einzigen Tag
Ihr Leben noch zu fristen ihr nicht nütze!
46 Verschmachten soll ich dich vor meinen Augen sehn,
Du Wunder der Natur, so liebevoll, so schön!
Verschmachten! Dich, die bloß um meinetwillen
So elend ist! für mich so viel verließ!
Dir, der dein Stern das schönste Loos verhieß,
Eh' dich des Himmels Zorn in meine Arme stieß,
Dir bleibt (hier fing er an vor Wuth und Angst zu brüllen)
Bleibt nicht so viel – den Hunger nur zu stillen!
47 Laut schrie er auf in unnennbarem Schmerz;
Dann sank er hin, und lag in fürchterlicher Stille.
Doch endlich fällt ein Strahl von Glauben in sein Herz:
Er rafft sich aus des Trübsinns schwarzer Hülle,
Spricht Muth sich ein, und fängt mit neuem Eifer an
Zu suchen. Lang' umsonst! Schon schmilzt im Ocean
Der Sonnenrand zu Gold – auf einmahl, o Entzücken!
Entdeckt die schönste Frucht sich seinen gier'gen Blicken.
48 Halb unter Laub versteckt, halb glühend angestrahlt,
Sah er an breit beraubten Ranken,
Melonen gleich, sie auf die Erde wanken,
Einladend von Geruch, und wunderschön bemahlt.
Wie hält er reichlich sich für alle Müh bezahlt!
Er eilt hinzu, und bricht sie; glänzend danken
Zum Himmel seine Augen auf,
Und Freudetrunkenheit beflügelt seinen Lauf.
49 Amanden, die drey tödtlich lange Stunden
An diesem öden Strand, wo alles Furcht erweckt,
Wo jeder Laut bedroht und selbst die Stille schreckt,
Sich ohne den, der nun ihr Alles ist, befunden,
Ihr war ein Theil der langen Zeit verschwunden,
Zum Lager, wie es hier die Noth der Liebe deckt,
Mit ungewohntem Arm vom Ufer ganze Lagen
Von Meergras, Schilf und Moos der Höhle zuzutragen.

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