Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Erster Gesang.

1 Noch einmahl sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen,
Zum Ritt ins alte romantische Land!
Wie lieblich um meinen entfesselten Busen
Der holde Wahnsinn spielt! Wer schlang das magische Band
Um meine Stirne? Wer treibt von meinen Augen den Nebel
Der auf der Vorwelt Wundern liegt?
Ich seh', in buntem Gewühl, bald siegend, bald besiegt,
Des Ritters gutes Schwert, der Heiden blinkende Säbel.
2 Vergebens knirscht des alten Sultans Zorn,
Vergebens dräut ein Wald von starren Lanzen:
Es tönt in lieblichem Ton das elfenbeinerne Horn,
Und, wie ein Wirbel, ergreift sie alle die Wuth zu tanzen;
Sie drehen im Kreise sich um bis Sinn und Athem entgeht.
Triumf, Herr Ritter, Triumf! Gewonnen ist die Schöne.
Was säumt ihr? Fort! der Wimpel weht;
Nach Rom, daß euern Bund der heil'ge Vater kröne!
3 Nur daß der süßen verbotenen Frucht
Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!
Geduld! der freundlichste Wind begünstigt eure Flucht,
Zwey Tage noch, so winkt Hesperiens goldne Küste.
O rette, rette sie, getreuer Scherasmin,
Wenn's möglich ist! – Umsonst! die trunknen Seelen hören
Sogar den Donner nicht. Unglückliche, wohin
Bringt euch ein Augenblick! Kann Liebe so bethören?
4 In welches Meer von Jammer stürzt sie euch!
Wer wird den Zorn des kleinen Halbgotts schmelzen?
Ach! wie sie Arm in Arm sich auf den Wogen wälzen!
Noch glücklich durch den Trost, zum wenigsten zugleich
Eins an des andern Brust zu sinken ins Verderben.
Ach! hofft es nicht! Zu sehr auf euch erbost
Versagt euch Oberon sogar den letzten Trost,
Den armen letzten Trost des Leidenden, zu sterben!
5 Zu strengern Qualen aufgespart
Seh' ich sie hülflos, nackt, am öden Ufer irren:
Ihr Lager eine Kluft, mit einer Hand voll dürren
Halb faulem Schilf bestreut; und Beeren wilder Art,
Die kärglich hier und dort an kahlen Hecken schmoren,
All' ihre Kost! In dieser dringenden Noth
Kein Hüttenrauch von fern, kein hülfewinkend Boot,
Glück, Zufall und Natur zu ihrem Fall verschworen!
6 Und noch ist nicht des Rächers Zorn erweicht,
Noch hat ihr Elend nicht die höchste Stuf' erreicht;
Es nährt nur ihre strafbar'n Flammen,
Sie leiden zwar, doch leiden sie beisammen.
Getrennt zu seyn, so wie in Donner und Blitz
Der wilde Sturm zwey Bruderschiffe trennet,
Und ausgelöscht, wenn im geheimsten Sitz
Der Hoffnung noch ein schwaches Flämmchen brennet:
7 Dieß fehlte noch! – O du, ihr Genius einst, ihr Freund!
Verdient, was Liebe gefehlt, die Rache sonder Grenzen?
Weh euch! Noch seh' ich Thränen in seinen Augen glänzen;
Erwartet das ärgste wenn Oberon weint! –
Doch, Muse, wohin reißt dich die Adlersschwinge
Der hohen trunknen Schwärmerey?
Dein Hörer steht bestürzt, er fragt sich was dir sey,
Und deine Gesichte sind ihm geheimnisvolle Dinge.
8 Komm, laß dich nieder zu uns auf diesen Kanapee,
Und – statt zu rufen, ich seh', ich seh,
Was niemand sieht als Du – erzähl' uns fein gelassen
Wie alles sich begab. Sieh, wie mit lauschendem Mund
Und weit geöffnetem Auge die Hörer alle passen,
Geneigt zum gegenseitigem Bund,
Wenn du sie täuschen kannst sich willig täuschen zu lassen.
Wohlan! so höret denn die Sache aus dem Grund!
9 Der Paladin, mit dessen Abenteuern
Wir euch zu ergetzen (wofern ihr noch ergetzbar seyd)
Entschlossen sind, war seit geraumer Zeit
Gebunden durch sein Wort nach Babylon zu steuern.
Was er zu Babylon verrichten sollte, war
Halsbrechend Werk, sogar in Karls des Großen Tagen:
In unsern würd' es, auf gleiche Gefahr,
Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter wagen.
10 Sohn, sprach sein Oheim zu ihm, der heil'ge Vater in Rom,
Zu dessen Füßen, mit einem reichlichen Strom
Bußfert'ger Zähren angefeuchtet,
Er, als ein frommer Christ, erst seine Schuld gebeichtet;
Sohn, sprach er, als er ihm den Ablaß segnend gab,
Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl gelingen
Was du beginnst. Allein vor allen Dingen,
Wenn du nach Joppen kommst, besuch das heil'ge Grab!
11 Der Ritter küsset ihm in Demuth den Pantoffel,
Gelobt Gehorsam an, und zieht getrost dahin.
Schwer war das Werk, wozu der Kaiser ihn
Verurtheilt hatte; doch, mit Gott und Sankt Christoffel
Hofft er zu seinem Ruhm sich schon heraus zu ziehn.
Er steigt zu Joppen aus, tritt mit dem Pilgerstabe
Die Wallfahrt an zum werthen heil'gen Grabe,
Und fühlt sich nun an Muth und Glauben zwiefach kühn.
12 Drauf geht es mit verhängtem Zügel
Auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald?
Allein da lag noch mancher steile Hügel
Und manche Wüsteney und mancher dicke Wald
Dazwischen. Schlimm genug, daß in den Heidenlanden
Die schöne Sprache von Ok was unerhörtes war:
Ist dieß der nächste Weg nach Bagdad? fragt er zwar
An jedem Thore, doch von keiner Seele verstanden.
13 Einst traf der Weg der eben vor ihm lag
Auf einen Wald. Er ritt bey Sturm und Regen
Bald links bald rechts den ganzen langen Tag,
Und mußt' oft erst mit seinem breiten Degen
Durchs wilde Gebüsch sich einen Ausgang hau'n.
Er ritt Berg an, um freyer umzuschauen.
Weh ihm! Der Wald scheint sich von allen Seiten,
Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.
14 Was ganz natürlich war däucht ihm ein Zauberspiel.
Wie wird ihm erst, da in so wilden Gründen,
Woraus kaum möglich war bey Tage sich zu finden,
Zuletzt die Nacht ihn überfiel!
Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel.
Kein Sternchen glimmt durch die verwachsnen Wipfel;
Er führt sein Pferd so gut er kann am Zaum,
Und stößt bey jedem Tritt die Stirn an einen Baum.
15 Die dichte rabenschwarze Hülle
Die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald,
Und, was zum ersten Mahl in seine Ohren schallt,
Der Löwen donnerndes Gebrülle
Tief aus den Bergen her, das, durch die Todesstille
Der Nacht noch schrecklicher, von Felsen wiederhallt:
Der Mann, der nie gebebt in seinem ganzen Leben,
Den machte alles dieß zum ersten Mahl erbeben!
16 Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn
Ihn jemahls zittern sah, fühlt doch bey diesem Ton
An Arm und Knie die Sehnen sich entstricken,
Und wider Willen läuft's ihm eiskalt übern Rücken.
Allein den Muth, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine Furcht ersticken;
Und mit gezognem Schwert, sein Roß stets an der Hand,
Ersteigt er einen Pfad, der sich durch Felsen wand.
17 Er war nicht lange fortgegangen,
So glaubt er in der Fern' den Schein von Feuer zu sehn.
Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen,
Und, zwischen Zweifel, und Verlangen
Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden Höh'n
Zu finden, fährt er fort dem Schimmer nachzugehn,
Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget
So wie der Pfad sich senket oder steiget.
18 Auf einmahl gähnt im tiefsten Felsengrund
Ihn eine Höhle an, vor deren finsterm Schlund
Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten
Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein,
Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten
Herab nickt, und im Wiederschein
Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermengtem Grauen
Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.
19 Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd Halt!
Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt,
Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzenfellen,
Der, grob zusammen geflickt, die rauhen Schenkel schlug;
Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen
Bis auf den Magen herab, und auf der Schulter trug
Er einen Cedernast, als Keule, schwer genug
Den größten Stier auf Einen Schlag zu fällen.
20 Der Ritter, ohne vor dem Mann
Und seiner Ceder und seinem Bart zu erschrecken,
Beginnt in der Sprache von Ok, der einzigen die er kann,
Ihm seinen Nothstand zu entdecken.
Was hör' ich? ruft entzückt der alte Waldmann aus:
O süße Musik vom Ufer der Garonne!
Schon sechzehnmahl durchläuft den Sternenkreis die Sonne,
Und alle die Zeit entbehr' ich diesen Ohrenschmaus.
21 Willkommen, edler Herr, auf Libanon, willkommen!
Wiewohl sich leicht erachten läßt
Daß ihr den Weg in dieses Drachennest
Um meinetwillen nicht genommen.
Kommt, ruhet aus, und nehmt ein leichtes Mahl für gut,
Wobey die Freundlichkeit des Wirths das beste thut.
Mein Wein (er springt aus diesem Felsenkeller)
Verdünnt das Blut, und macht die Augen heller.
22 Der Held, dem dieser Gruß gar große Freude gab,
Folgt ungesäumt dem Landsmann in die Grotte,
Legt traulich Helm und Panzer ab,
Und steht entwaffnet da, gleich einem jungen Gotte.
Dem Waldmann wird als rühr' ihn Alquifs Stab,
Da jener itzt den blanken Helm entschnallet,
Und ihm den schlanken Rücken hinab
Sein langes gelbes Haar in großen Ringen wallet.
23 Wie ähnlich, ruft er, o wie ähnlich, Stück für Stück!
Stirn, Auge, Mund und Haar! – Wem ähnlich? fragt der Ritter.
»Verzeihung, junger Mann! Es war ein Augenblick,
Ein Traum aus beßrer Zeit! so süß, und auch so bitter!
Es kann nicht seyn! – Und doch, wie euch dieß schöne Haar
Den Rücken herunter fiel, war mir's ich seh' Ihn selber
Von Kopf zu Fuß. Bey Gott! sein Abdruck, ganz und gar;
Nur Er von breit'rer Brust, und eure Locken gelber.
24 »Ihr seyd, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht
Ist's nicht umsonst, daß ihr dem guten Herrn so gleicht,
Um den ich hier in diesem wilden Haine,
So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine.
Ach! ihn zu überleben war
Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen,
Dieß Auge sein frühes Grab mit treuen Zähren begossen,
Und itzt, ihn wieder in euch zu sehn, wie wunderbar!«

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