Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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66 Der gute Scherasmin, der an der Thüre fern
Zum Schutz der Schönen steht, glaubt seinen ersten Herrn
Im Schlachtgedräng zu sehn, und überläßt voll Freude
Sich einen Augenblick der süßen Augenweide:
Doch bald zerstreut den angenehmen Wahn
Des Fräuleins Angstgeschrey; er sieht der Helden Rasen,
Sieht seines Herrn Gefahr, setzt flugs das Hifthorn an
Und bläst, als läg' ihm ob die Todten aufzublasen.
67 Die ganze Burg erschallt davon und kracht;
Und stracks verschlingt den Tag die fürchterlichste Nacht,
Gespenster lassen sich wie schnelle Blitze sehen,
Und unter stetem Donner schwankt
Des Schlosses Felsengrund. Der Heiden Herz erkrankt;
Sie taumeln Trunknen gleich, Gehör, Gesicht vergehen,
Der schlaffen Hand entglitschen Schwert und Speer,
Und gruppenweis' liegt alles starr umher.
68 Der Sultan, übertäubt von so viel Wunderdingen,
Scheint mit dem Tod den letzten Kampf zu ringen;
Sein Arm ist nervenlos, sein Athem schwer,
Sein Puls schlägt matt, und endlich gar nicht mehr.
Auf einmahl schweigt der Sturm; ein lieblich säuselnd Wehen
Erfüllt den Sahl mit frischem Lilienduft,
Und, wie ein Engelsbild ob einer Todtengruft,
Läßt Oberon sich itzt auf einem Wölkchen sehen.
69 Ein lauter Schrey des Schreckens und der Lust
Entfährt der Perserin; ein unfreywillig Grauen
Bekämpft in ihr das schüchterne Vertrauen.
Die Arme über ihre Brust
Gefaltet, steht sie glühend neben
Dem Jüngling da, dem sie ihr Herz gegeben,
Und wagt, der süßen Schuld jungfräulich sich bewußt,
Zu ihrem Retter kaum die Augen aufzuheben.
70 Gut, Hüon, spricht der Geist, du hast dein Ehrenwort
Gelöst, ich bin mit dir zufrieden.
Zum Ritterdank ist dir dieß schöne Weib beschieden!
Doch, eh' ihr euch entfernt von diesem Ort,
Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet,
Eh' sie vielleicht mit unfruchtbarer Reu
Die rasche Wahl verführter Augen büßet!
Zu bleiben oder gehn läßt ihr das Schicksal frey.
71 So vieler Herrlichkeit entsagen,
Verlassen Hof und Thron, dem sie geboren ward,
Um sich, auf ungewisse Fahrt,
Ins weite Meer der Welt mit einem Mann zu wagen;
Zu leben ihm allein, mit ihm den Unbestand
Des Erdenglücks, mit ihm des Schicksals Schläge tragen,
(Und ach! oft kommt der Schlag von einer lieben Hand!)
Da lohnt sich's wohl, vorher sein Herz genau zu fragen.
72 Noch, Rezia, wenn dich die Wage schreckt,
Noch steht's bey dir den Wunsch der Liebe zu betrügen.
Sie schlummern nur, die hier als wie im Grabe liegen;
Sie leben wieder auf, so bald mein Stab sie weckt.
Der Sultan wird dir gerne, was geschehen,
Verzeihn, trotz dem was er dabey verlor,
Und Rezia wird wieder wie zuvor
Von aller Welt sich angebetet sehen.
73 Hier schwieg der schöne Zwerg. Und, bleicher als der Tod,
Steht Hüon da, das Urtheil zu empfangen,
Womit ihn Oberon, der Grausame! bedroht.
In Asche sinkt das Feuer seiner Wangen.
Zu edel oder stolz, vielleicht ein zweifelnd Herz
Mit Liebesworten zu bestechen,
Starrt er zur Erde hin mit tief verhaltnem Schmerz,
Und läßt nicht einen Blick zu seinem Vortheil sprechen.
74 Doch Rezia, durchglüht von seinem ersten Kuß,
Braucht keines Zunders mehr die Flamme zu erhitzen.
Wie wenig däucht ihr noch was sie verlassen muß,
Um alles was sie liebt in Hüon zu besitzen!
Von Scham und Liebe roth bis an die Fingerspitzen,
Verbirgt sie ihr Gesicht und einen Thränenguß
In seinem Arm, indem, hoch schlagend von Entzücken,
Ihr Herz empor sich drängt, an seines sich zu drücken.
75 Und Oberon bewegt den Lilienstab
Sanft gegen sie, als wollt' er seinen Segen
Auf ihrer Herzen Bündniß legen,
Und eine Thräne fällt aus seinem Aug' herab
Auf beider Stirn. So eil' auf Liebesschwingen,
Spricht er, du holdes Paar! Mein Wagen steht bereit,
Bevor das nächste Licht der Schatten Heer zerstreut,
Euch sicher an den Strand von Askalon zu bringen.
76 Er sprach's, und eh' des letzten Wortes Laut
Verklungen war, entschwand er ihren Augen.
Wie einem Traum entwacht, steht Hüons schöne Braut,
Den süßen Duft begierig aufzusaugen,
Der noch die Luft erfüllt. Drauf sinkt ein scheuer Blick
Auf ihren Vater hin, der wie in Todesschlummer
Zu starren scheint. Sie seufzt, und wehmuthsvoller Kummer
Mischt Bitterkeit in ihres Herzens Glück.
77 Sie hüllt sich ein. Herr Hüon, dem die Liebe
Die Sinne schärft, sieht nicht so bald
Ihr Herz beklemmt, ihr schönes Auge trübe,
So drückt er sie mit zärtlicher Gewalt,
Den rechten Arm um ihren Leib gewunden,
Zum Sahl hinaus. – Komm, spricht er, eh' die Nacht
Uns überrascht, und jeder Arm erwacht,
Den, uns zu Lieb', der Geist mit Zauberschlaf gebunden.
78 Komm, laß uns fliehn, eh' uns den Weg zur Flucht
Ein neuer Feind vielleicht zu sperren sucht,
Und sey gewiß, sind wir nur erst geborgen,
Wird unser Schützer auch für diese Schläfer sorgen.
Dieß sprechend trägt er sie mit jugendlicher Kraft
Die Marmortrepp' hinunter bis zum Wagen,
Den Oberon zu ihrer Flucht verschafft,
Und eine süßre Last hat nie ein Mann getragen.
79 Die ganze Burg ist furchtbar still und leer
Wie eine Gruft, und Leichen ähnlich liegen
In tiefem Schlaf die Hüter hin und her;
Nichts hemmt der Liebe Flucht; der Wagen wird bestiegen:
Doch traut das Fräulein sich dem Ritter nicht allein;
Mit Scherasmin steigt auch die Amme hastig ein.
Sie, die zum ersten Mahl so viele Wunder siehet,
Die arme Frau weiß nicht wie ihr geschiehet.
80 Wie wird ihr da sie rückwärts schaut
Und sieht, an Pferde Statt, vier Schwanen vor dem Wagen,
Regiert von einem Kind! – Wie schaudert ihr die Haut,
Da sie empor gelupft und durch die Luft getragen
Sich fühlt, und kaum zu athmen sich getraut,
Und nicht begreifen kann, wie, ohne umzuschlagen,
So schwer bepackt, der Wagen sich erhebt,
Und, steter als ein Kahn, auf leichten Wolken schwebt!
81 Als endlich gar die Nacht sie überfiel,
Was Wunder, daß die Furcht zuletzt die Scham besiegte,
Und Fatme so gedrang an Scherasmin sich schmiegte,
Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl!
Vermuthlich daß der Mann dazu sich willig fügte;
In solchen Fällen mischt das Herz sich gern ins Spiel:
Jedoch gereicht zum Ruhm des wackern Alten,
Daß er wie reines Gold dieß Feuer ausgehalten.
82 Ganz anders war das junge Paar gestimmt,
Das Amor itzt mit seiner Mutter Schwanen
Davon zu führen schien. Ob auf gewohnten Bahnen
Den Lauf ihr Zauberfuhrwerk nimmt,
Ob durch die Luft, ob's rollet oder schwimmt,
Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen,
Sanft oder hart, mit oder ohne Fahr,
Sie werden nichts von allem dem gewahr.
83 Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken
Ins Paradies, dünkt sie ihr gegenwärt'ger Stand;
Sie können nichts, als stumm, mit nimmer satten Blicken,
Sich anschaun, eins des andern warme Hand
Ans volle Herz in süßer Inbrunst drücken,
Und, während Himmel und Erd' aus ihren Augen schwand,
Und sie allein noch übrig waren, fragen:
Ist's, oder träumt uns noch? Sind wir in Einem Wagen?
84 »So war's kein Traum als ich im Traum dich sah?
(Rief jedes aus) So war es Rezia?
War's Hüon? und ein Gott hat dich mich finden lassen?
Du mein? – ich dein? – Wer durft' es hoffen, wer?
So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr
Zu trennen? Kann das Herz so viele Wonne fassen?«
Und dann von neuem stets einander angeblickt,
Von neuem Hand um Hand an Mund und Herz gedrückt!
85 Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbeladnen Flügeln
Den Luftkreis ein; dieß hemmt der Liebe Sehkraft nicht:
Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht,
Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln.
Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium
Und Himmelreich ist alles um und um;
Ihr Sonnenschein ergießet sich von innen,
Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.
86 Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit
Das volle Herz in zauberischen Schlummer;
Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer,
Die Seele dünkt vom Leibe sich befreyt,
In Ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen!
So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen!
Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloß
Sich fühlend – Aber, o dieß Eins, wie grenzenlos!

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