Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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44 »Indessen ward geglaubt, sie könne Babekan
(So heißt der Prinz, den sich zum Tochtermann
Der Sultan auserwählt) vor allen andern leiden.
Nicht, daß beym Kommen oder Scheiden
Das Herz ihr höher schlug; ihn nicht mit Fleiß zu meiden
War wohl das höchste, was er über sie gewann:
Allein, sie war doch sonst für niemand eingenommen;
Die Liebe, dachte man, wird nach der Hochzeit kommen.
45 »Jedoch, seit einem Zwischenraum
Von wenig Wochen, hat sich alles umgekehret.
Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum
Vor Augen sehn. Ihr ganzes Herz empöret
Sich, wenn sie nur von Hochzeit reden höret;
Und, was unglaublich ist, so hat ein bloßer Traum
Die Schuld daran.« – Ein Traum? ruft Hüon ganz in Feuer;
Ein Traum? ruft Scherasmin, welch seltsam Abenteuer!
46 Ihr träumte, fährt die Alte fort,
Sie werd' in Rehgestalt an einem wilden Ort
Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig Hunden
Verfolgt, in Todesangst herab von einem Berg;
Ihm zu entfliehen war die Hoffnung schon verschwunden!
Da kam ein wunderschöner Zwerg
In einem Faëton, den junge Löwen zogen,
In vollem Sprung entgegen ihr geflogen.
47 Der Zwerg in seiner kleinen Hand
Hielt einen blüh'nden Lilienstängel,
Und ihm zur Seite saß ein fremder junger Fant,
In Ritterschmuck, schön wie ein barer Engel;
Sein blaues Aug' und langes gelbes Haar
Verrieth, daß Asien nicht sein Geburtsland war;
Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr Herzchen ward beym ersten Blick genommen.
48 Der Wagen hielt. Der Zwerg mit seinem Lilienstab
Berührte sie; stracks fiel die Rehhaut ab:
Die schöne Rezia, auf ihres Retters Bitten,
Stieg in den Wagen ein, und setzt' erröthend mitten
Sich zwischen ihn und den, dem sich ihr Herz ergab,
Wiewohl noch Lieb' und Scham in ihrem Busen stritten.
Der Wagen fuhr nun scharf den Berg hinan,
Und stieß vor einen Stein, und sie erwachte dran.
49 Weg war ihr Traum, doch nicht aus ihrem Herzen
Der Jüngling mit dem langen gelben Haar.
Stets schwebt sein Bild, die Quelle süßer Schmerzen,
Bey Tag und Nacht ihr vor, und seit der Stunde war
Der Drusenfürst ihr unerträglich.
Sie konnt' ihn ohne Zorn nicht hören und nicht sehn.
Man gab sich alle Müh die Ursach' auszuspähn;
Umsonst, sie blieb geheim und stumm und unbeweglich.
50 Nur ihre Amm' allein, von der ich, wie gesagt,
Die Mutter bin, wußt' endlich Weg' zu finden,
Das seltsame Geheimniß, das sie nagt,
Aus ihrer Brust heraus zu winden.
Allein ihr wißt, ob mit vernünft'gen Gründen
Ein Schaden heilbar ist, der heimlich uns behagt?
Die arme Dame war sich selber gram, und wollte
Daß Fatme dennoch stets dem Übel schmeicheln sollte.
51 Indessen kam der Tag, vor dem so sehr ihr graut,
Stets näher. Babekan, um bey der spröden Braut
In beßre Achtung sich zu schwingen,
Ließ wenig unversucht; nur wollte nichts gelingen.
Sie war bekanntlich stets den Tapfern sehr geneigt,
Er hatte sich noch nie in diesem Licht gezeigt:
Laß, sprach er zu sich selbst, uns eine That vollbringen,
Der Unempfindlichen Bewundrung abzuzwingen!
52 Nun setzte seit geraumer Zeit
Ein ungeheures Thier das ganze Land in Schrecken:
Es fiel bey hellem Tag in Dörfer und in Flecken,
Und würgte Vieh und Menschen ungescheut.
Man sagt, es habe Drachenflügel,
Und Klauen wie ein Greif und Stacheln wie ein Igel,
Sey größer als ein Elefant,
Und wenn es schnaube, fahr' ein Sturm durchs ganze Land.
53 Seit Menschendenken war kein solches Thier erschienen,
Auch stand ein großer Preis auf dessen Kopf gesetzt;
Allein weil jedermann den seinen höher schätzt,
Hat niemand Lust das Schußgeld zu verdienen.
Nur Babekan hielt's des Versuches werth,
Durch eine kühne That der Schönen Stolz zu dämpfen.
Er geht im Pomp zum Sultan, und begehrt
Vergünstigung, den Löwen zu bekämpfen.
54 Und als ihm's der, wiewohl nicht gern, gewährt,
Bestieg er heute früh vor Tag sein bestes Pferd,
Und ritt hinaus. Was weiter vorgegangen
Ist unbekannt. Genug, er kam, zu gutem Glück,
Auf einem fremden Gaul, ganz leise, sonder Prangen
Und ohne eine Klau' vom Ungeheu'r zurück.
Man sagt, er habe stracks, so bald er heim gekommen,
Sich hingelegt und Bezoar genommen.
55 Bey allem dem sind nun mit unerhörter Pracht
Die Zubereitungen zum Hochzeitfest gemacht;
Unfehlbar wird es morgen vor sich gehen,
Und Rezia sich in der nächsten Nacht
In Babekans verhaßten Armen sehen. –
Eh' dieß geschieht, fuhr Hüon rasch heraus,
Eh' soll das große Rad der Schöpfung stille stehen!
Der Ritter und der Zwerg sind, glaubt mir, auch vom Schmaus.
56 Die Alte wundert sich des Wortes, und betrachtet
Genauer, was sie erst nicht sonderlich geachtet,
Des Fremden blaues Aug' und langes gelbes Haar,
Und seinen Ritterschmuck, und daß er nur gebrochen
Arabisch sprach, und daß er schöner war
Als je ein Mann, der in die Augen ihr gestochen:
Das rasche Wort, das er gesprochen,
Und diese Ähnlichkeit! es däucht ihr sonderbar.
57 Wo kam er her? warum? wer ist er? zwanzig Fragen
Zu diesem Zweck, die schon auf ihrer Zunge lagen,
Erstickte Hüons Ernst. Er that als wäre Ruh
Ihm noth, und legte sich auf seiner Streu zurechte.
Die Alte wünscht, daß ihm was süßes träumen möchte,
Und trippelt weg, und schließt die Thüre nach sich zu.
Allein wurmstichig war die Thür und hatte Spalten,
Und Vorwitz juckt das Ohr der guten Alten.
58 Sie schleicht zurück, und drückt so fest sie kann
Ihr lauschend Ohr an eine Ritze,
Und horcht mit offnem Mund und hält den Athem an.
Die Fremden sprachen laut, und, wie es schien, mit Hitze;
Sie hörte jedes Wort; nur, leider! war kein Sinn
Für eine alte Frau von Babylon darin:
Doch kann sie dann und wann, zum Trost in diesem Leiden,
Den Nahmen Rezia ganz deutlich unterscheiden.
59 Wie wundervoll mein Schicksal sich entspinnt!
(Rief Hüon aus) Wie wahr hat Oberon gesprochen,
Schwach ist das Erdenvolk und für die Zukunft blind!
Karl denkt, er habe mir gewiß den Hals gebrochen;
Auf mein Verderben zielt sein Auftrag sichtlich ab,
Und blindlings thut er bloß den Willen des Geschickes:
Der schöne Zwerg reckt seinen Lilienstab,
Und leitet mich im Traum zur Quelle meines Glückes.
60 Und daß (spricht Scherasmin) die Jungfrau, die im Traum
Das Herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans ist, die Karl zu eurer Braut ernannte;
Daß alles so sich schickt, und daß auch Sie im Traum,
Wie ihr in sie, in Euch entbrannte,
So etwas glaubte man ja seinen Augen kaum!
Und doch, spricht Hüon, hat's die Alte nicht erfunden;
Den Knoten hat das Schicksal selbst gewunden.
61 Nur wie er aufzulösen sey,
Da liegt die Schwierigkeit! – Mich sollte das nicht plagen,
Erwiedert Scherasmin: Herr, darf ich ungescheut
Euch meine schlechte Meinung sagen?
Ich macht' es kurz und schnitt' ihn frisch entzwey.
Dem Junker linker Hand ließ' ich den Luftpaß frey
Und dem Kalifen seine Zähne,
Und hielte mich an meine Dulcimene.
62 Bedenkt's nur selbst, in ihrer Gegenwart
Die Ceremonie mit Kopfab anzufangen,
Hernach vier Backenzähn' und eine Hand voll Bart
Dem alten Herren abverlangen,
Und vor der Nas' ihm gar sein einzig Kind umfangen,
Bey Gott! das hat doch wahrlich keine Art!
Das Schicksal kann unmöglich wollen
Daß wir das Ziel uns selbst so grob verrücken sollen.
63 Zum Glück, daß Oberon das beste schon versah.
Das Hauptwerk ist doch wohl, dem Hasen
Von Bräutigam das Fräulein wegzublasen;
Und dazu hilft die schöne Rezia
Gewiß uns selbst, so bald sie von der Alten
Berichtet ist, das gelbe Haar sey da. –
Mir liegt indessen ob, zwey frische Klepper, nah
Beym Garten des Serai's, zur Flucht bereit zu halten.
64 Herr Scherasmin, (versetzt der Ritter) wie es scheint,
Entfiel euch, daß ich Karln mein Ehrenwort gegeben,
Dem, was er mir gebot, buchstäblich nachzuleben?
Da geht kein Jot davon, mein Freund!
Was draus entstehen kann, das mag daraus entstehen!
Mir ziemt es nicht so was voraus zu sehen.
Im Fall der Noth (erwiedert Scherasmin)
Muß doch zuletzt der Zwerg uns aus dem Wasser ziehn.
65 Allmählich schlummert der Alte unter diesen
Gesprächen ein. Von Hüons Augen bleibt
Der süße Schlaf die Nacht hindurch verwiesen.
Gleich einem Kahn auf hohen Wogen, treibt
Sein ahnend Herz mit ungeduldigem Schwanken
Auf ungestüm sich wälzenden Gedanken:
So nah dem Port; so nah, und doch so weit!
Es ist ein Augenblick, und däucht ihm Ewigkeit.

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