Christoph Martin Wieland
Oberon
Christoph Martin Wieland

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Zweyter Gesang.

1 So zieht das edle Paar, stets fröhlich, wach und munter,
Bey Sonnenschein und Sternenlicht
Drey Tage schon den Libanon hinunter;
Und wenn die Mittagsgluth sie auf die Scheitel sticht,
Dient hohes Gras im Schatten alter Cedern
Zum Ruheplatz; indeß in bunten Federn
Das leichte Volk der Luft die Silberkehlen stimmt,
Und traulich Theil an ihrer Mahlzeit nimmt.
2 Am vierten Morgen läßt ein kleiner Haufen Reiter
Sich ziemlich nah auf einer Höhe sehn.
Es sind Araber, spricht zu Hüon sein Begleiter,
Und aus dem Wege dem rohen Volke zu gehn,
Wo möglich, wäre wohl das beste:
Ich kenne sie als unverschämte Gäste.
Ey, ey, wo denkst du hin? erwiedert Siegwins Sohn,
Wo hörtest du, daß Franken je geflohn?
3 Die Söhne der Wüste, magnetisch angezogen
Von Hüons Helm, der ihnen im Sonnenglanz
Entgegen blitzt, als wär' er ganz
Karfunkel und Rubin, sie kommen mit Pfeil und Bogen,
Den Säbel gezückt, in Sturm heran geflogen.
Ein Mann zu Fuß, ein Mann zu Pferd
Scheint ihnen kaum des Angriffs werth;
Allein sie fanden sich betrogen.
4 Der junge Held, bedeckt mit seinem Schild,
Sprengt unter sie, und wirft mit seinem Speere
Den, der ihr Führer schien, so kräftig von der Mähre,
Daß ihm ein blutiger Strom aus Mund und Nase quillt.
Nun stürzen alle zumahl, des Hauptmanns Fall zu rächen,
Auf seinen Sieger zu, mit Hauen und mit Stechen;
Allein von Scherasmin, der ihm den Rücken deckt,
Wird auf den ersten Schlag ein Pocher hingestreckt;
5 Und auf den andern Troß arbeitet unser Ritter
So unverdrossen los, daß bald ein Zweyter und Dritter
Den Sattel räumt. Auf jeden frischen Zug
Fliegt hier ein Kopf, und dort ein Arm, den Säbel
Noch in der Faust. Nicht minder kräftig schlug
Der Alte zu mit seinem schweren Hebel.
Zu ihrem Mahom schrey'n die Heiden fluchend auf,
Und wer noch fliehen kann, der flieht in vollem Lauf.
6 Das Feld liegt grauenhaft mit Leichen und mit Stümmeln
Von Roß und Mann bedeckt, die durch einander wimmeln.
Der Held, so bald sein neuer Spießgesell
Das beste Roß, das seinen Herrn verloren,
Nebst einem guten Schwert sich aus der Beut' erkohren,
Spornt seinen schnaubenden Hengst und eilet vogelschnell
Den Thälern zu, die sich in unabsehbarn Weiten
An des Gebirges Fuß vor ihrem Blick verbreiten.
7 Es schien ein wohl gebautes Land,
Mit Bächen überall durchschnitten,
Die Anger mit Schafen bedeckt, die Auen im Blumengewand,
Und zwischen Palmen die friedlichen Hütten
Der braunen Bewohner verstreut, die froh ihr Tagwerk thun,
In ihrer Armuth reich sich dünken,
Und, wenn sie hungrig und müd' in kühlen Schatten ruhn,
Zum rohen bäurischen Mahl dem Pilger freundlich winken.
8 Hier läßt der Ritter, da ihn die Sonne zu drücken begann,
Sich Brot in frische Milch von einer Hirtin brocken.
Das gute Volk begafft zur Seite, halb erschrocken,
Wie er im Grase liegt, den fremden eisernen Mann;
Allein da Blick und Ton ihm schnell ihr Herz gewann,
So wagen bald Kinder sich hin und spielen mit seinen Locken.
Den tapfern Mann ergetzt ihr traulich frohes Gewühl,
Er wird mit ihnen Kind, und theilt ihr süßes Spiel.
9 Wie selig, denkt er, wär's in diesen Hütten wohnen!
Vergeblicher Wunsch! ihn ruft sein Schicksal anderwärts.
Der Abend winkt. Beym Scheiden wallt sein Herz,
Und, um dem guten Volk das freundliche Mahl zu lohnen,
Wirft Hüon eine Hand voll Gold
Der Wirthin in den Schooß. Allein die Glücklichen wußten
Nicht was es war, und übten das Gastrecht ohne Sold,
So daß die Herren ihr Gold nur wieder nehmen mußten.
10 Nun ritten sie zu, bis endlich, da der Tag
Zu dämmern begann, ein Wald vor ihnen lag.
Freund, spricht der Paladin zum Alten,
Mich brennt's wie Feuer bis ich dem Kaiser Wort gehalten.
Den nächsten Weg nach Bagdad wolltest du
Mich führen? Mir ist's, ich sey vier Jahre schon geritten.
Der nächste Weg, versetzt sein Spießgesell, geht mitten
Durch diesen Wald; allein, ich rath' euch nicht dazu.
11 Man spricht nicht gut von ihm, zum wenigsten noch keiner,
Der sich hinein gewagt, kam jemahls wieder 'raus.
Ihr lächelt? Glaubt mir's, Herr, ein übellauniger kleiner
Boshafter Kobold hält in diesem Walde Haus.
Es wimmelt drin von Füchsen, Hirschen, Rehen,
Die Menschen waren so gut als wir.
Der Himmel weiß in welches wilde Thier
Wir, eh' es morgen wird, uns umgekleidet sehen!
12 Geht nur, erwiedert Siegwins Sohn,
Durch diesen Wald der Weg nach Babylon,
So fürcht' ich nichts. – »Herr, laßt auf meinen Knieen
Euch bitten! Es ist, bey Gott! mir mehr um euch als mich:
Denn gegen diesen Geist, das glaubt mir sicherlich,
Hilft weder Gegenwehr noch Fliehen.
Mit fünf, sechs Tagen später ist's gethan;
Und ach! ihr kommt noch stets zu früh in Bagdad an!
13 Wenn du dich fürchtest, spricht der Ritter,
So bleibe du, ich geh', mein Schluß ist fest.
Das nicht, ruft Scherasmin: der Tod schmeckt immer bitter,
Allein, ein Schelm der seinen Herrn verläßt!
Wenn ihr entschlossen seyd, so folg' ich ohne Zaudern,
Und helf' uns Gott und Unsre Frau zu Acqs!
Wohlan, spricht Hüon, komm! und reitet, bleich wie Wachs,
Den Wald hinein. Der Alte folgt mit Schaudern.
14 Kaum war er in der Dämmerung
Zwey hundert Schritte fortgetrottet,
Als links und rechts in vollem Sprung
Ein Heer von Hirschen und Rehen sich ihm entgegen rottet.
Sie schienen, mit Thränen im warnenden Blick,
(Wie Scherasmin, wiewohl bey wenig Lichte,
Bemerken will) aus Mitleid sie zurück
Zu scheuchen, als sprächen sie: O flieht, ihr armen Wichte!
15 Nun! merkt ihr, (flüstert er zum Ritter) wie es steht?
Und werdet ihr ein andermahl mir glauben?
Trifft's nicht ganz wörtlich ein? Die Thiere, die ihr seht,
Die aus Erbarmen uns so stark entgegen schnauben,
Sind Menschen, sag' ich euch; und wenn ihr weitergeht,
Glaubt mir, so haben wir den Kobold auf der Hauben.
Seyd nicht so hart und rennt aus Eigensinn,
Trotz eines Freundes Rath, in euer Unglück hin!
16 Wie, Alter? spricht der Held, ich geh' mit diesen Schritten
Nach Bagdad, den Kalif um eine Hand voll Haar
Aus seinem Bart und vier von seinen Zähnen zu bitten,
Und du verlangst, ich soll von ungewisser Fahr
Mich schrecken lassen? Wo ist dein Sinn geblieben?
Wer weiß, der Kobold ist vielleicht mein guter Freund.
Mit diesen wenigstens ist's nicht so schlimm gemeint;
Sieh, wie sie all' in einem Huy zerstieben!
17 Indem er's sagt, so sprengt er auf sie zu,
Und alles weicht wie Luft und ist im Huy verflogen.
Herr Hüon und sein Führer zogen
Nun eine Weile fort in ungestörter Ruh,
Stillschweigend beide. Der Tag war nun gesunken,
Und ihren Mohnsaft goß die braune Nacht herab;
Rings um sie lag schon alles schlummertrunken,
Und durch den ganzen Wald war's stille wie im Grab.
18 Zuletzt kann länger sich der Alte nicht entbrechen.
Herr, spricht er, stör' ich euch in einem Grillenplan,
So haltet mir's zu gut; 's ist eine meiner Schwächen,
Ich läugn' es nicht; allein, im Dunkeln muß ich sprechen,
Das war so meine Art von meiner Kindheit an.
Es ist so stille hier als sey der große Pan
Gestorben. Tönte nicht der Hufschlag unsrer Pferde,
Ich glaube daß man gar den Maulwurf scharren hörte.
19 Ihr denkt ich fürchte mich; doch ohne Prahlerey,
(Denn, was der Mensch auch hat, so sind's am Ende Gaben,
Auch leben manche noch, die es gesehen haben)
Wo Schwerter klirren, im Feld und im Turney ,
Mann gegen Mann, auf Stechen oder Hauen,
Wär's auch im Nothfall zwey und drey
An fünf bis sechs, ich bin dabey!
Da kann man doch auf seine Knochen trauen.
20 Kurz, hat ein Feind nur Fleisch und Blut,
Ich bin sein Mann! Allein, das muß ich frey gestehen,
Um Mitternacht an einem Kirchhof gehen
Das lupft ein wenig mir den Hut.
Gesetzt, so einem Geist, der querfeld mir begegnet,
Steht meine Fysionomie
Nicht an: was hilft mir Arm und Degen, ventregris!
Wenn's unsichtbare Schläg' auf meinen Rücken regnet?
21 Gesetzt, wie man Exempel hat,
Ich hau' ihm auch den Schädel glatt vom Rumpfe;
Noch weil er rollt, stehn schon an dessen Statt
Zwey neue Köpfe auf dem Stumpfe.
Oft rennt sogar der Rumpf in vollem Lauf
Dem Kopfe nach, und setzt ihn wieder auf
Als wär' es nur ein Hut, den ihm der Wind genommen:
Nun, bitt' ich euch, wie ist so einem beyzukommen?
22 Zwar, wie ihr wißt, so bald der Hahn gekräht,
So ist's mit all dem Spuk, der zwischen eilf und zwölfen
Im Dunkeln schleicht, Gespenstern oder Elfen,
Als hätte sie der Wind davon geweht.
Allein, der Geist der hier sein Wesen treibet,
Ist euch von ganz besonderm Schlag,
Hält offnen Hof, ißt, trinkt, und lebt und leibet
Wie unser eins, und geht bey hellem Tag.
23 Um meine Neugier aufzuschrauben,
Hast du dein bestes gethan, erwiedert Siegwins Sohn:
Man spricht von Geistern so viel, und lügt so viel davon,
Daß Laien unsrer Art nicht wissen was sie glauben.
Einst kam an unsern Hof ein tief studierter Mann,
Der schwor uns hoch, es wäre gar nichts dran,
Und schimpfte weidlich los auf alle Geisterseher;
Auch hieß ihn der Kaplan nur einen Manichäer.
24 Sie disputierten oft bey einer Flasche Wein;
Doch, wenn das letzte Glas zu Kopf zu gehn begonnte,
So mischten sie so viel Latein darein
Daß unser einer kaum ein Wort verstehen konnte.
Da dacht' ich oft: Schwatzt noch so hoch gelehrt,
Man weiß doch nichts als was man selbst erfährt;
Ich wollt' ein Geist erwiese mir die Ehre
Und sagte mir was an der Sache wäre.
25 Indem sah unser wandernd Paar
Sich unvermerkt in einem Park befangen,
Durch den sich hin und her so viele Wege schlangen,
Daß irre drin zu gehn fast unvermeidlich war.
Der Mond war eben itzt vollwangig aufgegangen,
Um durch ein trüglich Dunkelklar
Die Augen, die nach einem Ausweg irren,
Mit falschen Lichtern zu verwirren.
26 Herr, sagte Scherasmin, hier ist's drauf angesehn
Uns in ein Labyrinth zu winden.
Der einz'ge Weg sich noch heraus zu finden,
Ist – auf gut Glück der Nase nachzugehn.
Der Rath (der weiser ist als mancher Klügling meinet)
Führt unsre frommen Wandrer bald
Zum Mittelpunkt, wo sich der ganze Wald
In einen großen Stern vereinet.
27 Und in der Fern' erblicken sie in Büschen
Ein Schloß, das, wie aus Abendroth gewebt,
Sich schimmernd in die Luft erhebt.
Mit Augen, worin sich Lust und Grauen mischen,
Und zwischen Traum und Wachen zweifelhaft
Schwebt Hüon sprachlos da und gafft;
Als plötzlich auf die goldnen Thüren flogen
Und rollt' ein Wagen daher, den Leoparden zogen.

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