Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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21. Der Bromo auf Java

Wunderbare Schönheit ist über Java ausgegossen. Wie ein Gewand von schwerstem, kostbarstem Sammet umhüllt eine Pflanzendecke von tropischer Üppigkeit seinen Boden. Nirgends in Asien schießen die Palmen höher zum Himmel, bilden die Riesenbambusse stärkere Haine mit tiefgrüner Dämmerung, durchwuchern Farne und Orchideen dichter den feuchtwarmen Urwald, nirgends schaffen die grünen Terrassen des Reisbaues, die nah und fern die Gelände überziehen, reizendere Bilder des Friedens und anmutgesättigten Wohlstandes als in Java.

Aber dies Gewand bekleidet die Glieder eines dämonischen Wesens mit heißen Adern und von unberechenbarer Wildheit. Java ist durch und durch vulkanisch, eines der Länder der Erde, wo noch heute die vulkanische Kraft am meisten lebendig ist. Oft von der vollendetsten Regelmäßigkeit der Bildung, klassische Schulbeispiele von Vulkangestaltung, steigen diese Kegelberge aus den Gärten der Dörfer und Städte empor; Reisfelder umhüllen ihren Fuß. Kaffee-, Tee-, Chinarindeanpflanzungen ihre mittleren Flanken, und darüber wuchert der Urwald empor, der sie meist bis zur höchsten Spitze umfängt. Mehr als die Hälfte all dieser Vulkane – fünfundvierzig sind es im ganzen – ist noch nicht erloschen. Gewöhnlich schlummern sie; nur eine kleine Dampfwolke über ihrer Spitze gibt den Bewohnern drunten Kunde von ihrem innern Leben. Wenn man sich aber durch Pflanzungen und Urwald bis zum Kratergebiet hinaufgearbeitet hat, das oben im Walde verborgen liegt, sieht man die Zeugnisse von der wahren Natur dieser schönen, sanftschwellenden Gebilde: kochende Schlammkessel, milchweiß gefärbte Seen, in die sich dampfende Bäche ergießen, schwarze Felslöcher mit schwefelgelbem Randbeschlag, aus denen sausende Dämpfe hervorzischen wie aus dem Ventil einer Lokomotive, der heiße Atem des schlummernden Riesen. Von Zeit zu Zeit erwacht einer der Riesen und schüttet totschlaglaunig Ströme von siedendem Schlamm und ungeheure Lavablöcke auf die blühende Umgebung, Tausende von Menschenleben vernichtend. Wenige Jahre später, wenn er wieder eingeschlummert ist, hat der Urwald ihn von neuem umsponnen und der Mensch von neuem die Flanken mit seinen Häuschen und Gärten hoch hinauf besetzt; das Schicksal der Vorgänger ist vergessen.

So ragt der Gede empor und der Papandajan, der Guntur, Gelunggung, Merapi und wie die Namen alle lauten, die mit flammenden Lettern in die Annalen der Geschichte Javas eingezeichnet sind.

Einer der zur Zeit lebendigsten unter ihnen ist der im östlichen Viertel von Java, auf dem Tenggergebirge, gelegene Bromo, zu dem ich den Leser führen will.

Tenggergebirge ist der eigentliche Name des gewaltigen vulkanischen Massivs, das den Bromokrater und neben ihm noch eine ganze Anzahl anderer Krater trägt; die Benennung Bromo, die in unsern Karten meist auf das ganze Massiv angewendet wird, kommt in Wirklichkeit nur dem einen heute noch tätigen unter den alten Feuerschlünden des Tengger zu. Auf diesem Tenggergebirge lebt ein besonderer Schlag des javanischen Volkes, den man die Tenggeresen nennt. Sie unterscheiden sich in Religion und Sitte wesentlich von den übrigen Javanern. In früheren Zeiten herrschten auf Java die Religionen Indiens; teils der tiefsinnige Buddhismus in seiner mythenreichen volkstümlichen Entwicklung, teils die leidenschaftlichen, mit düsteren Mysterien durchsetzten Glaubenslehren des hinduistischen Pantheons; beide reichlich durchmischt mit den Elementen alter einheimischer Naturreligionen. Noch heute legen alte Tempelruinen riesenhafter Größe und bewunderungswürdiger künstlerischer Schöpfung Zeugnis von jener Epoche ab. Zur Zeit des Ausgangs unseres Mittelalters eroberten die Mohammedaner die Insel und unterwarfen binnen kurzem das weiche, nachgiebige Volk Javas dem Islam. Die einzige Bevölkerungsgruppe, die ihm hartnäckigen Widerstand geleistet hat und seinem dauernden Andringen noch bis auf den heutigen Tag leistet, sind die Tenggeresen. Sie konnten sich nicht dazu verstehen, ihren alten Glauben mit dem neuen Kult Allahs zu vertauschen. Da sie sich aber in den fruchtbaren Fluren am Fuße ihres Berges, wo sie ursprünglich wohnten, nicht unabhängig halten konnten, zogen sie sich auf die damals noch fast unzugänglichen Höhen des Tenggergebirges zurück und gründeten sich dort oben in den die Hälfte des Jahres von Nebeln umhüllten Wäldern eine neue Heimat.

Mit zu dieser Wahl beigetragen hat wohl der Umstand, daß ihre alte Religion, eine Mischung des aus Indien eingeführten Hinduismus mit älteren volkstümlichen Grundlagen, den Charakter eines Feuerdienstes hatte, dessen Mittelpunkt und Heiligtum der Sitz des unterirdischen Feuers, der Krater Bromo war. In dem Namen dieses Berges will man das Hinduistische »Brahma« wiederfinden. Der Wohnstätte ihrer geheimnisvollen und furchtbaren Hauptgottheit zogen sie so nahe wie möglich, unter ihren unmittelbaren Schutz stellten sie sich, und die Verehrung dieses Feuers wurde dadurch naturgemäß immer mehr der eigentliche Kern ihrer Religion.

Wenn man heute das Tenggergebirge besteigt, so durchmißt man in den unteren Teilen seiner Gehänge zunächst die Zuckerpflanzungen und Reisfelder der Javaner der Ebene. Dann folgt ein mehr oder minder breiter unbesiedelter Gürtel losen, halbwilden Waldes: hierauf beginnt aber nicht der schwere Urwald, wie bei den meisten übrigen Bergen, sondern oberhalb jenes Waldgürtels treffen wir zu unserer Überraschung aufs neue reichbewohnte und bestellte Gegenden. Bis nahe an den Gipfel haben die Tenggeresen das Gebirge besetzt, den Wald weggebrannt und ihre Felder von Mais, Kohl und Gemüsen aller Art hoch hinauf, oft auf fast unverständlich steilen Ackerfeldern, angebaut. Nah und fern sieht man auf den scharfgeschnittenen Bergrippen, die strahlenförmig vom Gipfel ausgehen, und in den Talmuscheln dazwischen die dichtgedrängten Dächer ihrer Ansiedelungen.

Körperlich unterscheiden sie sich wenig von den Leuten der Ebene: nur daß sie vielleicht etwas minder weich geartet erscheinen als diese, und daß ihre Augen dunkler und ernster blicken. Ihr Leben gilt – mit asiatischem Maß gemessen – für auffallend sittenstreng: Ehebruch soll kaum vorkommen. Die formenreiche Etikette der Tieflandsjavaner kennen sie nicht, sie sind in allem mehr Naturkinder als jene.

Ihre Häuser haben sie allesamt so gebaut, daß der Eingang nach der Richtung schaut, wo oben auf dem Gipfel der Bromokrater gelegen ist. Besondere Tempel und Altäre besitzen sie in ihren Dörfern nicht. Alljährlich im Mai ziehen sie in großen Prozessionen unter Anführung ihrer Priester zum Bromo und feiern dort Feste zu Ehren der Feuergottheit. Tausende lagern unten am Fuß des Vulkans, während ihre Priester, in grellfarbige Gewänder gekleidet mit roten kabbalistischen Figuren geschmückt, den Kraterrand besteigen und dort unter bestimmten Zeremonien Feldfrüchte, Geldmünzen und andere Opfergaben in den glühenden Schlund hinabwerfen. In früheren, rauheren, aber wohl nicht so fernen Zeiten waren es auch Menschen, die man zum Opfer dort hinabstieß.

 

Die Berge Javas muß man in der frühen Morgenstunde genießen: gegen Mittag verhüllen sie regelmäßig ihre Häupter in Wolken. So ritt ich, mit einem einheimischen Führer, zur Besteigung des Bromo von dem an der Nordflanke des Tenggermassivs in 1777 Meter Meereshöhe gelegenen Höhensanatorium Tosari bereits anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang aus, noch bei schimmerndem Mondglanz, der sich unmerklich in das erst blasse, rasch immer goldigere Licht des Tages verwandelte. Als es völlig Tag geworden, führte mein Weg auf der ziemlich scharfen Schneide einer jener strahlenförmig vom Gipfel des Tenggergebirges ausgehenden Bergrippen aufwärts. Wunderschön war das Rundbild, das sich entrollte. Rechts und links zu meinen Füßen die kleinen blaugrauen Dächerhäuschen der Tenggerdörfer, in Grün gebettet und alle in Reihen gestellt, die Hauseingänge dem Berggipfel zugekehrt. Nach Nordwesten die prachtvollen Gestalten der Vulkane Ardjuno und Penanggungan, die sich wie große Inseln aus der grauen See der Nebelwolken in die Tiefe erhoben, und mehr nach Norden, hinter mir, wolkenfrei der blaue Spiegel der wirklichen See. Doch mich zog es ungestüm aufwärts, dem großen Rätsel des Bromo zu, das hinter dem grünen Bergrand dort oben meiner wartete.

Der Gipfel des Tengger hat die Gestalt eines einzigen riesenhaften Kraters, geformt in vergangenen Erdperioden, als seine Feuer noch ganz andere Kräfte besaßen als heute. Er hat 8–9 Kilometer Durchmesser, 300–600 Meter hohe Wände und erinnert so an die Ringkrater des Mondes. In diesem großen Hauptkrater sind dann im Laufe der ungezählten Jahrtausende mehrere kleine Krater sekundärer Art entstanden: die vulkanische Tätigkeit, nicht mehr imstande, die Gesamtheit des alten Kraterkessels offen zu halten, hat sich diese kleineren Schlote und ihre dazugehörigen Kraterberge auf dem aufgeschütteten Boden des größeren geschaffen, in dessen überragendem Ring sie liegen wie Eier im Vogelnest, keiner von ihnen von außen sichtbar: der Widodaren, der Batok, der Giri und endlich der Bromo. Dieser ist der kleinste von allen, aber heute noch der einzige lebendige unter ihnen. Bis zu 2780 Metern steigt der höchste Punkt des großen steilwandigen und schwer ersteiglichen Tengger-Ringwalls, Penandjaan genannt, an, aber es gibt eine erheblich mehligere Stelle unweit Tosari, den sogenannten Munggalpaß, über den man leichter in den Innenraum des alten Riesenkraters gelangen kann.

Etwa zwei Stunden war ich bereits geritten; das letzte Dorf der Tenggeresen lag hinter mir; auch ihre Felder wurden an den immer steileren Gehängen immer spärlicher; dünner Wald von Kasuarinen mit den fahlgrünen Fäden, die sie statt der Blätter tragen. – ein Versuch der Regierung, den Berg wieder aufzuforsten – trat hier und dort an ihre Stelle. Endlich nahm der Pfad mit einem steilen Anlauf eine letzte Wand, und vor mir lag das Innere des alten Tenggerkraters! Jäh, für das Auge nahezu senkrecht, wenn auch dicht mit dunklem Grün überwuchert, stürzten die Wände des Ringwalls über Hunderte von Metern unter mir ab. Wie tief, konnte das Auge nicht schätzen, denn sie fielen ins Bodenlose: das Innere des mehrere Meilen weiten Kessels war in der Tiefe ganz erfüllt von einer hellleuchtenden Nebelmasse, wie eine Schale mit Milch. Der darüber emporragende Rand des Kessels erschien mit seinem dunklen Grün im Gegensatz dazu fast tiefschwarz.

Im Vordergrunde tauchte mitten aus der weißen Nebelflut die obere Spitze des Batok auf, völlig kreisrund und gerippt, genau dem oberen Teil eines Napfkuchens ähnelnd.

Wo aber war der Bromo? Nichts war von ihm in dem Nebelgebräu unter mir zu sehen. Allein seine Stätte erkannte man dennoch. An einem Orte links vom Batok waren die Nebel nicht ruhig, sondern wallten lebendig auf, wie wenn eine Masse an einer Stelle kocht, und unablässig quollen hier dicke weiße Wollen über die Oberfläche des Nebels hinaus in die Lüfte und zogen mit dem Winde von dannen. Dort mußte der Bromo verborgen sein; seinem Krater entstiegen diese Dämpfe. Totenstille lag über dem ganzen phantastischen Bilde, kaum daß der Morgenwind in den Büschen neben mir spielte. Es war wie ein Hinabtauchen in ein seltsames Reich der Geheimnisse, als ich mich endlich von diesem großartigen Anblick losriß, um abwärts zu steigen zum Boden des großen Tenggerkraters und den Bromo unter seiner Nebelhülle aufzusuchen.

Der Pfad, der von der Höhe des Munggalpasses in Zickzackwindungen hinunterstrebt, stürzte so jäh zu meinen Füßen ab, daß ich vom Gaul stieg und ihn vorsichtig durch meinen tenggeresischen Boy am Zügel abwärts führen ließ. Schritt vor Schritt. Meist leitete der Pfad in buschüberwachsenen, grabenartigen Klüften zu Tal: wurde von Zeit zu Zeit eine Aussicht in die Tiefe möglich, so sah ich, wie die milchige Oberfläche des Nebelmeeres, das den gewaltigen Krater ausfüllte, immer näher unter mir lag. Bald tauchten wir selbst hinein in das weiße, dunstige Geflimmer, das schon in kurzer Entfernung den Blick erstickte. Fast eine halbe Stunde waren wir so abwärts geklettert, als der Pfad endlich aus seiner Kluft heraustrat und auf eine kleine, schräge, mit schilfigem Gras bedeckte Halde auslief. Hier bestieg ich das Pony wieder und trabte vorwärts, älteren Hufspuren folgend. Binnen kurzem erreichte der Weg eine völlig horizontale Ebene von lockerem, grauem Sand.

Das also war die berühmte »Sandsee«, vielleicht das merkwürdigste Phänomen des Tenggervulkans, eine Erscheinung, die kaum irgendwo auf der Erde ihresgleichen hat!

Der Boden des Tenggerkraters ist von einem sehr gleichmäßigen, vulkanischen Aschensand bedeckt, so flach gelagert wie die Oberfläche eines Meeres. Aus dieser gespenstisch grauen See wachsen die sekundären Kraterberge des Tengger wie Inseln empor.

Zunächst freilich war dies letztere für mich noch kein Schauen, sondern ein mitgebrachtes Wissen, denn rings umgab mich der feine Dunst des Nebelmeeres, auf dessen Grunde ich mich jetzt bewegte, und ließ mich nur ein paar Dutzend Meter weit sehen.

Aber der Nebel wurde dünner und dünner, immer blendender wurde die Stelle in ihm, wo die Sonne stehen mußte. Nun war es schon nicht mehr möglich, dorthin zu schauen, und dann, mit einem Male, war der ganze Dunst verschwunden, teils weggeweht von einem erwachenden Luftzug, teils einfach aufgelöst von der rasch wachsenden Wärme des Tages. Und nun lag das gesamte gewaltige Rund des Tengger in scharfer Klarheit vor mir. Um mich gebreitet die sonderbare dunkelgraue Sandsee, aus der allseits die ungeheuren dunklen Wälle des großen Hauptkraters steil aufschossen. Rechts von mir stieg, ebenso unvermittelt, aus ihr der Batok empor, in seinem vollendet regelmäßigen Bau und mit seinen von oben nach unten eingekerbten Rillen noch mehr als vorher einem Napfkuchen ähnlich. Er verdeckte den Widodaren und den Giri, aber nicht den Bromo, der weiter zur Linken, als Ziel meines Rittes, vor mir lag. Der Batok war bis oben hinauf bewachsen; auch ihn hat, seit er endgültig in Schlummer verfallen, die Vegetation längst wieder erobert. Nicht so der Bromo. Sein Kegel war vollkommen kahl und winkte in einem silbrigen Aschgrau. Obwohl an Größe weit hinter den übrigen Gebilden seiner Umgebung zurückbleibend, zog er doch durch diese seltsame Färbung sofort die Blicke auf sich. Oben wallte aus ihm in mächtigen Ballen jene weiße Dampfwolke hervor, die ich vorher über die Nebel der Sandsee hatte emporsteigen sehen.

Im Galopp flog ich zu der Stelle, wo sich sein Fuß in langsamer Steigung aus der Sandsee erhob. Bis zur halben Höhe des Berges etwa konnte ich auf den durch Regen zerwühlten und durchrissenen, aber doch durch die atmosphärische Feuchte schon etwas befestigten Aschengehängen noch emporreiten. Dann mußte ich absteigen. Der oberste Teil des etwa 200 Meter über die Sandsee emporsteigenden Berges ist aus noch sehr losen, steil geböschten Aschen gebildet, in denen der Fuß, einsinkend und rückrutschend, nur höchst mühsam vorwärts kommt. Hier haben die tenggeresischen Feueranbeter, von denen ich erzählte, für den Aufstieg eine Folge von Bambusleitern angebracht, mit einem fortlaufenden Geländer, die sie alljährlich, bei ihrem großen Feste erneuern. An den untersten Geländerstab band ich die Zügel meines wackeren kleinen Ponys, das mich bis hierher getragen hatte, und stieg empor.

Schon unten auf den untersten Hängen des Bromo hatte ich gemerkt, daß die vormalige Totenstille nicht mehr herrschte. Ein tiefes, dumpfes Donnern aus dem Innern des Berges war an ihre Stelle getreten, dunkler als die untersten Töne einer Orgel. Rasch verstärkte es sich, je höher ich kam. Nun waren nur noch wenige Stufen. In großen Sätzen sprang ich hinan: ich war oben! Ganz schmal, fast messerscharf, erschien der obere Rand des Kraterkessels, und jäh, mit schwindelerregender Steilheit, stürzten jenseits die Wände in den Kraterschlund hinab.

Vorsichtig setzte ich mich zur Seite eines kleinen überdachten Bambusgerüstes, das die Tenggeresen hier oben errichtet, auf den Rand des Kraters, ließ die Beine in seine Tiefe hinabhängen und sah mich in aller Muße und Ruhe um. Der Bromokrater hat die Form eines kolossalen, steilen, nicht ganz runden, sondern etwas verbogenen und zerbeulten Trichters, an dessen scharfgeschnittenen Wänden man die Schichtung der übereinandergehäuften Aschen des vulkanischen Kegels deutlich verfolgen konnte. Ein vom Rande gelöster vulkanischer Block oder der Körper eines hier hinuntergeschleuderten Menschen mußte aufenthaltslos hinabrollen bis zu dem etwa 150–200 Meter unter mir liegenden Kraterboden. Auch diesen brachte mir mein Glas nahe vors Auge. Er hatte eine ebene Oberfläche von rundlicher Form, wie ein Teich von etwa 50–80 Meter Durchmesser. Ein Teich, den eine schmutzige Eisdecke verhüllte. Der Kraterboden ähnelte täuschend einer Fläche grünlichen, halbverrotteten Eises, das bereits eine größere Anzahl Löcher aufweist. An Stelle des Wassers kam aber an diesen Löchern unter der Decke das Feuer, das rote Feuer des Erdinnern, zum Vorschein! Deutlich sah man im Fernglas die in Rotglut befindliche Lavamasse, die hier unter der halbverharschten Oberschicht brodelte. Ein dämonischer Eindruck.

Das dumpfe Donnern, das ich vorher vernommen hatte, war hier oben weniger zu hören, als ich erwartet hatte. Es war wohl noch da, aber als ganz tiefer Unterton neben einem Brausen, das vollkommen dem Ablassen des Dampfes in einer großen Fabrik glich. Es war das Sausen der eingepreßten Dämpfe, die sich durch jene Glutlöcher den Ausweg ins Freie bahnten. Nur wenige der Löcher waren so stark mit gelbem Schwefel beschlagen, wie das sonst bei den javanischen Vulkanen vielfach der Fall ist. Es schienen weniger schwefelige als vorwiegend Heißwasserdämpfe zu sein, die hier herauskamen. Darum war auch im Innern des Kraterkessels eigentlich von den Wolken des Bromo kaum etwas zu sehen. Sie waren unten noch zu heiß, um sichtbar zu werden. Nicht früher als auf etwa halber Höhe begannen sie sich zu feinen blauen Schleiern zu verdichten, und erst in einiger Erhebung über dem Kraterrand, bei der vollen Berührung mit der kühlen Atmosphäre, war die ganze mächtige Wolke hergestellt, die jahraus, jahrein dem Bromo entwallt.

Zeitweilig hat der Bromo aber auch wirkliche Ausbrüche. Dann entsteigt seinem Schlund nicht das feine, bläuliche Gewölk, das oben sich in Schwanenweiß verwandelt, sondern, unter mächtigem Brüllen und Donnern, eine dicke, schwarze Wolke von riesiger Größe, geformt wie der Qualm eines Schusses, und steigt hoch über die Wände des großen Tenggerwalles in die Luft empor. Um diese Zeit ist es unmöglich, dem Bromo zu nahen. Er überschüttet dann seine Gehänge von neuem mit Asche und schleudert auch große und kleine Lavablöcke weit in die Umgebung hinaus. Über einen großen Teil der Sandsee sieht man solche ausgestreut.

Von der Höhe des Munggalpasses hatte ich, ehe ich zur Sandsee abstieg, in der Ferne, jenseits des Südrandes des Tenggerkraters, sehr gut auch das ungeheure Haupt des Semeru beobachten können, des höchsten aller javanischen Vulkanberge (3676 Meter). Das Glas ließ deutlich erkennen, daß die Flanken seines steilen Kegels in ihren oberen Teilen völlig kahl waren: offenbar immer von neuem von frischer Asche überschüttet. Und ich hatte noch keine fünf Minuten gewartet, als aus dem Krater eine lichtgraue Wolke emporwuchs, sich über ihm höher und höher erhob, mit Wirbeln und innerem Wallen. Sie löste sich endlich vom Gipfel los und schwebte, allmählich zerfließend, mit dem Südostwind, der dort oben herrschte, von dannen. Es war das eine der kleinen Dampfaushauchungen, die der Semeru unablässig von sich gibt. Alle 10–20 Minuten trat an diesem Tage, solange ich beobachtete, das Ereignis ein. Man sagt, wenn der Semeru in dieser Bewegung ist, wenn er jene regelmäßigen Wolken ausstößt, dann ist es am Bromo sicher: er ist gleichsam das geöffnete Ventil eines beiden gemeinsamen Dampfkessels. Dies würde ein interessantes Gegenstück zu dem Mont Pelé auf Martinique und seinem Nachbarvulkan auf St. Vincent sein. Auch diese beiden haben augenscheinlich einen inneren Zusammenhang: nur äußert er sich in entgegengesetzter Weise wie hier: wenn der Pelé einen seiner seit 1902 sich Jahre hindurch wiederholenden Ausbrüche hatte, so konnte man fast mit Sicherheit darauf rechnen, daß nicht lange nachher auch der Saint-Vincent-Vulkan sich regte, und umgekehrt.

Es war mir sehr interessant, diese beiden Vulkane, den Pelé im fernen Westindien und den fast durch den Durchmesser der ganzen Erde getrennten Bromo miteinander vergleichen zu können. Zweifellos war der psychische Eindruck des Pelé erschütternder gewesen, weil ja die Spuren seiner entsetzlichen, erst einige Monate zuvor angerichteten Verwüstungen hier noch mit furchtbarer Deutlichkeit vor Augen standen, und weil man jeden Augenblick einen neuen Ausbruch erwarten konnte. Beim Bromo bestand eine solche Sorge nicht (wenigstens machte man sie sich nicht, ohne eigentlich eine wirkliche Gewähr dafür zu haben), aber an grandioser Phantastik des ganzen Bildes konnte dieses Tenggergebirge mit seinem riesigen Kraterrand, mit seiner rätselhaften Sandsee und dem offenen Vulkanschlund, der den Einblick in den glühenden Ofen der Erde so unmittelbar gestattete, wohl neben dem Pelé bestehen. Und es war leicht zu begreifen, wie ein mit Einbildungskraft begabtes Volk in diesem Ort das Heiligtum und den Wohnsitz einer Gottheit sehen kann, deren Wesen das Feuer ist. und der es hier in phantastischem Kult seine Opfer bringt.


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