Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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5. Samoanische Mädchen

Am Abend des Tages von Falealili saß ich nach Tisch noch lesend unter den Lampen oben auf der »Hütte«, dem Kapitänsdeck des »Cormoran«. Plötzlich horchte ich auf! Deutlich kamen die zarten Töne eines fernen Gesanges über das Wasser herüber. Ich eilte zur Reling und spähte hinaus in die Nacht, die dunkel über dem Meere lag. Gegen den sternklaren Himmel zeichnete sich in der Ferne der schwarze Schattenriß der hohen Bergmasse Upolus ab; auf der dunklen, völlig nächtigen Flut davor konnte ich nichts gewahren; nur eine laue Landbrise strich sanft von der Küste herüber und trug die Klänge stärker und stärker heran. Es war die fremdartig reizende Melodie eines jener Schiffergesänge, mit denen die Samoaner jede Ruderfahrt begleiten, und in deren immer neuer Erfindung das Völkchen unerschöpflich ist. Eine Stimme pflegt den Hauptgesang zu führen, die andern fallen im Rudertakt mit rhythmisch moduliertem Chorgesang dazu ein. Die, meist dreistimmigen, Harmonien klingen oft wie Glockenläuten über die See. Hier unterschied ich deutlich helle Mädchenstimmen über dunkleren männlichen Tönen. Jetzt drang sogar auch, vom Wind herbeigetragen, ein merklicher süß aromatischer Blumenduft herüber, wie er von den Blumenkränzen und Pandanusfruchtketten der Samoanerinnen ausgeht. Noch immer aber sah ich die Nahenden selber nicht. Endlich glitt aus dem Schatten der Küste in den Lichtkreis unseres Schiffes eine Reihe von schmalen samoanischen Ausliegerkanus hinein, mit Insassen gefüllt, die unter taktmäßigem Gesang auf unsere Fallreeptreppe zuruderten. Sie legten an, und leichten Fußes entstieg ihnen eine Schar brauner Mädchen, junger Männer und Knaben, von einigen älteren Frauen begleitet. Ohne Hast kamen sie die Treppe hinauf und betraten das Verdeck. Unbefangen, als mühte das sein, boten sie mit gefälligem Anstand ihren Händedruck und das melodische » talófa«. Guten Tag, dessen Wortsinn eigentlich ist: »Ich liebe dich.« Sie seien auf Veranlassung ihrer Väter, der Häuptlinge von Falealili, gekommen, sagten sie, um uns mit der Aufführung eines siwa, des samoanischen Nationaltanzes, zu unterhalten.

Die Mädchen waren ganz in ihre einheimische Tracht gekleidet, d. h. nur die schlanken Hüften waren mit dem bunten Lavalava verhüllt, der schöne bronzene Oberkörper war nackt, jedoch über und über mit Blumenketten behängt. Die Samoanerin trägt sehr wenig Schmuck, dafür aber immer frische Blumen oder aufgereihte Früchte, leuchtend an Farbe und gern auch stark an Geruch. Selten sieht man ein Haupt ohne den grünen oder bunten Kranz und einen Hals ohne wenigstens eine Girlande oder ein paar Schnüre roter Beeren. In Festtracht wie hier umwinden sie auch die Oberarme, die Hüften mit Blumen, ja sie kleben sich auch noch bunte Blumenblättchen auf die Backen oder an die Mundwinkel. Sicherlich trägt gerade diese Art von Tracht und Schmuck viel dazu bei, den Samoanerinnen jenen Hauch von Poesie zu geben, der sie so reizend macht. In europäische Kleider gesteckt, verlieren sie außerordentlich. Ihre schönen Arme, die feinen Handgelenke mit ihren im Siwatanz geübten eleganten Bewegungen, die freie, natürliche Haltung des Körpers, die liebenswürdigen Augen, das volle, schön und wechselvoll geordnete Haar, der ganze naive Anstand ihres Wesens, all das entfaltet seinen vollen Reiz, wie jede natürliche Blume auch, doch nur in ihrer natürlichen Form und Umgebung.

Die Frau nimmt bei den Samoanern eine sehr viel andere Stellung ein als in der Regel bei Naturvölkern. Durchaus ist sie nicht die Sklavin oder das Arbeitstier des Mannes. Das Maß von Arbeit, mit dem die Samoaner auskommen, ist überhaupt sehr gering, und alle schweren Hantierungen darunter übernimmt der Mann, selbst das Kochen. Die Frau verfertigt feinere Handarbeiten, flicht Matten, Körbe, Fächer und, solange sie jung und schön ist, schmückt sie sich vor allen Dingen, lacht, singt und tanzt. Wie oft habe ich bei den weiten Ruderreisen der Samoaner gesehen, daß die Frauen niemals mit Hand dabei anlegen; sie sitzen, mit Blumenkränzen im Haar, vorn im Schiff und singen Lieder zum Takt der rudernden Männer. Der für Schönheit und Anmut ungemein empfängliche Samoaner scheint in der Frau in erster Linie den Schmuck seines Daseins zu erblicken. Aber nicht etwa im Sinne des Mohammedaners, der seine Haremsodaliske als den willenlosen, im Grunde verachteten Gegenstand seines Behagens betrachtet, sondern die Frau hat eine sehr freie, selbständige Stellung. An den öffentlichen Geschäften nimmt sie nicht teil, aber eine deutlich erkennbare Ritterlichkeit der Männer gegen sie, die ganz der unserer guten Gesellschaft ähnlich ist, tritt bei vielen Gelegenheiten hervor.

Eine bezeichnende Sitte ist die. daß jedes größere Dorf sich eine taupo, eine Ehrenjungfrau erwählt: eine Häuptlingstochter. die gleichsam die gesellschaftliche Vertreterin des Dorfes ist, bei feierlichen Gelegenheiten den Ehrentrunk, die Kawa, bereitet und bei großen Tanzaufführungen die Vortänzerin abgibt. Kommt ein hochstehender Gast, so empfängt sie ihn, bewirtet ihn im faletele, dem Gemeindehaus, unterhält ihn, massiert ihm wohl auch den Kopf, bereitet ihm abends das Lager und schläft die Nacht an seiner Seite. Irrig aber wäre es, diese letztere Handlung anders als rein symbolisch aufzufassen; ein paar ältere Anstandsdamen wachen sorgfältig darüber, daß die Tugend der Taupo unangetastet bleibt, bis sie die Frau irgendeines hohen Häuptlings wird. Diese vornehme Stellung, diese stete Gewohnheit, mit den festgeregelten Formen samoanischer guter Sitte die Gemeinschaft zu vertreten, gibt den Taupos oft eine eigentümlich sichere, stolze Haltung, die an die einer gefeierten Ballkönigin bei uns erinnert.

In Falealili gab es augenblicklich keine Taupo. Wohl aber wurde uns in der Schar der Besucherinnen das kleine Fräulein Tulua gezeigt, die in den nächsten Tagen dazu erwählt werden sollte.

Wir geleiteten nun unsere Gäste auf die »Hütte«. Hier ließ Kapitän Emsmann sämtliche elektrische Lampen anzünden. In einem Halbrund nahmen wir, d. h. die Gäste des Kapitäns und die Offiziere des »Cormoran«, auf Stühlen Platz: vor uns ließen sich die Samoaner in mehreren Reihen auf dem Boden nieder. In der ersten Reihe die jungen, mit Blumenketten geschmückten Mädchen, in der zweiten und dritten die älteren Frauen und Knaben und Männer. Dahinter baute sich die gesamte Mannschaft des »Cormoran« auf, die der Kapitän auf die Hütte beordert hatte, um auch seinen Leuten das Schauspiel zu gönnen.

Und nun sah ich zum ersten Male einen der Siwatänze mit an, auf die ich durch Schilderungen früherer Samoareisen schon so gespannt war. Ich habe später noch verschiedene Siwas gesehen, bedaure aber nur, daß es nicht noch viel mehr gewesen sind; die lebendige Musik, die dazu gehört, die Grazie der Bewegungen, der Reichtum eigenartiger Abwandlungen und der immer neue Reiz jugendlicher Mädchenanmut, die sich dabei entfaltet, dies alles im Lande selbst gesehen, übt einen ganz unvergeßlichen Zauber aus.

Der Siwa begann im Sitzen und zunächst ohne Gesang, nur mit einer rhythmischen Begleitung, ausgeführt durch die hinteren Reihen mittels Händeklatschen und einer Art Trommelgeräusch auf einem Mattenbündel, das mit einem Stäbchen geschlagen wurde. Die hockenden Tänzerinnen machten dabei mit ihren Armen und dem Oberkörper taktmäßige Bewegungen, die wie Freiübungen aussahen, nur daß sie außerordentlich graziös waren. Bei der nächsten Tour, die durch eine kleine Pause deutlich gemacht wurde, trat dann ein mehrstimmiger, eigentümlich melodischer Gesang hinzu.

Die ersten Touren waren ziemlich gemessen und langsam: allmählich jedoch wurden die Rhythmen immer schneller und lebhafter, die Oberkörper bewegten sich rascher und rascher, die Mädchen begannen sich auf den untergeschlagenen Beinen zu wiegen, neigten sich hierhin und dorthin; immer aber klappten Rhythmus der Musik und die anmutigen Bewegungen aufs genaueste; in einem so glänzenden Drill, daß wir nach jeder Tour in ein lautes » malíe«, den Bravoruf der Samoaner, ausbrachen.

Dies entzündete die Musiker und Tänzerinnen zu immer lebhafterem Feuer. Die Mädchen erhoben sich jetzt auf den Knien und tanzten in dieser Haltung. Dann stand die mittelste und schönste von ihnen, Ololima, ein schlankes, sanftäugiges Mädchen, vollends auf und führte stehend und vor- und rückwärts schreitend überaus reizende Tanzbewegungen aus, lebhaft, aber doch ohne jede Gewaltsamkeit. Eine zweite Partnerin folgte ihr nach einiger Zeit; ein jüngeres Ding mit ungemein beweglichem Körper, kurzgeschnittenem, rotem Pudelkopf und bubenhaft drolligen Gesichtszügen. Sie war die Komikerin der Gesellschaft, schnitt lächerliche Gesichter und drehte ihren noch backfischhaft jugendlichen Körper so parodistisch, daß wir laut lachen mußten. Eine dritte und vierte gesellten sich dazu. Endlich standen alle, und nun begannen sie, immer zu rhythmischer Musik, jene reizenden pantomimischen Szenen aufzuführen, die, so einfach und harmlos ihr Inhalt ist, doch durch ihren naiven Humor und durch die Gewandtheit, mit der sie immer wieder dem Tanzrhythmus sich anpassen, das größte Vergnügen machen. Und man versteht sie, namentlich wenn ein Kenner dabei ist und einem ein wenig nachhilft, aus der treffenden Gebärdensprache leicht. Da kommt der Wanderer ins Dorf, wird von kläffenden Kunden angebellt und fürchtet sich in lächerlicher Weise. Da wird ein Fischzug veranstaltet: zwei Mädchen werfen symbolisch ein Netz aus, eine dritte lockt den Fisch, eine vierte tritt, mit geblähten Backen pustend, als Sturmwind auf, der den Fischfang zeitweilig stört; schließlich aber geht die Beute doch ins Garn. Da werden Schildkröten gejagt; die Darstellerinnen kriechen wackelnd auf dem Boden herum und werden dann, wie man es mit den Schildkröten macht, auf den Rücken gewälzt, wo sie hilflos zappeln. Da spielen Hahn und Henne miteinander; sie, mit einem langen Palmblatt, das als Schweif hinten angebunden ist, kokettiert mit ihrem Partner, der in diesem Fall durch einen Mann dargestellt wird, lockt ihn und entweicht ihm wieder. Welche von diesen Szenen ich gerade an diesem Abend gesehen habe, welche später anderswo, weiß ich nicht mehr zu sagen; unvergeßlich aber wird mir das reizende Gesamtbild bleiben, diese bunte, liebenswürdige Kinderschar unter den elektrischen Lampen des »Cormoran« in der lauen, tropischen Nacht der samoanischen Küste.

Nachdem der Siwa endlich unter lautem Beifall sein Ende erreicht hatte, ließ Kapitän Emsmann durch einen Dolmetsch den Darstellern unsern Dank aussprechen und dann Geschenke unter sie verteilen. Sie erregten das Entzücken der Empfänger. Ganz wie der samoanische Herold am Mittag desselben Tages bei Darbietung der Gastgeschenke in Falealili, ließ der Kapitän dabei die Anzahl der Gegenstände mit ungeheuerlichen Übertreibungen ausrufen:

»Hier 10 000 Pfund Salzfleisch (es waren ein paar Büchsen) für die Männer: hier 20 000 Ellen purpurrote Lavalavas (es waren einige Dutzend bunter Taschentücher) für die Mädchen, hier 50 Beile (es war genau ein einziges), hier Tausende von Stangen Tabak.« Fröhliches Gelächter begleitete jedesmal aufs neue diesen Scherz.

Hierauf hielt der älteste der Männer eine Dankrede. Er ließ darin durchblicken, es wäre auch eine berühmte Sängerin unter den Mädchen; wenn es uns Vergnügen mache, würde sie uns etwas vortragen. Natürlich ließen wir uns das nicht zweimal sagen und forderten sie durch eifrigen Zuruf zum Singen auf. Das Mädchen, es war niemand anders als Fräulein Tulua, sträubte sich auch nicht im geringsten; wie eine verwöhnte junge Dame, die ihres Erfolges in der Gesellschaft vollkommen sicher ist, setzte sie sich auf einen Stuhl und sang nun mit angenehmer, klarer, gar nicht näselnder Stimme, unter leiser, harmonischer Begleitung der übrigen, ein hübsches samoanisches Liedchen: Tofá mai feléngi, das damals in Samoa der Schlager der Saison war. Tofá mai feléngi heißt: Lebewohl, mein Freund; der Text war ein Wechselgesang zwischen einem weißen Mann, der von Samoa fortgeht, und einem braunen Mädchen, das er zurückläßt. In einfachen aber rührenden Worten klagt die Geliebte, das große Schiff sei nun gekommen, das ihn fortführe nach Amerika; sie wisse, daß er gehen müsse, aber es breche ihr doch das Herz. Er klagt ebenso und bittet sie und das geliebte Samoa, ihn nie zu vergessen.

Angefeuert von unserm rauschenden Beifall gab die Sängerin noch ein zweites Lied zum besten, und mit Verblüffung hörte ich nun die Melodie des italienischen Gassenhauers »Margherita, Mädchen ohnegleichen«; nur mit samoanischen Worten gesungen, und das Mädchen ohnegleichen hieß hier Annemarie, oder wie die Samoanerin den Namen für ihre Zunge zurechtmachen muß, »Annemalili«.

Spät war es schon in der Nacht, als die lustige Gesellschaft endlich sich zum Aufbruch anschickte, und wundervoll war es wiederum, welche Form sie auch dafür zu finden wußte. Ololima, die schöne Vortänzerin, trat lächelnd auf den Gouverneur Dr. Solf zu, nahm die reichste ihrer starkduftenden Blumenketten von ihrem Nacken und legte sie ihm um den Hals. Das gleiche taten die übrigen Mädchen mit Kapitän Emsmann und uns andern. Unter freundlichen Händedrücken, vielen »tofá« (Lebewohl) und »taafetái« (schönen Dank), unter Scherzen und Lachen wurde dann Abschied genommen; die ganze Gesellschaft klomm wieder die Fallreeptreppe hinunter in die dort harrenden Kanus, die Ruder setzten ein, und eins nach dem andern der Schiffchen mit den jungen, fröhlichen Menschenkindern glitt wieder aus dem Bannkreis unserer Lichter hinaus in die dunkle Nacht.

Lange standen wir noch an der Reling und lauschten in die Ferne, aus der es, leise verhallend, noch einmal herübertönte: » Tofá mai feléngi


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