Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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4. Falealili

Der wenige Tage vor mir eingetroffene Kreuzer »Seeadler« war bestimmt, den »Cormoran« abzulösen, der fast ein ganzes Jahr vor Apia in Station gelegen hatte und notwendiger Ausbesserungen wegen jetzt nach Sydney ins Dock gehen sollte. Ehe der »Cormoran« dahin abfuhr, unternahmen beide Kreuzer noch eine gemeinsame Reise durch den ganzen, seit Beginn dieses Jahres deutsch gewordenen Bereich des Archipels. Kapitän Emsmann wünschte den Nachfolger in das Gebiet der Marinestation einzuführen, ihm die verschiedenen Häfen, Ankerplätze, Fahrwasserverhältnisse zu zeigen. Zugleich war dies für den neuen deutschen Gouverneur Dr. Solf eine günstige Gelegenheit, die erste Rundfahrt durch sein Reich zu unternehmen und dabei den Dörfern an der Küste den Anblick gleich zweier deutschen Kriegsschiffe auf einmal vorzuführen – eine nach der Besitzergreifung besonders wertvolle Maßregel. Der Gouverneur reiste auf dem »Cormoran«. Mataafa war zur Mitfahrt aufgefordert worden; er wurde, um Etikettenschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, auf dem »Seeadler« untergebracht. Ferner begleitete die Fahrt der erste Kaufmann des Archipels, der Leiter der großen »Deutschen Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee«, Herr Riedel. Endlich erhielt auch ich vom Kommandanten des »Cormoran« die liebenswürdige Einladung, mich als Gast seines Schiffs anzuschließen.

Am Morgen des 6. Juni verließen wir den Hafen von Apia und fuhren an der Nordküste der Insel Upolu nach Osten.

Unser erstes Reiseziel war das an dieser Küste gelegene große Eingeborenendorf Falealili. Die Gemeinde, eine besonders kräftige und eigenwillige Bevölkerung, gehörte seit Menschengedenken zu dem Ostbezirk Upolus, dem alten Stammesherzogtum Mataafas, Atua, hatte sich aber in den Wirren der letzten Kriege der Malietoa-Partei und damit dem Mittelbezirk Tuamasanga angeschlossen. Der Gouverneur hatte nun nach Einsetzung der deutschen Herrschaft verfügt, die alten einheimischen Verwaltungsgrenzen vor den Wirren sollten wiederhergestellt werden: Falealili aber, durch die Bande gemeinsamer Kampfesbrüderschaft und auch durch mannigfache, inzwischen eingegangene Familienverbindungen enge mit den Geschlechtern Tuamasangas verknüpft, hatte sich entschieden geweigert, dem Befehl zu folgen. Es war dies ein Punkt, in dem der Gouverneur nicht gut nachgeben konnte. Um so weniger, als dabei auch die Autorität des von uns als » Alii sili o Samoa« eingesetzten Mataafa in Frage stand. Er durfte aber hoffen, durch persönliches Erscheinen und durch den Anblick zweier Kriegsschiffe die Widerspenstigen zur Vernunft zu bringen.

Der Abend senkte sich übers Meer, als wir vor der schwierigen Reede von Falealili anlangten. Unter den schönen Kokospalmen der Küste wurden die Dächer der zahlreichen Kutten des augenscheinlich stattlichen und wohlhabenden Dorfes sichtbar: aber noch zur Nacht zu landen war bei der außerordentlichen Gefährlichkeit der Korallenküste nicht rätlich. Im Schutz einer kleinen Insel, die sich auf dem der Küste vorgelagerten unterseeischen Außenriff von selbst gebildet hat, gingen wir vor Anker; in einem Korallengebiet, wo sich einem mit den hiesigen Gewässern nicht vertrauten, nur an europäische Verhältnisse, an sorgfältig vermessene Gründe. Leuchtfeuer und Ankerbojen gewöhnten Schiffer vielleicht die Haare gesträubt hätten.

Die »Insel des Tintenfischs« heißt bei den Eingeborenen das von Palmen und dichtem Unterholz erfüllte Inselchen; es gilt ihnen als der Wohnsitz eines mächtigen Geistes. Wirklich sah es heut abend auch übernatürlich und götterhaft genug aus. Wie den Felsen der Brünhilde die Waberlohe umgibt, so war es von dem unüberschreitbaren Gürtel einer wilden Meeresbrandung umschlossen, die das bis dicht an die Oberfläche aufragende Korallenriff hervorrief. Es war ein wundervoller Anblick, die mächtigen Ozeanwogen der Passate langsam heranrollen, in smaragden durchscheinendem Grün sich am unsichtbaren Rande des Riffs emporbäumen und mit majestätischem Donner und blendendem Schaum auf dessen Oberfläche niederbrechen zu sehen. Inmitten der tosenden Wasser aber schwamm das kleine Eiland, samt der Brandung selbst von der sinkenden Sonne glutübergossen, in einem lodernden Glanze.

Noch war die Nacht nicht ganz hereingebrochen, als das Ankermanöver beendigt war und »Cormoran« und »Seeadler« ruhig schaukelnd im Schutz der Insel und des Riffs auf dem schillernden Wasser lagen. Die Ankunft der zwei weißen Schiffsungeheuer hatte am Lande augenscheinlich eine große Aufregung hervorgerufen; wir sahen braune Leutchen unter den Palmen am Strande hin und wider laufen.

Nun wurde Tuaifaiva, ein Vertrauter Mataafas, der mit an Bord war, zu den Häuptlingen von Falealili geschickt, der Kowana (die samoanische Aussprache des Wortes Gouverneur) sei gekommen und wünsche morgen nachmittag am Land mit ihnen ein großes fono (Ratsversammlung) abzuhalten. Alle sollten zugegen sein und die wichtigen Dinge vernehmen, die er ihnen zu verkünden habe.

Zur bestimmten Stunde des nächsten Mittags ruderten wir, d. h. außer den genannten Kapitänen und Gästen die Offiziere der beiden Schiffe, eine Anzahl Matrosen und die Kapelle des »Cormoran«, zum Ufer hinüber.

Neugierig und lustig kam uns dort eine Anzahl brauner Buben und Mädchen entgegengesprungen, die sich königlich darüber amüsierten, wie wir von unsern Bootsleuten einzeln rittlings auf den Rücken genommen und von den Booten durch das flache Wasser an den Strand geschleppt wurden. Männer zeigten sich zum Empfange nicht.

Den Neuling konnte das vielleicht befremden. Es erwies sich aber sogleich, daß dies nicht Mißachtung oder feindliche Demonstration, sondern im Gegenteil Beobachtung feinster gesellschaftlicher Form bedeutete. Wir fanden die Männer, nachdem wir uns durch das Gebüsch den Strandabhang hinaufgearbeitet hatten, alle auf dem großen Marktplatz versammelt, in ihren Hütten hockend. Es ist gute Sitte bei den Samoanern, daß man, im Gegensatz zu unserer Art, in Gegenwart einer Respektsperson zunächst sitzt, nicht aufrecht steht. Das Recht des Aufrechtstehens, d. h. den Kopf höher als der andere zu tragen, kommt dem zu, der geehrt werden soll. Trotz des ungeheuren Interesses, mit dem unser Kommen beobachtet wurde, hielten sie sich bescheiden sitzend im Hintergrund und überließen die nun folgende nähere Begrüßung einer Gruppe von Würdenträgern, die, von einem Mann mit dem Häuptlingswedel in der Hand geführt, aus einem Hause, wo sie bis dahin versammelt gesessen hatten, uns mit verbindlichem Lächeln entgegentraten.

Nachdem mit diesen allen der Händedruck ausgetauscht war, wurden wir in das faletele, d. h. das »große Haus«, geführt. Eine jede größere Gemeinde besitzt ein solches Dorfhaus, das für öffentliche Angelegenheiten, Ratsversammlungen und den Empfang von Gästen dient. An Größe übertrifft es meist die besseren Wohnhäuser nicht wesentlich, in der Einrichtung gleicht es ihnen vollkommen, ist aber besonders sorgfältig gebaut. Gebückt traten wir unter der niedrigen Bedachung in den mit schönen sauberen Matten belegten Raum, wählten uns jeder einen der Stützpfosten als Rückenlehne, denn die Sache konnte lange dauern, und hockten uns im Halbkreise nieder; wer es vermochte, mit gekreuzten Beinen, wem dies unmöglich war, der bedeckte sich – so will es die gute Sitte – die ausgestreckten Beine mit einer der auf dem Boden liegenden Matten.

Das Faletele war im Innern im Laufe des Vormittags für uns ganz reizend geschmückt worden. Der Mittelpfeiler, der das Hausdach trägt, war mit Kränzen von bunten Blumen umwunden, vielfarbige Girlanden aus Blattwerk zierten allenthalben das Gebälk. Im Mittelgrund des Hauses, uns gegenüber, hockte eine Schar von sechs jungen, ausgesucht hübschen Mädchen; leider alle, mit Rücksicht auf die Festlichkeit der Handlung und die europäischen Gäste, über dem Lavalava in grellbunte, ärmellose Seidenblusen, den Import irgendeines findigen weißen Kaufmanns in Apia, gekleidet, das Haar mit Kränzen geschmückt. Hinter und neben ihnen nahmen die Samoaner Platz, die uns empfangen hatten. An ihrem Ende, rechts von uns, saß der Hauptsprecher des Dorfes mit dem Ehrenwedel. Zunächst ihm, auf unserer Seite, der Gouverneur Dr. Solf mit dem Dolmetscher. Dem Sprecher gegenüber, also links von uns, Mataafa in seiner weißen Jacke, ebenfalls seinen Häuptlingswedel in Händen haltend. Obwohl er der große Feind war, so erhielt er doch einen seinem alten Adel und der persönlichen Vornehmheit entsprechenden Ehrenplatz. Im Hintergrunde, teils in der Hütte, teils außerhalb, scharte sich eine Fülle von Volk, das aufmerksam den Vorgängen und den vom Dolmetscher übertragenen Reden folgte.

»Sei uns gegrüßt, Kowana,« so begann jetzt der Sprecher von Falealili, »du bist Vater und Mutter von Samoa. Schön ist für uns der Tag, der dich hierher führt. Nur bitten wir dich, nimm Rücksicht auf unsere Armut, die deinen Empfang nicht würdiger gestalten konnte. Auch deinen Freunden und Begleitern sagen wir Dank für die Ehre, die sie uns durch ihr Erscheinen antun. Trinkt jetzt die Kawa mit uns, und wenn irgendein Schatten zwischen uns schweben sollte, so wird ihn der gemeinsame Trunk fortwaschen.«

Nachdem der Gouverneur gedankt und im Gegenteil die prächtige Ausschmückung und die Feierlichkeit des Empfanges gelobt hatte, begann plötzlich jemand draußen vor dem Hause eine neue Begrüßungsrede. Eine Schar von 20 bis 30 Samoanern in weißen Jacken hatte sich dort niedergehockt, Zöglinge der Londoner Mission, die sich überall bemühen, eine Art korporative Sonderstellung einzunehmen und in solcher von den europäischen Behörden behandelt zu werden. Der Samoaner, und besonders die Samoanerin, verachtete sie; da sie nicht tätowiert sind, gelten sie gar nicht richtig als Männer; ein samoanisches Mädchen, das auf sich hält, wird sich nie mit einem Volksgenossen abgeben, der nicht die schöne dunkelblaue, von der Taille bis zu den Knien reichende Ornamentik auf seinem Körper trägt. So waren sie auch hier nicht zum Rate zugelassen, und ich hatte den Eindruck, als ob diese Rede ein willkürlicher Eingriff in das Festprogramm sei. Trotzdem aber, und obwohl der Redner sehr lange sprach, hörte man ihn ohne ein Zeichen von Ungeduld an.

Inzwischen war von den Mädchen vor uns die Kawa bereitet worden, der berühmte Ehrentrunk, der jeden gastlichen Empfang und jede feierliche Verhandlung einleitet. Das Getränk wird aus der zerkleinerten Wurzel des Kawastrauchs und Wasser hergestellt, und zwar immer frisch vor den Augen des Gastes.

Ein schönes, sehr großes Mädchen, mit einem Paar fast übermäßig üppiger Arme, hatte die niedrige, hier vielfüßige Kawaschale vor sich auf der Matte stehen, und nachdem darin die schon zerriebene Kawawurzel mit Wasser angesetzt war, reinigte sie das Getränk, indem sie mit den höchsteigenen Händen und einem Bündel Bast in der graugrünen Flüssigkeit herumfuhr und die faserigen Bestandteile herausseihte. Unter ganz bestimmten, althergebrachten, unfraglich sehr graziösen Bewegungen drückte sie wiederholt den Saft aus dem Bündel in die Schüssel zurück und schwenkte dieses dann über ihre Schulter nach hinten aus. Endlich ein rhythmisches Händeklatschen der Mädchen: Die Kawa war fertig!

Nun begann die feierliche Zeremonie des Trinkens. Jeder Gast erhielt nur einen Becher davon, und die höchste Etikette wachte über die Reihenfolge, in der das geschah. Ein Herold nannte mit lautschallendem Ruf jedesmal Namen und Titel desjenigen, der den Trunk bekam.

» Lanafiunga le Konowa!«, d. h. Seine Exzellenz der Gouverneur!

Eines der Mädchen erhob sich, ergriff eine schön polierte, schwarze Schale aus einer halben Kokosnuß und hielt sie über die Kawaschüssel. Mit einer eleganten Handbewegung hob die Bereiterin das Bastbündel aus der Flut und drückte es in den Becher aus. In gebückter Haltung und mit einem eigentümlichen, schönlinigen Schwung der Hand überbrachte die Mundschenkin dann den Trank dem Dr. Solf. Der Sitte entsprechend, schüttete dieser, ganz wie die alten Griechen für die Götter taten, ein wenig von dem Trank als Libation auf die Erde, rückwärts aus der Hütte heraus, und rief dann den Gruß:

» Manuia!«

» Soifúa!« tönte es im Kreise zurück. In einem Ansatz leerte er hierauf die Trinkschale und schleuderte sie mit geübtem Schwung in die Mitte der Hütte auf den Boden, so daß sie dort auf ihrer Spitze kreiselte. Hier nahm die Schenkin sie auf, ehe sie umfiel, und ließ sie über der Schüssel für den Nächsten füllen.

Den zweiten Trunk erhielt Kapitän Emsmann, den dritten Mataafa. (Kapitän Schack war, soviel ich mich erinnere, an Bord geblieben.)

Nacheinander kamen wir dann alle an die Reihe, immer unter denselben Formen. Alles ging mit ruhiger, gemessener Würde, mit feierlichen Pausen vor sich und dauerte natürlich dementsprechend lange. Auch ich erhielt meinen Kawatrank. Es bedurfte eines Entschlusses, um die trübe, graue, einem schlechten Milchkaffee etwa ähnlich sehende Flüssigkeit herunterzuschlucken. Der oft geäußerte Vergleich ihres Geschmackes mit Seifenwasser erschien mir sehr treffend. In späteren Wochen ist es mir aber wie allen Reisenden ergangen; ich gewöhnte mich rasch an das Getränk und lernte das leichte Aroma, das einem dabei in die Nase steigt, und vor allem seine außerordentlich erfrischende und durstlöschende Kraft sehr schätzen.

Als der Umtrunk endlich zu Ende war, begann ein weiterer Teil des feierlichen Empfangs, das talolo, d. h. die Vorführung der Gastgeschenke, die, wieder wie bei den alten Griechen, dargeboten wurden: gebratene Spanferkel. Hühner, Kokosnüsse, Körbe voll Taro, Yams und Brotfrüchte. All das wurde in Mengen vor der Hütte aufgehäuft. – Wieder verkündigte ein Herold mit weithintönender Stimme, was alles die Gemeinde von Falealili dem großen Kowana und seinen Gästen darbrächte. Alter Sitte gemäß übertrieb er dabei in lächerlicher Weise: »Fünfundzwanzig Schweine!« rief er laut, – es waren vier oder fünf. »Achtzig Hühner!«, es waren fünfzehn bis zwanzig, usw.

Nun kamen wir an die Reihe. Der Gouverneur verteilte unsere Geschenke, die hauptsächlich in Fässern des von den Samoanern ungemein geschätzten Salzfleisches bestanden. Auf ein Zeichen Kapitän Emsmanns begann währenddem unsere Kapelle draußen unter den Palmen ein lustiges Konzert. Mit dem größten Behagen hörten die musikverliebten Samoaner in und vor der Hütte zu, rauchend und leise plaudernd, während auf dem Dorfplatz die Kinder, Mädchen und Frauen sich in reizenden Gruppen um die Musikanten scharten.

Schon war die Sonne stark im Abstieg begriffen, als endlich alle Zeremonien durchgemacht waren, die nun einmal zu einem würdigen samoanischen Empfang und Fono gehören, und es konnte zu den Geschäften geschritten werden. Das Konzert schwieg auf einen Wink. Die Männer in der Hütte rückten sich zurecht. Die Gesichter wurden ernst und gespannt, denn jedermann wußte sehr wohl, um was es sich handelte.

Mataafa war es, der nach einer feierlichen Pause das Wort zuerst ergriff. Er ging sofort in medias res, indem er die Bevölkerung von Falealili aufforderte, sich wieder der Verwaltung von Atua unterzuordnen. Nachdem der Deutsche Kaiser den Schutz der Insel übernommen habe, solle fortan Friede herrschen, jedermann solle ruhig an seine Arbeit gehen und alles wieder so sein, wie vor den Unglücklichen Kämpfen, die Samoa verheert hätten.

Ein beredtes Schweigen antwortete darauf. Nun hielt Dr. Solf eine längere Ansprache. Zuerst lobte er das loyale Verhalten der Männer von Falealili bei der deutschen Flaggenhissung im März und sprach seine Freude über den heutigen Empfang aus. Dann fuhr er ungefähr folgendermaßen fort:

»Ich habe vernommen, daß törichte oder böswillige Menschen unter euch das Gerücht verbreitet haben, die Königin von England hätte nicht auf die Herrschaft über Samoa verzichtet, sondern nur den Deutschen Kaiser beauftragt, vorläufig in ihrem Namen das Land zu regieren, weil sie jetzt Krieg mit einem andern Volke habe, und wenn der vorüber sei, werde sie das Land wieder in Besitz nehmen. Ich hebe meine Hand auf und sage, das ist nicht wahr! Lügner sind es, die euch das gesagt haben. Der Kaiser ist nicht der Stellvertreter, sondern der wirkliche Schutzherr über Samoa.

»Sein Wille aber ist, daß fortan Friede und Ordnung in Samoa bestehe, damit die Samoaner glücklich seien. Mich hat er als Verkündiger seines Willens hieher gesendet. Ich wieder habe Mataafa eingesetzt, als Alii sili o Samoa. Dieser ist der Kanal, durch den ich euch meine Befehle zufließen lasse. Wer ihm nicht gehorcht, der gehorcht auch mir nicht und nicht dem Kaiser. Ich habe nun beschlossen und Mataafa hat es euch gesagt, daß Falealili wieder zu Atua zurückgehen solle, wozu es in alten Zeiten gehört hat; gehorcht diesem Befehl.«

In der höflichsten, aber eindringlichsten Form versicherte jetzt der Sprecher von Falealili seine und seiner Leute strenge Loyalität: sie würden alle Befehle gern befolgen, nur das solle man nicht von ihnen verlangen.

Es erfolgte eine stundenlange Debatte. Interessant war es dabei, das Verhalten der Zuhörer zu beobachten. Höchste Spannung lag auf ihren Zügen, die dunklen Augen blitzten, auch die Außenstehenden drängten sich näher an die Hütte. Prachtvolle Gestalten: schlanke Jünglinge, im Goldbronzeton ihrer Haut wie lebendige Statuen aussehend; herrliche Männer, denen man die erprobten Krieger der letzten Kämpfe wohl ansah und die mit dankbaren und zustimmenden Blicken den Worten des alten Mannes folgten.

Endlich beschloß der Gouverneur, die Versammlung aufzuheben. «Laß uns ein Ende machen,« sagte er zu dem Sprecher, »die Sonne geht unter, und die Flut ruft uns zu unsern Schiffen zurück. Was heute von Männern gesprochen wurde, soll unsere freundschaftlichen Gesinnungen nicht stören. Meinen Willen wißt ihr jetzt. Ihr werdet euch mit euren Freunden und Genossen weiter beraten und schließlich erkennen, daß es das beste ist, meinen Wünschen zu folgen; denn ich bestehe darauf.«.

Ich will hier hinzufügen, daß die Samoaner von Falealili zuletzt doch nicht zu der verlangten Wiedervereinigung mit Atua zu bringen gewesen sind. Der Gouverneur fand, wie er mir ein Jahr später in Deutschland erzählte, schließlich den Ausweg, aus dem volkreichen Gebiet von Falealili einen eigenen, von Atua wie Tuamasanga unabhängigen, Verwaltungsbezirk zu schaffen.

Rotgolden brach das Feuer der sinkenden Sonne durch die Palmenwipfel, als wir, von der ganzen Volksmenge begleitet, zum Strand hinunterschritten. In geradezu klassischer Linienschönheit schwang sich vor uns das weiche Gestade, ein Fluß rauschte dort zwischen dunklen Felsblöcken ins Meer und Baumstämme lagen als Brücke von einem Ufer zum andern darüber. Reizende Gruppen von buntgekleideten Frauen, schlanken, blumengeschmückten Mädchen, nackten, braunen Kindern weilten überall am Strande und belebten das entzückende Bild so wunderbar, als hätte sie ein genialer Künstler hineinkomponiert. Jubelnd und lachend schlossen sie sich jetzt den übrigen an, mit den bloßen Füßen noch im Wasser unsere Boote umringend, und das freundliche Händeschütteln und das » tofá, tofá« (Lebewohl) wollte gar kein Ende nehmen.

Mir aber war es die ganze Zeit gewesen, als sei ich um Jahrtausende zurückversetzt in eine Welt, wie sie wohl an den Ufern der Ägäis zu den Zeiten Homers geblüht hat.


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