Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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13. Festliche Prinzenverbrennung

Zunächst verständigte er mich darüber, was denn eigentlich hier vorging. Eine der seltsamsten Völkersitten, die es geben kann, gewährte mir das Reiseglück, mit anzusehen. Ich kam gegenwärtig in Bangkok, rein zufällig, zu dem größten und eigenartigsten aller Volksfeste, die das festereiche Siam kennt und das durchschnittlich nur alle 12, 15 oder gar 20 Jahre vorzukommen pflegt, nämlich zu – ja, wie soll ich sagen? – zu der Ramschverbrennung königlicher Prinzen.

Die Bestattungsarten, die Siam seit alters her geübt hat, sind verschieden; auch das Fressenlassen der Leichen durch Hunde und Aasgeier ist darunter. Die gestorbenen Angehörigen des königlichen Hauses aber, so erzählte mir der alte Herr mit den seidenen Strümpfen, werden verbrannt. Indessen, da die Sache ziemlich kostspielig ist, nicht sogleich und nicht einzeln, sondern man hebt sie zunächst auf, indem man sie in hockender Stellung einbalsamiert, und zwar dadurch, daß man ihre Adern mit Quecksilber füllt. So wartet man, bis ihrer eine größere Anzahl beieinander sind.

Dann werden sie unter großartigen, wochenlang dauernden Festlichkeiten verbrannt; unter Festlichkeiten, bei denen die ganze Begabung der Siamesen für solche Veranstaltungen zur Entfaltung kommt. Ein prachtvolles Krematorium wird gebaut; alle Würdenträger müssen zusammenkommen und in Galatracht den feierlichen Verbrennungen beiwohnen, die dann – alle paar Tage ein oder mehrere Prinzen – unter persönlichem Beisein des Königs stattfinden.

Diesmal waren die Feierlichkeiten ganz besonders bedeutend, da der vor drei Jahren verstorbene Kronprinz des Reiches sich mit unter den Mumien befand. Während der ganzen Zeit, die oft viele Wochen dauert, wird das Volk mit Schaustellungen, Musik, Geschenken und nächtlichem Feuerwerk unterhalten. Eine Hauptrolle spielen die feierlichen Prozessionen. Die zu bestattenden Körper werden in prachtvollen Wagen, die gleich heiligen Schiffen geformt sind, zum Krematorium hingeführt. Hier werden sie in ihrer sitzenden Stellung an einem darunter angemachten Feuer, das allein durch Stückchen wohlriechenden, überdies vergoldeten Sandelholzes genährt wird, langsam verbrannt. Während dieses Vorganges muß die höchste Feierlichkeit bewahrt werden. Die hohen und höchsten Würdenträger ziehen in ernstem Zuge daran vorüber, und jeder hilft die heiligende und reinigende Flamme durch die Opfergabe einer geweihten Räucherblume nähren, die er in das Feuer wirft. Auch angesehene Europäer werden zu dieser Defiliercour zugelassen; von den in Bangkok ansässigen und irgendwie mit dem Hofe in Verbindung stehenden wird ihr Teilnehmen sogar erwartet. Frack und Zylinder ist dabei vorgeschrieben.

Da ich beides nicht anhatte, konnte ich leider dieser intimsten Zeremonie selbst, die in einer halben Stunde vor sich gehen sollte, trotz der Bereitwilligkeit meines Führers, mir Zutritt zu verschaffen, nicht beiwohnen.

Zunächst zeigte mir mein freundlicher Mentor in einem großen offenen Holzhause, das am Festplatz stand, die prachtvollen Festwagen, mit denen die heut zur Verbrennung kommenden Leichen einige Tage zuvor nach dem Krematorium übergeführt worden waren. Die Wagen hatten die Gestalt von goldenen Barken; ihre schön geschweiften Grundformen waren über und über mit üppig wucherndem, reichvergoldetem Schnitzwerk bedeckt.

Dann führte er mich einige Minuten weit zu einem kleinen, für ferner stehende europäische Zuschauer eingerichteten Pavillon, wohin ein Diener mir einen europäischen Stuhl brachte, und empfahl mir, von hier aus die Ankunft des Königs mit anzusehen, der binnen kurzem zur Verbrennungsfeierlichkeit kommen werde.

Von meinem Beobachtungsposten aus sah ich über eine Fahrstraße hinweg zu einem großen, eingezäunten Platze. Das weiß gestrichene Gitterwerk, das ihn umgab, war mit unzählbaren kleinen gläsernen Öllampen besetzt, die in hübschen Mustern angeordnet waren. Ähnliche weiß gestrichene Lattenwerke mit Lämpchen liefen neben der ganzen Fahrstraße her und bildeten auch sonst noch hier und dort und überall weit sich hinziehende Gitter. Wenn alle diese Lämpchen in Brand gesetzt wurden, mußte eine ebenso originelle wie hübsche Wirkung herauskommen.

Neben ihnen gewahrte ich noch allerlei andere Gerüste. So namentlich in nahen Abständen stehende, wohl fünfzehn Meter hohe Stangen, die mit eigentümlichen Gebilden aus korb- oder ballonförmig zusammengebogenen schmalen Stäbchen besetzt waren. Wir werden sehen, wozu sie dienten.

Auf der einen Langseite des umzäunten Platzes, der vom Publikum freiblieb, stand ein langgedehnter, nach vorn offener Holzbau, dessen Innenwände mit purpurfarbenen Stoffen ausgeschlagen waren. Ein von vergoldeten Baldachinbauten überdachter, aus der Rückwand vorspringender erhöhter Sitz, augenscheinlich ein königlicher Thron, teilte ihn in zwei Teile. In diesem Pavillon sammelten sich auf der einen Seite in immer dichteren Massen die siamesischen Würdenträger in ihren malerischen, mit Orden übersäten Trachten, größtenteils in Equipagen heranrollend: auf der andern, mir entfernteren Seite die Damen der siamesischen »Gesellschaft«, durchweg in Weiß gehüllt, die Füße ebenso wie bei den Männern mit weißseidenen Strümpfen und Schuhen bekleidet. Noch suchte ich zu ergründen, was hier geschehen solle, als mein Mentor noch einmal von jenem Pavillon, in den er sich selbst begeben hatte, herüberkam und mir sagte:

»Der König!«

Ich erwartete, den König von Siam nun in irgendeinem fabelhaften Aufzug mit Musik, Fahnen und Elefanten aus seinem Märchenpalaste kommen zu sehen. Aber siehe, Seine Majestät Tschulalongkorn I. zeigte sich vollkommen europäisch modern, er rollte in einem durchaus einfachen Landauer heran. Nur ein Diener saß vorn auf dem Bock neben dem Kutscher, zwei andere standen hintenauf, von denen einer den wallenden Federbusch eines königlichen Jägers trug; alle Bediensteten waren in das königliche Scharlachrot gekleidet. Der König selbst, eine mittelgroße Erscheinung mit ernstem, sympathischem Gesicht, trug einen Sonnenhelm und eine einfache europäische Uniform. Das Volk verhielt sich bei seiner Vorüberfahrt ehrerbietig, aber ruhig; es war offenbar gewöhnt, seinen König wie einen Vater oft unter sich zu sehen.

Dem Wagen des Königs folgte ein ähnlicher mit der Königin; nicht seiner einzigen Gattin – er sollte deren mehrere hundert haben nebst einer entsprechenden Anzahl von Kindern, eine Tatsache, die erst die Menge der zu verbrennenden Prinzen erklärt –, wohl aber seiner Hauptfrau. In zwei weiteren, ziemlich einfach bespannten Wagen folgten, zu je vieren zusammen, kleine, weißgekleidete und dunkelhäutige Prinzen und Prinzeßlein und dahinter in einer Reihe anderer Wagen eine Auslese königlicher Haremsdamen.

Die ganze Schar zog langsam an mir vorüber und verschwand am Ende der Feststraße in dem Tempelhof, der das große Krematorium umgab.

Es war gerade um die Zeit, da die Sonne sank, und während der Hof dort seine feierlichen Handlungen verrichtete, begannen Hunderte geschäftiger Diener auf dem riesigen Festplatze die Illumination. Die Tausende und Tausende der kleinen Lämpchen an den weißen Gittern wurden angezündet und verwandelten diese Umzäunungen zu schimmernden Lichtmauern. In den verschiedenen Festpavillons leuchteten mit sanftem Schein elektrische Glühbirnen auf. Nur der große Pavillon mit dem königlichen Thronsitz blieb eigentümlicherweise unbeleuchtet. In der Ferne, am andern Ende des Festplatzes, wo die zwölf eisernen Riesenkandelaber standen, die ich früher geschildert habe, entfesselte sich mit einem Schlage das entzückende Schauspiel, sie nun als lichtstrahlende Säulen in den dunkelnden Himmel emporsteigen zu sehn. Schnüre leuchtender Perlen zogen sich jetzt als Festons von einer Spitze zur andern oder führten in sanftem Schwunge zur Erde hinab.

Kaum zwanzig Minuten verweilte der König und sein Gefolge in dem Krematorium, dann kamen sie wieder zurück; König und Königin, diesmal aber in ganz altertümlicher, einheimischer Weise, in goldenen Tragsänften, die wie Schiffchen gestaltet waren. Mit ihrem Wiedererscheinen entfaltete sich die Illumination zu ihrem Höhepunkt. Alle Lämpchen brennen jetzt und übergießen den ganzen Festplatz mit einem warmen, sanften Licht. An den verschiedensten Stellen, nah und fern, flammen bewegliche Sonnenräder auf, Raketen eigentümlicher Art, wunderlich in der Luft herumflirrende Schwärmer, bengalische Flammen u.a.m. Nun erkenne ich auch die Bedeutung jener merkwürdigen hohen Stangen zu beiden Seiten der Feststraße. Sie sind von unten bis oben mit Feuerwerkskörpern besetzt. An einer nach der andern wird unten Feuer eingelegt; im Nu schießt es wie eine kletternde Schlange bis hinauf in die höchste Spitze; die vorher zu ballonartigen Gebilden zusammengebogenen Stäbchen, die von der Stangenachse ausgingen, lodern ebenfalls auf, lösen sich dabei an ihrem oberen Ende los und breiten sich nach allen Seiten aus wie eine prachtvolle Blumendolde; weiße Flammenblüten an ihren Enden, schwanken sie, von der Spannung befreit, elastisch noch lange auf und nieder, und das Ganze erscheint wie ein riesiger märchenhafter Lilienschaft, der phantastisch glühend gegen die Steine emporwächst.

Der König hatte jetzt in dem Pavillon auf seinem Thron Platz genommen. Vor ihm stand ein Gefäß, dem er unausgesetzt mit spitzen Fingern etwas entnahm, was ich bei der Dunkelheit im Pavillon nicht erkennen konnte, um es mit ruckweisen Bewegungen unter die neben dem Thronsitz versammelten Höflinge zu werfen. Ich erfuhr von meinem Mentor, der zur Zeit selbst unter den Hofleuten dort weilte, daß es kleine Orangen waren, in denen nach alter Sitte Geldstücke versteckt sind: kleinere und größere Silbermünzen, zeitweilig auch Goldstücke. Mit ernstestem Gesicht, in langsam abgemessener Weise, zielte der König mit ihnen bald hier- und bald dorthin, bald nah, bald fern. Derjenige Hofmann, dem der Wurf galt, sprang von seinem Sitze in die Höhe und schnappte mit beiden Händen danach. Eine halbe Stunde und länger vollzog sich dies in völligem Schweigen, und es war das Sonderbarste, was man sehen konnte, der allmählich immer schwärzer werdende Schattenriß des Königs in der unerleuchteten Halle und das ruckweise, Klavierhämmerchen ähnliche Emporschnellen der Höflinge, die doch Großwürdenträger, Offiziere und dergleichen und mit Orden übersät waren.


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