Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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14. Versinkende Schönheit

Viel, unendlich viel könnte ich auch von den übrigen Wundern der Königsstadt Bangkok und ihrer Umgebung erzählen. Allein es würde ein eigenes Buch dazu nötig sein.

Ich bitte die Leser, nur noch einen Ausflug ins Innere mit mir zu machen. Nach Ayuthia, der ehemaligen Residenz der siamesischen Könige.

Einige Stunden flußaufwärts am Menam blühte diese Stadt zu einer Zeit, als Bangkok noch gar nicht bestand. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit unseres Siebenjährigen Krieges, fielen die Birmanen mit großer Übermacht ins Land; die damalige Hauptstadt sank in den Kämpfen mit ihnen 1767 in Trümmer. Obgleich diese Zerstörung keine völlige war und wohl ein Wiederaufbau nach dem Friedensschlusse möglich gewesen wäre, verschmähten die Siamesen es doch, die entweihte Stätte wieder zu benutzen. Schon im nächsten Jahre wurde weiter stromabwärts Bangkok gegründet, und binnen kurzem schuf hier königliche Machtvollkommenheit eine ähnliche Zauberstadt, wie Ayuthia es gewesen sein muß.

Zwischen Mauern hochstämmigen und dicht verwachsenen Waldes fließt bei Ayuthia der in viele Arme geteilte Menam dahin. Ärmliche Pfahlbauhäuser nur liegen hier und dort im Schatten der Uferbäume, doch auf seinen Fluten entwickelt sich noch heut das rege Leben einer schwimmenden Stadt aus Bootswohnungen. Der gegenwärtige Ort Ayuthia, auf den der Name der ehemaligen Königsstadt übergegangen ist, besitzt in noch viel höherem Maße diesen »venezianischen« Charakter als Bangkok.

Hier liegen die gewaltigen Trümmer der ehemaligen Königsschlösser und Götterhallen, umwuchert von der siegreichen Wildnis des Urwaldes. Graue Häupter alter Pagoden siehst du von weitem über die grünen Massen des Waldes emporragen, oder eine Säulengruppe reckt sich noch über die Flut des Laubes hinaus, die immer höher an ihr emporschwillt. Mühsam, oft von Dornen gepackt, oft von undurchdringlichen Buschwänden zurückgewiesen, oft von tückischem Sumpf zu Umwegen gezwungen, arbeitest du dich hinzu. Da stehen dann alte Steinwände vor dir, verfallen, zerbröckelt, halb zu Boden gestürzt; aber staunend erkennst du noch die edlen Formen der feinen Kunst, die sich an ihnen entfaltet hat. Spitzbogen gleich denen gotischer Kirchentüren schweben noch in fester Fügung, während ringsum das Mauerwerk, das sie trugen, zerbrochen und herabgefallen ist. Hier liegt ein vom Wald vergrabenes Mauerviereck, das du mit prüfendem Blick nach den wankenden Steinbalken über der Eingangstür betrittst. Leer ist es heut, Trümmer erfüllen den Boden, und dennoch erkennt dein Auge aus den heimlichen Resten von Zierat an den Wänden, daß es einstmals die Prunkhalle eines Palastes war, die voll von Gold und Schätzen gewesen sein und wunderbare Feste gesehen haben muß. Anderswo ragt ein Gebilde auf, das du dir zunächst gar nicht erklären kannst. Wie ein ungeheurer Brandungsspritzer des grünen Urwaldmeeres schießt eine üppige, dichte Laubmasse weit in die Lüfte empor; bis zu einer Höhe aber, die von Natur auch der riesigste Baumwuchs der Tropen nicht erreichen kann. Näher schreitend erst entdeckst du, daß hier unter dem Laube eine alte Dagoba, eines der hochragenden Reliquienhäuser des südasiatischen Buddhismus, verborgen ist, heut ganz und gar bis über die Spitze bewachsen. Büsche haben sich überall in die Fugen des zerfallenden Mauerwerks eingeklemmt, und tropisches Rankengewächs ist bis zur höchsten Zacke hinaufgekrochen, um von dort wie ein fallender Sprühregen sich wieder abwärts zu senken.

Aber dieser Wald schmückt nicht nur, er zerstört! Wie riesenhafte Krallen schlagen sich die Wurzeln in die Sprünge des Gemäuers, wie schreckliche Riesenschlangen umkriechen und umklammern sie die Quader, lösen sie aus ihrer Fügung und stürzen sie langsam, aber gewiß von ihren Sockeln.

Trotz aller Romantik ein erschütternder Anblick. Um so mehr, als wir unschwer in all den architektonischen Formen der alten Bauten von Ayuthia dieselben Gebilde wiedererkennen, die heute in den Tempeln des lebendigen Bangkok das Auge entzücken. Kurzlebig ist der Glanz fast aller hinterindischen Königsstädte bisher gewesen. Wir fühlen es, daß auch für diese Stadt dereinst die Zeit kommen wird, da ihre bunte Zauberpracht dahinsinkt, wie einstens selbst die heilige Ilios hinsank, und daß dann ihre Schönheit und Kunst vergraben werden wird unter den wieder andringenden Wogen des mühsam zurückgedrängten Urwaldes der Heimat – wenn sie nicht schon vorher zugrunde gegangen ist unter der noch grausamer, rücksichtsloser und dabei poesieloser vernichtenden Flutwelle der europäischen Kultur!


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