Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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12. Siamesisches Theater

Nun wanderte ich über die breite Mittelstraße zur andern Hälfte des Festplatzes hinüber, wo sich noch weit dichtere Menschenmassen auf dem Rasen unter herrlichen hochwipfligen Bäumen tummelten. Hier wurden lange pantomimische Theaterstücke von zahlreichen Personen ausgeführt. Die geräumige Bühne pflegte eine wilde Felslandschaft zu zeigen, die aus bemalter Leinwand und Gips oder Lehm plastisch modelliert war. Zwei Türen, rechts und links angebracht, durchbrachen diesen Hintergrund und gaben den Schauspielern Gelegenheit zum Erscheinen und Verschwinden. Eine rotgefärbte Schranke teilte, der Vorderkante parallel laufend, den Bühnenraum der Länge nach in zwei Teile, und die Tätigkeit der Darsteller bestand nun darin, daß sie zu einer Tür hereintretend, in langsamer Prozession immerfort um diese Barriere herumwandelten, so daß sie sich also bald davor, bald dahinter befanden. Von Zeit zu Zeit verschwanden sie dann durch die andere Tür, um durch neue Figuren ersetzt zu werden oder auch binnen kurzem wieder zu erscheinen und ihren seltsamen Lebenswandel von vorn zu beginnen. Was sie mit ihren pantomimischen Bewegungen ausdrückten, verstand ich natürlich nicht. Es soll sich in den meisten derartigen Fällen um dramatisierte Vorführungen alter mythologischer Epen, vorwiegend der indischen Literatur, handeln. Stilisiert, wie dies ganze Auftreten, waren auch Kleidung und Bewegungen. Man sah keinerlei gegenwärtige siamesische Trachten, sondern wunderlich bunte Typen, wie herabgestiegen aus alten Tempelgemälden: Göttergestalten mit fremdartigen, goldflitter-überladenen Fabelgewändern, Ritter in Panzern und strotzend von Waffen, die Gesichter dick verschminkt oder ganz verborgen unter grotesken Masken mit Hörnern, mit aufgestülpten Nasen und bis zu den Ohren verzerrtem, zähnfletschendem Munde. Die Masken waren teils grün, teils rot gefärbt, teils ganz vergoldet. Mit langsamen, ruckweisen Schritten bewegten sich die Personen, unter Fingerspreizen und andern seltsamen Verrenkungen, unter kriegerischen, aber stilvoll abgemessenen Kämpfen und dergleichen, dahin. Auch ein Affengott mit langem Schwanz – wohl der berühmte Hanuman der indischen Mythologie – erschien von Zeit zu Zeit und brachte mit seinen wilden Sprüngen den erforderlichen klassischen Humor in die feierliche Haupt- und Staatsaktion.

Aber auch die bescheidenste Kleinkunst war vertreten. Auf kleinen Tischchen wurden hier und dort Figürchen gezeigt, dem Spielzeug für Kinder und Erwachsene ganz ähnlich, das auf den Asphaltstraßen unserer Großstädte von fliegenden Händlern verkauft wird. Elefanten mit nickendem Rüssel, Reiterchen zu Pferde, Fußgänger in allerlei Trachten bewegten sich, durch verborgenen Mechanismus getrieben, im Kreise umher, und ein staunender Kreis von Zuschauern, der das gewiß hundertmal gesehen hatte, stand darum herum – ganz wie bei uns.

Hier und dort wurde auf Bänken oder in Buden allerlei Konfekt, süßes Gebäck und buntfarbiges Getränk verkauft, und Musikbanden ließen ihre Weisen ertönen. Je weiter die Sonne zur Rüste ging, je tiefer das Goldlicht ihrer schrägen Strahlen wurde, um so dichter, um so buntfarbiger wurde das Gewühl der Menschheit, die von ihrer Tagesarbeit oder auch von der Siesta in den heißen Nachmittagsstunden sich einfand.

Besonders fiel jetzt neben den zitronengelben Roben der Mönche eine Anzahl ganz und gar in brennendes Scharlachrot gekleideter Männer auf, die mit Musikinstrumenten herankamen. Scharlach ist die Farbe der königlichen Diener. Auch rote Mützen trugen sie, so daß sie wie die leibhaftigen Prinzen von Arkadien aus dem »Orpheus in der Unterwelt« herumliefen.

Zu diesem allen trat endlich eine Menge ganz weiß angezogener Personen, die einzeln oder in Gruppen herbeiwanderten. Sie trugen frisch gewaschene weiße Tropenjacken mit Knöpfen, darunter in weiß den hosenartig aufgesteckten Hüftschurz der Siamesen, an den freibleibenden Unterschenkeln weißseidene Strümpfe und endlich offene Schnallenschuhe. Die Brust hatten sie in der Regel übersät mit buntfarbigen Orden; das Hübscheste an ihnen aber waren breite weißseidene, kostbare Gürtel, die sie um den Leib trugen, ein jeder verschieden, aber stets sehr geschmackvoll, mit Arabesken aus Gold- und Silberfäden bestickt.

Einer dieser Männer, der mich als Fremden hier mit verwunderten Blicken herumirren sah, ein alter Herr mit großer Brille, kam auf mich zu und redete mich in einem durchaus leidlichen Englisch an. Mit einem unverkennbaren Stolz unterrichtete er mich; diese weißen Männer mit den Gürteln seien, wie er selbst, alles Mandarinen aus den verschiedensten Teilen des Königreiches, die der großen, königlichen Begräbnisfeierlichkeiten halber sich in der Hauptstadt aufhielten und sobald sie beendigt seien, wieder dorthin zurückkehren würden. In liebenswürdigster Weise gab er mir dann sowohl jetzt gleich, wie im Laufe des Abends, währenddessen ich ihm noch mehrmals begegnete, eingehende Erklärungen der Dinge, die ich sah, so daß diese Bekanntschaft mir sehr wertvoll wurde. Ich traf ihn auch an späteren Tagen noch öfters, und immer beeilte er sich, mit landesüblicher Zuvorkommenheit mir die Honneurs zu machen.


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