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Fünftes Kapitel.

Familienkram und ein Farbenreiber.

Die Romantik in der Pflanzenwelt ist in den Ebnen heimisch, die Klassizität auf den Bergen; jene wohnt in heißen Erdstrichen, diese in gemäßigten; jene fordert Schatten, Moore, vegetabil-fossilen Untergrund und Massen von Feuchtigkeit, diese: Sonne, Felsenboden und nur mäßige Befeuchtung. Die Romantik wird vorzugsweise repräsentiert durch die Tropengewächse, zumal durch die Orchideen, die mit ihren bizarren, wahrhaft romantischen Formen, ihren Blüten mit Schmetterlingsflügeln, Palpen und Spinnenbeinen alles Übergangsspiel, alles Ineinanderschillern der Naturreiche in sich vereinen. Die Cattleyen, Gangoren und Oncidien erinnern stets an jene phantastischen Gebilde, jene Zaubermetamorphosen der Märchenwelt, es ist, als ob uns die Natur necken und Abenteuer dichten wollte. Eine Farbe erscheint immer als zu karg, es ist eine Verschwendung in den Farbstoffen wie im Geschnitzel der Gestalt, daß man glauben möchte, es habe gegolten, alle Möglichkeiten zu erschöpfen und mit dem Unmöglichen zu kokettieren. – Bergpflanzen zeichnen sich durch ihren gedrungenen Bau, durch die Einheit und Regelmäßigkeit ihrer Blütenform und durch den markigen, kernhaften Wuchs ihrer Stauden aus. Man kann die Ränder ihrer Kronblätter fast immer in einen Kreis schließen, dessen Mittelpunkt die Staubwege andeuten. Ihre Starrheit hat nichts Verletzendes, denn es ist nicht hart; ihre Eintönigkeit nichts Langweiliges, denn es trägt das Gepräge der Vollendung. – Höher hinauf, auf unwirtsamen Höhen, stockt die Vegetation, krankt und verkümmert, gipfelt sich in Verwitterungsgewächsen, Flechten und Moosen zu und erfriert endlich in Eis und Schnee. Die Kryptogamen sind weder romantisch noch klassisch, weder Spiel noch Ernst, weder wahnsinnig noch edel, sie sind ein Schlummerlied, aber ein geschriebenes, ein Lied ohne Singweise, ohne Jubel und Schmerz.

Die Gesellschaft gibt hier wie immer das Spiegelbild der Natur. Die Flächen der Romantik mit ihren mysteriösen Schatten, ihrer Tropenhitze, ihrer Leidenschaft und Farbenpracht liegen in jenen Kreisen, in denen das Niveau ein hergebrachtes, angenommenes ist. Es ist keine Form menschlicher Bildung und Verirrung, die sich dort nicht geltend machte, bis auf die feste, konsolidierte. Allenthalben kann man in jener Region Luftblasen, Wassertropfen, lose Zellgewebe und romantische Spiegelfechtereien, Exzentrizitäten und Zwittergebilde finden. Die zivilisierte Leidenschaft hat alles, was Leben heißt, zu geformter Formlosigkeit ventiliert und geschraubt. – Klassische Charaktere sind in einer andern Sphäre zu suchen. Sie müssen Berge zu ersteigen, an harten Felsenabhängen emporzuklettern und scheinbar dürftige Nahrung haben. Sie darben nicht, denn ein Mehr würde sie verderben, aber sie brauchen wenig und gedeihen nur durch dieses Wenige. Männer ohne jede zweideutige Linie sind immer nur an Orten emporgewachsen, die ihrem Wachstume Hemmnisse boten, sie haben sich nur entwickelt, wo verwirrte romantische Naturen verkümmert wären. – Man verkehrt die Stellung der Gesellschaftsklassen in der Regel gänzlich, indem man die Ebne mit den Güterchausseen und Gunsteisenbahnen für eine Höhe nimmt. Das ist falsch, die sogenannten oberen Schichten bilden die gestreckte Flächenausdehnung, – in den Bergen, auf der Höhe wohnen die Kletterer, die man die unteren Schichten nennt. Sie steigen nicht immer hinauf, aber ihr alltäglichster Verkehr ist schon durch ein Klimmen bedingt. Sie müssen, um nur zu sein, über Klüfte und Spalten weg, von einer Wand zur andern. Ihre Existenz ist ein Kampf, darum ihre Form eine gehärtete, abgeschloßne. – Was die Gesellschaft zugipfelt, ist tot wie in der Natur. In Eis und Moos, umgeben von Knieholz, wohnen die »Herrscher«. Die Erde würde immer noch bunt und hügelig genug bleiben, wenn man die trostlosen Firnen hinabstürzte und Moräste damit ausfüllte. Es gäbe Kontraste genug, wenn auch nicht so raffinierte, als angesichts der ewigen Eismasse des Montblank Orangen pflücken zu können. In der Gesellschaft pflücken wir noch dazu die Orangen nicht für uns, sondern für die Gletscher. Sie werfen uns dann die Schalen und die Lawinen ins Gesicht. Ob die Menschen von heute dümmer oder gutmütiger sind, bleibt zwar eine Frage, aber jeder kann sie sich selbst beantworten.

Tetarskoff gehörte in die Kategorie der Bergpflanzen; man sah ihm an, daß er sich seinen Weg selbst gehauen habe. Der Kreis, in dem er sich bewegte, war ein fester, und daß er ihn nicht mehr straff einhielt, zeigte nur, daß er zu welken anfange. Die Jahre brechen Naturen, die immer gespannt gearbeitet, ebenso sicher zusammen als solche, die immer genossen. Seine große Zeit war vorüber, oder vielmehr er hatte zu viel Zeit verloren, groß sein zu können, um am Rande seiner Bestrebungen mit der ganzen Kraft aufzutreten. Die Ermüdung hatte ihn überholt, er bot den Ereignissen nicht mehr Stirn und verfolgte seine Zwecke nur noch, weil ihm ein früher entworfner Plan vorschwebte. Er trat nicht frei wollend, sondern gewissermaßen von der Erinnerung gezwungen auf; er trieb nicht vorwärts, sondern wurde getrieben. Er war eben eine welkende Bergpflanze; man sah wohl noch die Umrisse seines Strebens und würde sie haben auffrischen können, wenn neuer Saft in die Blätter gekommen wäre, wenn sie noch einen Frühling gehabt hätten, – aber woher sollte dieser kommen? Der Mann stand allein und abgerissen da, alle jene Wärme, die aus einem Familienleben sproßt und die Glieder eines Hauses froh durchdringt, fehlte ihm gänzlich; er sah aus, als habe er nie eine Familie gehabt.

Am Morgen nach dem Rennen, dem ersten, den er ruhig in Hehlenried zubrachte, denn am Tage vorher war er erst spät in der Nacht heim gekommen, schickte er frühzeitig zu Heeren und ging, da dieser noch nicht zurück war, in den Park. Er strich still, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, durch die Laubgänge, aber er hörte offenbar die Nachtigallen nicht, die aufs neue in den Büschen laut wurden. Jenes rasche Spiel des Ausdrucks seiner Züge, das Heeren für Tücke, Craw für Unsicherheit nahm, zitterte auch jetzt in der Einsamkeit über sein Gesicht. Tiefes Bekümmertsein und dann wieder ein Stolz, ein Gefühl von Freude, das ihn mit einer gewissen Gier um sich blicken und die Schritte beflügeln ließ, wechselten darin ab mit einem Wetterleuchten, das man in der That für Tücke oder Schadenfreude halten konnte. Er durchwanderte den ganzen Park, eilte dann, als er von einem Pavillon einen Blick auf das Dorf geworfen, hinaus und stieg den Hügel hinab. Als er noch im Park, um den Weg zu kürzen, über einen der großen Rasenplätze ging und durch eine Hecke brach, blieb er plötzlich stehn und strich mit der Hand über die Stirn, als käme ihm eine Szene aus der Vergangenheit in Erinnerung, – er sann einen Augenblick nach und lachte dann ironisch. Wollte er im Dorfe ebenfalls ein Bild auffrischen, so war es wohl vergebens. Vielfache Feuersbrünste hatten es in den letzten zehn Jahren heimgesucht und seine Außenseite verändert. Er sah den Leuten, die ihn auf der Dorfstraße ehrerbietig grüßten, neugierig ins Gesicht, schüttelte aber immer wieder den Kopf und nickte zerstreut seinen Gegengruß.

»Immer noch das alte Treiben«, murmelte er. »Man grüßt noch immer den Rock, nicht den Menschen. Und eine Partei schreit, die Welt sei zu sehr demokratisiert, die andere rühmt sich, das Bewußtsein der Gleichheit in das Volk gebracht zu haben. Ekelhafte Furcht und schamlose Lüge, – und das sind die Regenten der Zeit. – Ich hielt mich für einen Pair, aber um es zu beweisen und nicht ins Tollhaus zu kommen, brauchte ich zwanzig Jahre Arbeit und das Bewußtsein Millionär zu sein. Käme ich heute auf denselben Gedanken, ich müßte denselben Weg machen trotz aller Fortschritte und Errungenschaften.«

Im Schlosse fragte er wieder nach Heeren, erhielt aber denselben Bescheid, der ihm vorhin geworden. Der Diener fügte eine Erzählung des beabsichtigten Überfalls bei und sagte, daß Baron Craw den Sekretär mitgenommen habe, um nicht allein zu sein. Es könne wohl hart hergegangen sein, denn das Pferd, das Graf Wetterheimb geritten, sei erst vor einer Stunde, ohne Reiter und übel zugerichtet, zurück gekommen. – Wir wissen, daß er irrte. Das Pferd hatte Umwege durch Dick und Dünn gemacht und war an seinem Aussehn selbst schuld.

Tetarskoff benutzte die Gelegenheit, sich beiläufig nach den Beziehungen Craws zu Heeren zu erkundigen, und es schien, als hätte er es lieber gehabt, wenn das Verhältnis nicht so eng und das gegenseitige Vertrauen minder groß gewesen wäre. Indes sagte er nichts darüber, sondern trug dem Diener nur auf, Heeren in den Park zu schicken, wenn er käme und nicht zu müde wäre. Das Attentat beunruhigte ihn, und es schwebte auf seinen Lippen, man möge einen Reitknecht auf Kundschaft schicken, der Vorfall mit Wetterheimbs Pferde bot einen passenden Vorwand dafür, aber ein anderer Gedanke verdrängte diesen, er wandte sich um und begann seinen Spaziergang aufs neue.

Es gab einen hübschen Platz im Parke, von der Natur vorbereitet und von der Kunst mit Vorliebe behandelt. Man hatte einen jäh abstürzenden Felsen senkrecht abgesprengt und auf seinen Gipfel in das Buschwerk einen Tempel mit schlanken Säulen gebaut, von dem aus sich ein Blick über den Park weg weit in die Landschaft hinaus öffnete. Dicht darunter, in der Tiefe, waren Blumenparterres angelegt, vor denen, an den Felsen angeschmiegt, eine Steinbank stand.

Der Himmel war rein und nur am Horizonte leicht mit Dunst behaucht, die Baumgruppen mit ihrem weichen, jungen Grün umgab ein rosiger Nimbus, auf einzelnen Zweigen huschten blendende Lichter, gleich kleinen goldenen Vögeln, durch die Blätter, und von unten herauf trug der leise Luftzug, den der Morgen immer mit sich bringt, Duft von den Blumenbeeten. – Tetarskoff beugte sich über das Gitter vor, das die Säulen verband, und sog die parfümierte Kühlung behaglich in die Poren. Er bemerkte unten auf der Steinbank eine Dame, die er zuerst für Cecile hielt, und wollte sich entfernen; als er aber Luise erkannte, stieg er die Staffeln hinab und schritt auf sie zu.

Das Mädchen saß in seinem rosa Morgenüberrocke, ein weißes Tuch um den Kopf geknüpft, nachdenklich da und zeichnete mit einem Blumenstäbchen Figuren oder Buchstaben in den Sand. Die Träume dieser Nacht hatten sie früh hinausgescheucht, mit dem Schlummer war die frohe Ruhe gegangen, mit dem Erwachen Sorge und Kummer gekommen. Sie hatte nun nicht mehr den Mut, ein gutes Ende, eine heitre Zukunft zu dichten. Ihre Wangen waren bleich, ihre Augen gerötet, und ab und zu preßte sie schmerzlich aufseufzend die Hände an die Brust. – Tetarskoff stand schon vor ihr, als sie ihn erblickte, sie hätte es sonst vielleicht vorgezogen, sich zu entfernen. Nun war es zu spät. Er grüßte, sie sah zu ihm hinauf und sagte statt des Dankes in einer Weise, die ihn fremdartig berührte, indem sie nach den Blumen deutete: »Dies sind meine Blumen, ich habe sie selbst gepflanzt!« Ohne sein erstauntes Gesicht zu beachten, fuhr sie fort: »Wollen Sie mir auch diese kleine Freude nehmen? Werden Sie mir und den Meinen, wenn wir hier fremd sein werden und Hehlenried die Heimat anderer Menschen ist, wenigstens erlauben, mitunter die Büsche, die wir gepflanzt, die Blumen, die wir gepflegt, zu besuchen? Alles, was Sie hier Schönes sehn, ist das Werk meiner Mutter … O, Sie wissen nicht, wie traurig es ist, aus dem, was man selbst geschaffen hat, vertrieben zu werden! Ich fühle es, ich, die ich nur meine Blumen und Rosenbäumchen zu verlassen habe, wie mag es nun erst meiner guten Mutter sein!« Ihre Blicke hingen, während sie sprach, vorwurfsvoll, ja fast feindlich an den seinen, und schwere Thränen rollten dabei über ihre Wangen, ohne daß sie versuchte, sie zu verbergen oder abzutrocknen.

Tetarskoff war auf das peinlichste überrascht. Er wußte nicht, von welcher Seite Luise die Lage der Dinge erfahren. Hatte die Gräfin mit ihr darüber gesprochen, oder Craw, der von Heeren alle Details wissen konnte? Immerhin war der Umstand, daß sie davon wußte, und mehr noch die Art, in der sie urteilte, überaus unangenehm. Er erschien wie ein Räuber, Cecile wie eine Märtyrerin: Luise faßte nur die Folgen, nicht aber die Ursachen ins Auge. Er setzte sich neben sie, und das Mädchen machte ihm Platz, ohne ihr trauriges Gesicht von ihm abzuwenden. Dann ergriff er Luisens Hand und sah ihr lang' schweigend in die frommen Augen. »Sie hassen mich also?« sagt er endlich ernst, und in seiner Stimme klang ein unsäglicher Schmerz nach.

»Ich hasse Sie nicht, aber warum verderben Sie uns?«

»Wenn nun nicht ich die Schuld trüge, daß das Verderben herein gebrochen, wenn ich im Gegenteil den schon seit Jahren drohenden Sturz aufgehalten, wenn ich Vertrauen genug gehabt, ein durch eigne, mühselige Arbeit erworbnes Vermögen daran zu wagen, die Hehlen auf ihrer Höhe zu halten? Wenn dies Vermögen, das in der That mein Eigentum ist, gefährdet wäre, und ich die Früchte langen Fleißes und alter Folterqualen hinwerfen sollte, nutzlos und danklos? Bin dann nicht ich aus einer Heimat getrieben, in der nicht ein Staub ist, den ich nicht gehegt und gepflegt?«

»Geld ist keine Heimat. Wer kann daran Freude haben? Blumen und Bäume, die man wachsen gesehn, die Luft, die man von frühauf geatmet, das Haus, das man immer bewohnt … wie wollen Sie damit Ihre Goldstücke vergleichen, an denen aller Schmutz klebt, und die aus einer Tasche in die andere wandern?«

Die Dialektik eines Kindes hat Wendungen, auf die der Verstand nichts zu antworten weiß. Tetarskoff mochte Luise nichts sagen, was ihre Achtung gegen die Mutter untergraben konnte, und ohne eine solche weitere Erklärung war es unmöglich, ihr ein Bild von seinen Rechten zu geben. Die naiven Laute des Herzens, mit denen das Mädchen immer wieder seine Freude an den lieben Plätzen schilderte, die es seit seiner ersten Erinnerung gekannt und zu Spielen benutzt, und die rührende Bedeutung, die es dem Schmerze der Mutter beilegte, entwaffneten ihn, er mußte die Verteidigung von der Hand weisen und über sich ergehen lassen, was die liebliche Richterin verhängte. Einen Augenblick dachte er, daß man sie abgeschickt, daß sie eine vorgeschriebne, studierte Rolle spiele, – und eine Wolke zog sich auf seiner Stirn zusammen. Aber es bedurfte nur eines Blickes auf das holde Wesen, aus dessen Brust die Rede wie ein kristallheller, nie getrübter Strom, wie ein weicher Klagegesang floh, um den Argwohn zu verscheuchen. Er lauschte ihren Worten, sie thaten ihm unsäglich weh und doch wunderbar wohl, es war, als ob sie ihn in einen Zauberkreis bannten, den er zu brechen fürchtete.

»Hier oben, da, sehen Sie hinauf«, fuhr Luise in ihrer Erzählung, die immer lebhafter und wärmer wurde, fort. »Das Gitter am Tempel war noch nicht eingefugt und der Epheu hatte noch nicht den ganzen Felsen bespannt, und konnte sich an nichts festhalten. Unsre Bonne las einen Roman, und wir spielten da oben, Clarisse, Else, Käthchen und ich. Else wollte mich haschen, ich glitt aus, fiel und hätte mich nicht einen Augenblick länger an der Felsenecke halten können, die ich in der Angst gefaßt hatte, denn sie riß mir die Hand blutig. Da ist die Narbe noch …« Sie hielt ihm ihre rechte Hand hin, und er sah in der weichen durchsichtigen Haut deutlich eine lange Naht. »Ich war verloren, wenn nicht Clarisse mit einem lauten Schrei mein Kleid gefaßt und mich hinauf gezogen hätte, ehe noch jemand wußte, was geschah. O, Sie hätten Clarisse sehn sollen … aber Sie kennen meine Schwester ja, Sie haben sie erst vorgestern gesehn …!« rief sie lebhaft, plötzlich wieder an Elses Erzählung erinnert. »Sie kennen sie, o, bringen Sie uns meine liebe Schwester wieder und nehmen Sie Hehlenried und alles! Auch meine Mutter wird mit diesem Tausche zufrieden sein. Die Mutter hat mich lieb, aber Clarisse noch viel mehr, Clarisse ist auch viel, viel besser als ich …«

Ihr Gesicht bebte vor freudiger Erwartung, ihre Augen jubelten, sie preßte Tetarskoffs Hände zwischen den ihrigen zusammen, so daß er mit ihr zugleich die Pantomime des Bittens machen mußte. Sie war wie umgewandelt, das milde, schüchterne Geschöpf zeigte mit einem Schlage Willen und Mut …

»Muß ich denn alles bereuen lernen, was ich je gethan? Bezahle ich jeden Triumph mit tausendfachen Schmerzen?« seufzte Tetarskoff. »Hoffen Sie mit mir, daß noch alles gut wird, hoffen Sie und vertrauen Sie mir … Mag alles, alles verziehen sein um deinetwillen, du liebes, edles Kind!« sagte er dann mit gebrochener Stimme, zog sie an sich und küßte ihre Stirn wiederholt.

Er eilte fort, um seine Bewegung zu verbergen, und sie blieb in der Stellung, in der er sie verlassen, bewegungslos sitzen.

So fand sie Heeren, der Tetarskoff suchte. Er wagte nicht näher zu kommen, da sie allein war, sondern grüßte nur von fern und fragte, ob sie Tetarskoff gesehn. Sie stand auf, ging ihm entgegen und sagte, daß er sie eben verlassen habe, aber wohl jetzt nicht für Geschäfte zugänglich sei, da er ihr sehr erschüttert geschienen. Richards Gesicht verzog sich. »Dann ist's also vorbei!« rief er.

»Was ist vorbei?« fragte Luise, die nun dicht vor ihm stand.

»Ich habe nichts mehr zu sagen, wenn Herr Tetarskoff hier ein ernstes Zwiegespräch mit Ihnen gehabt«, sagte er mit einer Stimme, die hinter einer gewissen Rauheit seinen Schmerz verbergen sollte.

»Ich kann Sie nicht verstehn, Herr Heeren!« entgegnete sie, und die feine, zierliche Person umgab sich dabei mit einer Würde, die in Richards Augen einen Heiligenschein aufwog.

»O wenn Sie wüßten …« rief er schmerzlich.

»Vor allem möcht' ich wissen, ob Sie etwas von Baron Craw erfahren haben«, sagte sie mit jener kleinen Malice, für die auch die sanfteste Frau einem Manne gegenüber Sinn hat. Oft soll sie nicht necken, sie soll nur eine Verlegenheit verbergen, oder ein Geständnis, das man errät und im Moment nicht zu beantworten weiß, hinausschieben. Man bricht ab, weil man das Kommende wünscht und ersehnt, weil man in der Erwartung schwelgen kann, während jenseits der Gewißheit eines höchsten Versprechens eine neue Kette von Erwartungen beginnt, deren Ende sich nicht mit schmeichelnder Sicherheit voraussetzen läßt. Frauen unterbrechen in solchem Falle eine Rede nur, wenn sie wissen, was gesagt werden soll. »Baron Craw«, fuhr sie fort, »hatte sich gestern mit einigen Herrn veruneinigt, aber ich hoffe, daß die Sache keine weiteren Folgen gehabt. Hörten Sie nichts Näheres?«

»Ich verließ ihn erst vor einer Stunde, vollkommen wohl und mit seinen Gegnern ausgesöhnt, soviel ich weiß«, antwortete er einigermaßen verletzt.

»Warum sehn Sie trüb?« fragte sie. »Ich meine, es müßte Ihnen lieb sein, Ihren Freund in Sicherheit zu wissen.« Und sie sah ihm lauernd ins Gesicht, als wollte sie den Erfolg ihrer Neckerei tropfenweise genießen.

»Ich habe Craw lieb, aber er ist nicht mein höchster Gedanke.«

»Sie sind ja auch ein Dichter, müssen also Höheres denken können als wirkliche Menschen, so poetisch auch Ihr Freund ist.«

Beide wurden rot.

»Es gibt Menschen, die der Dichter nicht schöner denken kann, Wesen, die man lieben und ehren muß«, stammelte Richard.

»Mir fällt eben ein, daß ich Herrn Tetarskoff nach der Platane gehn sah … es ist zehn Uhr geworden, ich muß zu Mama«, sagte Luise hastig, nahm sich aber doch die Zeit, ihre Hand, von der sie vorher schon wie im Spiele den Handschuh abgezogen, Heeren flüchtig hinzureichen, der ebenso flüchtig, aber deshalb nicht weniger warm, seine Lippen darauf preßte.

Er sah ihr nach. »Hab' ich doch nie glauben wollen, daß alle Liebenden blöde und dumm sein müssen, bis ich's an mir selbst erfahre. Wenn Craw uns jetzt gesehn hätte …! Und Tetarskoff! Hat er gesprochen, hat sie ihn abgewiesen? Warum gibt Craw mir nun die Papiere nicht, warum zeigt er sie mir nicht einmal? Er will sie selbst bringen, aber wozu das? Und warum soll ich nun mit einemmal Tetarskoff so schroff und angreifend gegenüber treten? Mich drängt es längst dazu, Craw war es nur, der mich hinderte, der mich noch beschwichtigen wollte, als ich schon wußte, daß Tetarskoff um Luise werbe … Warum gibt er nun das Signal zur Schlacht und reibt sich dabei die Hände, als sei ihm ein Hauptstreich gelungen? – Und Luise, liebt sie mich? Und wenn sie es thut, was wird aus uns in all dem Wirrwarr?« Diese Gedanken bahnten sich ihren Weg durch sein Hirn, während er noch immer mit abgezognem Hute am Eingange der Lichtung stand und dem Mädchen nachblickte. Luise war heitrer gewesen, als ihm anfangs angemessen schien, weil er selbst keine Veranlassung zum Frohsinn fand, die Art aber, wie sie ihm entschlüpfte, heiterte auch ihn endlich wider Willen auf und er mochte Tetarskoff jetzt nicht begegnen, um wenigstens eine Zeitlang in fröhlicher Aufregung zu bleiben. Er wandte sich und ging in das Schloß zurück, vermied aber absichtlich den Weg, den Luise eingeschlagen.

Die Gräfin hatte mit derselben Unruhe nach ihrer Tochter geschickt, mit der Tetarskoff Heeren verlangte. Man hatte sie gesucht, aber nicht gefunden. Sie kam erst zu ihrer gewöhnlichen Stunde zu ihrer Mutter herab und war erstaunt, diese schon völlig angekleidet zu finden. Man sah die Spuren einer schlaflosen Nacht und eines harten Kampfes in ihrem Gesichte, das sich vergebens bemühte, nichts als liebevollen Ernst zu zeigen. Als sie sich Luisens Antlitz so lebensfreudig wie nie zuvor entgegen leuchten sah, denn in der That schien dem Mädchen erst vor einer Stunde ein Schimmer von Selbstbewußtsein gekommen zu sein, preßte sie ihre Lippen schmerzlich zusammen und zog das Kind, das ihr in gewohnter Weise die Hand küssen wollte, an ihre Brust, küßte seine Augen und glättete sein Haar. – Es gab eine Pause, in der sich Luise mit seligen Thränen an die Mutter schmiegte und eine nie gekannte, langersehnte Lust empfand. Ihre Pulse klopften, ihre Brust flog, es war ihr, als müsse sie alles sagen, alles gestehn.

»Ich habe dich rufen lassen, um ein ernstes Wort mit dir zu reden, liebes Kind«, sagte die Gräfin endlich und wies Luisen einen Platz neben sich an. »Wir Mütter können leider unsre Kinder nicht immer bei uns behalten, sie müssen hinaus, um eigne Familien zu bilden und selbst wieder zu erziehen. Die Söhne, die einmal von vornherein in selbständigen Verkehr mit der Welt treten und zweitens zu solchem Schritte in der Regel erst greifen, wenn sie eine Reihe von prüfenden und bildenden Erfahrungen gemacht haben, handeln am besten unbeschränkt oder doch nur den Rat der Eltern vernehmend. Bei den Töchtern ist es anders. Ihnen fehlt die Menschenkenntnis, ihnen fehlen Erfahrungen, ihnen fehlen endlich häufig genug die Jahre, die jene beiden ersten Bedingungen können erfüllt scheinen lassen. Sehr junge Mädchen, die immerhin schon heiratsfähig sind und Gelegenheit haben, passende Verbindungen zu schließen, handeln einzig richtig, wenn sie die Wahl ihren Eltern vollständig überlassen. Die in Romanen gepriesene Selbstwahl ist eine Lotterie, ein Hasardspiel. Die Mädchen und ihre Familien treten damit auf eine Brücke, von der sie niemals wissen, wohin sie führt, weil sie ihre Entstehung nicht ruhiger Überlegung, sondern einem vagen Gefühle verdankt. Die Eltern wählen dagegen mit Sicherheit, und die Liebe, die sie für ihre Kinder haben, ist diesen zugleich die sicherste Garantie für ihr Glück und für eine gute Wahl. Ich könnte dir Beispiele, sehr naheliegende Beispiele von Ehen anführen, die von Töchtern, den Warnungen der Mutter zum Trotze, eingegangen worden und die insgesamt unglücklich geendet haben. Ist ein Mann von achtungswertem Charakter da, dessen Stand und Vermögen sowie seine Gemütsart konvenabel erscheinen, und wird er einem Kinde von den Eltern vorgeschlagen, so ist es sträflicher Leichtsinn, wenn es sich gegen ihn sträubt. Selbst körperliche Gebrechen«, fuhr sie mit Anstrengung fort, »werfen kein sonderliches Gewicht in die Wage; auch die schlimmsten, Blindheit und Taubheit, weiß eine verständige Frau in dezenter Weise zum Vorteile zu benutzen, ja sie ist der Liebe ihres Mannes durch das scheinbare Opfer, das sie ihm bringt, nur um so mehr versichert. – Ich würde dir allerdings nur ungern zumuten, dein Liebesamt gleich mit der Stellung als Krankenpflegerin zu beginnen, aber selbst wenn ich's thäte, würde ich von dir erwarten, daß du meiner Erfahrung blindlings vertrautest und meine Pläne nicht durchkreuztest. Du bist jetzt in dem Alter, daß morgen oder übermorgen ein Mann an uns herankommen und dich für sich verlangen könnte, mir liegt also daran zu wissen, wie du in dieser Beziehung denkst. Wir haben einen Fall in unsrer Familie gehabt, der mir eine Tochter, dir eine Schwester geraubt, bloß weil ich versäumt hatte, ihr früh genug zu sagen, was du jetzt zu überlegen hast. Sie ist uns entrissen, wir trauern um sie, und sie selbst ist nicht glücklich. Ihr Eigensinn hat gewählt, nicht die Liebe einer Mutter. Willst und wirst du ein gehorsames Kind sein?«

Luise weinte heftig, aber still; sie dachte an die seltsamen Andeutungen Craws und an die Idee der Amtmannstochter. Sie wagte nicht die Frage, die ihr so kategorisch gestellt worden, mit nein zu beantworten und brachte es doch auch nicht über das Herz, sie zu bejahen. Instinktiv griff sie nach der Anspielung auf das Los Clarissens und vermied so für den Augenblick die Antwort gänzlich.

»Weißt du denn auch, daß Clarisse in Deutschland ist, daß sie nicht weit von hier sein muß, daß Herr Tetarskoff sie zu kennen scheint?« Und nun erzählte sie, was sie davon wußte.

Die Gräfin hatte anfangs freudestumm aufgehorcht, als sie aber hörte, auf welchen Kombinationen die ganze Nachricht beruhe, erlosch das Feuer ihrer Augen wieder, sie schüttelte den Kopf und sagte seufzend: »Das ist wohl ein Irrtum, von dort haben wir nichts mehr zu hoffen. Ich habe mich oft so getäuscht und Spuren verfolgt, die nicht ans Ziel führten. Und wie käme Herr Tetarskoff zu Clarisse?«

»Und doch sagte er nicht nein, als ich ihn fragte, ob er sie gesehn.«

»Tetarskoff? Wie kamst du dazu, ihn zu fragen? Wo sprachst du ihn und wenn?«

»O Gott!« rief Luise und sank neben der Mutter auf die Kniee, »du wirst mir zürnen, aber ich konnte nicht anders. Er fand mich am Tempel auf meiner Bank, setzte sich zu mir, und ich machte ihm Vorwürfe darüber, daß er uns von hier vertreiben wolle, denn ich hatte gehört, daß du ihm so verschuldet seist, daß keine Rettung möglich ist, wenn er hart sein will!«

»Und weiter, was sagte er?« fragte Cecile hastig.

»O, er versuchte sich erst zu verteidigen«, rief Luise, glücklich darüber, daß der gefürchtete Zorn nicht gekommen war, »als ich ihm aber von all unsern Lieblingsplätzen erzählte, die wir nun verlassen sollten, stockte er und dann … dann küßte er meine Stirn und versprach, daß … mir zuliebe noch alles gut werden solle.«

» Dir zuliebe! Sieh doch!« versuchte die Gräfin zu scherzen. »Und geküßt hat er dich? Du hast am Ende doch auch schon hinter meinem Rücken gewählt! Was meinst du zu Herrn Tetarskoff? Nun, werde nicht rot und erschrick nicht, weil du ertappt bist, ich wüßte dir in der That keinen besseren Mann vorzuschlagen.«

»Du glaubst doch nicht …« brach Luise voller Angst aus.

»Ich glaube nicht, daß du dich so weit vergessen hast, ihm etwas zu versprechen, worüber du nicht zu entscheiden hast; dazu kenne ich dich hinlänglich, mein gutes Kind, aber ich bin überzeugt, daß du die Hand dazu bieten wirst, wenn er dir zuliebe ›alles gut machen will‹. Nicht wahr, das wirst du thun?«

»Aber wie soll ich denn helfen, was soll ich thun?« jammerte das unglückliche Mädchen.

»Du kannst sein Benehmen unmöglich mißverstehn. Er wird um deine Hand anhalten und dann alles wie zwischen Verwandten arrangiert werden. Du hast also neben einem Manne, der dich liebt und verehrt, noch das besondere Verdienst, den alten Besitz deiner Vorfahren, den wir nicht durch unsre Schuld zu verlieren im Begriffe standen, erhalten zu haben. Du mußt sehr gut sein, mein Kind, um so viel Glück zu verdienen.«

Die Wahrheit läßt sich oft so verwenden, daß sie die Dienste der Falschheit leistet. Es war nichts wesentlich Unwahres in dem, was die Gräfin gesagt hatte, und doch war die Spitze von allem, der Schluß, kaum etwas anderes als eine listige Umgarnung der gesunden Sinne, eine Einschläferung gesunder Gefühle. Das grobe Unrecht lag darin, daß Cecile gegen ihre innerste Überzeugung sprach, daß nicht Mutterliebe, sondern ihr schlau durchdachter Plan sie leitete. Sie hatte den Akt selbst getauft; sie opferte ihr Kind ihrer sozialen Stellung. Muß eine Stellung, die zu Unnatürlichkeiten veranlaßt und oft nur durch solche zu halten ist, nicht selbst unnatürlich sein? Wer aber meint, daß derartige Mütter selten sind, der ist fremder in der Gesellschaft als Cicero bei den Eskimo.

Luise war zusammengeknickt, trotz ihrer Hoffnungen drückte sie die Möglichkeit, die ihr hier als gräßliche Gewißheit in Aussicht gestellt wurde, zu Boden.

Da meldete ein Diener plötzlich Herrn Tetarskoff. Luise zuckte wie von einem elektrischen Schlage getroffen vom Teppich empor und sah ihrer Mutter totenbleich ins Gesicht.

»Du darfst gehn, mein Kind, du siehst zu alteriert aus. Bade dein Gesicht in Orangenwasser! Geh!«

Sie schwankte hinaus. Als sie an Tetarskoff vorüberkam, ließ sie ihn einen Augenblick ihre thränennassen Wangen sehn und faltete mit dem Ausdrucke des heißesten Flehens die Hände. »Machen Sie mich nicht elend!« hauchte sie.

»Vertrauen Sie mir, ich habe mehr Macht als Sie ahnen können!« gab er zurück. »Wehe dem, der Sie kränkt!«

Daß Luise dem Anscheine nach ihren Plan so vortrefflich unterstützte, hatte Ceciles Züge fast ganz aufgehellt. Sie hielt nun, wie sie glaubte, die Zügel, mit denen der Löwe gebändigt werden konnte, und hatte damit den Löwen selbst in der Gewalt. Ihr Gesicht bot wieder ganz das Bild jener unerschütterlichen Ruhe, welche ihre Erscheinung so imposant machte.

Sie kam Tetarskoff einige Schritte entgegen, fragte ihn, ob der gestrige Unfall keine Folgen gehabt, ob der Park von Hehlenried seinen Beifall habe, kurz, eine Menge von Dingen, die ihre völlige Unbefangenheit verriet, und die er nicht anders als verbindlich oder dankend beantworten konnte.

Es war zum erstenmal, daß er die Zimmer der Gräfin betrat; er konnte sich nicht enthalten, einen prüfenden Blick ringsherum zu senden und die tägliche Umgebung der Dame mit Interesse zu mustern. – Von den hundert Arten, sich über den Charakter eines Menschen nach äußeren Merkmalen zu täuschen, ist die Zimmerphysiognomik nicht die schlechteste, und man kann für gewiß annehmen, daß das Temperament, die Neigungen und Wünsche der Menschen sich in der Wahl, der Anordnung, Stellung und Richtung des Hausrates mehr und lebhafter äußern, also auch deutlicher erkennen lassen als durch alle Schädelhügel, die man entdeckt hat und noch entdecken wird. Ihre Feinheiten und Wolfsgruben hat diese Wissenschaft freilich wie jede andere. Die Arbeitsstube eines Herrn zum Beispiel, die in allen Stücken gradlinichte, triviale Ordnung, rechte Winkel und registergemäße Aufstapelung alles Nutz- und Studienapparates zeigt, läßt für den Bewohner mit unerschütterlicher Gewißheit auf einen Mangel an Einheit, eine Konfusion im Kopfe und die gänzliche Abwesenheit eines leitenden Gedankens schließen. Künstliche Unordnung, deren Absichtlichkeit leicht daraus zu erkennen ist, daß an all den verschobenen übereinander gestürzten Büchern, Kupferstichen und Nippes kein Stäubchen hängt, verrät im Zimmer einer Dame jene Koketterie, die sich nicht mehr auf die Reize des Körpers allein verlassen kann und deshalb eine Schaustellung von Geschmack und Talenten zu Hilfe ruft. Eine Verbindung von Luxus und Eleganz endlich, deren Zweck aber augenscheinlich nur ist eine einheitliche, freundliche Umgebung zu schaffen, die ihr höchstes Ziel, die eigentliche Befriedigung, in der Bequemlichkeit findet, ist ein sicheres Zeichen von dem Attizismus des Besitzers. Auch die massivste Pracht kann an solchem Orte nicht plump erscheinen und stören, denn sie tritt nie ostensibel auf, sondern ist so geschickt verteilt, daß sie allenthalben notwendig erscheint. Ebenmäßig modellierte Kolosse machen durch das Gleichgewicht ihrer Formen nicht einen zermalmenden, sondern angenehmen Eindruck, – und so ist es dort eben auch. Schwanthaler, der uns leider zu früh Entrissene, zeigte dem Verfasser in der Gießerei in München das Modell seiner kolossalen Bavaria. Ich war erstaunt, die Riesin nicht so riesenhaft zu finden als ich erwartet hatte. »Sie sagen mir damit das beste, was ich hören könnte!« antwortete er und ließ mich nun an den Zehen das Maß für die Verhältnisse nehmen. Der Koloß war wirklich ein Koloß, aber ein schöner, ebenmäßiger.

Was der Geschmack aus Möbels, Luxusgegenständen, Kunstsachen und Blumen zwischen vier Wänden zusammensetzen kann, bewies das mäßig große Gemach, in dem Cecile Tetarskoff empfing. Es war ihr Heiligtum. Wenige ihrer gewöhnlichen Gäste konnten sich rühmen, ihren Fuß auf den persischen Teppich dieses Zimmers gesetzt zu haben, wenn Cecile in Hehlenried war. Aber sie sah es nicht ungern, wenn in ihrer Abwesenheit jemand seine Neugierde befriedigte und, wie sie zu sagen pflegte, »mit einem Munde voll Bewunderung« von dannen ging. In der Galerie gab sie das von ihren Schätzen preis, was auch dem Haufen gefiel, für sich aber bewahrte sie jene kleinen, nicht blendenden Kabinettstücke, deren Reize man nur durch vertrauten Umgang mit ihnen in vollem Maße würdigen lernt. Ihre Raritäten waren nicht mißformige Kuriosa, chinesische Wurzelmännchen und Fratzen aus Chili und Peru, sondern edelgestaltete antike Gerätschaften und Werke der Kunst aus allen Zeiten. Auf einem Tischchen, das in eine Nische paßte, von deren schattigem Hintergrunde sich die Mediceische Venus, in verjüngtem Maßstabe von weißem Marmor ausgeführt, abhob, stand zwischen Arbeiten von oxydiertem Silber und Bronze unter einer Glasglocke die Gruppe der heiligen Cäcilie, die zu schildern wir schon früher Gelegenheit hatten.

Tetarskoff bemerkte sie und wurde von dem Schnitzwerke wie von einem Magneten angezogen. Cecile folgte der Richtung seiner Blicke, und da sie glaubte, die Venus feßle ihn, nannte sie einen Italiener als den Meister der Statue.

»Und dies, von wem ist diese kleine Arbeit?« fragte er mit auffallend bewegter Stimme, indem er nach dem Elfenbein unter der Glocke zeigte. »Wie kommt dies Stück in solche Gesellschaft?«

»Nun, ich meine, daß es sich neben den andern Dingen wohl sehn lassen kann, und es hat sicher nur an dem Willen des Schnitzers gelegen, wenn es ihm nicht gelungen ist, sich neben den besten Künstlern unsrer Tage genannt zu hören und jeder Gesellschaft Ehre zu machen. Er lebte einige Zeit hier im Dorfe, und ich gab mir vergebens Mühe, ihn in eine seinem Talente angemessene Karriere zu lancieren. Unten in der Kapelle sehn sie noch eine Arbeit von ihm, die er zum Teil selbst, zum Teil ein anderer noch seiner Zeichnung ausgeführt hat. Ich weiß leider nicht, was aus ihm geworden ist; er verlor hier seine Frau und schien mir darüber geistig zerrüttet worden zu sein. Diese Frau, wie überhaupt das zu frühe Gründen einer Familie für Männer so oft hindernd ist, trug offenbar die Schuld an seinem Untergange als Künstler. Er mußte ihrethalben erwerben in einer Zeit, die er noch hätte auf seine Bildung verwenden können. Freilich machte er aus der Not eine Tugend und sprach schon damals, vor mehr als zwanzig Jahren, Ansichten aus, die heute durch die Sozialisten laut gepredigt werden. Bei Hennings, so hieß er, erschien mir diese Geistesrichtung als ein Resultat seines ganzen Seins, ich hörte ihn also ungleich lieber als die Menge von heute, die nur eine Mode mitmacht. Ich hatte lebhaftes Interesse an ihm und beklage noch heute, daß er so spurlos verschwand, wie ich beklage, daß er verheiratet war. Männer können immerhin etwas reif sein, wenn sie eine Frau nehmen … Sind Sie nicht auch dieser Meinung?«

»Ich hätte allen Grund, Ihnen beizupflichten, da Sie mich wohl mindestens für reif gelten lassen, wenn ich nicht grade deshalb fürchten müßte, daß Sie mir nur etwas Angenehmes sagen wollten. Sie würden doch, jenseits der Theorie, falls Sie Ihre Tochter zu vergeben gedächten, einen jüngeren Mann einem älteren vorziehen.«

»Kaum, wenn nicht ganz besondere Gründe mich dazu bestimmten. Es ist meine feste Überzeugung, und sie ist durch meine Lebenserfahrung unerschütterlich geworden, daß ein anfangs fast väterliches Verhältnis des Mannes zur Frau die beste Basis dauernder Übereinstimmung in der Ehe ist. Die Frau verjüngt den Mann, und dieser reift die Frau. Wie die Luft eines Zimmers durch das Öffnen eines Fensters mit der äußeren in Verbindung tritt und sich dann allmählich das richtigste Gleichgewicht zwischen beiden Schichten herausstellt, so ist es mit der Vereinigung zweier Menschen auch. Junge, gleichberechtigte und gleich stürmende Leute bleiben immer nur nebeneinander und können sich darum auch trennen; der Mann, der älter ist als seine Frau, glaubt ihr nie genug dafür danken zu können, daß sie ihm ihre Jugend gegeben, und hält sie darum hoch, sie fühlt sich gehoben und schmiegt sich mit glücklichem Vertrauen an ihn: diese beiden werden Eins.«

»Und ohne alle Klausel wollen Sie diesen eigentümlichen Satz, der den gewöhnlichen Annahmen so schroff widerspricht, aufrecht erhalten?« fragte Tetarskoff, in dem ein neuer Gedanke aufzusteigen schien, nachdenklich und lebhaft zugleich.

»Nur die einzige mache ich, daß der Mann ehrenhaft und gebildet genug ist, ein Weib zu schätzen und es nicht durch Mißtrauen und Eifersucht in eine falsche Bahn zu reizen. – Die Gewohnheit beherrscht uns ja immer, und eine verständige Hand hat es so leicht die Gewohnheiten eines jungen Mädchens zu regeln. Je jünger die Frau ist, desto leichter gelingt es, ein glückliches Ende herbeizuführen. – Sie meinen, daß mir überall widersprochen wird, aber wer thut es? Romanenschreiber, die das Leben nicht kennen und ewig von dem erzählen, was sein soll. Ideale Zustände lassen sich am Schreibtische ausrechnen, für die Welt der Träume tragen wir einen Kompaß in uns, der ohne Abweichung nach der Natur zeigt und nur in natürlichen Verhältnissen das Begehrenswerte findet, – aber die Gesellschaft ist einmal da, und tritt man mit dem Kompasse in der Brust unter das Treiben der Menschen, so springt die Nadel wild nach allen Richtungen. Es ist überall Natur, aber sie ist nirgend festgehalten und natürlich gelassen. Die Erfahrung in der Gesellschaft beweist meine Behauptung, sobald Sie nur meine Klausel stehn lassen; die Romanenschreiber, die sich die brotlose Aufgabe stellen, die Falten aus dem Gesichte der Welt wegzuglätten, müssen erst alles Bestehende wegleugnen und ganz außergewöhnliche Thatsachen in Konflikt bringen, ehe sie Argumente für ihre Theorien plastisch darstellen können. Lebten wir in romantischen Tagen, thäten die Menschen, was man sie in Romanen thun läßt, so hätte ich unrecht, – jetzt aber habe ich recht.«

Tetarskoff ließ sie reden und folgte ihren Worten mit den Augen fast ebenso aufmerksam als mit den Ohren. Als sie geendet hatte, lauschte er noch eine Zeitlang still, als wolle er den Nachhall, den Widerhall in seinem Inneren vernehmen. Ein Bild, das offenbar freundlich sein mußte, dämmerte in seiner Brust herauf, er konnte sich das Vergnügen nicht versagen, es lang' und innig zu betrachten. Seine Lider sanken herab, aber seine Lippen lächelten und bewegten sich flüsternd. Er sann in wachem Traume vor sich hin, und das erste Wort, das er vernehmlich aussprach, war: »Luise …«

»Sie sahen meine Tochter heute schon!« sagte Cecile und kleidete ihr Gesicht in ein feines, vieldeutiges Lächeln.

Tetarskoff erschrak und fuhr aus seinen Träumen auf. »O, Luise ist ein reines, liebliches Kind, sie ist wie ein Tautropfen hell und ungetrübt, es hat mich nie ein Wesen so erfrischt wie sie«, sagte er dann.

»Und sonderbar genug, es ist niemand im stande gewesen, dies Kind so mitteilsam zu machen als Sie. Es hielt unglaublich schwer, Luise zum Sprechen zu bewegen, ich glaubte lange Zeit ihre geistige Entwicklung habe der körperlichen nicht das Gleichgewicht gehalten, denn selbst mit mir oder ihrem Vater war sie schweigsam und schien nie recht zu verstehen, wovon die Rede. Nun kommen Sie, und die scheue Person gibt sich Ihnen vom ersten Augenblicke an mit einem Freimut, einer Offenheit, die mich staunen macht. Baron Craw, der Herr der gestern abend die konfuse, händelsüchtige Rede über die Orden hielt, und der mit Ihnen ritt, – ich hatte schon das Vergnügen Sie mit ihm bekannt zu machen, – war so gütig, in den letzten Jahren den Unterricht meiner Tochter zu leiten und besitzt ihr volles Vertrauen, aber ich bin überzeugt, daß er es nie dahin gebracht hat, sie aus ihrer Ruhe zu hetzen. Seit jeher war Luise auffallend schüchtern und schon in ihrer frühsten Jugend jedem fremden Gesichte gram … Sie müssen gesehn haben, wie sehr es uns alle überraschte, als sie am ersten Abend, Sie waren kaum angekommen, schon wagte Ihnen mit einer gewissen Festigkeit zu begegnen, die ganz entschieden zeigte, daß sie Vertrauen zu Ihnen habe. Craw war ebenso erstaunt als ich, und wie gesagt, Baron Craw, ihr Lehrer, ist außer meinem Manne und mir der einzige Mensch, der sich rühmen darf, ihre Anhänglichkeit zu besitzen.«

»Ich meinte, daß ein näheres Verhältnis zwischen ihnen bestände«, sagte Tetarskoff zögernd.

»Nein, das mag ich verbürgen. Craw würde sein Leben für meine Tochter einsetzen, er hat sie lieb, wie ein braver Bruder wohl mitunter seine Schwester lieb hat, aber auch eben nur wie eine Schwester. Er sagt Ihnen das selbst, denn er gehört zu den seltnen Menschen, die sich für zu gut halten, irgend etwas nicht zu sagen, was sie denken. Craw hat nur Eine Leidenschaft für eine Person, aber diese ist ausgebildet und kristallisiert, – er liebt niemand als Herrn Heeren. Tasten Sie in schlimmer Absicht Luise an, so ist er gewiß im Augenblicke da, Sie zur Rechenschaft zu ziehn; werfen Sie aber Heeren nur einen scheelen Blick zu, so haben Sie sofort die ganze Lauge seiner Satire auszubaden. Zur Frau will er Luise nicht, ich hätte sie ihm sonst gern gegeben; sie paßt nicht für ihn, er ist zu klug, sie zu nehmen. Ich hätte ein Mädchen für ihn gewußt, das seinen Geistessprüngen folgen konnte, aber … Nun, lassen wir das! – Craw hat eine Menge wunderlicher Eigenschaften und fast keine Tugend im üblichen Sinne, aber er ist doch edel bis zur Nagelprobe. Ihm fehlt nichts als eine Frau, die ihn fixiert, die ihm an Humor überlegen ist und ihn darum durch einen Scherz über sich selbst zu bringen vermag. Luise und er, das ist alles, was ich habe: Sie können also denken, wie gern ich aus ihnen ein Paar gebildet hätte, wenn sich's thun ließe. Aber ihn würde sie nicht ergänzen, und sie hat zu viel Scheu vor ihm, als daß sie durch ihn frei werden könnte … Kennen Sie meine Tochter Clarisse, mein verlorenes Kind …?«

Tetarskoff sah ihr sprachlos ins Gesicht.

Sie glaubte seine Bewegung zu verstehn und fuhr fort: »Es ist wahr, Sie können davon nichts wissen. Ich hatte noch eine Tochter, die mir auf schändliche Weise entrissen worden ist. Hätte ich sie jetzt noch bei mir, so würde es mir überaus leicht meine Wohnung irgendwo anders aufzuschlagen, wenn meines Bleibens hier nicht mehr ist. Craw wäre mit mir gezogen, denn er hätte Clarisse haben müssen, für Luise hätte sich vielleicht hier oder drüben ein passender Mann gefunden, Hugo hätte mich entbehren können, ich ihn, ich glaube Amerika würde uns eine glückliche Heimat geboten haben. Ist man mit denen, die man gern hat, aus dem alltäglichen Strudel herausgetreten, so kann es nicht schwer werden, ein neues Leben zu beginnen. Mir wenigstens zeigt der Gedanke nichts, was nicht zu überwältigen ginge.«

»Und daran dachten Sie wirklich?«

»Meinen Sie, daß es so schwer sei eine Buße auszubeuten? Sowie ein Fall eintritt, der mich zwingt irgend eine Stellung zu nehmen, so nehme ich sie. Ich würde mich ja aber selbst quälen, wenn ich nicht ein wenig Freiheit des Geistes, ein wenig Heiterkeit mitbrächte. Ich überrede mich dann, daß ich's selbst nicht anders gewollt, und habe guten Mut. Mein Auswanderungsprojekt ist mir nur darum nicht recht, weil Luise zu zart und in der That auch nicht über Europa hinaus ist. Es müßte sie etwas hinüberziehen, sie müßte jemand zuliebe von hier fort gehen.«

Obgleich sie mehr gesagt hatte, als berechnet war, kam sie doch immer wieder auf ihr Vorhaben zurück und betonte Luise weit mehr, als sie es in Wahrheit fühlte. Sie war der Unterwürfigkeit ihrer Tochter so gewiß, daß sie wenig oder keine Rücksicht genommen hätte, wenn es ihrem Kinde beliebt, irgend eine Sympathie oder Antipathie zu äußern. – Tetarskoff war in der Lage, die rechte Interpretation für ihre Entschlossenheit nur so weit zu finden, als Luise nicht in Rechnung kam, er fand also nur einen Grund mehr die Gräfin zu bewundern, wenn ihm dazu der Gedanke an das liebe, frische Kind noch irgend Zeit ließ. Luise konnte die Verstellung nicht kennen, und daß sie Zutrauen zu ihm gefaßt hatte, lag auf der Hand. Wie groß aber dieses war, erfuhr er erst hier von der Gräfin; war es nun wirklich möglich, daß dies Gefühl einen Charakter habe oder annehmen könne, wie ihn ihre Mutter verteidigte? Ihm war seltsam ums Herz. Sollte er den Plan, den er beim Anblicke Luisens geformt, aufgeben, sollte er selbst noch einmal jung werden? Blühte auch ihm noch eine eigne Zukunft? Warum ging denn Luise vor ihm auf, warum klammerte sie sich unbefangen an ihn? Unwillkürlich warf er einen Blick in den Kaminspiegel, um dort Aufschluß für das Rätsel, Antwort auf seine Frage zu erhalten. Der Anblick seines durchfurchten Gesichtes erschreckte ihn erst, dann faßte er sich zwar wieder, aber er fühlte zu lebhaft, daß es ihm nicht mehr zieme, jugendlich rasch zu sein, als daß er gesprochen hätte ohne zu prüfen, wo jedes Wort eine unwiderrufliche That war.

»Ist Gräfin Luise stets in Ihrer Nähe?« fragte er. Aber indem er das Wort »Gräfin« aussprach, zuckte sein Gesicht, diesmal wie von einem überaus peinlichen Gedanken berührt. Die Abspannung folgte der Spannung auf dem Fuße, hätte er jetzt in den Spiegel gesehn, so hätte er mehr Grund gehabt, sich zu entsetzen als vorhin, denn um seine Lippen lagerte wieder sein stereotypes Hohnlächeln, das um so abschreckender aussah, als es jetzt ihm selbst zu gelten schien.

»Ich lasse meiner Tochter gern alle Freiheit. Das ist ja das Schöne am Landleben, daß wir uns jeden Augenblick frische Luft und gesunde Kühle holen können. Sie war sehr schwächlich, viele Bewegung, Luftbäder und das Arom des Parkes haben aus ihr gemacht, was sie ist. Aus Gewohnheit und Liebe zum Freien ist sie denn auch fast den ganzen Tag im Park zu finden, ich mußte sogar Stunden festsetzen, zu denen sie sich bei mir einzufinden hat, sonst bliebe sie den ganzen Tag draußen. Die Bank unter dem Tempel, wo sie heute mit Ihnen zusammentraf, wie sie mir sagte, ist ihr Lieblingsplatz.«

War das eine Weisung für Tetarskoff, oder wie sollte er es verstehn? Sein Gesicht hellte sich wieder auf, er wußte nun wenigstens, wo er Luise finden konnte.

»Sie sagen, daß an Ihrer Tochter mein Einfluß wirksam sei, und ich fühle, daß sie einen unerklärbaren Eindruck auf mich gemacht hat; ich will sehn, daß ich sie wieder in ihrer Einsamkeit überrasche, vielleicht enträtselt sich mir bei häufigerem Verkehre der Zauber, wenn ich ihn auch um alle Welt nicht bannen möchte.«

Er sagte das, um aus Ceciles Instruktionen, – denn sie gab Luise deren gewiß, und er konnte sie ebenso gewiß aus dem Benehmen des Mädchens erraten, – heraus zu spüren, ob und wie sie ihn verstanden, und wie sich ihre »zufällig« ausgesprochene Theorie zur Praxis verhalte. Ihm war trotz alledem wirr und jung, man hatte sich seiner bemächtigt, ehe er etwas dagegen thun konnte. An eine Absicht in alledem, was die Gräfin gesagt, dachte er nicht, im Gegenteile hoffte er günstigen Falls das, was die Gräfin ihrerseits für eine Schlinge ansah, als Waffe gegen sie brauchen zu können. Im Augenblicke wußte weder sie noch er recht, wer in des anderen Hand sei.

Da er jene Worte im Aufstehen gesprochen, erhob sich Cecile gleichfalls und entließ ihn mit dem Vorgefühle eines Triumphes, von dem sie nur bedauerte, daß er gar so leicht errungen worden. – Was Tetarskoff anbelangt, so wäre es schwer gewesen, einen Namen für seine Gemütsstimmung zu finden. Diese eine Stunde hatte zugleich einen Schleier um seine Augen gebunden und neue Aussichten eröffnet. Die Vergangenheit, mit der er bisher allein korrespondiert zu haben schien, war versunken und verwischt, an der Stelle der Feuerzeichen, die den Untergang einer Sonne verkündeten, und die jene unauslöschlichen Furchen in seine Stirn gebrannt haben mochten, war tiefe Grabesnacht getreten, aber gegenüber kam ein Lichtschein herauf wie die Dämmerung einer neuen Zeit. Er schritt durch die Gänge hin, gesenkten Hauptes, demütig und gedrückt fast, und doch löste sich ein Panzerring nach dem andern von seinem Herzen ab, die ungeahnte Glut schmolz das Eisen heraus, und er hätte jubeln können.

»Bin ich denn ein Kind geworden?« murmelte er. »Kam ich mit dem Schwerte der Rache hierher, um mich für ein Myrtenkränzchen kaufen zu lassen? – Darf ich's annehmen, selbst wenn es mir geboten wird? Gertrud, Clarisse, Cecile, Gutes und Böses, was ich euch gethan, gleicht Luise das alles aus? Versöhnt sie auch, was gesündigt worden, ehe wir waren? Luise, Luise …!« rief er dann, »ich bin wahrhaftig ein Kind!«

»Bewahre der Himmel!« sagte eine Stimme neben ihm, »Sie sind alt genug, um nicht mehr auf dem Korridor eines alten Hauses Mädchennamen auszurufen wie man Pickelheringe und Flunder ausschreit. Die Mädchen im allgemeinen, und Luise Hehlen insbesondere brauchen und sollen nicht feilgeboten werden, lieber Herr Tetarskoff, das können Sie im Pater Abraham a Sancta Clara nachlesen, wenn Sie nicht lieber in ein anderes Buch sehn wollen.«

Der Redende war Craw, der Tetarskoff in dessen Vorzimmer erwartet, bei der Näherung seiner Schritte die Thüre geöffnet und seine Ausrufe gehört hatte.

Der Angeredete sah ihn mit großen Augen an.

»Kommen Sie nur erst hinein!« sagte Craw und führte ihn in den Salon. »Nein, mein alter Herr«, fuhr er fort, »Sie sind kein Kind, wenigstens thäte es mir sehr leid, wenn Sie die Unterscheidungsjahre noch nicht erreicht hätten und darum auch nicht wüßten, was ein Schurkenstreich ist.«

»Mein Herr …!« sagte Tetarskoff.

»Mäßigen Sie sich! Es gibt eine viel leichtere Art, mir zu beweisen, daß Sie kein Kind, kein Narr und kein Schurke sind, eine viel leichtere als alle Exklamationen in der Welt, zumal die Natur Sie mindestens sechs Zoll zu kurz geschaffen hat, wenn Sie ein veritables Ausrufungszeichen sein sollten. – Es handelt sich übrigens hierbei weder um Sie speziell, noch um mich. Beantworten Sie mir einfach die Frage: Was haben Sie mit Luise Hehlen vor? … O, Sie wollen nach meinem Rechte fragen? Als wenn Männer wie ich überhaupt kategorische Fragen stellten, wenn sie nicht dazu berechtigt sind!«

Tetarskoff biß die Zähne übereinander. Der Augenblick war für ihn übel gewählt, er war ohnehin in größter Aufregung und durch Craws Sprache noch dazu dermaßen gereizt, daß er seine Sinne kaum beherrschen konnte. Eine Heftigkeit ohnegleichen flammte in ihm auf, seine Fäuste ballten sich zusammen, sein Gesicht ward fahl, und seine Augen unterliefen mit Blut.

»Wer sind Sie?« rief er wütend, »daß Sie es wagen, mir auf diese Weise nahe zu treten, was kümmert Sie mein Vorhaben? Sind Sie mein oder Luisens Vormund? Was wollten Sie dagegen haben, wenn ich das Mädchen zu meiner Braut, zu meiner Frau machte? Sie werden mir Rechenschaft geben, Herr, für die Frechheit, mit der Sie es wagen, in einem fremden Hause, in meinem Zimmer Worte zu brauchen, die ich nie gehört, und die ich nie geduldet hätte!«

»Zu uns später und nach Belieben«, sagte Craw, den der Ausbruch gar nicht in Erstaunen setzte, ja es schien, als habe er ihn absichtlich hervorrufen wollen.

»Es ist unschwer, Ihre Wünsche und Bestrebungen in dieser Beziehung richtig zu würdigen, da Sie in solcher Weise herauspoltern. Gefühle und dergleichen Schnickschnack kümmern Sie nichts, Sie sind Ihrer Sache gewiß, ja so gewiß, daß Sie sofort ihren besten Trumpf ausspielen … Nun, wir wollen sehen, ob er sich nicht stechen läßt; in zehn Minuten soll's entschieden sein. Auf Wiedersehn! Herr Bräutigam in partibus!«

Er eilte hinaus, ehe Tetarskoff etwas entgegnen konnte, und dieser stand der Thüre gegenüber aufrecht da, immer noch von Wut zitternd und fassungslos über den Ton, den Craw angeschlagen, und der durch die darin mitklingende Mokerie die Beleidigungen noch gewichtiger machte. Craw wollte ihn in diesen Zorn hetzen, ihm lag daran, ihn überlegungsunfähig zu machen, damit er seine Empfindungen nicht verbergen könne.

»Sei nur recht barsch und starr«, sagte er Richard, mit dem er raschen Schrittes wiederkam, »du sollst sehn, daß er zusammenknicken und endlich doch beichten wird. Es gibt eine wilde Szene, aber ich weiß, wie sie endet. In dieser Stunde entscheidet sich das Schicksal der Hehlen für die nächste Generation.«

Hinter ihnen trug Craws Diener einen kleinen Kasten von Palisanderholz, reich eingelegt, den ihm Craw im Vorzimmer abnahm. Dann sagte er ihm, daß er seiner nicht mehr bedürfe, und verschloß die Thüre.

Heeren grüßte beim Eintritte kalt und stellte sich, ohne weitere Notiz von Tetarskoff zu nehmen, der ihn mit einem Gemisch von Staunen und Verwirrung betrachtete, seitwärts an einen Tisch, an dessen Platte er sich lehnte. Craw öffnete den Kasten und nahm zwei Pistolen heraus, die er kaltblütig lud. Dann maß er von einer Ecke des Zimmers zur andern und sagte: »So geht es, die Distance paßt. – Ich sagte Ihnen,« wendete er sich zu Tetarskoff, »daß ich erst später das Vergnügen haben könnte, d. h. erst wenn Sie zufällig meinen Freund Heeren erschossen haben sollten, der es sich nicht nehmen lassen kann, der erste zu sein, der mit Ihnen abrechnet. Zeugen scheinen mir überflüssig, die Herrn werden damit einverstanden sein. Wählen Sie die Waffen, treten Sie an ihre Plätze und geben Sie aufs Kommando nach Belieben Feuer. – Ist es gefällig?« Er präsentierte Tetarskoff in der einen Hand die Pistolen, in der andern eine Anzahl Zündhütchen.

»Aber was soll die Komödie?« rief Tetarskoff und stieß die Waffen zurück. »Welcher Wahnsinn, daß ich mich mit Richard schießen soll? Wo ist der Grund dazu …?«

»Ich bin kein Freund des Duells, es kommen aber Fälle vor, und der vorliegende ist ein solcher, wo zwei Menschen unmöglich nebeneinander leben können. Sie kommen hierher und benutzen die Lage, in der sich die Familie befindet, dazu Herrn Heeren, einem Menschen, dem Sie aus irgend einem Grunde viel Gutes gethan haben, alles zu nehmen, was ihm das Leben lebenswert machen kann. Sie sind also quitt und mehr als quitt …«

»Sind Sie toll geworden, oder was ist's mit Ihnen! Es ist unmöglich, daß ich mich mit Richard schieße, hätte ich auch all das gethan, was Sie mir vorwerfen …!«

»Ich bin vollkommen ruhig, Sie sind der Erhitzte, sonst würden Sie begreifen, daß Sie sich grade mit Herrn Heeren schießen müssen!«

»Das ist ein Wahnsinn ohnegleichen! Richard ist mein Sohn!« rief er außer sich.

Heeren machte eine Bewegung, hielt aber auf einen Wink Craws an sich.

»Mag sein«, fuhr Craw unerschütterlich fort. »Einem Menschen das Leben geben, das ist eine unbedeutende Zufälligkeit; einen Menschen unglücklich machen, das ist aber eine That, für die man verantwortlich ist. Lassen Sie diese Sentimentalität beiseite, sie steht Ihnen schlecht. Erinnern Sie sich nur Ihrer Ansichten über Familienzusammenhang, die ich in Paris nicht niederkämpfen konnte. Ist Heeren Ihr Sohn, so sind Sie es, der ihn zu einem Fremden erzogen hat, Ihr System trägt Früchte, Sie haben den glänzendsten Triumph und müssen sich unendlich geschmeichelt fühlen, Ihren eignen Sohn mit der Pistole sich gegenüber zu sehn. Das ist Konsequenz, weiter nichts!«

»Bei Gott, der Mann ist wahnsinnig!« rief Tetarskoff und schritt auf Heeren zu, der trotz den Aufmunterungen Craws bleich und schwankend an seinem Platze stand.

»Schießen Sie immerhin nach mir«, stammelte er. »Es ist nun gleichgültig genug, wo und wenn ich bleibe. Väterlich waren Sie gegen mich nie, warum sollten Sie nicht feindlich sein können? Baron Craw berichtete mir schon heute früh, daß Sie mein Vater wären, daß Sie wie ich einen falschen Namen führten, und daß Sie endlich Gräfin Luise durch die Macht Ihres Geldes in Ihre Hände bringen wollten.«

»Aber Luise …?«

»Ich liebe sie, und sie liebt mich … wie ich glaube!«

»Also doch, doch! O, nun verstehe ich! Und ihr liebt einander? Wunderliches Spiel des Zufalls! Wie sich das alles zusammendrängt, besser als ich's gehofft und vielleicht gewollt … Ach, wenn ihr wüßtet, ihr jungen, heißen und gewaltthätigen Menschen, was mir Hehlenried ist … Hast du die Papiere gefunden, Richard, hast du sie?« rief er plötzlich seinen Gedankengang unterbrechend dazwischen. Dann fuhr er wie im Traume fort: »Richard liebt Luise, sie ihn, dann brauchen wir schlimmsten Falls nichts mehr, nichts, auch die Papiere nicht. O, wie ungerecht seid ihr gegen mich gewesen, wie grausam … Ich wollte Luise ja für Richard, und der Gedanke sie selbst zu behalten ist nicht mein, er wurde mir erst jetzt, erst vor einer Stunde eingeflüstert, – und ich war blind. Warum waret ihr nicht offen, warum thatet ihr mir so weh? Ich habe gelitten und gekämpft mein lebenlang, warum lehnen sich auch meine Kinder noch gegen mich auf?«

»Das mag wohl verdient sein«, sagte Craw, der seinen Ton noch immer nicht umstimmte. »Sie finden nun unnatürlich, was Ihnen doch früher ideale Natur schien, und was in der That nichts als natürliche Folge Ihrer Maßregeln ist. – Die Pistolen werden wir allerdings nicht mehr brauchen, es sei denn, daß Sie glaubten, meine Tour sei jetzt gekommen.«

»Junger Mann, ich mag verdient haben, was gekommen ist, und ich will Ihnen vergeben, wie ich weiß, daß Sie mich gerechtfertigt finden werden, wenn ich Ihnen Licht über mich und die Lage der Dinge gebe.«

»Das soll mir eine Wohlthat sein, aber ich fürchte es hält schwer. Nehmen Sie indes hier mein Kontingent als vorläufigen Dank dafür, daß Sie mir einen Menschen retten wollen. Finden Sie eine Entschuldigung für die heillose Verwirrung Ihrer Grundsätze, so haben Sie meinen Dank verdient.« Er zog aus seiner Tasche ein Päckchen in rauhes Leder gewickelt, bei dessen Anblick Tetarskoff laut aufschrie und sich mit einer Freude darauf stürzte, die kein Maß kannte. Er riß mit zitternden Händen die Bänder auf, las ein Blatt nach dem andern hastig durch, und als er zu Ende war, sank er überwältigt auf einen Stuhl zurück, preßte seine Hände vor das Gesicht und schien völlig bewußtlos geworden zu sein.

»Nun glaub' ich in der That, daß er etwas aufzuklären hat, denn diese Papiere weiß ich trotz allen meinen Notizen nicht in Zusammenhang mit dem Drechsler Hennings zu bringen«, sagte Craw.

Richard war zu Tetarskoff herangetreten, seine neue Stellung zu diesem setzte ihn in Verlegenheit, er war unschlüssig, was er thun solle. Die Eröffnungen, die Tetarskoff im Fluge und halb gemacht hatte, stimmten ihn weich, und doch fand er keinen Ausdruck für sein Gefühl.

Tetarskoff kam wieder zu sich und erhob sich ruhig und mit einer gewissen Würde. Seine rechte Hand lag auf den Papieren, die linke auf Richards Schulter.

»Du sagtest, daß ich einen falschen Namen führe, und du hattest recht; aber mein Name war so lang' gleichgültig, als ich selbst den rechten nicht wußte oder ihn doch nicht nachweisen konnte. Jetzt kann ich's, hier liegt der Beweis. Jetzt gibt es in meiner Geschichte keine Lücke mehr, und ich vermag dich und alle zufrieden zu stellen. – Du bist kalt gegen mich, mein Sohn, ich verlange auch nicht, daß du mich liebst, bis du mich freisprechen kannst, und um dies möglich zu machen, muß ich dir eine lange Reihe von Dingen erzählen, die ich selbst nur mühsam zusammenbringen konnte. – Bleiben Sie hier, Baron Craw. Nehmt euch Stühle, denn meine Erzählung läßt sich nicht in drei Worte fassen. Urteilt erst, wenn ihr mich gehört.«

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