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Viertes Kapitel.

Ein Morgen im Schloßpark. Der Setzer wird den Lesern der Novelle durch einen auffallend großen Buchstaben den Anfang ihres Kapitels andeuten. A. d. S.

Wir haben noch für alles, was uns unerklärlich war, nichtsdestoweniger aber in seinen Wirkungen nach außen dem Beobachter auffallen mußte, ein Wort gefunden. Und wieder hat dieses Wort oft im Laufe der Zeit seine Bedeutung so vielfach ändern müssen, daß der Begriff, den wir jetzt damit bezeichnen, ein ganz anderer ist als der, den man vor Jahrhunderten damit zu verbinden pflegte. So ging es mit Republik und Tyrannie, Demagog und Litterat, so mit unzähligen andern Wörtern. – Andrerseits legen wir auch manchem Worte einen Sinn unter, den es gar nicht hat, gar nicht haben kann; wir verstehen z. B. unter »Mode« ( modus) womöglich ganz willkürliche Änderungen in Trachten und andern Äußerlichkeiten, die in dem Belieben des Schneiders, der Putzhändlerin und des Hutmachers liegen, während die Mode eine weit höhere Bedeutung hat.

Nicht der Geschmack erzeugt sie, nicht der Geschmack ruft diese oder jene Eigentümlichkeit in Kleidung, Hausrat und Architektur, in Gartenanlagen und hundert andern Dingen hervor, – denn auch diese Richtungen der nach außen schaffenden Kraft des Menschen sind der »Mode« unterworfen. Ebensowenig regelt die Mode den Geschmack. Die Mode ist eine Sitte, und es wird sich immer und allenthalben ein höchst intimer Zusammenhang zwischen elementarischen Verhältnissen und in der Natur der einzelnen Länder gegebenen Bedingungen, zwischen den Sitten und Forderungen, zwischen dem leitenden Gedanken der Jahrhunderte und ihren Trachten, Bauwerken, Gärten u. s. w. finden lassen. Das Band, das sie umschlingt, heißt Bedürfnis, Notwendigkeit. Die Mode ist eine stumme Willensäußerung oder ein Produkt ihrer Zeit, sie ist ein Gegebenes oder notwendig Resultierendes, ohne daß wir und sie es uns klar machen.

Eigentümlich ist dabei noch, daß sie sich in einer Art von Rösselsprüngen fortbewegt, Mittelglieder übergeht und erst nach einiger Zeit auf Umwegen zu dem Platze zurückkehrt, den sie in grader Linie weit eher hätte erreichen müssen. Solche Lücken werden dann durch »Renaissancen« und dergleichen ausgefüllt. Auffallend macht sie aber außerdem der Umstand, daß die kaum verlaßne Phase augenblicklich der Lächerlichkeit verfällt, während ein Schritt weiter zurück das Auge wieder befriedigt. Die Luftballonärmel an den Damenkleidern, die faltenlosen, schrecklich engen Röcke, die platt an den Hüften lagen, die Umknüpftücher mit den langen Enden sind auch an Porträten widerwärtig, weil wir glauben, es sei gar kein Charakter darin; dagegen mögen wir die mindestens ebenso unschönen Reifröcke, die hohen Toupets und Perücken, ja selbst die von Metallspitzen umstarrten Mieder viel eher ertragen, – weil in der That diese Tracht eine charakteristische, der Zeit angepaßte war. Ein weiterer, tiefer liegender Grund dafür sind aber die Rösselsprünge der Mode und das Gefühl einer auszufüllenden oder ausgefüllten Lücke, so daß denn immer nur jener scheinbare Rückschritt mit voller Festigkeit auftritt.

Um Geschmack und Mode entschieden als dem Bedürfnisse entsprechend darzustellen, müssen wir indes unsre Betrachtung mehr auf Dinge ausdehnen, zu denen größerer Kraft- und Willensaufwand gehört, und die darum recht eigentlich Produkte der Zeitrichtung und der Verhältnisse sein müssen. An der Spitze geht die Baukunst.

Die Architektur der Ägypter, die uns durch ihre breiten Dimensionen, durch die kolossale Wucht ihrer Steinmassen imponiert, mußte sich in dieser Weise entwickeln, mußte die Garantie ihrer Dauerbarkeit in der eignen Schwere mitbringen, weil das aufgeschwemmte Delta und der Wüstensand keinen festen Grund boten, oder weil dort, wo diese Bedingungen nicht vorlagen, doch das weite, gedehnte Land mit seinen unermeßlichen Flächen ganz von selbst zur Massenhaftigkeit und Dehnung aufforderte. Der Geist des Widerspruchs, die Polarisation des Gedankens, mußte ebenso notwendig die spitzen, schmalen Obelisken Die nubischen Pyramiden sind mindestens ebenso alt als die Obelisken. erfinden, um sie als Gegensätze den breiten Massen entgegen zu stellen und so das Bild zu vollenden. Wir finden dieses Anschmiegen an das in der Umgebung Gegebene auch in der Natur neben dem Widerspruche gegen dasselbe. Die Nymphäen, Lotos u. s. w. entwickeln sich breit, platt und horizontal, sie harmonieren mit der Wasserfläche, während die Juncusarten, die Sagittarien und Schilfe scharf und dünn nach oben schießen. Die Dauerbarkeit ist aber sicher einer der wichtigsten Beweggründe für die Bauweise der Ägypter, so wie ihr Geschmack hinsichtlich der Form durch den ganzen positiv-mystischen Charakter des Volkes bedingt wurde. Für das eine spricht außer dem Angeführten noch der Unterschied zwischen den leichten zeltartigen Wohnungen des Fellahs und den Bauten, die Jahrhunderten zu trotzen bestimmt waren; für das andere die Vorliebe für die mathematischen Grundformen, Würfel und Pyramide. Man sieht, wie sich hier beides, die charakteristische Richtung des Volksgeistes und die elementare Forderung, durchdrungen hat. Die mathematischen Grundformen, mit denen man auf gedehntester Grundfläche in die Höhe stieg, entsprachen sowohl dem einen als dem andern Bedürfnisse. Man stellte dem Wechsel von Überschwemmung, Schlamm, loser Erde und Flugsand die felsengleiche Solidität der Last entgegen und befriedigte zugleich durch die Form den Sinn für strenge Wissenschaft. Kultus und Wissenschaft war damals ein und dasselbe, so war es denn der Kampf um Bestehn und Nichtbestehn und zugleich eine Art Religiosität, es waren Bedürfnis und Notwendigkeit, die jenen Werken ihren eigentümlichen Typus aufzwangen.

Die Auswanderer nahmen die Gewohnheit dieser massiven Gradlinigkeit mit nach Griechenland. Hier aber waren und wurden die Bedingungen wesentlich andere. Die Kolonisten würden auch dann, wenn ihnen dieselben Mittel, dieselben Menschenkräfte zu Gebote gestanden, wenn sie dieselben Ideen kultiviert hätten, keine Pyramiden zu dem blauen, freundlichen Himmel Hellas' empor gestreckt haben. Die Elemente drohten nicht, sie beruhigten; und der Felsgrund, der sich dicht unter frischer, kräftiger Vegetation barg, trug auch die schlankste Säule frei und ungefährdet. Es gab mehr natürlichen und beständigen Wechsel, das Land war an sich zu wellenförmig, als daß Nachahmung der Natur oder Widerspruch ihr gegenüber hätte zu extremen Richtungen führen müssen. Die Erdoberfläche bot hier ein Gleichgewicht von Höhe und Tiefe, Fläche und Erhebung: das Gleichgewicht ist das oberste Gesetz der Schönheit, die Natur wies also selbst auf das Schöne hin und forderte als Analogie die künstlerische Schönheit, das Gleichgewicht der Form. – Wie die glückliche Lage Griechenlands zwischen dem sinnenden, wir sind versucht zu sagen, philosophischen Reiche der Pharaonen und dem orientalischen Satrapenluxus jene Höhe der Kultur, jene Vollendung und Eleganz in allem was die Griechen schufen erzeugte, weiß alle Welt. Das Volk, das die fertigste, abgerundetste Sprache des Erdballs sein Eigentum nannte, das den sinnigsten, ausgebildetsten und freundlichsten Kultus besaß, mußte jene lichten, heitren, harmonischen Tempel bauen, mußte jene zierlichen, schlanken Formen finden, die in ihrer edlen Einfachheit die ewige Norm des makellos Schönen bleiben werden. So mußten wieder die ernsten Dorier, in denen der heilig mystische Hauch der nachbarlichen Orakel- und Zauberländer waltete, in ihrer ruhigen Abgeschlossenheit die schlichte männliche Säule ersinnen; so die Ionier den zarten, mädchenhaften Schaft mit dem süß geheimnisvollen, in sich verschloßnen Knaufe dichten; so die Korinther dem Marmor einen üppigen Blätterkranz als Krone aufs Haupt drücken. Man lese die Geschichte nach, studiere den Charakter dieser Völkerstämme und sage dann, ob sie nicht so bauen mußten. Es war durchaus eine im und mit dem Volke gegebne Notwendigkeit, nicht Willkür und Eigensinn, was man auch für Fabeln und Erfindungsgeschichten erzählen mag. Und beweist die bekannte Sage von dem Korbe mit den Akanthusblättern nicht auch noch unsern Satz? Hätte die Anwendung nicht im Ideenkreise jenes Steinmetzen gelegen, wäre sie also nicht ein der allgemeinen Richtung seines Stammes Verwandtes gewesen, so wäre nie ein Kapitäl mit Blättern geschaffen worden.

Je mehr Bedeutung die Städte später erhielten, je dichter die Bevölkerung und je wertvoller dadurch der Boden ward, desto mehr kam der Bogen zur Geltung. Seine Unersetzlichkeit, die in den Tagen früherer, untergegangner Kultur, in Assyrien, Persien und an anderen Orten den Sagen von großen Turmbauten und aufgefundenen Spuren nach offenbar schon anerkannt worden war, stritt gegen die Gewohnheit des Architravs und breiter Friese. Man fing an Stockwerke übereinander zu türmen, und wo Architrave blieben, blieben sie als Schmuck; das Bedürfnis konnten sie nicht mehr befriedigen, denn sie hätten im allgemeinen für die neuen Zwecke zu vieler und zu schwerfälliger Stützen bedurft. Anfangs waren ja auch sie nur ein Teil des notwendigen Gebälkes, vom Schönheitssinne der Menschen, von der Kunst benutzt und geschmückt. Die neuentstehende Architektur konnte sie nur als Reminiszenz mit hinüber nehmen und aus Gewohnheit oder Nachahmungslust reproduzieren. Notwendig waren sie ihr nicht mehr.

Mit dem Siege des Bogens beginnt eine neue Ära. Die Übereinanderschachtelung bildete sich zu gleicher Zeit auch in der Gesellschaft nach festen Grundsätzen aus. Menschen und Staaten lassen sich von da ab wie die Stockwerke in Kategorien bringen, die sie nicht überschreiten dürfen. Die erste Etage bleibt die erste und die siebente die siebente. Die Menschen waren einander nahe genug gerückt um Hierarchie, Büreaukratie und Polizei erfinden zu können. Die Übereinanderschachtelung nach bestimmten Regeln feierte ihren Sieg und baute im Bogen am ersten Kaiserpalaste ihren Triumphbogen auf. – – Folgerichtig wählte man zuerst die einfachsten Wölbungen, weil sie am meisten Festigkeit versprachen. Rund- oder Spitzbogen, die Sehnen vom Gipfel nach den Stützpunkten bildeten mit der Grundlinie fast immer ein gleichseitiges Dreieck. Gesetz war es nicht, neue Forderungen erzeugten neue Formen; mit der Sicherheit wuchs die Kühnheit, man streckte oder hob die Wölbung nach Bedürfnis.

Die Kunst hatte im Westen und Norden durch Kolonien und mannigfachen Verkehr Wurzel geschlagen, sie blühte namentlich in den Küstengegenden des Westens, deren Reichtum sich durch Handel steigerte, in großer Pracht. Da ergoß sich jener große germanische Völkerstrom aus dem Osten über die durch Phönizier, Griechen und Römer zivilisierte Welt. Von da ab sehn wir zunächst in Nord und West die Bauwerke wieder roh und ungefällig werden. Es bestand in jener ersten Periode des germanischen Zeitalters keine Harmonie des kräftigen und nur kräftigen Wesens der Sieger mit den Schöpfungen der von ihnen unterjochten Völker. Sie fühlten zwar das Bequeme heraus, gewöhnten sich auch daran, aber ursprünglich verachteten sie die Besiegten zu sehr um nicht eine starke Dosis ihres eignen Trotzes und ihrer Eckigkeit in neue Werke zu übertragen. Die sogenannte altgotische Architektur ist völlig dem Standpunkte und Charakter jener Goten und Langobarden, die sich in die Spolien der einstigen Weltbeherrscherin teilten, angemessen. Hart, unerschütterlich, eckig und starr, ohne Gleichgewicht und Ebenmaß, wie die Menschen selbst in der Gewalt das Höchste und Letzte suchten, sind alle Denkmäler, die uns als von ihnen herrührend aus den ersten christlichen Jahrhunderten geblieben. Ja das Christentum selbst, das sich kaum aus der Finsternis der Katakomben emporgearbeitet hatte, brachte von unter der Erde, von den Gräbern der Märtyrer, den Hang zum Dunkel, zu drückender Düsterheit mit und ließ durch schmale Fenster, hier und dort in ellenstarke Mauern gespalten, nur karges Licht in die schmucklosen Räume dringen. Der Schönheitssinn ging mit der Verachtung des »Weltlichen«, die bei den ersten Christen auch nur ein notwendiges Agens war, weil sie nichts besaßen, gänzlich unter und tauchte erst später, als die Lage der Dinge eine andere, die Armut des Klerus eine Phrase wurde, wieder auf. Mit der Verachtung des Weltlichen ist arg Komödie gespielt worden! Den großen Haufen der Kommunisten kauft man auch heute für hunderttausend Thaler dutzendweise.

So standen die Dinge noch, als die Mauren den Orient in den Occident brachten. Sie schufen sich die Natur ihrer verlaßnen Heimat aus Stein und Stuck; die Pracht, der Glanz und zugleich der Sinn für das Bequeme und sinnlich Angenehme, der dem Orientalen eigen ist, ließ die Ecken vermeiden und erzeugte Kuppeln über dämmerig erleuchteten Säulen und wieder durch den Kontrast die Minarets daneben. Die Kuppeln führten zu gezognen, reizend weichen Bogen und diese Bogen zu jenen Pfeilerbündeln, deren Kronen sich wie Palmen auseinander fächern. Sie kannten die Palme, verglichen unwillkürlich ihre Säulen mit dem Stamme des Baumes und gaben ihnen nun auch noch die Fächerkrone um ganz in heimatlichem Schatten zu lagern.

Auf ähnliche Weise dürften die Palmensäulen mit ihren mächtigen Gurt-Rippen nach den Kreuzzügen in den neugotischen Stil gekommen sein. Das Christentum war damals eine eigentümliche Mischung greiser Tiefsinnigkeit und geweihter, prachtliebender Märchenhaftigkeit. Die erste Eigenschaft war eine Folge der Stumpfheit, der Erschlaffung, die stets großen Siegen folgt; die zweite brachte das neue große Ereignis, die Schwärmerei für das gelobte Land, – genährt und ausgebildet aber wurde sie durch die Kristallisation der feudalen Hierarchie wie des hierarchischen Feudalismus. Das Christentum hatte wieder an seiner Wiege gestanden und das ohnehin so sagenreiche Mittelalter bemächtigte sich auch noch der Legenden, die ferne, kunstgesäugte oder doch von Kreuzfahrern fremdartig organisierte Länder umklangen, um durch dies neue, farbenreiche Element jenen wunderbaren, glänzend schattigen Mystizismus aus sich heraus gebären zu können, vor dem eine Welt sich beugen lernte. Die Religion der Katakomben trat nun auch plastisch als Siegerin, als Herrscherin auf und die Münster wurden ihre Denksäulen, ihre in Stein gehauenen Siegeslieder. Nicht die Unterwürfigkeit des Haufens, die an den Pyramiden baute, sondern ein allverbreiteter, allenthalben eigner Drang, ein romantischer, jubelnd frommer Drang, von dem sich niemand Rechenschaft geben konnte, hob die granitnen Blütenbüschel, die reizenden Zweigverschlingungen in die Luft empor, – und hoch über allem zeigten die spitzen Türme zum Himmel, zu der geträumten Heimat hinauf. Wie in jener wunderbaren Zeit, die uns mit all ihrem Wollen und Streben oft selbst mehr als ein Zaubermärchen denn ein Stück Geschichte erscheint, überall Wunder eingriffen, so halfen auch bei den Bauten Engel und Teufel. Sie sind Wunder für uns, aber Werke von Mut, Kraft, Beständigkeit und – Glauben, diese Münster, also charakteristische Produkte ihrer Zeit. Sie mußten werden, wie sie sind; jedes neue Türmchen, jede Spitze, jeder zu den Wolken strebende Bogen war ein neues Halleluja, ein neuer sehnsüchtiger oder brünstig gläubiger Gedanke, der sich aus der Brust des Meisters zu seinem Gotte empor rang. Und diese grandiose Poesie, denn es ist wahrhaftig echte Poesie in alledem, war dennoch ein Resultat, eine Notwendigkeit, diese Frömmigkeit in ihrem Ursprunge eine erzwungene, und zwar oft nicht durch segnende, sondern grausam fluchende, blutige Mächte. Sie war erzwungen vom Geiste der Zeit, wie die Strebepfeiler, die wir in Köln, Straßburg, Amiens und hundert andern Orten bewundern, erzwungen sind. Man brauchte Stützen von außen, Stützen welche die gewaltigen Wölbungen tragen konnten, nachdem der neue Spitzbogenstil die Rundbogen und ihre massiven Wände verdrängt hatte. Es kamen unzählige, riesenhafte Fenster, verzierte Rippen und Nerven, die sich alle tragen und sichern lassen mußten; man baute ihnen zuliebe Pfeiler an die äußeren Wände, die unschön waren, weil sie das ganze Gebäude kerbten, bis man endlich jene Bogen fand, die durch ihr wuchtiges Anstemmen das Weichen der Mauern unmöglich machen. Diese nun, die nur zum Schutze des Durchbrochenen erfunden worden, fielen wieder der Ornamentation in die Hand, wurden selbst durchbrochen, geschnitzt, geputzt und stehen jetzt, mit ihren zierlichen Ranken an den Hauptbau geklammert, als eine der schönsten Zierden jener Prachtwerke da. – So wurde auch jenes poetische Feuer, das jetzt als der herrlichste Schmuck, als die Apologie des ganzen Mittelalters erscheint, seiner Zeit angefacht um jene Tage zu beleben und zu tragen. Man brauchte es, darum ward es angezündet; das Bedürfnis der Herrschenden gebar es der Herrschaft wegen, nicht der Zufall; es sollte der Knecht des Geistes jener Zeit sein und ward nachgerade uns gegenüber seine Verklärung.

So sind die Sitten jeder Zeit der Name der Zeit selbst. – Die bunten Männeranzüge aus den Tagen Franz I. von Frankreich und seiner nächsten Nachfolger sind z. B. so charakteristisch, daß sie kaum einer Erklärung bedürfen. Das Rittertum begann ein Maskenscherz zu werden, der Minnedienst eine Tändelei; man behing sich mit Liebespfändern, man spielte alles, Liebe, Krieg, Religion und Politik. Es war eine lascive Zeit, und man trug Sittenverderbnis und Ernstlosigkeit offen zur Schau. – Noch sprechender aber ist der »Geschmack« des siècle Louis XIV.

Dieser Geschmack legte einst durch das politische Übergewicht Frankreichs, wie früher die Romantik, Europa Gesetze auf. Er entstand nicht überall als ein neues, im eignen Landesboden entwickeltes Gewächs, er verbreitete sich, – und das ist charakteristisch für die Zeit, es zeigt, daß sich alle volkstümlichen Elemente verlieren und Abhängigkeit und Unterthänigkeit sich auch über große Vasallen und bisher selbständige Souveräne zu erstrecken anfangen, – durch Nachahmung von seiten der Höfe und ward der Grundstein zu dem Tempel der Mode, in dem seitda die gesamte zivilisierte Welt opfert. Haben wir doch auch die heutige, freiere, fast demokratische Tracht aus demselben Paris, das uns die Allongenperücken schickte.

Ein Blick in einen Garten jenes Jahrhunderts genügt, um die Zeit zu verstehen. Die schnurgraden Alleen, die steifen Buchentreillagen, die geschnittnen Buchs- und Taxushecken, der gradlinichte Zopfton Corneilles und Racines und die streng äußerliche Etikette, sind Kinder aus einem Neste. Und in diesen starren Laubgängen verborgne Muschelgrotten voller weicher Polster, sinnliche Statuen ohne Kunstwert, eben bloß sinnlich; in jenen steifen, vergipsten Versen Huldigungen für die regierende Mätresse und hinter der einförmigen, festgefrornen Etikette zügellose Sittenverderbtheit. – Man kann sich keinen innigeren Zusammenhang von Zeitrichtung und Geschmack denken. Der letztere ist hier ganz und gar unmittelbares Produkt des herrschenden Geistes, eine Äußerung, eine Verkörperung fertiger Theorien, kurz die Befriedigung vorhandner Bedürfnisse und weder mehr noch minder. Es ist ein rein absolutistischer Geschmack, ein Abklatsch des » l'état c'est moi« in Buchs geschnitten und von Millionen »Unterthanen« unterthänigst begafft und applaudiert. Die Völker hatten in jener Zeit nur insofern teil an der Geschichte, als sie Rekruten stellen und Steuern zahlen mußten, der Geist der Zeit wurde ausschließlich in Fürsten- und Mätressenlaunen Fleisch. Es gab kein natürliches Ebenmaß in der Zeit, und da man sich doch seiner nicht entschlagen konnte und es suchen mußte, verfiel man in jenen kalten, nüchternen Zwang, der schlimmer ist als naturwüchsige und am Ende doch nur scheinbare Unordnung. Der Absolutismus à la Louis XIV ist ekelhafter als der gewöhnliche, thatkräftige Despotismus, der immer noch eine Obmacht des Gedankens, vielleicht sogar Genie voraussetzt, – weil jener ein übersättigter, phlegmatischer ist. Er muß Fett ansetzen und schlüpfrig werden, er bereitet den Übergang zur legitimen Korruption, zum Konstitutionalismus vor. Ludwig der Vierzehnte hat die Monarchie zu Grunde gerichtet, – sie wird sich nie wieder erholen.

Unserem Jahrhunderte, das wie alle Zeiten sein innerstes Wesen in Äußerlichkeiten manifestiert, kann man große Verdienste um die Menschheit nicht ableugnen, auch wenn die Resultate den Erwartungen noch lang' nicht entsprechen. Wie es auf der einen Seite durch Schienenwege und Dampfschiffahrt Menschen und Länder aneinanderrückt, durch die ungeheure Lebendigkeit der Presse mit rapider Schnelligkeit Ideen nach allen Weltgegenden trägt und zu allgemeinem Eigentume macht, so zeigen auf der andern diese Ideen fast alle ein zersetzendes, also trennendes Element. Dieser Zug nach Vereinigung, Verbrüderung der ganzen Menschheit, der offenbar mächtig da ist und Spekulation und Gewinnsucht nur als untergeordnete Mittel benutzt, – ihm gegenüber aber jene Feindseligkeit gegen Institutionen, Formen und Dogmen, die sich der wahren, ganzen Verbindung entgegenstemmen und nur Splitterverbindungen schützen, bedingt den Kampf der Gegenwart. Auch die Kritik, das Zersetzende, ist nun Mittel; Zweck ist die Vereinigung aller. Der Morgen der neuen Zeit datiert von dem bestimmten, festen Vorsatze den Gedanken durch alle Schleier, die man ihm angedichtet, durchbrechen zu lassen und rücksichtslos, ja selbst gemütlos, wenn es sein muß, das Ziel im Auge zu halten, das er erreichen muß und soll. Und er kämpft ihn, wie die Sonne mit den Nebeln streitet. Aber die Wärme läßt die Nebel verdampfen, und schon schießt durch tausend Lücken das Licht frei und ungehindert. Der Wolkenflor ist an allen Ecken und Enden zerfressen, die Sonne siegt: Wenn wir uns fürder selbst überredeten, daß wir das Ganze, das volle Licht nicht ertragen können, wie das bisher geschehn, so würden wir es auch nie ertragen lernen. Wir blinzeln aus Gewohnheit und sehn recht komisch dabei aus, zumal für die, welche seit lang' einen freieren Blick wagen. Wir erscheinen solchen wie Blödsinnige, denen man in blauer Luft und unter heitrem Himmel aufbinden kann, sie seien in einem Keller. Gestehn wir es indes nur ein, es mußte ein wirklich großartiger Betrug sein, der die Menschen durch Jahrtausende glauben machte, daß ihre Augen nicht sahen was sie sahen, ihre Ohren nicht hörten was sie hörten. Er ist das Äußerste was sich denken läßt.

Es ist also eine Zeit des Kampfes, in der wir leben, eine Zeit der Gärung, wie sie immer der Klarheit vorangeht. Und dieser Übergangszustand, hervorgerufen durch das Anstreben natürlicher Verhältnisse auf dem Wege der Vernichtung des Althergebrachten im Kampfe für Urältestes, wird sich hervorragend in den Sitten und Gebräuchen, in Geschmack und Mode unsrer Tage kundgeben müssen. Er thut es auch, es ist ein Zucken, eine Gewitterschwüle, ein Experimentieren, eine aufreibende Sehnsucht, die allenthalben Blasen wirft, in allem was gethan wird oder geschieht bemerkbar. Nirgends etwas Festes und Bestimmtes, kein Halt, selbst in der Architektur kein Stil. Denn der moderne Kasernen- und Laternentypus, schal und platt wie alle Berliner Erfindungen, verkriecht sich längst wieder hinter gotische, mittelalterlich italienische und tausenderlei andre Reminiszenzen, so daß die neue Baukunst einen Mischmasch bietet, – einen Mischmasch wie die Zeit. Indes äußert sich am Ende auch in der Fensterzahl wieder der Drang nach Licht. Man kann dem leitenden Gedanken der Zeit nicht entgehn. Er schwebt in der Luft, wir atmen ihn ein und aus, ohne von ihm zu wissen. – Es klingt bizarr, aber es ist darum nicht weniger wahr, daß die Gewalt des analytischen Zwanges, des Hauches der Zersetzung auch in Männern wie Pückler-Muskau fruchtbar geworden. Seine Ansichten über Gartenanlagen, seine Pläne sind echte Kinder der Zeit, und Pückler ist entschieden der größte Gartenkünstler unsrer Tage.

Das was ihn leitet und was bei den sogenannten englischen Gärten seit jeher oberste Regel gewesen ist, bleibt angesichts des Überkommenen immer Analyse. Wir zerfetzen was unsre Altvordern ängstlich zusammen geknotet; wir lassen in Gruppen auseinander fallen, was dort gekleistert und gefesselt ward; wir belauschen die Natur, und unsre Kunst besteht darin, daß wir die Natur benutzen, ihr helfen, aber niemals darin Freude finden sie sich selbst untreu zu machen. Das ist das Streben der ganzen Zeit, in der Wissenschaft, im Fachleben und überall. Natur der Künstelei gegenüber. Dies Drängen ist stet wie die Wurzel eines Bäumchens, die sich in die Nieten einer alten Mauer zwängt, über lang oder kurz die Fugen löst und die Steine herunter rollen läßt. In der Wurzel ist die lebendige Naturkraft, sie zersprengt das Tote; in der Kritik der Zeit ist jungkräftiges Leben, ist die Zukunft, sie wird und muß den letzten toten, herzlosen Schutt erkünstelten Wahnwitzes vernichten. Zerstörung ist dann Leben. Das Leben selbst ist nichts anderes als ein immerwährendes Zerstören, Zersetzen und Töten, und all dies ist Schaffen und Gebären.

 

Der Park von Schloß Hehlenried gab in der Zeit, die wir zu schildern versuchen, den besten Beleg dafür, daß wirkliches Leben nur aus dem Tode einer erkünstelten, bewegungs- und willenlosen Scheinexistenz emporsproßt. Er zeigte den siegenden Kampf organischer Gestaltung gegen die dumpfe Trägheit anorganischer Massen, die hier nach und nach, befreit von Schere und Spalier, das despotische Regiment zu vergessen anfingen. Der Frühling, das Leben kam auch über sie. Die Bäume und Berceaux im Geschmacke Le Nôtres zugestutzt, bildeten ja in der That wie das Volk des siècle du Grand Roi, wie das Volk in jedem absolutistischen Staate, eine anorganische Masse, die selbst wenn sie dem Strome des Lebens preisgeben, wenn sie ihre organische Berechtigung durch jenen wunderbaren Prozeß, der sich oft Revolution nennt, wieder errungen, ihre Freiheit noch lang' nicht fassen und nutzen kann. Sie schleppt Traditionen in den neuen Zustand hinüber, sie ist zu träg' sich für frei zu erklären, sie glaubt am Ende ohne ein wenig Spalier und Heckenschere gar nicht existieren zu können. Es wird nichts Rechtes und Ganzes, und der allem innewohnende Trieb des Gleichgewichts führt nach solchen Vorgängen zu neuem Unfuge. Es ist ein verrenktes Gefühl, und dies hat in der Gartenkunst die Geißblattlauben mit den steifen Holzlatten oder dem perückenhaft gestutzten Grün, die Kugelakazien und anderes erfunden, im staatlichen Leben aber, vereint mit der vis inertiae, dem Konstitutionalismus das Leben gegeben. Der Konstitutionalismus ist das Gesetz der Korruption von oben nach unten und von unten nach oben. Die Korruption ist eine natürliche Folge des sogenannten Gleichgewichts gleichberechtigter Gewalten. Dies Gleichgewicht ist unmöglich und darum der Kampf ein notwendiger. Auf der einen Seite wird durch Bestechung, Disziplinargesetze, Titelverleihungen und Terrorismus der Bajonette die Demoralisation planmäßig organisiert, – auf der andern muß die Auktorität der feindlichen Gewalt ebenso planmäßig durch die Presse, durch Agitation und endlich durch die Insurrektion, durch brutale Gewalt gegen Gewalt untergraben werden. Es ist in solchem Staate gar keine Achtung für das bestehende Gesetz möglich, sie ist in einem denkenden Volke gar nicht denkbar. Auch haben alle konstitutionellen Staaten noch durch die um sich greifende Korruption ein elendes Ende genommen. Die sogenannten aufrichtig konstitutionellen sind allenthalben notorische Dummkopfe oder portefeuillesüchtige Schurken. – England ist kein konstitutioneller Staat, er ist es nur dann, wenn man etwa die Dogen von Venedig konstitutionelle Fürsten nennen wollte. Dann hat aber das Wort einen andern Sinn als den rezipierten. In England wird das Gleichgewicht zwischen Krone und Volksvertretung nie angestrebt; die Krone ist bloße Staatsrepräsentation nach außen und innen und als solche geachtet, die Regierung aber ist die Exekutivgewalt der Kammern, sie kann sich keinen Augenblick halten, sobald sie ihren gesetzlichen Boden verliert. Wann ist denn in England von dem Veto Gebrauch gemacht worden? Das Veto existiert honoris causa als Reminiszenz aus früherer Zeit. Das ist alles. England ist kein konstitutioneller Staat, kann also auch nicht als Muster der corruption à l'équilibre aufgestellt werden.

Die alten Anlagen des Schloßparks, einst im Stile von Versailles und Schönbrunn angelegt, waren nur noch in der nächsten Umgebung des Schlosses, soweit sie etwa von der Gräfin-Witwe besucht wurden, ein wenig gehalten; weiterhin hatte sich seit vielen Jahren keine Spalierschere gewagt Die Buchen schlugen ihre Sprossen aus den krummgezognen Hauptästen starr und grade in die Höhe, aber ihre beste Kraft wurde immer noch zerstückelt und auf die Unzahl von Trieben verschwendet, die der Stamm in den Tagen des Zwanges vom Scheitel bis zur Sohle herab hatte erzeugen müssen. Die neue Freiheit sah in dieser Form nachlässig, unsauber, ja schmutzig und verwildert aus; die Krüppel mit ihren knorrigen Beulen konnten ihre ursprünglich gesunden Glieder nicht wiederfinden, diese Generation verstand es nicht mehr frei und schön zu sein Die Erziehung beherrscht und verfolgt den Baum wie den Menschen! Gehemmte Entwickelung hat inkurable Folgen.

Mächtige alte Linden dagegen, von wildem Nachwuchs an Strauchwerk und Stämmchen verschiedenster Gattungen umgeben und dadurch aus dem scharfen Theaterkarree, in das man sie gepflanzt hatte, herausgerissen, breiteten ihre dichten Laubmassen mit der ganzen großartig stolzen Eleganz nie gehemmter Freiheit schützend und schirmend über gedehnte Plätze. Die lasciven Götterstatuen, deren Tempel sie einst gebildet, lagen gestürzt; die üppigen Formen der Nymphen, in kaum erkennbare Torsos zerschlagen, verschwanden fast unter Wolken von Clematis und Vinka. In die Stücke behauenen Sandsteins selbst, die verwittert und porös, wie schlechtes Material immer in kürzester Zeit wird, zur Hälfte in Sand und niedergeschlagnem Staube versunken waren, hatten halmige Gräser und Moose sich eingeklammert. – Eine Art von Duodeztrianon, gelegen auf einer künstlichen Insel des großen Teiches, der durch das Zusammenströmen des Quell- und Regenwassers von höher liegenden Punkten her gebildet wurde, war eine Ruine geworden. Seine grauen moosigen Schnörkel sahen aus uralten tiefen Schatten und junger Verwilderung morsch und trübselig herüber. Die Insel war dicht umschilft, gelbe Iris blickten ungeknickt am Landungsplatze in die Nester brütender Wasservögel, im Frühling welkte die Butomusdolde, die europäische Lachyströmienblüte, ungesehn, und auf den Sagittarienblättern sonnten sich die Libellen so ungestört wie drin auf den Steinen der Ruine die Eidechsen. Nur Schwäne zogen still und ruhig zwischen Schilf und Wasserrosen über den Spiegel hin, der sonst das Bild reichgeschmückter Gondeln voller Menschen gezeigt. Eschen, Tannen, Robinien und eine zahllose Menge anderer Bäume und Sträucher, die niemand mit besondrer Absicht an ihren Ort gepflanzt, die aber in den letzten achtzehn Jahren zu einer schmucken Höhe aufgeschossen waren, mischten sich in neue und alte Partien, kreuzten untergehende Alleen und stellten die buntesten Gruppen zusammen. Dort eine Birke, die ihren weißen Leib der Umarmung starrer Rüsteräste zu entziehn suchte, als wäre sie eine Waldnymphe; hier eine hohe dürre Ulme, die ihren kahlen, blattlosen Wipfel mit einer lockigen Perücke von Epheu bedeckte … Der Garten war eine Wildnis geworden, aber diese Wildnis war dort, wo sie sich selbst überlassen blieb, freundlich und schön. Sie öffnete Fernsichten, deren Reiz die gemalten Atrappen, deren eine jetzt Graf Hugo als Scheibenstand für seine Schießübungen benutzte, bei weitem übertraf, sie zeigte anmutige Wellenlinien und Wechsel in Form und Farbe; sie gab luftigen, am Rande vergoldeten Schatten statt der feuchten Düsterheit verdeckter Laubgänge, sie hatte Licht, Blüten, Rasen – und versprach vor allem eine noch schönere Zukunft …

»Und diese Zukunft ist mein!« dachte Cecile laut vor sich hin, als sie ihren Blick über das Vergehn und Werden ringsherum streifen ließ.

Sie hatte ihren Bräutigam begleitet und ritt nun langsam durch den Park heim. Es war sehr früh. Cecile genoß ein für sie seltnes, ja vielleicht neues Vergnügen, sie lebte einen jener köstlich frischen Morgen, an denen jedes Blatt, jeder Laut Poesie ist und eine grenzenlose Harmonie über die Erde gegossen scheint. Sie tauchte ihre Augen in das tauige Erwachen, wachte selbst und träumte. Es bestand auch Harmonie zwischen ihr und dem mädchenhaften Morgenlichte, es bestand sogar eine gewisse Ähnlichkeit ihres Wesens mit der Mischung von alten und neuen Ideen, deren Verkörperung ihr jenen Ausruf entlockt hatte. Sie wußte nichts und konnte nichts davon wissen, aber es war so.

Ihre Mutter, die »Marquise« des toten Jahrhunderts, starre Legitimistin, formell anständig, – die Tante, devot und rachsüchtig wie die Restauration, – ihr Vater bei aller aristokratischen Feudalherrlichkeit schon kaufmännisch, materiell und berechnend wie die damals in der Entwickelung begriffne Ära der Bourgeoisie, – ferner die Lehrer ihrer verstorbenen Brüder, deren Unterricht sie geteilt, aufgezogen und entflammt durch die kritischen Streiflichter, die aus der schweren Wetterwolke der französischen Revolution herübergeblitzt, – und endlich ihr Bräutigam, der offne, loyale aber beschränkte Mann, der aus dem Kriegslager die Achtung für Tapferkeit und Konsequenz bis zum Tode mitbrachte, – alle hatten wechselweise verschieden auf sie gewirkt. Aber sie war mehr als ein abgeschlossenes Produkt dieser Faktoren, sie war bildungsfähig; auch sie hatte eine Zukunft.

Sie glaubte, – denn nur das Unglück glaubt bei unserer jetzigen Erziehung in solchem Alter nicht mehr, – aber sie glaubte, weil sie noch nicht wissen konnte, weil sie in den Sagen von himmlischen und irdischen Göttern etwas Schmeichelndes, ja Poetisches fand. Die Negation lag ihr nicht außer der Welt, sie lag sogar in ihrem Herzen, aber das Mädchen wußte weder das Wort noch die Form dafür. Sie hatte es während des Unterrichts, als der erste Beilhieb der Kritik ein Stück ihres sozialen Glaubens niederwarf, gefühlt, daß man mit gleichem Angriffe alles Bestehende vernichten könne, daß nichts an dem alten Baue unverwundbar sei, – aber obgleich sie gern dachte, meinte sie doch nicht berufen zu sein die bunte Welt, in der sie durch die Verwandten heimisch gemacht worden, durch Kämpfe ihres Geistes zerstören zu müssen ohne von außen dazu genötigt zu werden. Sie vergaß am Ende ganz, daß sie hierüber nachdenken dürfe, sie gewöhnte sich ein, sie fand Freude an dem was war, – wozu Neues, vom Alten Abgerissenes ersinnen? Sie selbst dachte nicht so, aber der Schluß bildete sich unbewußt in ihr heraus, sie hätte so denken müssen, hätte sie sich ihre ganze Lage klar machen können. Es fehlte die Einheit, das System, das all dem reichen Stoffe Gestalt und Ordnung geben sollte; es fehlte die leitende Hand, die aus Cecile wie aus dem wirren Garten ein klares, schönes Ganzes machen konnte. Die Festigkeit und der entschlossene Wille, die immer wenn sie allein war ruhig und sicher aus ihren Augen sahn, hätten sie vielleicht befähigt sich selbst auf eine höchste Höhe zu bringen, wenn sie sich selbst mit dem freien, ungetrübten Blicke zu betrachten im stande gewesen wäre, mit dem sie über den Garten urteilte. Aber sie wußte von sich nur, daß sie eine sehr vornehme Dame, daß sie schön, auch wohl reich mit Talenten bedacht und, wie alle Leute sagten, sehr gut sei. Trauer um den Vater, dessen Liebling sie immer gewesen, scheuer Respekt für die Mutter, von der sie früher um der Söhne willen sehr zurückgesetzt worden, Zuneigung für Hugo und Sorge um die äußeren Einrichtungen ihres künftigen Lebens waren bis jetzt die einzigen ernsten Seiten ihres Träumens, und dieser Ernst war überwiegend ein thätiger, also freudiger.

Man hat die Mädchen oft die insipidesten und langweiligsten Geschöpfe genannt. Die Franzosen begreifen nicht wie wir den Roman vor die Hochzeit legen können, wie wir ein so lebhaftes Interesse für einen quasi zoophytischen Zustand zeigen dürfen ohne selbst zu langweilen. Läßt sich der Vorwurf auch schon zur Genüge dadurch abweisen, daß in Deutschland und England einmal die Mädchenerziehung und die Stellung der Mädchen in der Gesellschaft eine andere ist als in Frankreich, und daß zweitens die nationale Sitte und Anschauung in dem »Romane« nach der Hochzeit dort gern und wahrhaftig, wenn alles wäre wie es sein soll, nicht mit Unrecht etwas Anstößiges findet, – so ist die Auffassung und Ausschließung des »vegetabil-animalischen« Zustandes der Mädchenwelt von seiten der Franzosen doch sicher auch eine ungerechte und schiefe. Wären die Mädchen wirklich so insipid und langweilig, so trüge niemand die Schuld als die Männer, die Erziehung, die – Gesellschaft. Die Natur hat die Geschlechter nicht in so engherziger Weise geschieden, daß dem einen durch sich selbst eine Schranke gegeben wäre, welche die Entfaltung eines fertigen Charakters hinderte; die Gesellschaft erst zog diese Schranke. Mädchen dürfen bei unsern Institutionen nicht wagen sich in irgend einer festen Richtung zu kristallisieren, weil ihnen immer noch das Anpassen an einen fremden Charakter bevorsteht, dem sie Rechte bewahren müssen, und der erst die letzte Hand an ihre Entwickelung legt. Dies ließe sich recht gut mit dem natürlichen Verhältnisse in Einklang bringen, die Charaktere wirkten gegenseitig aufeinander, einer füllte des andern Lücken, das Paar bildete eine Eins und die Ehe wäre wirklich ein unpassender Schluß für die Darstellung eines menschlichen, zumal weiblichen Entwickelungsprozesses. Der Name für die Mehrzahl unsrer Ehen heißt aber ganz trivial: Versorgung. Und damit schließt Roman und Liebe, leider aber nicht das Leben. Das weiß alle Welt. Glück ist Zufall, Unglück Regel, Herausbildung von Individualitäten seltne Ausnahme, Langweile sichre Folge. Der Roman findet in freundlicher Weise also nur ein neues Feld in der Trennung. Die Männer versorgen sich, die Mädchen werden versorgt, denn für sie ist das Zeigen einer Neigung, das Werben um den welchen sie lieben, unschicklich und unanständig, sie müssen warten und den nehmen der sie »versorgt«. In dem Worte liegt alles. Versorgen müßte nach guten Stammsprachgesetzen nichts anderes bedeuten als: mit Sorgen bedenken. Aber die Mädchen haben keine Wahl, wenigstens nur ausnahmsweise, und diese Abhängigkeit wird ihnen hochweise so früh und dringend eingeprägt, daß sie vor lauter Vorsorge, vor Angst Sitte, Anstand und Schicklichkeit zu verletzen nie zur Gestaltung ihrer selbst kommen können. Es ist wahr, daß dies Verhältnis, dies vage Hoffen auf Erlösung aus einem ewig schwebenden Zustande den Mädchen jene Innigkeit gibt, mit der sie sich auch an den nur »versorgenden« Mann anschließen können: es ist ferner wahr, daß es sie mit dem schleierhaften Reize jungfräulicher Scheu umwebt und sie zu Knospen macht, die in ihrer Schämigkeit lieblicher sind als manche volle, prunkende Blüte, – aber vergessen dürfen wir darum doch nicht, daß hierin grobe Unnatur waltet und daß diese ihnen jenes ausweichend Schwankende, jenes Zurückhalten ihrer besten und innersten Gedanken aufzwingt, das die Quelle von hunderttausend Mißverständnissen werden muß, die später dazu dienen – das Unglück in der Ehe zur Regel zu machen. Diese Scheu, dies geheimnisvolle Sehnen, dies Zurückhalten und Verschließen des eigenst eignen Ichs ist eine Form des Auftretens geworden, eine Form, die sich lernen läßt und die gelehrt wird. Sie ist eine Maske, die oft nichts bedeckt; das gelernte Knospentum ist oft eine Schale, aus der nie eine Blüte emporsteigen kann. Und doch verlangt und hofft jeder Mann hinter jedem Knospenäußeren eine solche Triebkraft; er vermutet sie dahinter, da ja die Sitte es seiner Braut unmöglich macht ihm ihre ganze Bildungsfähigkeit, ihr ganzes inneres Ich »vor der Hochzeit« zu zeigen. Die Gesellschaft betrügt Mann und Frau zu gleicher Zeit. Das Mädchen äußert sich nicht, darf sich nicht äußern, und der Mann sieht sich genötigt auf Vermutungen hin zu wählen, selbst wenn er hoch genug steht mehr als ein Versorger zu sein. Das Zurückhalten und Fesseln edlerer Frauennaturen, die von Bonnen, Gouvernanten und Tanzlehrern gepredigte Mädchenhaftigkeit, die von dem kläglichsten Unterrichte sekundiert wird, ist eine Erfindung zu gunsten weiblicher Wesen niederer Art, wie die Schleppenkleider erfunden worden sind um den zu kurzen Fuß jener kleinen Herzogin zu bedecken, die eine Schere in der Tasche trug um Heinrich dem Dritten von Valois eine Glatze zu scheren. Es ist eine Falschmünzerei: gutes und schlechtes Metall wird mit gleicher Platte überzogen und mit demselben Stempel geprägt. Hierdurch entsteht neues Unheil. Der Bauer, gleichviel ob in Frack oder Jacke, der Gold weder kennt noch zu benutzen versteht, wetzt den Überzug ab und wird aus Verlegenheit brutal, wenn er ein Goldstück erhalten; er glaubt sich betrogen und ist es in gewisser Beziehung auch, denn er fand nicht was für ihn paßte und was er gefordert. Ein anderer, dem das Gold edler Weiblichkeit und inneren Wertes höchstes Bedürfnis ist, dessen Wahl nur durch die Hoffnung ein Weib im großen Sinne des Wortes zu enthülsen bestimmt worden, findet unter derselben Form Blei, totes Blei, das nie mehr noch weniger sein kann als Blei, das ihn selbst unter sich herabzieht. Und dies Blei hätte den Bauer, der es zum Verkitten seiner Fensterscheiben oder zur Befriedigung seines Aberglaubens am Silvesterabende brauchte, glücklich gemacht, so glücklich wie den anderen das Gold des Bauern. Beide hätten nach dem gegriffen was ihnen nötig war, beide Münzen wären in Kurs gekommen und hätten ihre Sendung erfüllt, – wenn das Gepräge nicht ein gleiches, täuschendes gewesen wäre. So aber verrosten und verderben alle vier. – Das sind die ganz natürlichen Folgen des Untergrabens und Versteckens weiblicher Individualität unter einer Maske sogenannter äußerer Sittsamkeit. – Wir sprachen schon davon, daß die Gesellschaft Betrug aller Art nach und nach erfand um sich selbst zu stützen; wir sprachen schon davon, daß sie diesem Betruge durch Gewohnheit und Putz so viel Reiz zu verleihen weiß, daß wir uns zuletzt von den Blumen und Schlingpflanzen am Rande über die Tiefe des Abgrundes, der vor uns klafft, täuschen und trösten lassen. Das Knospenleben, der erzwungne »zoophytische« Zustand der Mädchen ist durch seinen Schmuck ein solcher von Blumen umbordeter Abgrund, aus dessen Schoße später giftige Dünste, einer nach dem andern, aufsteigen müssen, die Fluch und Qual in das Leben der Familien tragen. Wenn wird man endlich jedem Weibe sein gutes Recht werden lassen? Hochbegabte erzwingen es immer. Wir möchten freilich erst fragen: Wenn wird die abgenutzte, durch Knechtschaft elendester Art degradierte Männlichkeit großer, edler Weiber in größerer Zahl als bisher wert sein?

Jedenfalls aber schützt, wie die Dinge liegen, das wahre und selbst das gemachte Knospenleben, weil es reizt, die Mädchen wenigstens dem Beobachter gegenüber vor dem Vorwurfe der Insipidetät und Langweiligkeit, und man muß ein ›fat‹ sein um der französischen Ansicht nackt und kahl beipflichten zu können.

Cecile war weder eins noch das andere, weder insipide noch langweilig, sie sah frisch in den Morgen hinein, verstand was für ihre Umgebung zu thun war und langweilte sich weder selbst noch hätte sie einen Zuschauer langweilen können.

Und sie hatte einen solchen.

Der Weg, den sie geritten um Hugo zu begleiten, führte durch das Dorf, Hennings hatte sie gesehn und beschlossen einen Vorsatz, den gestern der Name der Gräfin in ihm erweckt und der über Nacht reif geworden, sofort zur Ausführung zu bringen. Als er Cecile auf dem Heimwege nach dem Parkthore zu lenken sah, war er ihr gefolgt und durch eine Nebenpforte eingetreten; von hier war er quer durch die Büsche bis an die Hauptstraße gelangt und erwartete die Dame, der er den Vorsprung abgewonnen, an eine alte Weide gelehnt.

Sein Anzug war wie am vorigen Tage, nur das Käppchen war gegen einen Hut vertauscht; aber man konnte ohne große Mühe wahrnehmen, daß die geringen Kleidungsstücke mit einer besonderen Sorgsamkeit gereinigt waren und daß ihr Träger die Absicht hatte seine gefälligen Körperformen möglichst ins Licht zu setzen. Dazu lag eine Ungeduld, eine Spannung der Erwartung in seinen Zügen, die dem gewöhnlich so düsteren Gesichte Leben und einen fast freundlichen Ausdruck gab, der ab und zu noch von dem Vorgefühle eines Triumphes besonnt wurde. Unter dem Arme trug er ein kleines, wohlverpacktes Bündel, das er von Zeit zu Zeit sorgfältig untersuchte.

Endlich kam die Dame, die ihr Pferd hatte im Schritte gehen lassen, heran. Als sie den Mann erblickte, hielt sie unwillkürlich die Zügel zurück und sah sich nach dem Reitknechte um, der ihr in einer Entfernung von zwanzig Schritten folgte. Im nächsten Augenblicke aber warf sie spöttisch die Oberlippe in die Höhe, gab dem Pferde einen Schlag mit der Reitgerte und war mit zwei Sätzen des Tieres dem Platze, an dem Hennings wartete, gegenüber. Der Drechsler trat vor und grüßte diesmal nicht aus einem Vergessen, sondern mit Bedacht. Cecile war heiter, der Morgen hatte sie erquickt; sie dachte nur daran, daß sie den Mann gestern auf dem Friedhofe gesehn; was er gesagt war verziehn oder halb verlöscht; das Bündel unter Hennings Arm brachte sie auf den Gedanken: er habe nun wirklich die Mildthätigkeit in Schloß Hehlenried in Anspruch genommen. In der Absicht sogleich weiter zu reiten hielt sie ihr Pferd an und rief ihm zu:

»Nun, wenn Ihr krank seid, – und Ihr seht wirklich nicht allzu gesund aus, so kommt immerhin herauf ins Schloß, ich werde Befehl geben, daß man Euch nicht leer ausgehen läßt. Ihr habt wie ich sehe schon eine Probe gemacht, wiederholt sie, damit Ihr bessere Begriffe von uns bekommt, so gleichgültig …«

Hennings war nicht ein Zögling der Propagandisten unsrer Tage, die um der Roheit des Haufens zu schmeicheln oft mehr Roheit in Sprache und Weise affektieren als sie selbst vertragen können oder angenehm finden. Als solcher hätte er Cecile den Satz vollenden lassen um brutal antworten zu können. Er nahm indes nicht in der vielbeliebten modernen Weise Ungeschliffenheit und Frechheit für die einzig passende Form der Umgangssprache mit den jetzt noch Bevorrechtigten, er hatte endlich nicht die Absicht zurückzustoßen. Er würde das was er gestern gesagt nicht ausgesprochen haben, hätte er die Tochter jenes »verrotteten« Geschlechts in der Nähe gewußt. Er hätte es nicht gethan, nicht aus Feigheit, nicht weil er es für unrecht hielt, sondern weil er sich dagegen gesträubt hätte den Menschen in der Tochter eines Grafen so gut als in der eines andern Mannes zu verletzen. Ein angebornes Gefühl von Ritterlichkeit trieb ihn sich selbst vor sich selbst zu rechtfertigen, und mit diesem Gefühle ging Hand in Hand der Wunsch die junge Dame zu überzeugen, daß auch sie ihm gegenüber ein Unrecht gut zu machen habe. Es war ein Versuch, eine Anwendung. Er wollte sich mit der vornehmen Welt irgendwie in Rapport setzen um sich so entweder in seinen Ideen für immer zu befestigen oder sie zu modifizieren. Die klägliche Rolle, in die er gestern nach dem Pathos seiner ersten Worte gefallen, hatte ihm gezeigt, daß er nicht richtig, nicht allüberlegend gerechnet, und er war Mannes genug sich aus diesem Schwanken so rasch als möglich heraus arbeiten zu wollen. Ihm lag daran, daß die Gräfin ihn hörte. Dies und die Solidität seines Entschlusses ließ ihn die Rede der Dame abschneiden und ihr mit einer gewissen ruhigen Würde antworten, die nicht verfehlen konnte mehr Eindruck zu machen als eine heftige Zurückweisung des unvollendet gebliebenen Satzes.

»Ich war nicht im Schlosse«, sagte er, »ich kam nicht um Brot zu empfangen, das ich selbst verdienen kann …«

»So braucht Ihr irgend etwas anderes für eine kranke Schwester oder Mutter, für eine Frau, deren Knaben Ihr gestern bei Euch hattet, denn der Eure ist es doch wohl nicht, dazu seid Ihr zu jung.«

Hennings wurde rot. Diese Bemerkung sagte ihm grell, wie tief die Gräfin ihn unter sich stehend glaube. Sie hätte eine solche Äußerung keinem Manne gegenüber gethan, den sie nur einigermaßen für »gebildet« gehalten. Diener und Arbeiter dagegen rufen nie jene Scheu hervor, mit der Frauen aus den oberen Schichten der Gesellschaft denen begegnen, die sie verstehen und mit denen sie in gleicher Scheu erzogen sind.

»Ich brauche nichts, auch für meine Frau und meine Kinder nichts; ich kam nur hieher um Sie womöglich zu besseren Begriffen von mir zu bringen und dies dadurch, daß ich Ihnen sage: es liegt in dem was gestern zwischen uns vorgefallen eine Unschicklichkeit aber eine unbeabsichtigte auf meiner Seite und ein ebenso absichtsloses Mißverständnis auf der Ihrigen. Ich begegne Ihnen nicht durch Zufall, ich komme ausdrücklich um zu erklären was ich gesagt und um von Ihnen die Erklärung zu empfangen, daß Ihr Urteil voreilig war. Ich will nicht, daß jemand von mir schlechter denken darf und kann als billig, ich will dies ebensowenig als ich möchte, daß mich irgend jemand für besser hält als ich bin.«

Es waren diese Worte fest aber so gesprochen, daß das Harte was darin lag durch die Biegung der Stimme gemildert schien. Cecile hatte ein ablehnendes Wort auf der Zunge, aber das Schauspiel reizte ihre Neugier, wenn auch vorläufig auf nur frivole Weise. Der Mann war nüchtern, das zeigte der Ton seiner Stimme und seine ganze Haltung; sie hatte also nichts zu fürchten und konnte sich durch dies Zwiegespräch zum mindesten ohne alle Gefahr eine originelle Unterhaltung versprechen. Sie warf dem Pferde die Zügel auf den Nacken, kreuzte die Arme über der Brust und sagte nicht ohne Ironie:

»Nun, so erzählt mir was Ihr zu sagen wißt. Ich will Euch fünf Minuten Gehör schenken, nicht um Euretwillen, nicht weil ein Nachklang der häßlichen Worte, die Ihr gestern gesprochen, in mir geblieben wäre und mich persönlich kränkte, sondern nur weil ich genug an den Menschen hänge um wünschen zu können, daß Eure Geschichte eine Entschuldigung für Ausartungen der Phantasie in Eurem Stile vorbringe. Sprecht!«

»Ich müßte weit ausholen und würde trotz alledem nicht von Ihnen verstanden werden, wenn …«

»Ei! Ihr haltet also mich für kurzsichtig und urteilslos?« sagte Cecile indem sie den Menschen in der Drilljacke neuerdings vom Scheitel bis zur Sohle maß und ihrem Lächeln einen fast mitleidigen Ausdruck gab.

»Mißverstehen Sie mich nicht aufs neue. Wir können nur über das klar urteilen was unsrem Denkkreise irgendwie nahe gerückt worden, so daß wir uns auf den Standpunkt des anderen zu stellen vermögen. Ihnen ist der meine ganz fremd. Meine Worte zeigen und zeigten Ihnen, daß ich nicht mit der dumpfen Masse, die nichts gelernt hat und vor nichts mehr zurückscheut als vor dem Lernen, in einen Korb zu werfen bin, und doch kommen Sie nicht über meine einfachen Kleider hinaus.«

»In der That sprecht Ihr anders als ich's von Leuten in Eurem Anzuge zu hören gewohnt bin«, warf die Amazone doppelsinnig hin und richtete sich dabei im Bügel in die Höhe.

»Vergessen Sie meinen Anzug! Mein Unterricht gibt dem Ihrigen wenig nach, meine Lehrer waren tüchtige Männer, und ich war ein gelehriger Schüler. Außerdem habe ich vor Ihnen eine Schule voraus, – den Kampf mit dem Leben. Sie mögen es also immerhin nicht für eine müßige That nehmen, wenn ich Sie aufsuche um Ihnen zu sagen, daß wir wohl ein Recht dazu haben denen zu zürnen, die uns einen Preis dafür abverlangen, daß wir leben und uns ernähren dürfen, obgleich wir Menschen sind so gut als sie; daß ich aber gern zugestehe, gestern habe der Ort nicht dazu gepaßt meine Gedanken hierüber laut werden zu lassen. Die Toten haben ein Recht auf Frieden. Ich erkenne dies Recht an und wünsche, daß Sie mir meine gestrigen Äußerungen vergeben.«

»Aber wer seid Ihr denn?«

»Ich war ein Künstler, einer von denen, die mit den ›Geborenen‹ ›auf der Menschheit Höhen‹ wandeln dürfen, jetzt bin ich ein Handwerker, der sich von seiner Arme Kraft und seiner Finger Geschick ernähren läßt.«

»So habt Ihr Unglück gehabt!«

»Nein, ich hatte Glück, viel Glück, obgleich die Welt mein Glück den Traum eines Thoren nennen mag.«

»Dann hat man Euch wenigstens in dem was Ihr Kunst nennt nicht anerkannt und Ihr mußtet Brot suchen.«

»Auch dies nicht. Man hat mich anerkannt und – man mußte es wohl.«

Er wickelte das Bündel, das er unter dem Arme getragen, auf und nahm jene Gruppe der heiligen Cäcilie mit dem stummen Kinde heraus.

»Da!« sagte er, »das ist nicht die Arbeit eines talentlosen Handwerkers, es ist, wenn auch nicht der Gipfel der Kunst, doch ein Beweis, daß ich ein Künstler werden konnte. Zeichnung, Gruppierung, Ausführung … da, sagen Sie nun selbst, ob ich mich mit Unrecht einen Künstler genannt.«

Mit diesen Worten reichte er die Statuetten der Reiterin hinauf, die beim ersten Anblicke der reizenden Gruppe einen Ruf des Erstaunens nicht unterdrücken konnte.

»Und das habt Ihr gemacht?« fragte sie endlich zweifelnd.

»Wohl ich! Und ich hätte nach längeren und gründlicheren Studien Besseres leisten müssen, denn es gibt hier«, – er zeigte nach seinem Kopfe, – »noch viele Bilder, die nun unausgeführt bleiben.«

»Aber sagen Sie mir«, rief die Gräfin, immer noch die Schnitzerei betrachtend, »wie kommen Sie mit einem so schönen Talente, in solcher Jugend dazu eine Laufbahn aufzugeben, die Sie verfolgen müssen, wenn Sie nicht sich und die Welt bestehlen wollen? Ich glaube Ihnen, daß Sie anerkannt worden sind, um so mehr setzt mich aber Ihre Aussage in Staunen, daß Sie ›Handwerker‹ seien. Vielleicht könnte ich Ihnen irgendwie nützlich sein, wollen Sie mir sagen, wie? Ich verstehe Sie in der That nicht, aber wohl nicht aus Mangel an Fassungskraft oder aus Vorurteil, wie Sie vorhin meinten, sondern weil Ihr Handeln wirklich rätselhaft ist. Sie tragen die Schuld jedes Mißverständnisses, das Sie hervorrufen, selbst.«

Die Gräfin betrachtete den Mann, in dessen Auftreten sie nun nichts als eine ausgeführte Künstlerlaune finden wollte, mit dem regsten Interesse und legte so viel Wärme in ihre Worte, daß er unwillkürlich lächeln mußte.

»Helfen können Sie mir nicht, denn mir fehlt nichts, was Sie mir verschaffen könnten, und alles andere hab' ich durch mich. Ich wollte kein anderes Los, ich lebe so meiner Überzeugung gemäß. Ich bin vollkommen befriedigt wenn Sie anerkennen, daß ich, wie ich einmal bin, wohl eine Entschuldigung, ja selbst eine Rechtfertigung für meine Worte finden kann, und daß Sie sich von einem Irrtume verleiten ließen als Sie mich gleich einem Bettler abwiesen.«

»Allerdings war ich im Irrtume …«

»Mehr verlange ich nicht! Damit geben Sie mir meine Würde wieder, und ich mag nun eine Sühne zwischen uns stiften, die, auch wenn sie sonst folgenlos bleibt, für Sie eine Mahnung sein wird den Armen, den Mann oder das Weib im schlechten Arbeiterkleide, nicht stets für einen Vagabunden zu halten.«

»Sie geben mir gute Lehren als wären Sie meine Gouvernante; finden Sie nicht selbst, daß diese Szene höchst komisch ist und für einen Dritten überaus ergötzlich sein müßte? Warum sind Sie nicht Professor geworden, ich glaube, daß Sie dafür noch mehr Talent haben als für die Kunst!« sagte Cecile, deren Mutwille wiederkehrte.

»Fassen Sie die Szene ernst. Ich finde nichts Komisches darin. Ich gewann das Recht Ihnen Ernstes zu sagen dadurch, daß ich mein Unrecht vorher gut machte. Fassen Sie unsre Begegnung ernst und behalten Sie zur Erinnerung an die Offenheit eines Handwerkers und an ein vorschnelles Urteil von Ihnen diese Statuetten, die, wie ich zufällig gestern noch erfahren, eine Legende von Ihrer Schutzheiligen darstellen.«

Mit diesen Worten grüßte er und wollte gehn.

Cecile lachte hell auf aber ohne Spott. Sie rief ihn mit dem gutmütigsten Ausdrucke ihrer Stimme zurück und sagte fast vertraulich:

»Aber Sie sehn doch wohl ein, daß es so nicht geht. Ihr Vorschlag, Ihr Geschenk, beides ist bizarr und überspannt. Soll ich Ihnen denn jetzt eine Vorlesung halten? Daß Cecile Hehlen nicht von einem ›Handwerker‹, dessen Namen sie nicht einmal weiß, auf der Straße eine Gabe annehmen kann, ist so klar, daß Sie sich's vorher gesagt haben müssen. Was ist also zu thun? Mir gefällt die Arbeit; Sie wollen sich ihrer entäußern, und ich möchte sie gern erwerben. Kommen Sie gegen Mittag ins Schloß hinauf und lassen Sie uns den Handel abschließen; auf diese Weise wird Ihr Zweck zu allgemeiner Zufriedenheit erreicht, denn ich werde Ihre Schnitzerei in meinem Zimmer aufstellen und mich so immer an Ihre Worte erinnern können.«

»Verkäuflich ist mir grade dies Stück nicht, ich würde den hohen Wert, den ich ihm beilege, nicht in einen Preis verwandeln mögen, und könnt' ich's auch, so wüßt' ich mit dem Gelde nichts zu thun. Ich lebe von der Hand in den Mund und da ich rasch arbeite und genügend beschäftigt bin, würde mich ein Mehrverdienst nur stören. Ich will nichts besitzen, was ich nicht brauchen mag. Sie sehn, daß bei meiner Weise zu denken der Verkauf einer solchen Arbeit unmöglich ist.«

»Sie sind ein wunderlicher Mensch, ich möchte mehr von Ihnen hören. Über die Art und Weise, in der ich Ihr Werk in meinen Besitz bringen kann, reden wir später noch. Kommen Sie heute abend nach sechs Uhr zu mir herauf und bringen Sie das Schnitzwerk mit. Behielt' ich's jetzt, so kämen Sie nicht, es ist mir also in Ihrer Hand eine Garantie Ihres Wiedererscheinens.«

»Ich schließe meine Arbeitszeit erst nach sieben Uhr.«

»Gut, dann kommen Sie nach sieben. Ich muß mich fügen, da Ihre Zeit kostbarer ist als die meine und man am Ende von mir sagen darf wie von den Lilien des Feldes: sie spinnt nicht, sie webt nicht u. s. w. Aber nehmen Sie jetzt, und vergessen Sie nicht, daß ich Sie erwarte.«

Sie nickte ihm freundlich zu, trieb das Pferd an und flog im Galopp dahin. Der Reitknecht, der sich in der Entfernung gehalten, und von dem ganzen Vorgange nur begriffen hatte, daß seine Herrin etwas, das man ihr – wahrscheinlich zum Kaufe – anbot, zurückwies, ritt nun auch in scharfem Trabe heran und schnitt Hennings, der sich wieder durch die Büsche seinen Pfad brechen wollte, den Weg ab.

»Sieht Er denn nicht wo die Straße geht, daß Er hier die Bäume zerbricht und den Rasen zusammen trampelt!« rief er ihm im Vorüberreiten zu.

– »Diese sind's, die aus den Herren machen was sie sind!« murmelte Hennings. »Die Lakaienseelen mit und ohne Livree, das Bedientenpack, das es sich zur Pflicht macht roh und tyrannisch zu sein um so die Herrschaft ins Gemeine übersetzt weiter zu spielen.«

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