Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Eine Zersetzung.

Die Welt will betrogen sein! – Ließe sie sich nur wenigstens immer schön betrügen, dann behielte ihre Manie noch Sinn, und die Dichter hätten gewiß alle Tage Küsse und Champagner vollauf. Das Leben wäre ein Walpurgisnachtstraum oder ein hübsches Metamorphosenstück ohne Pech und Schwefel, nur Kolophoniumblitze und Regenbogen bekämen Passierscheine, es schneite Blüten, die Menschen wären frei, die Nachtigall sänge, wenn man wolle … Ach, warum haben sich doch auch die Poeten von den Kutten ins Handwerk pfuschen lassen, warum hat der häßliche Betrug über den schönen den Sieg davon getragen, warum ließ man die Welt zu einem Jammerthale, den blauen schönen Himmel mit seinen funkelnden Kerzen zu einem Restaurationslokale für Irrsinnige und Geschundne lügen, statt das Schöne zu verklären, das Gute zu lieben und alles zu genießen? Warum? – Haben das die Dichter verbrochen? – Nicht so ganz, aber sie ließen sich überflügeln, sie stehn noch heute in zweiter Reihe und lassen im Herzen des Volkes den finstern Gedichten vor ihren hellen den Vortritt. Der »schöne« Betrug, der so wunderschön, so süß verlockend ist, daß er trotz aller Anatheme, welche die Priester des häßlichen nach ihm schleuderten, eine Macht blieb, wird aber doch einst mit dem Flammenschwerte, das nicht mehr noch minder als ein Sonnenstrahl ist, um den sich eine irdische Rose schmiegt, den Geist der Finsternis niederschmettern … Es ist jene alte Geschichte: in ferner Zeit gab es nur Engel des Schönen, man dichtete das Lob des Gottes der Liebe, – dann aber wurde ein Engel hochmütig und trennte sich mit seinem Anhange von den andern. Er erfand den finstern Gott, der die freundliche Welt mit den Millionen Blüten und den Himmel mit den Millionen Sonnen nie schaffen konnte, – ihn ließ er die Hölle schaffen und lobte und pries fortan den Gott des Hasses, den Sklavenvogt, in dessen Peitsche die Sterne Knoten sein sollen. Er fand Anhang auch auf der Erde und zog Schüler auf mit Gift und ätzender Säure; diese blendeten die Sterne und verdarben die Blüten, es ward Nacht und Winter, und in der Dunkelheit und im Schneesturme siegten die Engel der Finsternis über die Engel des Lichtes, der Haß über die Liebe, – es ward Nacht und Winter, die Kutten dichteten und stellten den Dichtern Netze. So kam es, ja so kam es, daß die Welt nun häßlich betrogen wird und die Dichter von den Kutten angefeindet werden, wie die Engel von den Anhängern des gestürzten Engels. Sie waren einst Brüder, nur dichteten die einen schön, die andern häßlich: Das ist jetzt vergessen, weil die einen ehrlich blieben und ihre Märchen als Märchen erzählen, die andern aber mit ihrer Spielerei Herrschaft anstrebten und Betrug im neuen Sinne, im Sinne des code pénal übten. Der Dichter betrügt nicht, wie es der Fälscher thut, diesen Betrug machte erst der blinde Glaube möglich, und wer den erfand, ist bekannt genug. – Wie schade, daß das Beste, was der Mensch hat, die beste Kraft, die sich in ihm regt, durch den Hochmut eines einzelnen und die Schwäche der andern zur Geißel der Menschheit wurde; wie schade, daß die Poesie auch ihre Pole haben mußte!

Alles ist Poesie, alles ist Märchen. Jeder neue Gedanke ist ein Gedicht, jedes Gemälde noch am Vorabende der Ausführung ein Märchen und jede Symphonie, ehe sie über die Saiten rauscht, ein Traum. Der Beweis, die Anwendung erst entreißt das Farben- und Tonbild dem Traumreiche, der Gedanke wirkt dann sichtbar und faßlich, das Gemälde zeigt Gestalten, und die Symphonie baut ihre Tonsäulen auf. Dann waren sie Märchen. Die Gedichte der Kutten bleiben es immer – und darin mag ihr Reiz liegen.

Die Poesie ist eine imposante Macht. Die Sucht nach Unglaublichem zu spüren, die Liebe für Märchenhaftes, die Befriedigung, die wir sinnigem Unsinne verdanken, hat ihren guten Grund in dem Bewußtsein unsrer Unwissenheit. Alles, was jenseits unsres Wissens liegt, ist begehrenswert, und in jenes Reich hinüber fliegt die Poesie, jene Welt ist eine Welt voll Märchen. Je weniger die Menschen wissen, desto zugänglicher sind sie für Traumgebilde und abenteuerliche Geschichten; der Sinn dafür geht mit der halben Kultur, die stets den Stabilismus bedingt, verloren, aber er kehrt auf ihrer Höhe zurück. Der rohste und der gebildetste Geschmack begegnen einander. – Man pflegt diesen Trieb nicht Wißbegierde zu nennen, aber er ist ihr Zwillingsbruder. – Alles hat seine Erklärung. Wo wenig Unterricht, wenig Kenntnisse sind, findet das Wissen keinen Boden, desto leichter aber finden ihn Wunder, die durch sich selbst über alle Lücken im Verständnisse, über alle mangelnden Vordersätze weghelfen, weil sie ihre Abwesenheit ignorieren. Darum glaubt das Volk so leicht und versteht so schwer. Nur das Abgeschloßne, in sich Fertige gilt ihm für begreifbar, nur das Unmögliche ist ihm von vornherein möglich, weil es keine weitere Frage, keinen Zweifel nach vorwärts oder zurück zuläßt. Das Wunder beantwortet alles ein für allemal. – Unterricht, der auf Schlußketten begründet ist, weist von Glied zu Glied weiter, folgert eins aus dem anderen und hat stets noch eine Frage in Bereitschaft. Der Beschränkte wird zuletzt des Fragens müde, er begnügt sich mit dem Erreichten, und mit dem Weiterschließen hört notwendig auch das Weiterträumen auf: Der Selbstgenügsame, der Philister hat darum auch nie Sinn für Gedichte und Märchen, – alle Wunder nehmen bei ihm ein Ende. – Aber über ihn hinaus beginnt ihre Herrschaft wieder; die höchste Empfänglichkeit für das Wissen und Erkennen drängt wieder in Kreise, in denen Träume und Märchen zu Hause sind. Wir müssen vorwärts ins Unbekannte, – und dort wohnen ja die Märchen. Ihre Welt ist endlos, das Wissen entvölkert sie nicht, so viel es ihrer auch tötet, denn das letzte, – wenn es ein solches einmal gibt, – weckt alle Verstorbenen wieder auf, und die tausend und eine Nacht der Märchen des Menschengeistes wird dann nur zurück gelesen. – Man glaubt das Neue nur, wenn es wunderbar und abenteuerlich klingt, man glaubt, weil man wissen will, sowie man glaubt, wenn man nicht wissen kann. – »Unmöglich, unglaublich und gerade darum wahr«, sagt der Kirchenvater. Dazu treibt jener Zwillingsbruder der Wißbegierde, für den wir keinen Namen haben. Für den Haufen verliert die Maschine, deren Gesetze er kennt, den Reiz, er liebt das Unverstandne, wie der Verständige das Verstandne schätzt … Was Wunder, daß die Kuttenmaschinen den Haufen gefesselt halten? Was Wunder, daß die Dichter uns fesseln?

Und sie haben mehr Macht über uns, als wir selbst gestehn mögen oder wissen. Sie sind auch daran schuld, daß dem Herbste so viel Unrecht geschieht, während – bei uns in Deutschland wenigstens – der Mai über alles Verdienst gepriesen wird. Wir haben ja allenthalben hier den »wunderschönen Monat Mai« in der Regel erst im Juni. Im Juni springen die Rosen auf, im Juni schlagen die Nachtigallen. Aber die Dichter besingen den Mai, sie kehren die Naturgeschichte um, stellen alles auf den Kopf, und wenn wir auch protestieren wollen, wir behalten nun doch einmal die klingende, schöne Lüge im Kopfe, summen die Verse nach und – glauben ihnen zuletzt, weil sie uns gar so bekannt klingen. Warum gibt's auch auf Juni keinen vernünftigen Reim? Denn Zduny, das Nest im preußischen Raubfetzen von Polen würde am Ende doch in einem Frühlingsliede eine sehr klägliche Rolle spielen. Der Mai ist selbst nach Platen ein reimbares Ding, und diesem Umstande mögen seine gleichmäßig grünen Matten das Prädikat der bunten, duftigen u. s. w. verdanken. Wir freuen uns aus Poetengewohnheit auf den Mai statt auf den Juni und wissen nur aus poetischer Ungewohnheit so wenig vom Herbste zu erzählen. Den Dichtern schien er eine Art von bourgeois, weil er nur davon weiß, was das oder jenes »abwirft« und in der That eine gewisse Selbstgenügsamkeit zur Schau trägt, die ihn des Philistertumes dringend verdächtig macht.

Aber es gibt auch ein schönes, ein poetisches Philistertum: – der Deutsche nennt es Gemütlichkeit. Die Gemütlichkeit ist mit vielem anderen überhaupt eine deutsche Erfindung, und mit Maß angewendet, nicht die schlechteste. Wir können jede Wette darauf eingehen, daß sie im Herbste gemacht worden. Der Herbst hat den Schalk im Nacken, wie ein jovialer Alter. Er ist vorzugsweise die Zeit für junge Ehepaare, die Zeit, in der man sich so recht mit schaurig innigem Behagen, mit ungetrübter Traulichkeit aneinanderrückt. Draußen leichenfahle Sonne, – im Kamine knasterndes Feuer; draußen Sturm, innen ruhige Befriedigung: es kann gar nichts Hübscheres geben. Glaubt Ihr denn, daß der Herbst aus einem andern Grunde seine Blätter von A-Z an den Fenstern vorbei wirbeln läßt, als um solche Pärchen zu suchen, zu belauschen und im Fluge einen Witz zu machen? Hört Ihr denn nicht, wie die Blätter, wenn sie auf der Erde unten wieder zusammentreffen, miteinander kichern? Sie erzählen ihre Geschichten dem Herbste, der sie ausgesendet, er freut sich, wenn er erfährt, daß er recht vielen Freude macht, wenn er ihnen den Raum verengert, er freut sich manchmal so, daß er immer mehr Herbst wird und die Schranken immer enger zieht – – daher kommen wohl auch die frühen Winter!! Die Bäume sehnen sich nach dem Herbste, sie treiben nur Blätter, um Boten zu haben, die neue Geschichten holen … die Boten kommen freilich nicht wieder, aber was der Herbst weiß, wissen die Bäume auch. Oft erfahren sie dann leider, daß seit einem Jahre so viel zwischen jene gekommen ist, die sich im engsten Raume am wohlsten gefühlt, daß sie nun den Herbst nicht mehr liebhaben können. Sie mischten himmlische Sitten in das Erdenleben, ahmten Fremdes nach, thaten hier, was »oben« zum guten Tone gehört, – daraus ist nie Gutes entstanden. Es ist schlimm, wenn auf Erden eine Ehe geführt wird, wie sie – immer nach den Dichtern – zwischen dem Sonnengotte und der Erde besteht. Der Poetenwitz hat hier einen häßlichen Bock geschossen, wenn er eine Musterehe aufstellen wollte. Der Sonnengott wird jedesmal aus Angst kühl, wenn sich ihm seine Gemahlin nähert, und sie wird aus Kummer darüber ein weißhaariges Mütterchen. Er liebt sie nur par distance, er wird nur zärtlich und überhäuft sie mit Schmuck, wenn sie sich in bescheidner Entfernung hält und nichts weniger als zudringlich ist. Das geschieht am Himmel oder im großen Weltraume, was ja wohl dasselbe ist. Auf Erden geht es anders zu, solang' die natürliche Anziehungskraft als Bindemittel in der Ehe wirkt. Darum macht auch hier der Herbst warm, während er am Himmel ein kaltes Sturzbad gibt. Im Frühling, im Mai-Juni, kann man mit Blüten und Vögeln verkehren, die Welt ist dann nie weit genug, der Frühling bringt und weckt nichts als Sehnsucht; aber der Herbst ist gemütlich, und man kann alles sein, nur nicht gemütlich …

Die Lösung eines langgewohnten Zusammenseins ist darum im Herbst schmerzlicher noch als sonst.

Man sprach im Herbst des Jahres 182. in Hehlenried nur von drei Dingen. Zunächst von der nahen Hochzeit der Gräfin, dann von einer großen Jagd auf die Zigeuner, die sich in den benachbarten Forsten förmlich niedergelassen hatten und von da aus Diebstahl und anderen Unfug trieben, und endlich machte auch die Krankheit der Frau des »fremden« Drechslers den Leuten viel zu schaffen.

Man hatte Gertrud schon dreimal tot gesagt, aber der Doktor in dem roten Habit kam noch immer, also lebte sie wohl noch.

Eigentlich war nur der Doktor daran schuld, daß Gertruds Zustand mit den andern großen Ereignissen auf gleicher Linie stand. Niemand, auch die Weisesten im Dorfe nicht, konnte herausbringen, warum vom Schlosse aus eine so auffallend rege Teilnahme für die »ausländische« Familie gezeigt wurde. Weder die Diener noch der Kaplan, der einigen alten Mütterchen, die ihm ihr Sauererspartes auf Meßstipendien brachten, vertrauliche Mitteilungen zu machen pflegte, konnten das Rätsel genügend lösen. Es entstand also regelmäßig allgemeines Kopfschütteln, wenn eine Schloßequipage Dr. Vermilio aus der Stadt holte.

Hennings hatte sich zu sehr abgeschlossen, als daß er Freunde haben konnte; man sagte ihm zwar nichts direkt Böses nach, leugnete ihm aber auch jede gute Eigenschaft ab. Daß seine Arbeiten weit und breit die besten waren, erkannte man ohne Umstände an, – aber Fleiß und Geschicklichkeit sind nicht so ganz das, was man auf dem Dorfe Eigenschaften nennt. Der Bauer schätzt den Menschen höher als das Fach, das Handwerk, die Kategorie, – freilich hält er auch im allgemeinen nur den Bauer für den rechten Menschen. Er liebt eine gewisse Offenheit, einen kordialen Verkehr bei zufälligem Zusammentreffen, so fremd ihm andrerseits auch wirkliche Intimität ist und bleibt. Es ist ihm ein Verbrechen, in einem Dorfe zu wohnen und nicht Namen und Abkunft jedes einzelnen der Mitbewohner des Ortes zu kennen, – und man wußte in Hehlenried recht gut, daß der Drechsler nicht einmal die Namen derer behielt, die von ihm kauften. Das verzieh man ihm so wenig, wie seine Einsilbigkeit. Gertrud dagegen, die von diesem Vorwurfe wenigstens nicht in gleichem Umfange getroffen wurde, fand bei den Weibern keine Sympathien, weil sie ihr Haar noch immer auf städtische Weise geflochten trug und sich nicht dazu verstehen wollte, ihre Gestalt in das hier allgemein beliebte Mäntelchen zu hüllen. Das war auch unverzeihlich, und man fand puren Bettelhochmut darin.

Unter solchen Umständen gönnte dem schwergeprüften Paare natürlich niemand die Hilfe, die es nicht einmal recht zu schätzen schien, und die Neugier war eine neidische, mißgünstige geworden.

In der Stadt hat eine solche Abneigung keine weiteren Folgen, weil es auch im kleinsten Orte selten gelingen wird, den »Verruf« zu einem allgemeinen zu machen, während das »Dorf« trotz aller Parteiungen dem Nichteingebornen gegenüber stets eine kompakte Masse bildet, sobald es erst zum Kampfe kommt.

Die Auszeichnung, die dem Drechsler wurde, verletzte die Bauern mehr als sein früheres Treiben. Sie bildeten stillschweigend eine Koalition gegen ihn und hofften ihn durch die Not zu zähmen. Hatte er früher den Bestellungen auf Meilen in die Runde kaum genügen können, so wurden jetzt sogar bestellte Arbeiten mit leichtfertigem Tadel zurückgewiesen. – Der Bauer hat etwas mit den Alten gemein: er besitzt eine Art von antikem Stoizismus, der freilich nicht ein Ergebnis hoher Bildung ist, sich aber kaum anders äußert, als wäre er es. Mit diesem stoischen Wegkommen über Affekte verbindet er wie die Alten die Forderung: dem Gefühle einmal freien Lauf zu lassen, ehe es zur Ruhe geht. Laute Freude und lauter Schmerz, einen Jubelschrei und eine Klage, dann mag »Schweigen der Rest sein«. Äschylus läßt Prometheus jammern, wie heute nur ein Bauer jammern würde, und der Ajax des Sophokles bricht in wilde Laute aus, ehe er »den Schatten im Hades das übrige erzählen will«. – Anerkennung fremder Individualität ist dem Bauer ein unbekanntes Ding; er will, daß jeder fühlt wie er, und nur für seinesgleichen hat er ein leicht zugängliches Herz. Wäre Hennings zusammengebrochen, hätte er nur ein einzigmal geklagt, gebeten, hätte ihn die Not zur geringsten Annäherung bewogen, so hätte unzweifelhaft die natürliche Gutmütigkeit seiner Umgebung den Sieg davon getragen, und sogleich wäre ihm von allen Seiten Vorschub geleistet worden. Seinen Mut, seine Ausdauer hätte man gepriesen, man hätte ihn bedauert, denn er wäre ein Mensch wie sie gewesen. Aber Hennings änderte sein Betragen nicht, er litt und kämpfte bis in dem Augenblicke, in dem der Schatz Gertruds, von dem seine Feinde nichts wußten, oder das Arbeitslohn für die Schnitzerei im Schlosse hätte in Anspruch genommen werden müssen, der Retter in der Gestalt Mendel Sacks erschien.

Der Jude trug nicht nach, – das thun Leute seines Schlages nie, – er drückte auch nicht und suchte den Drechsler nicht zu demütigen, – gesetzt auch, es sei dies nur geschehn, um sich die Kundschaft nicht zu verderben, – kurz, er kaufte allen Vorrat, den Hennings unterdes beschafft, zu dem zivilen Preise, den die Bauern sonst zahlten. Diese hatten durch dies Manöver nur den Nachteil, jetzt ihre Bedürfnisse aus zweiter Hand teurer erwerben zu müssen. – Hennings legte auf die Motive der Handlungsweise des Juden keinen großen Wert, aber er gestand sich, daß dieser, da er die Verhältnisse kannte, im stande gewesen wäre, die Lage der Dinge zu mißbrauchen. Daß er es nicht that, war jedenfalls achtungswert, und der Drechsler bethätigte seinen Dank dadurch, daß er den Handelsmann eine Viertelstunde mit Gertrud allein ließ. Er hatte an der Unruhe beider und an den Winkelblicken, die sie wechselten, bemerkt, daß es wohl wieder ein geheimes Lotteriegeschäft abzumachen gebe. Auch hier sagte er sich wieder, daß der Mann trotz der wucherischen Prozente, die er jedenfalls in Abzug brachte, überaus ehrlich handelte. Eine Kontrolle wurde nicht geübt, Gewinn und Verlust war jeder Zeit in seiner Hand, und so war seine Handlungsweise bei einem Menschen, dessen ganzes Streben auf den möglichsten Mehrerwerb ging, in der That im höchsten Grade der Anerkennung würdig. Hausierjuden sind gewöhnlich pfiffiger und klüger als die Landleute, mit denen sie verkehren, und sie machen sich kein Gewissen daraus, ihre Überlegenheit zu verwerten; sie düpieren in der Regel mehr, als sie betrügen, schlecht und herzlos aber sind sie fast nie, sie zeigen aufrichtige Teilnahme und helfen oft dort, wo die »Christen« ihre Ohren verstopfen. Man muß ihre Thätigkeit auf dem Lande, vorausgesetzt, daß sie nicht Schankpächter sind, beobachtet haben, um einzusehn, wie erbärmlich die Verdächtigungen sind, mit denen sie in neuerer Zeit wieder von den bayrischen Ultramontanen bedacht worden.

Hennings söhnte sich innerlich auch mit ihm aus, wie er überhaupt jetzt immer Entschuldigungen für andere, aber kaum eine für sich fand. Die Reaktion ging in ihm so weit, daß er sich förmlich verurteilte und das Betreten seines Weges einem Mangel an Menschenkenntnis, das Verharren auf der beschrittnen Bahn aber dem Abbrechen alles Verkehres mit der Welt und der hierdurch gegebnen Unmöglichkeit der Ausfüllung jener Lücken zuschrieb. Er irrte jetzt wie früher, aber sein Irrtum war ein natürlicher: es mußte bei der Vehemenz, mit der er sich in jede Richtung warf, so kommen. – Mit neunzehn Jahren hält sich jeder für unfehlbar, mit fünfundzwanzig zweifelt er an sich und den anderen, mit dreißig fängt er an zu lavieren und mit vierzig ist er entweder der Sklave seiner Frau oder der Tyrann aller, die sich von ihm quälen lassen müssen. Ausnahmen sind ungewöhnliche Menschen. Hennings stand nicht zu hoch, wenn er auch über die Alltäglichkeit hinaus war. Sein Temperament ließ ihn nur all diese Phasen in der höchsten Steigerung durchlaufen, er war eine extreme Natur und eben jetzt mitten im Zweifel. Ja und Nein spielten mit seinem Urteile Blindekuh, er hatte seine sichre Einseitigkeit aufgegeben und wußte von dem, was als neu in ihn drang, noch zu wenig, um sichten und ordnen zu können.

Mit Gertruds Gesundheit ging es dabei immer mehr abwärts. Jener heftige Anfall war zwar vorüber gegangen, ohne ihre Auflösung herbeizuführen, sie war in den verfloßnen Monaten sogar wieder fähig gewesen, herum zu gehen und kleine Geschäfte zu verrichten, aber ihre Kräfte nahmen dennoch sichtbar ab, auf jede Anstrengung – und jeder Schritt war eine solche – folgte eine Abspannung, die immer mehr den Charakter der Stumpfheit annahm und keinen Zweifel ließ, daß sie einmal in völliges Verlöschen übergehn würde. Ihre Lippen wurden livid und bildeten mit der hektischen Röte ihrer Wangen einen Kontrast, der neben der blendend weißen, von blauen Adern durchzogenen Stirn mit den an den Schläfen scharf vortretenden Knochen und den glasig glänzenden Augen noch schauriger wurde. – Man findet mitunter eine Menge kleiner Beryllkristalle dicht aneinander gedrängt, gleichsam als Schale über anderes Gestein gezogen, die durch ihre Dünne und die ihnen eigne doppelte Strahlenbrechung einen ganz sonderbaren matten und zugleich zuckenden Glasglanz haben: die Augen der Kranken im letzten Stadium des Zehrfiebers haben genau denselben Glanz, auch der grünliche Schein fehlt nicht. Man hat Symptome genug, sonst wäre dies ein neues, ergänzendes: Beryllglanz der Augen.

Wenn Gertrud draußen im Freien saß, den Kopf müde vorgesenkt, von der bleichen Sonne umleuchtet, Richard harmlos spielend auf der Erde zu ihren Füßen, Christian mit einem Lindenzweige daneben, um jede Fliege oder Mücke, die ihre Ruhe stören konnte, zu verscheuchen, blieben die Vorübergehenden oft stehen und vergaßen Neid und Groll. Sie war ja eine Sterbende, das sah man; sie war ja schon halb verklärt.

Es hatte sich zwischen ihr und Christian ein eigentümliches Verhältnis ausgebildet. Früher hatte er nie besondere Anhänglichkeit an die Mutter gezeigt, er war der Liebling des Vaters gewesen und war es noch, – seit dem Unglückstage aber hing er am Auge der Mutter, wie er vorher am Munde des Vaters gehangen. Seit sie zu Hennings großer Verwunderung den Schritt des Knaben im Schlosse gebilligt, fand dieser sein ganzes Glück darin, an der Seite der Kranken zu wachen. Er vollzog Aufträge, die ihn von Stube und Haus entfernten, mit der größten Hast und nahm dann sogleich wieder seinen Posten ein. Streichelte Gertrud sein Haar, zog sie seinen Kopf an sich, so hellte sich sein verzogenes Gesicht auf und zugleich rieselten fast immer dicke Thränen über seine Wangen. Oft brach er auch in heißes Schluchzen aus und spannte seine Arme fest um die Mutter, ohne daß ihm jemals ein Wort über den Grund seiner Bewegung entlockt werden konnte.

»Weißt du, Fritz, daß Christian mit mir sterben wird?« sagte die Frau einst.

»Du wirst so wenig sterben als er. Denke nicht an den Tod, sonst stirbst du, weil du glaubst sterben zu müssen. Du erholst dich ja zusehends, deine Farben sind ungleich frischer als vor Wochen, du wirst mir die Freude machen, gesund und kräftig zu werden. Und sobald du es bist, ziehn wir wieder in die Stadt und beginnen ein neues Leben, das dich blühend und froh erhalten wird. Freust du dich darauf? O wir trennen uns noch lang' nicht.«

»… Ich möchte wohl … leben! Auch auf dem Dorfe … Aber sieh doch nur, es geht ja nicht. Mein Atem ist matt und heiß, meine Arme schlaff, die Füße tragen mich kaum, ich bin so müde … o ich werde gut schlafen, gut und fest … und Christian mit mir. Du wirst sehn, er kommt bald nach, seine Augen sagen es mir.«

»Sieh Gertrud, so machst du dich immer mehr krank, quälst dich und thust mir weh. Denkst du an mich denn gar nicht mehr?«

»O ja!« sagte sie, fuhr aber wie im Traume fort, »der arme Richard, so jung, so zart schon fremden Händen überlassen … ich möchte ihn auch mit mir nehmen, um ihm das Leid zu ersparen, keine Mutter zu haben …«

Bitten, Vorwürfe, Thränen selbst wirkten nicht; es war ein grenzenlos angreifendes Leben, das Hennings führte. Harte Arbeit von früh bis spät in die Nacht, die Sorge um das Hauswesen und ewiger, nagender Kummer, der nur durch einzelne härtere und empfindlichere Schläge, wie das angeführte Gespräch, Abwechslung erhielt. Man gewöhnt sich nicht daran, ein teures Wesen zu verlieren, auch wenn die Vorbereitung Wochen, das Sterben Tage dauert; man hofft und hofft, und wenn endlich der Streich geführt ist, trifft er doch unerwartet.

Dr. Vermilio gab bei seiner letzten Anwesenheit nur noch Stunden Frist. Hennings glaubte ihm nicht, obgleich er die blauen Nägel und die geschwollnen Füße Gertruds sah, obgleich die Agonie schon eintrat. Jetzt, grade jetzt drängte sich all seine Hoffnung auf die Spitze, – und als die Kranke sich plötzlich rüstiger als seit Tagen umwendete, sich aufrichtete, ihr Blick freier, ihr Atem ruhiger ward, wollte er aufjubeln und die glückliche Krisis begrüßen. Aber die Kranke fühlte, daß das Ende der Krisis nicht das Leben, sondern der Tod sein würde, sie fühlte es und reichte wehmütig seine Freude abwehrend ihrem Manne, den sie seit langer Zeit zum erstenmal wieder »ihren lieben Fritz« nannte, die abgezehrte, feuchte Hand.

»Es geht zu Ende … nur Minuten hab' ich noch. Leb wohl, mein lieber Fritz, ich scheide versöhnt … Nein, unterbrich mich nicht, verteidige dich nicht, laß mir, selbst wenn ich zum Teil geirrt hätte – ganz that ich's gewiß nicht, Fritz, – laß mir das Bewußtsein, daß ich etwas zu verzeihen hatte … denn sonst, sonst würde mir das Sterben gar zu schwer. Ach, wenn ich mich selbst durch Eigensinn von meinen Kindern … und dir getrennt hätte!« Sie machte eine Pause, dann faßte sie hastig, als triebe sie eine innere Mahnung zur Eile an, nach den Kindern. »Du hast jetzt nur den Vater, mein Kind«, sagte sie Christian, »hab ihn so lieb, wie du mich jetzt liebgehabt. Versprich mir das …«

Der Knabe weinte so heftig, daß sein geschüttelter Körper nicht einmal durch eine bestimmte Bewegung antworten konnte, und Worte waren unmöglich. Er sah die Mutter so bittend an, umschlang sie und vergrub seinen Kopf in ihre Hände, so daß sie nicht weiter in ihn dringen konnte. – Nun nahm sie Abschied von Richard, der nicht mehr weinte, denn er hatte den ganzen Tag geschluchzt und fieberte aus Erschöpfung. Sie drückte die Kleinen mit aller Kraft an sich und ihre Lippen bewegten sich betend …

»Draußen so schön, liebe Mutter, nicht sterben!« stammelte Richard.

»Leb wohl, lieber, lieber Fritz, nur die Kinder, die Kinder …« rief Gertrud plötzlich, aus der Umarmung aufgeschreckt, und reichte dem Manne ihre Lippen hin. Aber ehe er sie noch erreicht, sank sie zurück. Sein letzter Kuß fand keinen Atem mehr. Die Aufregung des Abschiedes und das gewaltsame Aufraffen aus dem Delirium hatten das sanfte Hinüberschlummern gestört und ein Nervenschlag ihr Leben geendet.

Hennings brach vernichtet in die Kniee und heftete den Mund auf die herabhängende Hand seiner toten Frau, während die Kinder vergeblich die Mutter wachrufen und die Leiche mit hundert Küssen wärmen wollten. Der Mann versank in jene schaurige Bewußtlosigkeit, die der Überwältigung durch den Schmerz folgt; aber sie muß ja enden und das macht sie eben so schaurig.

Richard fand einen Schrei wieder, als er die weichen, warmen Lippen seiner Mutter nach und nach starr und kalt fühlte, ihn faßte Grausen, er klammerte sich an Christian, der durch dasselbe Gefühl ebenfalls erst die volle Überzeugung gewann, daß nun wirklich alles vorbei sei. Er kniete oben auf dem Bette neben der Leiche, strich sich die Haare weit zurück und sah so mit einer Starrheit, die alle Fibern spannte, in das erkaltende Antlitz … er suchte das entflohene Leben! Dann ergriffen ihn Krämpfe, er wand sich mit verzerrten Gliedern und warf dabei Richard wieder um, so daß dieser mit einem neuen gellenden Schrei von der Berührung des starren Körpers zurückfuhr und, zugleich geängstigt durch die Konvulsionen des Bruders, mit beiden Händen den Kopf des Vaters in die Höhe zu heben suchte. Das Kind fürchtete, der Vater schlafe auch, und es sei allein.

Bis dahin waren Stunden vergangen. Hennings richtete sich mit blöden Augen auf, aber er war unfähig, irgendwie Hand anzulegen. Die Magd rief die Frau des Hauswirtes und seine Tochter herbei, diese wendeten ihre Hausmittel an, um Christians Krämpfe zu stillen, und brachten ihn und Richard in ihr eigenes Zimmer hinüber. Dann gaben sie der Leiche eine gestreckte Stellung, banden Gertruds Hände gefalten mit einem Rosenkranze zusammen und steckten ein kleines Kruzifix zwischen die Finger. Sie besprengten die Tote mit Weihwasser und zündeten ein geweihtes Wachslicht, das für solche Zwecke in den Hütten vorrätig gehalten wird, in der Stube an …

Hennings sah regungslos zu und ließ alles geschehen. Er sagte nur: »Gut, gut!« als ihm die geschäftige Frau einschärfte – heute ja die Verstorbene nicht mehr beim Taufnamen zu rufen, weil – sie sonst noch einmal sterben müsse. Ebenso schüttelte er nur verneinend den Kopf, als sie ihm anbot, mit irgend einer Gevatterin Totenwache zu halten.

So kam wieder eine schlaflose Nacht, leerer und schrecklicher noch als alle zuvor. Es gab nun keine Hoffnung mehr, alles war öde, alles verloren.

»Es mußte nicht so kommen!« sprach eine Stimme, wie eine fremde, aus ihm heraus. »Es mußte nicht so kommen!« sagte er mechanisch nach und erschrak dann vor dem eignen Gedanken.

»Wüßt' ich's nur! Hätt' ich nur das Vergeßne wieder!« rief er unsäglich schmerzhaft und schlug sich verzweifelnd an die Stirn. »Dann ständ' ich doch nicht so ganz, so ganz allein da! – O es ist gräßlich, zu wissen, daß man etwas gewußt, und nicht zu wissen, was es war. Keinen Faden, keinen Fingerzeig zur Heimat zu haben und sich an nichts, an kein lebendes, liebendes und verstehendes Wesen klammern zu können …!« Seine Zähne schlugen aneinander, er zerwühlte sein Haar und rang die Hände. »Wüßt' ich nur eins!« rief er immer wieder. Er murmelte es zuletzt nur heiser mit halb erstickter Stimme.

Die Ärzte erregen äußeren Schmerz, um inneren zu betäuben, sie erzeugen künstlich örtliche Krankheiten, um den Kampf von einem andern Orte abzuleiten. Die Natur thut ähnliches, sie macht uns unfähig, den neuesten Schmerz in allen seinen Folgen zu messen, und schiebt uns ein anderes Leid unter. Alte Narben brechen auf.

Hennings sah sich neben der Leiche seiner Gertrud von dem düsteren Traume gedrückt, den sie so oft hatte verscheuchen müssen, weil sein Kommen ihren »lieben Fritz« immer scheu und finster machte. Jetzt war sie tot, ihre Küsse versiegt und der versunkene Gedanke, wie immer in eine undurchdringliche Wolke gehüllt, stieg ungehindert auf, lockte, höhnte, spottete und trieb den Unglückseligen fast in den Wahnsinn. Das Vergessen, in dem er seine Verbindung mit den Menschen suchte, durfte ruhen, solang' er ein Weib, einen Herd, eine abgeschloßne Familie besaß, jetzt stand er allein, seine Kinder konnten ihm nichts bieten, wenigstens keine Befriedigung … in solchem Momente mußte jene Qual wiederkommen.

Er ging umher wie ein Träumender; die Fremden, die seinen Zustand nicht begriffen, jetzt aber wieder Teilnahme für ihn hatten, besorgten alles Nötige, der Leichenzug war nach dem einstimmigen Urteile aller Gevatterinnen der »schönste«, der seit langer Zeit im Dorfe gesehn worden, und gewann an Pomp noch dadurch, daß auf Befehl von Gräfin Cecile am Parkthore sich ihm die gesamte Schloßdienerschaft anschloß. Der Pfarrer aus dem Kirchdorfe hielt eine lange Rede, die Frauen weinten, die Männer sahen sehr dumm aus, weil sie die Thränen unterdrückten, – Hennings aber glich einem Gefolterten. Er sah die Leute, die ihn trösten wollten, mit seinem leeren Blicke an, die Muskeln seines Gesichtes waren so schlaff und bewegungslos, daß seine Starrheit alle für seinen Verstand fürchten machte. Und trotz dieser allgemeinen Müdigkeit fühlte er sich durch den Kapelan beleidigt. Es kränkte ihn, daß man aus dem Schlosse die Diener geschickt hatte und daß sich nicht wenigstens der Kapelan gezeigt. »Ob auch dem meine Frau zu schlecht war?« murmelte er.

Er that dem guten Pater Ambrosius unrecht, und wenn er für das, was außer der Rede des Pfarrers nach der Beerdigung auf dem Friedhofe besprochen worden war, Gehör gehabt hätte, so würde er erfahren haben, daß – Pater Ambrosius »zu den Zigeunern gegangen sei« und daß seinethalb im Schlosse große Besorgnis herrsche.

Der Witz der Bedienten gab diesen Worten freilich eine andere Deutung, aber es verhielt sich damit folgendermaßen:

Der Kapelan hatte sich in seinen fast ununterbrochenen Mußestunden unter anderem auch mit der Geschichte der Zigeuner beschäftigt und namentlich über ihre Sprache eine Anzahl mehr oder minder sinnreicher Konjekturen zusammen gestellt. Die Gelegenheit, endlich einmal durch persönliche Untersuchungen und Vergleiche Genaueres festsetzen zu können, war zu verlockend, als daß er nicht trotz Warnungen und Spöttereien im Interesse der Wissenschaft den Versuch gewagt hätte. Wir bemerkten schon früher, daß er nicht furchtsam, sondern nur vorsichtig war. Diese Tugend verließ ihn auch jetzt nicht, er entwarf vorher einen vollständigen Feldzugsplan, erwog alle Für und Wider und kam endlich zu der Überzeugung, daß er unter den von ihm gesetzten Bedingungen ohne alle Gefahr seine rühmliche That vollführen könne. Sonst hätte ihm freilich die Versicherung des Grafen Hugo jede ihm widerfahrene Unbill blutig zu rächen wenig Trost gewährt. Aber er hielt die Erzählung von menschenfressenden Zigeunern für ein Märchen und wußte außerdem, daß selbst jene Historiographen, die davon als von einer Thatsache sprechen und zum Beweise verschiedne – durch die Tortur erpreßte – Geständnisse citieren, allesamt bezeugen, daß die Bande, welche im Jahre 1782 zu Kemeza und Fraumark in Ungarn eingefangen worden, nur achtzehn- bis zwanzigjähriges Fleisch liebte. Er war und fühlte sich über dies Normalalter hinaus, konnte also auch der zweiten Gefahr, die seiner Moralität etwa durch die Bajaderentänze der Mädchen drohte, womit sich die meisten, die über die Zigeuner geschrieben, so viel haben, keck die Stirn bieten. Es ließ sich vielleicht sogar von einem unbefangenen Beobachter eine Verwandtschaft zwischen den Hierodulen der Alten, den Isispriesterinnen, den indischen Bajaderen und den angeblichen Zigeunertänzerinnen nachweisen, nämlich eine Verwandtschaft derart, daß das Zelt des Zigeuners etwa auch einen mysteriösen Kultus, ein Götzenbild berge, das umtanzt wird wie einst die Bundeslade oder eine heilige cista, – denn die andere Verwandtschaft liegt auf der Hand. Und die Grundsätze des Kapelans waren fest, sie liefen bestimmt nicht Gefahr, Schiffbruch zu leiden trotz der weichsten, wollüstigsten Gaukeleien dieser menschlichen Schmetterlinge, trotz des berauschendsten Rhythmus der Musik und der reizendsten Schwingungen des Körpers. Indes war sein Blick wehmütig genug, als er sich diese Versicherung gab …

Blieb also nur noch ein drittes Element des Zigeunertumes zu fürchten: Raubsucht, Dieberei und Gefallen an Flittern. Einerseits mußte er alles, was ihre Begierden reizen konnte, von sich abthun, andrerseits aber kleine Silbermünze und womöglich auch einige abgelegte Putzstücke aus der gräflichen Garderobe zu sich stecken, um durch Geschenke das Vertrauen der Leute, die er ausfragen wollte, erkaufen zu können.

Er ging demgemäß an eine sorgfältige Musterung seines Kleidervorrates, der freilich in einem kleinen Wandschranke Platz hatte und im Nu zu übersehn war. – Er besaß ein Paar Stiefel, die zu kaufen ihn ein Chasseur à cheval auf dem Durchmarsche gezwungen. Eine geringe Änderung daran hatte ihnen ein quasi kanonisches Ansehn gegeben, und der Kapelan trug sie gewöhnlich bei schlechtem Wetter, wenn er seiner Hämorrhoidalbeschwerden wegen genötigt war, auch auf nassen Stegen seine tägliche Promenade zu absolvieren. Daß er diesmal Schnallenschuhe nicht anziehn dürfe, leuchtete ihm ein, – aber die Stiefel hatten wiederum eine gewisse Ähnlichkeit mit den ungarischen Tschismen, die den Diebesklauen in allen Fällen begehrlich scheinen durften. Indes half es nichts, er blieb bei den Stiefeln und mußte sich damit trösten, daß die schwarze Farbe den Gedanken an die geliebten Tschismen nicht aufkommen lassen würde. So war er endlich auch überzeugt, daß die Farbe selbst seinen Staatsrock: schwarzes niederländisches Tuch, Taille und Schoß aus einem Stücke, Spitzknöpfe mit Kamelgarn übersponnen, und alles in allem erst zehn Jahre alt, geschützt hätte, wenn er den Rock Nr. 3, den er wahrscheinlich an seiner Primiz bekommen, nicht der Zweckmäßigkeit wegen bei einer Partie durch Dick und Dünn vorgezogen. Mit der Kopfbedeckung hatte es zuletzt auch noch einen Haken. Ein Samtkäppchen mit Pelz verbrämt schien zu verführerisch und ein Kastor … Sagt doch Martin Kelpius ganz ausdrücklich, daß es den Zigeunern gar nicht darauf ankomme, mit einem zerrißnen Hemde, einem roten Dolman mit Goldschnüren und einem Kastorhute zugleich bekleidet einher zu stolzieren. Es fand sich zum Glücke eine alte halbmilitärische Mütze des verstorbenen Grafen, Pater Ambrosius dachte sich als Glied der »streitenden Kirche« und pflanzte die farbige Mütze, an der er schlimmstenfalls nichts verlor, kühn auf den Wirbel. Hiezu keine reine Wäsche, – das hätte gelockt, – ein Kompaß, ein Stock ohne allen Beschlag, von einer jungen Steineiche geschnitten, einige kleine Münzen, gemachte Blumen, mit Flittern und Lahn geputzte Stückchen Atlas, ein angeschlagener Meerschaumkopf, den Graf Hugo beigesteuert hatte, und endlich eine lederne Brieftasche voller Notizen über die Zigeuner: so war die Expedition ausgerüstet. Als es zum Aufbruche kam, pochte dem Entdeckungsreisenden wohl das Herz, aber er erinnerte sich an die Größe seines Planes, an den Umstand, daß er im neunzehnten Jahrhunderte nach Proklamation der Menschenrechte lebe und daß er ferner ein geweihtes, nach dem Völkerrechte unantastbares Haupt sei. Wir wollen hoffen, daß die Zigeuner mehr Achtung vor dem neunzehnten Jahrhunderte hatten, als die privilegierten Buschklepper, die noch heute nicht bloß Menschen, sondern sogar entdeckungsreisende Gedanken aufgreifen und torquieren. Wir wollen hoffen, daß es dem Forscher von Hehlenried besser ergehe als manchem unsrer Bekannten, der im Herzen der Zivilisation Zivilisierte suchte und auf Zigeuner stieß, und geben ihm in diesem Vertrauen mit Cecile und Hugo das Geleit bis an die Parkpforte, die in die Forsten mündet …

Thatsache ist, daß er am sechsten Abende noch nicht zurück war. Hatte er seine Tollkühnheit mit dem Leben gebüßt? Hatte er sich verirrt? Beides war unwahrscheinlich. Bestätigte sich dagegen Hugos Behauptung, daß der Schwarm aus Zigeunern und Marodeurs zusammengesetzt sei, so war es mehr als möglich, daß man den Sprachforscher als Geisel zurückbehalten. Die Horde konnte leicht durch ihre von Dorf zu Dorf bettelnden und wahrsagenden Weiber Wind von der Jagd bekommen haben, welcher der Pater im Interesse seiner Untersuchungen den Vorsprung abgewinnen wollte. Nun hielten die Leute den Pater zurück, um den längeren Aufenthalt in einer Gegend, die ihnen offenbar sehr zusagte, da sie monatelang ihre Feuerstelle nur in kleinen Strecken verändert hatten, durch Drohungen zu ertrotzen oder durch Kapitulation als Auslieferungsbedingung zu erzwingen. Das ganze Dorf wurde allarmiert, Boten und Spione nach allen Richtungen ausgesendet – es war im Jahre 182. doch keine Kleinigkeit mehr, wenn ein Mensch, der mit den friedfertigsten Gesinnungen und den besten Hoffnungen ausgezogen, zumal aber ein Schloßkapelan, plötzlich spurlos verschwand …

Und war's denn die Sache wert, für die er sich geopfert? Das ist eine Frage, die jeder selbst beantworten muß, der etwas unternimmt, im allgemeinen scheint aber jedes neue Erkennen schon um des gelösten Rätsels willen den Versuch zu verdienen, – ginge es auch um den Kopf. Die Sprache der Zigeuner aber ist ein Rätsel, das auch durch die Ableitung von den Hindus nicht aufgehellt worden. Der Vergleich ergibt nur eine ganz auffallende Ähnlichkeit des Indischen mit dem Slavischen durch Vermittelung der Zigeunersprache, so daß also der definitive Schluß von der Sprache auf den Ursprung, da das Idiom der Zigeuner beiden Sprachen verwandt ist, aufs neue ein prekärer wird. Wäre man in dieser Forschung, die zu Ende des vergangnen Jahrhunderts von mehreren zugleich aufgegriffen wurde, ernster vorgeschritten, so hätte man mit Hilfe der Zigeunersprache vielleicht eine ganz wunderliche Entdeckung gemacht, die von gewisser Seite sicher sogleich »theologisch« ausgebeutet worden wäre. Bei dem bloßen Gegenüberhalten der drei angeführten Sprachen erkennt man eine wechselweise Verwandtschaft, aber zugleich auch, – und das ist längst gründlichst nachgewiesen, die Beziehung, in der das Indische zum Deutschen steht … Sollte es vielleicht wirklich für die alte Welt eine Ursprache geben, und hätte die Sprache der Zigeuner, die in der That durch ihre Isolierung in vielen Ländern ihre eigne geblieben ist, etwas damit gemein?

Die der Inder hat Bildungsstufen durchlaufen, die der Slaven und Deutschen ebenfalls, die der Zigeuner aber scheint konstant geblieben zu sein. Es wäre wirklich interessant, mehr darüber zu wissen. Man kommt nicht so wohlfeil weg, daß man etwa sagt, sie hätten auf ihren Wanderungen dort und da Flicken mitgenommen, so daß die Ähnlichkeiten sich hierdurch erklären lassen: Alte Lieder, die in Spanien von ihnen gesungen werden, wo ihnen sonst wenig von ihrer Sprache geblieben, stimmen genau mit dem Vokabularium ihrer Stammgenossen in England, Schweden und Siebenbürgen überein, sie haben eine Sprache. Sie erwartet einen Mowers, einen Mann, der nicht einmal so schwierige Arbeit hätte wie der berühmte Professor in Breslau, der auf die geistreichste Weise von der Welt ein Bild der Sprache jener Punier entwarf, von denen wir so viel und so blutwenig wissen.

Leider scheint Herr Ambrosius Feigenblatt die Zeit seiner Gefangenschaft nicht aufs beste benützt zu haben, oder hätte ihn wieder nur die Furcht vor seinem Namen an der Veröffentlichung gehindert, und wären wir darum um seine Notizen gekommen? Gefangen war er aber wirklich. Mendel Sack brachte Hennings die Nachricht und bat ihn, sie den Schloßbewohnern mitzuteilen, da er selbst sich nicht oben zeigen durfte.

Zu Hennings kam er dagegen seit Gertruds Tode täglich, ohne je harte Worte zu hören. Es schien, als wäre der Drechsler auf seinen früheren Vorschlag eingegangen. Wenigstens verkaufte er den größten Teil seiner Habe an den Juden und behielt von all seinem Mobiliar nichts als das Bücherbrett, so daß er bis zu seiner Abreise nur Nutznießer fremden Gerätes war. Er hatte nicht gewußt, wo Gertrud ihren Schatz aufbewahrte, und sie hatte vergessen, es ihm mitzuteilen. Christian fand ihn, er war vor Dieben gut bewahrt. Gertrud hatte ein altes Buch, von dem sie wußte, daß es ihr Mann nie in die Hand nehme, eine Erbauungsschrift, die ihr gehörte, mühsam in ein Kästchen umgewandelt, das von außen völlig ein Buch geblieben, so daß es in Reihe und Glied neben den anderen nicht auffallen konnte: in diesem Behältnisse steckten wohlverpackt zu gleichen Teilen abgezählt die Geldstücke. Einige Dukaten, die sie als Patengeschenke erhalten, lagen ebenfalls dabei, kurz alles in allem betrug nahebei die Summe von vierhundert Gulden. Christian sah, daß der Vater danach suchte, er erinnerte sich, die Mutter jenes große Buch durch das Ausschneiden der Blätter bis auf den Rand aushöhlen gesehn zu haben, benutzte einen Augenblick des Alleinseins, um sich zu überzeugen, daß er nicht irre, und fand auf diese Weise das Geld. Als der Vater kam, hatte er die beiden Päckchen, auf denen die Namen Christian und Richard von Gertruds Hand standen, auf den Tisch gelegt, die Dukaten aber gab er Hennings:

»Ich habe das Geld, das die Mutter für uns gewonnen hat, gefunden«, sagte er, »sei so gut und hebe es uns auf, mir ist es zu schwer. In dem kleinen Beutel ist auch noch gelbes Geld, das gehört uns aber wohl nicht, denn auf dem andern steht unser Name; siehst du hier: Chri-sti-an, und da: Ri-chard!«

Hennings sah den Knaben mit großen Augen an. Es fiel ihm jetzt erst ein, daß er vielfach Auffallendes an ihm bemerkt hatte, und daß sein Kind sich ihm nach dem Tode der Mutter fast gar nicht mehr genähert. Er erinnerte sich, daß man ihm erzählt, Christian habe wunderliche Dinge gesprochen, als er sich geweigert, die Leiche der Mutter zum Grabe zu begleiten, weil dies gar nicht seine Mutter wäre; ebenso fremdartig war auch nach dem ersten wilden Schmerze die außerordentliche Fassung des Knaben, der später keine Thräne mehr vergossen, sondern nur trüb und still für sich hingelebt hatte … Er war auch für seinen Vater ein Rätsel.

»Hast du denn etwas, mein Kind, bist du krank?« fragte Hennings besorgt und nahm Christian auf seine Kniee. »Sieh mir doch ins Gesicht, fürchtest du dich, weinen zu müssen?«

»Das Herz thut mir so weh!« wimmerte das Kind, das ohne eine Bewegung, die es fester an den Vater schmiegen konnte, in seinen Armen lag.

Mehr war ihm nicht abzufragen, Hennings verschwendete seine Liebkosungen, Christian duldete sie, aber er erwiderte sie nicht. Der Vater hielt dies Betragen für Abspannung und Trauer. »Sie wird ihn holen, wie sie gesagt!« dachte er. »Hehlenried wird noch das Grab für alles, was ich lieb habe, wenn ich nicht eile fortzukommen.«

Es war am Tage vor der Abreise, eine Woche nach dem Begräbnisse Gertruds, als Mendel Sack die Kunde von dem unfreiwilligen Aufenthalte des Kaplans im Walde brachte. Hennings unterzog sich der Botschaft ungern, aber er war mild genug geworden, um danken zu können. Er haßte Hugo, dem er die Beschleunigung des Todes seiner Frau zuschrieb, aber er wollte von Cecile, die ihm nie Böses gethan, Abschied nehmen. Er war weich geworden und schritt diesmal mit andern Gedanken durch den Park als in jener Zeit, da er ihn zuerst betrat. Er war unschlüssig, was er thun und sagen sollte, wenn man ihm, wie es nicht anders zu erwarten stand, die Bezahlung seiner Arbeiten antrug, er fürchtete ferner, daß das Gefühl des Schmerzes ihn übermannen könne, und er wollte diesen Menschen, die ihn stolz und fest gesehen, nicht ein Schauspiel geben, das sie doch nicht verstanden hätten. Im Nachdenken hierüber wich er von dem gewöhnlichen Wege ab und erstieg eine Höhe, von der er den größten Teil des Parkes übersehn konnte. Er erblickte in der Ferne Cecile und Hugo, die nach dem Waldrande zugingen. Hugo mußte etwas vergessen haben, denn er kehrte plötzlich um und eilte zurück. Hennings wollte diese Entfernung benutzen, um die Begegnung eines Menschen, der allen Groll und allen Schmerz in ihm wachreizte, zu vermeiden, und eilte vor, um die Gräfin allein zu treffen. Das ging indes von dem Punkte, an dem er sich befand, nicht so rasch, als er geglaubt. Der Abfluß des Teiches wand sich zwischen ihr und ihm, und er mußte einen großen Umweg machen, um sein Ziel zu erreichen. Noch eine Strecke entfernt und vor sich eine dichte Hecke, hört er plötzlich einen gellenden Notschrei, der ihm von der Gräfin auszugehn scheint. Er eilt vorwärts und sieht neben dem Mädchen zwei wilde, abgerißne Männergestalten, die offenbar wie er die Entfernung des Grafen benutzt hatten, um zum Vorscheine zu kommen. Sie schienen Cecile plündern oder gar fortschleppen zu wollen, denn sie wehrte sich wie eine Verzweifelte gegen die Übermacht. Hennings beantwortete ihren Schrei und näherte sich in vollem Laufe, so daß die Männer von ihrem Vorhaben abließen, die Flucht ergriffen und im Walde verschwanden.

Cecile war einer Ohnmacht nahe, sie sank erschöpft auf den Rasen und konnte kein Wort hervorbringen. Neben ihr lag ein schmutziges Papier, das die Räuber gebracht hatten, es war ein Zettel von der Hand des Kaplans, die Männer gehörten also zu der Zigeunerbande. – Hennings hatte Eile, Cecile verstand, was er sagte, obgleich sie immer noch nicht antworten konnte, und als er gehn wollte und ihr andeutete, daß Hugo wieder sichtbar wäre, sie also nichts mehr zu fürchten hätte, selbst wenn die Männer noch in der Nähe lauschten, machte sie ihm Zeichen, daß er ihr aufhelfen solle. Sie holte tief Atem, man hatte sie furchtbar geängstigt.

»Nehmen Sie das zum Andenken an mich!« sagte sie endlich und zog an einer feinen venezianischen Goldkette, die ihr die Männer halb aus dem Busen gerissen, eine kleine goldne Uhr hervor. »Nehmen Sie und erinnern Sie sich, daß ich Ihnen für immer dankbar und verpflichtet bin. Verstehen Sie mich diesmal recht: ich biete Ihnen keinen Lohn, sondern ein Andenken. Ich besitze diese Uhr schon seit meiner frühsten Kindheit.«

Hennings glaubte, sich nicht weigern zu dürfen, und nahm die Gabe an: Aber kaum sah er die Uhr in seiner Hand, als er wie von einem elektrischen Schlage getroffen aufzuckte, die Uhr mit fieberhafter Hast nach allen Seiten betrachtete, sie öffnete, nach Zeichen zu spähen schien, sie endlich mit einem Ausrufe des Entzückens küßte, die Augen schloß und einige Minuten wie in einen schönen Traum versunken dastand …

Plötzlich wurde sein Gesicht, das die Freude gerötet hatte, wieder fahl, eine wilde Bewegung bemächtigte sich seiner, er faßte die Gräfin bei beiden Händen und seine Blicke wühlten nun mit derselben Hast in ihren Zügen, mit der sie vorhin die Uhr betrachtet; aber nicht ein Laut der Freude, sondern ein heisrer Schrei der Wut bezeichnete hier das Erkennen. Cecile war wie gebannt. Sein starrer Blick fesselte ihre Bewegungen und drängte jedes Wort zurück.

»Seit deiner frühsten Kindheit gehört sie dir? Ja, ja, du hattest schwarze Schleifen an deinem Kindermützchen, und es war ein armer Knabe, dem du diese Uhr, sein einziges Andenken an seine Mutter, raubtest! Ich weiß nun alles wieder. Du warst jenes Kind, und um deinetwillen litt Gertrud, für dich starb sie. Gräßlich! O, nun werd' ich auch erfahren, wie alles zusammenhängt. Freunde sucht' ich und finde die Feinde zuerst … Wehe euch! – Da, nimm, behalte die Uhr, sie zeige dir jede Stunde neues Verderben, neuen Fluch … mir ist sie entweiht. Ich kenne euch nun! Da!« Er stieß diese Worte mit schrecklicher Heftigkeit hervor, und als er schloß, schleuderte er der Gräfin die Uhr vor die Füße. Die alte, versunkene Vergangenheit schien in ihm erwacht zu sein, er war zugleich ein Träumender und Rasender.

Noch einmal sah er tief in das Gesicht des zitternden Mädchens, als wollte er sich seine Züge unvergeßlich einprägen, noch einmal drückte er Ceciles Hände so fest zusammen, daß sie aus Schmerz aufschrie, dann eilte er davon und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Als Hugo kam, fand er seine Braut in Thränen, die ihr die Aufregung ausgepreßt. Sie erzählte ihr Abenteuer und schloß damit, daß sie sagte: »Der Drechsler hat mich gerettet, aber der Tod seiner Frau hat ihn wahnsinnig gemacht, er sprach wilde verworrene Dinge und sah mich so schrecklich an, daß ich diesen Blick nicht mehr vergessen werde.«

Der Spaziergang ward aufgegeben. Hugo raffte die Uhr wieder auf und beide kehrten ins Schloß zurück.

Die Uhr hatte eine goldne Kapsel, auf deren einer Seite in Email ein umgestürzter Blumenkorb, auf der andern ein zierlich verschlungener Namenszug zu sehn war. Das Zifferblatt umgab ein Kranz von kleinen Perlen. Auf der inneren Seite der einen Kapselklappe war eingraviert: »14. Juin 178..« – Man konnte sie nicht verwechseln, wenn man sie einmal genau betrachtet hatte.

.


 << zurück weiter >>