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Drittes Kapitel.

Auf der Reise.

Fast um dieselbe Zeit, in der die Personen, von denen wir auf den letzten Seiten sprachen, in Paris versammelt waren, trug der Dampfer »Ludwig« von Lindau aus zwei Personen, auf deren Lippen ebenfalls wiederholt der Name Tetarskoffs war, nach der alten Stadt des Konzils, nach der Stadt, die das Grabmal Johann Hussens ist. Wir wollten »Denkmal« schreiben, weil uns unwillkürlich einfiel, daß in der That einmal beabsichtigt worden, dem Böhmen in der alten Stadt ein Monument zu errichten, und daß die Aufforderung zu diesem Werke von dem jetzt so vielfach berüchtigten Ultramontanen Buß, dessen fanatischer Konfessionalismus das badische Oberland durchwühlt hat und noch durchwühlt, ausging. Er ist ein Renegat, damit ist sein Eifer, aber auch sein Geifer erklärt und taxiert.

Der Bodensee hat seine Mucken so gut wie Rousseaus Leman. Das Fahrzeug wurde aus dem räucherigen Bassin des Lindauer Hafens, zwischen den Steinsäulen durch, mit so großer Macht in »offne See« geschleudert, daß das ins Schlepptau genommene Packboot voller Fruchtsäcken wunderliche Sätze von einem Wellenkamm zum andern machen mußte und die Leute darauf mehr als einmal Angstrufe ausstießen. Der Himmel nach Nordwest, über das deutsche Ufer hin, schien selbst ein dunkles, halb zu Schaum geschlagenes Meer. Die Wolken trieben zerrissen fort und bluteten aus ihren Millionen Wunden. Sie klatschten mit ihrem nassen Schleier ins Wasser hinunter und den Schauenden ins Gesicht. Man konnte weder Friedrichshafen noch weiter nach West irgend etwas als graues wirres Gesudel auf aschfarbnem Grunde entdecken. Der Dampfer steuerte südlich und brachte sich aus dem Unwetter hinaus. Es blieb trübe, die Wasser gingen hoch, aber zurück auf Bregenz blitzte durch eine Wolkenlücke ein Sonnenstrahl, der die weißen Häuser, die vom See aus in Terrassen aufzusteigen scheinen, blendend scharf umriß. Der Kontrast von rechts und links, den man in der Kajüte leicht bemerken konnte, versprach einen originellen Anblick und diese Hoffnung bewog einen Teil der Passagiere, die sich insgesamt vor dem derben Gusse geflüchtet hatten, den leichten Sprühregen, den jetzt nur noch einzelne Windstöße herüberbrachten, auf dem Deck zu ertragen. Die Luft war immer noch unangenehm rauh, sie blies von den Allgäuer Alpen her, über die Schneekrone des Säntis, und vertrieb so zwar das Wetter, strich aber auch über die ganze Länge des Verdecks und wurde nur an dem wärmenden Platze über der Maschine minder fühlbar.

An diesem Platze standen zwei junge Männer, beide in braune Kutten mit Kapuzen gehüllt, wie sie die venezianischen Schiffer tragen.

»Alle Wetter, welch frostigen Abschied heult uns die Fremde nach und wie frostig empfängt uns die Heimat«, sagte der eine, dessen Züge sich durch eine gewisse scharfe Regelmäßigkeit auszeichneten, die von der Magerkeit und dem blassen Kolorit des Gesichtes noch mehr hervorgehoben wurde. »Man sollte wirklich meinen, daß es die Luft weiß, wie wenig wir dort und hier heimisch sind, wie zuwider uns oft sogar Italien war trotz der Kraft, die im Augenblicke in seinen Adern zu pulsieren scheint, weil wir wußten, daß die einseitige Erhebung einer Nation, bloß um eine Nation zu werden, so wenig Erfolg für das Ganze verspricht, daß man solche Gelüste eigentlich von vornherein als reaktionäres Streben verurteilen muß.«

»Und doch wär' ich gern geblieben«, sagte der andere, ein schlanker, auffallend schöner Mann, dessen ganzes Wesen sanfte Harmonie zu sein schien. Er war der echte Typus nordischer Schönheit, große dunkelblaue Augen und blondes Haar, reiche Farben und kernhafte Gesundheit in Mark und Muskeln. Während die Augen seines Freundes mühsam ein verzehrendes Feuer verbargen, so daß die Blicke oft trüb, melancholisch und schmerzlich wie in sich zusammenbrachen, sahen die eignen blauen Sterne trotz der Schatten, die sie jetzt umwölkten, heiter und offen, ja innig in das Leben. Es hatte ihm noch nie so weh gethan, daß ein nachhaltiger Groll, eine Narbe, die aufbrechen könnte, ein Grabkreuz für eine tote große Hoffnung in ihm geblieben wäre. – Er war jünger als sein Freund.

»Und doch wär' ich gern geblieben! Nicht daß es mir besonders leid thäte die Entwirrung des Knotens, der sich da unten schürzt, nicht in der Nähe sehen zu können, oder daß ich bedauerte, Venedig mir verschlossen zu finden, – mich kümmert diese Abberufung einmal darum, weil sie mich an meine Abhängigkeit mahnt, und dann, das ist das Herbste, weil sie mich von dir trennt, weil sie unsern Bund vielleicht für immer zerreißt.«

»Das wird so schlimm nicht sein. Du weißt ja, daß ich der glücklichste Mensch von der Welt bin, so sagen wenigstens alle Leute …« Es ist unmöglich, den bitter ironischen Ausdruck zu beschreiben, der bei diesen Worten seinen Mund verzog. – »Ich bin im Genusse einer beneidenswerten Unabhängigkeit, kann gehn wohin ich will, bleiben wo es mir gefällt, habe einiges Vermögen und genug Talent, um meine Existenz zu sichern, es sei dort oder da. Wie kannst du nun einem sollten Glückswunder, einem wahren Polykrates gegenüber so leichtsinnig sein, von Trennung, zerrissenem Bunde und dergleichen zu sprechen. Du bist für mich ein wahrer Schatz, es hieße mutwillig einen Teil meines Glückes mit dem Fuße fortstoßen, wenn ich dich ziehen ließe, ohne mitzugehen. Wer weiß, ob sich die Sache nicht noch ganz à l'amiable arrangieren läßt. Wir wollen mit deinem Despoten ein ernstes Wort reden und vor allem ihn beichten machen. Er hat sehr üble Manieren, dieser Herr Tetarskoff. Das ist mir zuwider, ich werd's ihm sagen. Ist es doch wahrhaftig eine merkwürdige Tollheit, dich erst erziehen zu lassen wie einen Prinzen, dich auf allen Akademien herumzuschicken, dann einen Landwirt, endlich einen Kaufmann aus dir zu machen, um dich gleich darauf mit einer langen Rente auf Reisen zu senden, und hinterher … Hast du denn keine Ahnung davon, wozu du jetzt verbraucht werden sollst?«

»Wie sollt' ich denn? Die Ordre lautet unzweideutig: Sie haben sich angesichts dieses nach Paris zu verfügen und weitere Bestimmungen bei mir, Boulevard de la Madeleine Nro. … in Empfang zu nehmen. Gezeichnet F. Tetarskoff. Nach den Kreuz- und Querzügen, die ich schon machen mußte, ist es mir ganz unmöglich, irgend etwas zu ahnen. Eine Befriedigung aber finde ich in diesem Befehle doch. Ich werd' ihn nun wenigstens sehn und kennen lernen, es wird mir gelingen zu erraten, ob er nur im Auftrage anderer handelt oder ob ihn ein persönliches Interesse an mich fesselt. Es ist doch widerwärtig, so ohne allen Zusammenhang mit der Welt im Leben zu stehn …«

»Ah, ah, und vorhin der Jammer um mich!«

»Doch, du ersetzst mir alles um so eher als ich's nicht kenne, aber du begreifst, daß du mir nicht immer so deine Pläne opfern darfst, wie du es jetzt gethan, wo du deinen Aufenthalt in Italien, der deiner Gesundheit so sehr notthat, mir zuliebe abkürztest. Dann bleib' ich allein!«

»Einmal sagt' ich dir, daß du, der du bis zum Blutdurst fast ein Versöhner bist, mir nötiger wurdest als die laue Luft jenseits der Berge, ich also mein Interesse, nicht das deine verfolge, wenn ich dich begleite, zweitens ist es mit deinem Alleinstehn nicht mehr so lang hin. Du wirst dir eine Heimat gründen trotz aller Tetarskoffs, dann hast du die Verbindung mit der Welt gefunden.«

»Ich weiß nicht. Das ewige Gehorchen, das mir in der That nur Gutes eingetragen hat, machte mich natürlich nach einer Richtung hin faul. Ich fand es überaus bequem, eine so gütige Vorsehung über mir zu wissen. Ich will nie etwas, denn die verschiedenen Versetzungen abgerechnet, die sich in der Folge aber doch als nützlich erwiesen, kam ich nie bis zum Wollen, es war immer alles, was ich wünschen konnte, in der nächsten Ordre enthalten. So ward es Tetarskoff denn auch leicht, mir das Versprechen abzunehmen, daß ich nie ungehorsam sein würde …«

»Welche Thorheit, sich so in die Hände eines Menschen zu geben, wäre er auch ein avant la lettre Abdruck der Vorsehung selbst. Wenn er nun eine beliebige Schurkerei von dir forderte, eine Schurkerei gegen dich oder andere …?«

»So würde ich nicht gehorchen, aber …«

»Aber dich wegen der Unmöglichkeit, dein Wort zu halten, totschießen, nicht wahr? Süßer, empfindsamer, romantischer Richard, die Menschen erfanden viel Dummheiten, aber die feierlichen Gelübde, die Verpflichtungen, die mit der Zukunft wie mit einer Gegenwart verfahren, über die wir Herren sind, wären das Dümmste alles Dummen, wenn es nicht noch etwas Dümmeres gäbe, nämlich sich durch die Unmöglichkeit, die moralische Unfähigkeit, das Versprechen zu halten aus der Fassung bringen zu lassen. Das ist das zweite Stadium der Verrücktheit, das erste ist das Versprechen selbst. Die Klerisei macht eine Tugend daraus, aber es ist nicht einmal eine Sünde, sondern einfach ein Akt momentanen oder chronischen Wahnsinns. Ich kenne dich, dergleichen Dinge sind deine Achillesferse. Man kitzelt deine Nerven etwas, rührt dich und du schlägst mit echt deutscher Biederkeit ein.«

»Das ist nicht dein Ernst, Kurt, Manneswort muß felsenfest stehn. Ich gehe lieber unter, ehe ich's breche.«

»Bravo! Aber ein vages Versprechen ist kein gegebenes Wort, kein Manneswort, sondern ein dummer Streich, wie ihn nur junge Leute machen. Jedes Versprechen setzt eine Pflicht und die Pflicht hebt die Sittlichkeit der That auf. Ein Mann, der bei seiner Frau aus keinem besseren Grunde bleibt, als weil er es ihr einmal versprochen, ist ein Verbrecher gegen sie und sich selbst; der Mönch, der widerwillig ehelos bleibt, speit der Natur und sich selbst ins Gesicht, die Tugend ist der modernen Moral zum Trotz in beiden Fällen im Bruche des Versprechens. Der Wahnwitz, der jenes tugendhafte Verbrechen erlog, ist nichts als die à conto des gespaltenen, dualistischen Menschen erfundene Askese, die auch der Brutalität unter dem Vorwande des geretteten ›Seelenheiles‹ einen Nimbus gibt, an den der dumme Haufe glaubt. Ah! ich werde grob, Freund Richard, tüchtig grob, wenn ich auf das Kapitel der Dummheit komme!«

»Ereifre Dich nicht, ich bin ja gar nicht so dumm, und du predigst im Augenblicke ja nur mir.«

»Dich will ich warnen. Du gleichst jenen Häusern da drüben am Schweizerufer, die mit ihrer grünen oder grauen Schindelbekleidung, die ihre Mauern vor Regen und Wind schützen soll, aussehn wie Schildkröten, die sich in sich zurückgezogen haben. Du hast noch gar nicht zu leben versucht, du bist nur mit einer Tasche voll Geld und einem gefüllten Kopfe im Leben herum gestiegen, ohne Kopf und Glieder preiszugeben. Es ist fast ein Wunder, daß du trotz alledem schon eine so große Dummheit, wie dein Versprechen ist, begehen konntest. Ich warne dich, ich warne dich!«

»Pfui, Unglücksrabe! Ich acceptiere den Vergleich mit jenen vom Scheitel bis zur Sohle mit dünnen Schindelschuppen bekleideten Häusern, die so freundlich zwischen den Obstwäldern hersehn, aber ich verstehe ihn anders als du. Stecken sie nicht trotz der reizend anmutigen Umgebung, die ihnen nur duftige Grüße und Blütenküsse aller Art zuwirft, streitfertig im Panzer? So bin ich auch. Im Moment wo ich wollen darf und streben kann …«

»Hast du es schon verlernt.«

»Du willst wirklich nur sehn, ob ich denn nicht eine Spur von Galle in mir habe. Das ist vergebne Mühe, dir zeigt' ich sie doch nicht und Herr Tetarskoff ist meines Wissens der einzige Mensch, dem ich im Notfalle den Hals brechen könnte, und auch das nur, wenn er seinen Wohlthaten dadurch die Spitze abbrechen wollte, daß er mir mein Verhältnis zu dir durch eine Mahnung an mein Versprechen zu verkümmern suchte.«

»Dann würd' ich selbst schon mit ihm Rücksprache nehmen. Er muß ein Sonderling sein, mit solchen Leuten kann man auf sehr verschiedene, aber immer nur sonderbare Weise fertig werden. Ich wette, daß ich ihn zahm mache und heraus bekomme, ob er, wie du einmal glaubtest, hinterrücks dein ›lieber Papa‹ ist, der seinen Sohn nur darum fern von sich hält, weil er angesichts einer nichts weniger als lieben Frau, durch ihn an eine Zeit erinnert zu werden fürchtet, die zu schön war, um dauern zu können.«

»Mich drückt das!«

»Neue Thorheit! Freue dich, daß du bist, kümmert's uns, wie du wurdest?«

»Mich nicht, aber andere. Ich werde verlegen, wenn man nach meinen Eltern fragt. Noch vor einer Stunde setzte mich der dicke Frankfurter Bankier, der dich so sehr in Affektion genommen hat, daß er dir zu Gefallen sogar demokratische Ansichten aussprach, auf diese Weise in Verlegenheit.«

»Ich gab dir ja auch sofort eine Lehre, die du beachten magst, ich erzählte dem Neugierigen eine so mysteriöse Geschichte, sprach von Inkognito, Hofmeister, zurückgelassenem Gefolge und dergleichen, daß der komische Kauz richtig zehn Minuten nachdem er, hingerissen von der Gewalt der Wahrheit, auf dem Wege war, Proudhon nicht mehr für einen Werwolf zu halten, dich aus alter guter Gewohnheit höchst ehrerbietig zu betrachten anfing und es dir seitda ganz unmöglich macht, je seine unanständige, unkonventionelle Seite, d. h. seinen Rücken zu sehn.«

»Damit ist der en passant abgefunden, aber für ein fixes Interesse kann ich unmöglich Histörchen präparieren.«

»Dafür schaffen wir in Paris Rat. – Jetzt ist's hier oben hübsch genug geworden, daß auch andere als wir Naturenthusiasten Freude am Anblicke haben können. Ich muß unsern dicken Freund, der sich wieder für ein Jahr in Gastein restauriert hat, heraufrufen. Ich habe eine gute Ader in dem Manne entdeckt, und es wäre schade, wenn er unten in der dumpfen Kajütte seekrank würde, wie mir das bei einem ähnlichen Wetter wirklich auf dem Bodensee passiert ist. Das brächt' ihn wieder ein Jahr zurück. Und man muß sehn, wie gern der Mann lebt.«

Er ging hinab und brachte gleich darauf einen wohlkonservierten alten Herrn auf das Deck, von dessen Gesicht er bemüht war, den üblen Eindruck eines zähen Koteletts und eines Schlucks des übelberüchtigten vin du pays, eigentlich vin du lac, zu verwischen. Es gelang, der alte Herr war bald aufgeräumt und heiter, der Humor Kurts zündete.

Und doch war es dieser Humor, der seinen Begleiter ängstigte. »Du bist heute wieder recht krank, Kurt!« sagte er ihm.

»Meinst du, mein Junge? Nun, so sieh zu, wie man mit dergleichen Anfechtungen des Teufels fertig wird«, lautete die Antwort. Damit setzte er sich wieder zu dem Bankier, der im nächsten Augenblicke über einen Witz laut auflachen mußte.

Rorschach, Arbon, Romanshorn und Münsterlingen zeigten nach und nach ihre Türme, Häuserreihen und Klostermauern, umgeben von Weingärten und prächtigen Obstwäldern, die eben ihre falben Blätter abschüttelten. Kurt, dem die Gegend bekannt war, nannte die Orte und erzählte von ihnen. Dann kam Gottlieben und Kreuzlingen, endlich die einst so gefürchtete Bellevue, der Stapelplatz einer Reihe verbotner Bücher, die auf die verschiedenste Weise in das dichtbei gelegene Konstanz geschmuggelt, dort geheftet und broschiert worden und von da in alle Welt gegangen sind. Die Erzählung, wie einzelne besonders gefährliche Bogen von »Gutgesinnten« im Hute, andere aber mit einem Gebetbuchstitel eingebracht worden, machte dem dicken Bankier viel Spaß.

»Verdammt gescheit sind sie schon, die Radikale!« meinte er, und gab damit in der That nicht das schlechteste Zeugnis, das man einer verhaßten Partei geben kann. Zumal da sich der unwillkürliche Ausruf offenbar nicht auf den Schmuggel allein bezog, sondern mit dem »schon« fast ein »überhaupt« setzen wollte; wie es denn auf der andern Seite auch kaum zu bezweifeln ist, daß er in Gedanken mit einem »aber« fortfuhr.

Mit Kurt aber schloß er, obgleich er wußte: – »das ist auch einer von dene Radikale«, – ein förmliches Schutz- und Trutzbündnis, versicherte, daß er sich überglücklich schätzen würde, ihm irgend einmal gefällig sein zu können, und schloß die Reihe seiner Liebeserklärungen, als er sich in Konstanz von den beiden Freunden trennte, da diese im »Hecht« blieben, während ihn eine bekannte Familie erwartete, mit den Worten: »Sie haben mich eins gelehrt, Herr Baron, was ich nicht vergessen werde, – daß man ein Radikaler, ein Republikaner, ja gar ein Kommunist und ein Mensch sein kann, der an wenig oder nichts glaubt, und doch dabei weder roh noch gemein, noch unhöflich und bettelhaft zu sein braucht, sondern daß es anständige, edle und reelle Leute unter ihnen gibt. Denn Sie sind alldas und zugleich ein ehrenwerter Mann, mit dem ich mir's zur Ehre schätzen würde, recht viel zu thun zu haben!« –

»Siehst du, Richard, dafür möcht' ich den alten Mann küssen, als wär's ein junges Weib. Dies Anerkenntnis von seiten eines Menschen, der aus Profession mein Gegner ist, hat viel mehr Wert, als wenn die Clique sagt, er ist einer von den Unsrigen, wir müssen selbst für eine Schurkerei die Augen schließen. – Und wodurch hab' ich das erreicht? Ich hab' mich in meinen Gesinnungen unverhüllt gegeben, bin aber mit ihm umgegangen wie mit einem Menschen, habe ihm nicht gedroht und nicht auf das entfesselte Proletariat gepocht. Das war der Anfang. Hinterher hab' ich ihn amüsiert, sogar ihn, weil ich sah, daß er Herz hat, ein wenig in mein Leben schauen lassen, so daß seine Neugier befriedigt wurde und er von mir ein ihm nur angenehmes Bild mit heim nimmt. Bei Gelegenheit erinnert er sich an mich und hält nun gewiß nicht mehr jeden Demokraten, oder wie er sagt: jeden Radikalen, von vornherein für einen ungehobelten Schuft in zerrissnen Hosen und schmutzigem oder gestohlenem Hemde. Diese Menschen müssen nur erst wissen, daß wir nicht so sind, wie wir ihnen von den Dummköpfen und Heuchlern, denen es um ihren Kredit geht, geschildert werden, dann nähern sich uns die Besseren unter ihnen von selbst. Das ist eben der Wahnsinn, daß man die Andersgläubigen nur verketzert und sie durch Drohungen und Roheiten abstößt, statt sie einfach durch das Beispiel und wahrhaft republikanische Sittengröße zu uns herüber zu führen.«

Im Fremdenbuche des »Hechtes« zu Konstanz schrieben sich die beiden Herren ein wie folgt:

Kurt, Freiherr von Crav-Gillen, Gutsbesitzer aus Thüringen, kömmt von Innsbruck, reist nach Paris.

Richard Heeren, Partikulier aus Paris. Wie oben.

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