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II. Dazwischen.

Erstes Kapitel.

Die Anleihe.

Jede Stadt hat so sehr ihre eigne Physiognomie, daß man trotz allem, was die Zeit an ihr gethan hat, aus Anlage, Ordnung und Baudenkmalen ohne Schwierigkeit einen Umriß ihrer Entwickelungsgeschichte abstrahieren kann. Große Städte, die aus sich selbst geworden sind, unterscheiden sich immer schroff von denen, die der Laune oder Liebhaberei eines Mächtigen ihre Größe verdanken; Städte, die der Handel groß gemacht, erkennt man an ihrer Lage an Strömen und Wegscheiden; markiges Bürgertum in ihnen äußert sich nach innen durch großartige öffentliche Gebäude und solide, zum Teil auch kapriziöse Privathäuser, nach außen durch Turm und Wall. Wo sich Bürger ihre Heimat gegen auswärtige Feinde durch Mauern und Graben schützen, gab es keine Citadelle, die Citadellen bauten erst die Fürsten gegen die Städte selbst. Es ist allenthalben noch ein Rest alter Mauer, alter Weise geblieben, die sich erkennen läßt, welch Schwalbennest spätere Tage auch darüber geklebt haben, man wird sich bei aufmerksamer Untersuchung nie täuschen. Und wieder ist ein Rest alter Gesinnung auch in den Bewohnern geblieben, wie oft die Generationen auch gewechselt. – Berlin, das den Hohenzollern seine Existenz verdankt, hat sich nie recht aus den Bedingungen, unter denen ihm das Werden stillschweigend garantiert worden, loswickeln können. Es kam mit geraden Straßen, aber krummem Rücken auf die Welt, es lebte von Wohlthaten und Geschenken und lebt noch heute nicht anders. Berlin hat kein eignes Talent, es wurde nicht, weil es werden konnte und mußte, sondern es ist ein Werk der Gnade, es stand auf Kommando eines Morgens in Reihe und Glied da und bekam, weil es so gut dressiert war und die Honneurs so brav zu machen verstand, dort und da noch ein Treßchen mehr auf den Rock: es ist durch und durch militärischer Lakai, selbst die Häuser tragen altbärtige Geheimratslivree mit Offiziersepauletten. – Breslau entstand anders. Es hat krumme Straßen, viele Giebelhäuser voller Schnörkel, es ist praktisch, im alten, nicht im neuen Sinne, angelegt, aber es ist im Herzen eine echte alte Stadt mit steifen, graden Gliedern, die sich nicht gern biegen und drehn lassen. Von Breslau, aus dem Schoße seiner Bürgerschaft, kam manch ein männlich Wort in harter Zeit. Es hat krumme Straßen aber graden Sinn. Breslau hat sich bei keinem Menschen für seine Größe zu bedanken, es hat sich selbst durch seine Thätigkeit und seinen Handel groß gemacht, daher sein Selbstgefühl, sein Mut und seine Festigkeit. Daß es eben, weil es eine alte Stadt mit vielen Traditionen ist, auch unendlich viel konservative Elemente birgt, versteht sich von selbst, aber zum Speichellecker hat es sich nie gemacht, auch seine konservativen Bürger haben Stolz, ja einen so großen Stolz, daß der, dem das Wesen alter Städte unbekannt ist, nicht umhin kann, manche offne Gesinnungsäußerung, die an hartnäckige Opposition grenzt, schwer mit den engen, nicht besonders reinlichen Straßen der inneren Stadt und mit den hohen Spitzdächern in Einklang zu bringen. Und nun erst die geklebten, gut polnisch schmutzigen Hinterhäuser … Breslau liegt nicht jenseits der Schweidnitzer und Taschenstraße, es konzentriert sich um den Ring, draußen ist es modern und alltäglich, innen ist es interessant und originell, innen hat es Charakter und Geschichte, geheimen Raum für Laster und Tugend. Um alle Phasen der Menschheit kennen zu lernen, muß man sich nicht mit den Salons begnügen, wo ein gleicher Lack über alles gestrichen ist, um eine Stadt zu studieren, muß man auch in Winkelgassen und Spelunken treten.

Und es gibt in Breslau Spelunken verschiedener Art und zu verschiedenen Zwecken, auch zu solchen, welche die Polizei mit offnen Augen nicht sehn mag und auch damals nicht sehn mochte, als sie noch nicht wie jetzt so viel damit beschäftigt war, Versammlungen zu stören und den Gottesdienst der Deutschkatholiken zu unterbrechen.

Ob ein schmales Gewölbe, das wir sogleich schildern werden, im unteren Teile der Altbüßerstraße, die, beiläufig gesagt, zu den engsten und unreinlichsten Gegenden der Stadt gehört, den Spelunken beizuzählen ist, wissen wir nicht, der Leser mag urteilen.

Es hat nicht mehr als zehn Fuß Tiefe und höchstens dreißig Fuß Längenausdehnung. Der Raum ist noch verengert durch längs den Wänden aufgestellte Bücherrepositorien, auf deren Borden wild durcheinander eine Menge halbzerrißner Bücher in allen Formaten und vergriffnen Pappbänden liegen, stehn oder hängen. Es würde schwer sein, irgend ein ganzes Werk zusammen zu bringen, die Bibliothek scheint dadurch entstanden zu sein, daß aus Auktionen inkomplette Schriften zusammengekauft worden, sie ist wertlos und man könnte mit Recht fragen, wozu die dicken Fensterladen sollen, und zu welchen Schätzen das gewichtige Vorlegeschloß an der Thüre den Zugang versperrt. Gleichwohl ist mit schwarzer Ölfarbe auf eine schmierige Blechplatte am Eingange geschrieben: »Leihbibliothek von Salomon Silberfeld.« Sollen die Bücherfragmente wirklich ausgeliehen werden? Sind Fensterladen und Schloß wirklich nur dazu da, um die Abonnementsgelder zu verwahren, welche dies jämmerliche Institut einbringt? Oder ist jener Schreibtisch aus rohem Tannenholze, geschlossen durch eine mit Tuch überzogne Klappe, die Veranlassung all dieser Vorsichtsmaßregeln? Zwar kann man nicht wissen, was in dem Alkoven, dessen Zugang durch Vorhänge von großblumigem Kattun geschlossen ist, verborgen wird, allem Anscheine nach steht indes dicht dahinter ein einfaches Bett und ein Stuhl mit einer thönernen Waschschüssel. Der Vorhang ist so überaus zart durchbrochen, daß man diese Schätze fast ebenso deutlich erkennen kann als den Leib jener indischen Prinzessin durch ihr vierzigfaches Gewand von Nesselspitzen. Rechnen wir hiezu noch einen durchaus nicht einladenden Sessel, unter dessen zerrißnen Lederpolstern eine Mischung von Kälber- und Roßhaaren hervorsieht, sowie ein schmutziges Heft, das in Frakturschrift den Titel: »Katalog der Leihbibliothek von Salomon Silberfeld« zeigt, ferner an einem Nagel eine Pelzmütze und endlich auf der »inkrustierten« Diele vor dem Schreibpulte einen sehr abgetretnen Wachsleinwandlappen, so dürfte kaum etwas vergessen sein, was man mit Recht als zur Klasse der Utensilien gehörig bezeichnen könnte.

In dies Gemach trat gegen das Ende des Jahres 1847 eines Mittags eine große, schöne Frau, nachdem ihr Klopfen durch ein feines, fistelstimmiges »Herein« beantwortet worden war. Sie befand sich schon beim ersten Schritte einem kleinen Manne gegenüber, dessen Gesicht eine überaus unglückliche Verbindung orientalischer Schärfe und mongolischer Plattheit zu sein schien. Man muß gestehn, daß der mongolische Augenschnitt und der eigentümliche Nasenwinkel, der so gern auch noch die Oberlippe mit hinauf zieht und die Hälfte der Zähne bloßstellt, neben einer zweischneidigen echtjüdischen Nase, die aber gewaltsam aus ihrer hängenden Richtung geschraubt ist, und einem spitz vorstehenden Kinne, nicht eben einen erbaulichen Anblick geben können. Ein ausgedienter Kontorrock, dessen Arme in Schreibärmeln von Kittei steckten, eine abgegriffne Samtweste, die nach allen Richtungen schielte, eine blau und grün karrierte Hose, die dem Umfange und den Überresten von Schnürquasten nach einmal einem Studenten gehört haben mochte, und ein Paar großaugige Stiefel vollendeten den Anzug des kleinen Mannes. So stand Herr Salomon Silberfeld, denn er war es in Person, mit der ihm eignen Freundlichkeit vor der Dame und rieb sich die Hände, wobei er merkwürdigerweise und wahrscheinlich unwillkürlich jedesmal, wenn er an den Daumen kam, die Pantomime des Geldzählens machte. Sein halber Bückling blieb indes unerwidert, die Dame, deren Toilette jene prächtig einfache Eleganz zeigte, die von den Frauen baronisierter Bürger und aus dem Geschäft zurückgezogner Kaufleute beneidet, bewundert, angebetet, aber ebensowenig erreicht wird, als der englische Pachter auf dem Kontinent den Lord für den »Kenner« zu spielen vermag, diese Dame, die offenbar zu den »höheren« Ständen gehörte, hatte mit einem einzigen Blicke die ganze häßliche Umgebung gemustert, war mit Abscheu zurückgetreten und zog jetzt ein kleines reichgesticktes Portefeuille heraus, besah eine Karte und verglich im Gedächtnisse den Namen, den sie draußen an der Thüre gelesen, mit der erhaltnen Adresse.

»Herr Silberfeld ist wohl ausgezogen und sein Name steht nur noch draußen?« fragte sie hochfahrend und schien erst jetzt den Mongolojuden, der mit einem unvergleichlichen Zwinkern der Augenlider dem Manöver gefolgt war, eines Blickes wert zu halten.

»Nein, meine werteste Madam', ich selbst bin der, den Sie suchen, ich heiße Salomon Silberfeld, bin Leihbibliothekar und … nun Sie werden wohl wissen, warum Sie zu mir kommen. Womit kann ich dienen?« Dabei hefteten sich seine griffigen Augen nicht ohne Wohlgefallen auf die Brosche der Dame, in der ein kostbarer Stein funkelte. Seine Hände näherten sich einander wie zufällig und rein mechanisch, einen Augenblick darauf fingerte der Mann zuerst sehr rasch, dann immer langsamer und zäher eine Zahl ab.

»Aber man kann mich doch nicht an Sie in einer Angelegenheit gewiesen haben, die …«

»Dürft' ich nicht wissen in was für einer Angelegenheit? Es gibt der Angelegenheiten viele, jeder Mensch hat die seine. Sehn Sie, werteste Madam', wenn man Sie an Salomon Silberfeld gewiesen hat … in einer Angelegenheit, wie Sie sagten, so muß man doch wahrscheinlich die Angelegenheit und Salomon Silberfeld gekannt haben, hatte also ebenso wahrscheinlich Grund, zwischen der Sache und mir eine gewisse Verbindung möglich zu finden. Hm, hm! Wollen Sie die Güte haben Platz zu nehmen?« Er bot der Dame wirklich seinen Sessel mit einem Bewußtsein an, als wäre der zerfetzte Schemel ein Lehnstuhl mit den weichsten Kissen und den prächtigsten Sprungfedern.

»Unmöglich!« murmelte die Dame. »Ob man mich verhöhnt? Gräßlicher Gedanke! Unmöglich!« Sie sah so bleich aus, daß man in der That erwarten konnte, sie werde nächstens doch von dem Stuhle Gebrauch machen müssen, um sich aufrecht erhalten zu können.

»Aha, ein Neuling! Desto besser!« dachte der Wucherer, denn wir dürfen uns nicht länger verhehlen, daß die Leihbibliothek nichts als ein Tugendmantel und zugleich eine sehr sinnreiche Erfindung war, durch die sich die Unglücklichen, denen eine abschlägige Antwort oder die Verweigerung eines Hinausrückens des Zahlungstermines zu teil wurde, in der Verzweiflung die Zeit vertreiben konnten, um fruchtlos etwa eine veränderte Laune des edlen Geldverleihers abzuwarten, oder endlich noch dies und das versatzfähige Stück ihrer Habe auszukundschaften, indem sie seinen Namen zufällig in einem Bande von Eugen Sue, Cooper oder Spindler lasen.

Da die Dame immer noch nicht das rechte Wort zu finden schien, er also Zeit hatte, sich in aller Form in den Stein der Brosche zu verlieben, d. h. ihn gehörig zu taxieren und ganz besondrer Aufmerksamkeit wert zu halten, glaubte er sich endlich verpflichtet, dem »Neulinge«, der allerdings dreißig Jahre zählen konnte, aber immerhin in diesen »Angelegenheiten« nicht bewandert sein mochte, zu Hilfe zu kommen.

»Werteste Madam' … erlauben Sie zuerst …« Er schob zum Schrecken der Dame einen Riegel vor die Thüre. »Es geschieht, damit wir nicht gestört werden, es kommen viele Leute zu mir, die – Angelegenheiten haben«, sagte er mit einem wichtigen Blicke, den nur das Bewußtsein, daß er es hier mit einem außergewöhnlichen Kunden zu thun habe, ein wenig zivilisiert machte. – Er wollte beim ersten Geschäfte nicht abstoßen; das thun Wucherer und falsche Spieler niemals. – Dann fuhr er ohne den Kampf und das Widerstreben der Dame, die immer wieder in halber Verzweiflung ihre Karte zu Rat zog, irgend zu beachten, in leisem, vertraulichem Tone fort:

»Werteste Madam', die Zeit ist kostbar, und da sie hier sind, hierhergewiesen von jemand, der mich kennt, vielleicht Geschäfte mit mir gemacht hat«, – er blinzelte lauernd mit den Augen, ohne jedoch eine merkliche Veränderung in den Zügen der Dame wahrnehmen zu können, – »so kann ich nur wiederholt bitten, mich mit Ihrem Vertrauen zu beehren. Die strengste Diskretion wird zugesichert, das bringt die Sache von selbst mit sich, wenn Sie also irgend ein … Faustpfand …« hier wurde die Stimme wahrhaft gespenstig leise, »etwa die Brosche, – der Stein ist doch echt …?« Er verlängerte seine Hand und streckte seine spitzen Finger bis dicht in die Nähe des Schmuckstücks …

Diese Bewegung erst ermunterte die Dame aus ihrem Brüten, sie wich den frechen Fingern entrüstet aus, die Röte der Scham zog einen Moment über ihr Gesicht: – sie galt ebensosehr der Schwäche, die sie gezeigt, denn im nächsten Augenblick erhob sie sich stolz und sagte kalt: »Da ich zu Ihnen gewiesen bin, obgleich ich nicht begreifen kann, wie man dazu kam, mich hierher zu schicken, Sie konnten viel besser zu mir kommen, – lassen Sie uns von meiner Angelegenheit reden. Sie haben von seiten des Hauses du Brèsmenil in Paris ein Avis bekommen, das mich betrifft …«

»Ja, wir haben von du Brèsmenil, gutes Haus das, d. h. von dem Associé des Hauses, der sich einer Sache auf eigne Gefahr unterziehn will, von Herrn Frederic Tetarskoff ein Avis bekommen. Über diese Angelegenheit bin ich jedoch nicht im stande, einseitig mit Ihnen zu verhandeln. Verstehen Sie mich, werteste Madam', das ist eine Sache, die nicht mich, Salomon Silberfeld, persönlich, sondern ›Gebrüder Silberfeld‹ angeht.«

»Was hatte ich dann in dieser Höhle zu thun?«

»Gefällt es Ihnen nicht hier? Hm! Es ist mir auch manchmal hier schon so vorgekommen als wäre es nicht hübsch. Neulich erst … Aber ich will Ihnen sagen, warum man Sie nicht ins große Geschäft gewiesen hat, sondern zu mir. Herr Tetarskoff ist mein Freund, d. h. ich hab' ihn in Paris besucht, und er hat mich zu Tisch gebeten, – da hat er sich denn meinen Namen behalten und adressiert oft nicht ›Firma‹, sondern persönlich an mich, denn ich bin der ältere von ›Gebrüder Silderfeld‹ und die haben viel mit du Brèsmenil & Komp. zu thun. So mag's ihm aus der Feder gekommen sein, aus purer Gewohnheit, denn wie gesagt, diese Angelegenheit gehört nicht in die – Leihbibliothek.«

»Aber es steht genau hier: Leihbibliothek von …«

»Das ist eine Schmeichelei für mich, ich erzählte von meinem Privatgeschäft über Tisch, Herr Tetarskoff hat viel gelacht, sehr viel und hat mich einen geistreichen Mann genannt, – nun ist ihm beim Schreiben die Geschichte eingefallen, – Geschäftsleute sollen freilich keine Einfälle haben, aber Herr Tetarskoff … kennen Sie ihn? Er ist ein sonderbarer Mann, aber solide, sehr solide, warum soll er da nicht sonderbar sein? Er hat's dazu. Sind doch manche Leute sonderbar, die's nicht dazu haben …«

»Ich habe also doch mit Ihnen zu thun?«

»Gleich, gleich, stehe sofort zu Diensten, werde die Ehre haben, Sie sofort zu ›Gebrüder Silberfeld‹ zu führen.« Er fing an, den Schreibtisch zu verschließen und alle Vorbereitungen zum Ausgehn zu treffen.

»Ich danke für Ihre Begleitung«, sagte die Dame aufs neue entrüstet mit unverhehlter Verachtung in Blick und Gebärde, »sagen Sie mir nur Ihre Wohnung, oder besser, kommen Sie in die meine in den Gasthof.«

Mit diesem Menschen über die Straße zu gehn, oder in eine zweite solche Höhle zu kriechen war in der That eine arge Zumutung. Aber die Dame hatte sich auch in dem Ehrgefühle des kleinen Mannes verrechnet. Seine Instruktionen, – denn er war sicher genau unterrichtet, was auch aus dem Ausdrucke hervorging, den sein Gesicht bei der ersten Nennung des Namens jenes Pariser Hauses annahm –, hinderten ihn zwar, das Maß seiner Unhöflichkeit in seinen Augen zu übertreiben, aber er sagte doch im höchsten Grade pikiert:

»Ah, ich bin Ihnen nicht gut genug, aber mein Geld gefällt Ihnen, he? Nun, ich werde bescheiden sein, ich dränge mich nie auf, die Leute werden auch nicht sagen, daß Sie mir ein Stelldichein gegeben haben, wenn sie auch sehn, daß Sie aus der Leihbibliothek kommen … he, he!«

Die Dame schauderte, – sie durfte es mit diesem häßlichen, schmutzigen Wucherer nicht verderben, denn sie brauchte ihn. Der Jude fuhr fort:

»Wir machen unsre Geschäfte stets bei uns ab, Gebrüder Silberfeld haben es nicht nötig, in der goldnen Gans oder im weißen Adler nach Geschäften zu suchen, und hier haben wir gar nur ein Kommissionsgeschäft vor uns … Nein, werteste Dame, der Chef von Gebrüder Silberfeld ist nicht Salomon Silberfeld, der Leihbibliothekar. Haben Sie die Güte, sich um vier Uhr Büttnerstraße Nr. … einzufinden, um fünf Uhr beginnt der Schabbes, es ist heute Freitag, bis dahin muß alles in Richtigkeit sein.«

Der Jude war beleidigt. – Die Dame ließ die erste Droschke halten, nannte ihre Adresse und warf sich in die Kissen. – Sie weinte bitter.

»Stolzes Pack«, sagte der Wucherer sich aufrichtend, »Herrin von einem Dutzend von Gütern, von denen sie nicht drei Quadratfuß mehr besitzt. Ich meine, daß ich meine Rolle gut gespielt habe, Herr Tetarskoff wird mit mir zufrieden sein.«

Salomon Silberfeld dünkte sich im Augenblicke selbst als »Leihbibliothekar« unendlich besser als die stolze Dame, und wer ihn hätte nach der Büttnerstraße schlendern sehn, nicht im gewöhnlichen, scheuen Geschäftsschritte, sondern mit philisterhaftem Behagen und bourgeoiser Aufgeblasenheit, an Schaufenstern stehen bleibend und sogar den Witz eines Straßenjungen über seine Nase hinnehmend, der hätte glauben müssen, daß der Wucherer entweder ein ehrlicher Mann geworden sei, oder daß seine Sara ihn noch im späten Alter mit einem Isak beschenkt habe. Er freute sich über seinen mutmaßlichen Gewinn, aber er freute sich noch mehr über das Herunterkommen einer großen Familie. »Nicht die erste, aber leider noch nicht die letzte«, murmelte er vor sich hin. »Die andern kommen nach. Schön von Herrn Tetarskoff, daß er mich an dem Fange teilnehmen laßt.«

Als die Droschke, in der die Dame fuhr, am Hotel hielt, traten zwei Herren aus dem Portal, beide in einem Alter von etwa fünfzig Jahren. Sie lachten und schienen alte Erinnerungen auszutauschen.

»Sapperment, das ist ja meine Frau!« rief der eine. »Schon alles abgemacht? Und richtig in einer Droschke! Wer Teufel kann aber auch von Berlin bis in alle Welt Pferde mitschleppen. Ah, ihr kennt euch nicht … Graf Bartenstein … und hier meine Frau!«

»Gnädigste Gräfin, ich finde hier einen Kampagnekameraden … sehr gefreut … lebe hier, werde mir ein Vergnügen daraus machen, Ihnen sofort eine Equipage zur Verfügung zu stellen … Bitte, keine Ablehnung … Geniert mich wirklich nicht …«

Man hörte es beiden Herren an, daß sie ihr Wiedersehn gefeiert und etwas stark gefrühstückt hatten.

»Ich bedauere, Ihr Anerbieten nicht annehmen zu können«, sagte die Dame kalt und gezwungen, obgleich sie zu lächeln versuchte, »wir müssen morgen früh weiter, ich habe Geschäfte abzuthun. Mir thut es leid, daß ich Sie derangieren muß, falls die Herren eine Promenade vorhatten, aber unsre Sachen sind so wichtig, daß ich mich freue, meinen Mann noch angetroffen zu haben.«

Sie gab dem einen Herrn finster und fast zornig einen Wink, der ihn seufzend den Arm seines Begleiters verlassen machte.

»Bitte sehr … Geschäfte gehn immer vor …!«

»Sehr, sehr wichtige Geschäfte, lieber Bartenstein … aber abends treff' ich Sie … wo?«

»Ich hole Sie hier auf Provinzialressource ab …«

Die Dame ging rasch voran die Treppe hinauf. Der Schlüssel war vergessen, sie mußte warten. Als sie eintrat, kam der Kellner hinterher und fragte, ob die Herrschaft im Salon oder auf dem Zimmer zu speisen wünsche … Dann kam der Kammerdiener und ihre Zofe … Sie mußte warten, warten und ihre Adern hätten springen mögen, so strotzten sie. Ihr schönes Gesicht war bleich und rot fast zu gleicher Zeit, so rasch wechselten die Farben, ihre Augen waren dunkel unterlaufen und ihre Lippen blutig.

»Aber was hast du denn?« fragte der Mann, als sie endlich allein waren. »Schlägt das Projekt fehl, weigern sich die Leute? Das wäre in der That unangenehm!«

»O es ist gräßlich!« rief die Dame und warf sich erschöpft von dem langen Kampfe, der nun wie eine zurückgetretne Krankheit nur nach innen wirken und ausbrechen konnte, auf den Diwan. »Gräßlich! Du findest Kameraden, lachst und trinkst, während ich mit Menschen des allergemeinsten Schlages verkehren muß, Dinge hören muß, die mich erniedrigen …«

»Hat dich jemand beleidigt, so …«

»Das ist ja eben das Scheußliche unsrer Lage, daß wir es dulden müssen, um nicht noch tiefer zu sinken. – O du bist immer gleich damit fertig den oder jenen zu fordern, zu mißhandeln, aber du ersparst mir keinen Schritt und setzst mich zuerst selbst Mißhandlungen von brutalem Lumpengesindel aus.«

»Das ist unwahr. Du hast dir jede Einmischung in deine Angelegenheiten verbeten, obgleich ich dir sagte, daß ich die Umgangsweise mit derartigen Menschen besser verstehe und mir gegenüber nicht leicht jemand unverschämt wird. Du hast dich stutzig machen lassen und man hat deinen Zustand benutzt …«

»Ich sollte wohl etwa nicht stutzig werden, wenn ich statt zu einem Bankier zu einem gemeinen Wucherer und Pfandleiher geschickt werde, der mir ein paar Louisdor auf meinen Schmuck leihen will?«

»Teufel ja! Dein Pariser Geschäftsfreund hat da sonderbare Kompagnons!«

»Wenn wir gefoppt, verhöhnt wären.«

»Bah! Dergleichen Zeug treiben Bankiers nicht. Die Sache ist gewichtig, weil viel Geld dazu gehört, aber es ist immer ein solides Geschäft, und da dein Herr Tschitschakoff, oder wie er heißt, ein Liebhaber solcher Geschichten zu sein scheint und außerdem die nötigen Fonds hat, werden die Schwierigkeiten nicht so groß sein. Du bist nur ungeschickt gewesen. Warum ließest du mich nicht gehn?«

»Man verlangt ja ausdrücklich, daß ich mit all diesen Tieren selbst unterhandle, wenn aus dem Projekte etwas werden soll.«

»Eine gute Aufgabe, das ist wahr, und sogar die Tour vorgeschrieben. Eine köstliche Reiseroute, von Berlin nach Breslau, von da nach Nürnberg, Basel und endlich zur Ratifikation nach Paris. Verzweifelte Sicherheitskommissarien, ob sie's uns an der Nase ansehn wollen …«

»Sei doch endlich ernst. Du siehst, ich bin halb wahnsinnig, und du kannst immer noch scherzen. Wer ist denn an dem ganzen Jammer, an dieser Misere, die mich erdrückt, schuld?«

»Nun ich doch wahrhaftig nicht! Deine Gesellschaften, deine Reisen, dein Schmuck, alle Jahre womöglich das ganze Haus neu ausgestattet …«

»Und du mit deinen Pferden, deiner Manie Rüstungen, altes Eisen aller Art fast mit Gold aufzuwiegen und dich um nichts zu kümmern …«

»Wieder unwahr. Ich bin mit Passion Landwirt, aber seit … nun du weißt ja, seit jener Zeit mußte alles verpachtet werden, wir mußten außer Landes, bald auf ein Jahr nach Italien, bald nach Paris, bald nach England, zuletzt nach Berlin, ich hab' dich vergebens gewarnt, du sahst es erst ein, als es zu spät war. Machen wir uns keine Vorwürfe über Vergangnes, suchen wir die Zukunft zu retten, es geht noch, ja es ist noch Glück in all dem Unglücke. Fast eine Million findet man nicht so leicht …«

»Und sie war doch leicht genug verthan.«

»Das heißt, wir und andere haben viel verbraucht. Wären wir zu Hause geblieben, so wäre alles gerettet worden.«

»Und du bist doch unverantwortlich leichtsinnig …«

Ein Laufbursche von »Gebrüder Silberstein« unterbrach die eheliche Szene, die sich eben wieder erhitzen wollte. Er richtete den Auftrag aus, daß die Gräfin nicht vergessen möge, alle nötigen Papiere mitzubringen.

»Man würde wohl meinen Angaben nicht trauen?« sagte sie bitter, als er fort war. »Man hält uns schon für Lügner.«

»Aber Kind, das ist ja ganz in Ordnung, die Leute müssen doch wissen, um was es sich handelt. Übrigens werd' ich dich begleiten, damit du nicht wieder Grund zu klagen hast.«

Aber als es vier Uhr war, kam der Graf nicht, es gab eine interessante Wette, die ihn sein Versprechen vergessen ließ. Die Dame mußte den schweren Weg allein antreten, nahm indes diesmal, durch eine Erfahrung gewitzigt und einen Teil des Geheimnisses von sich werfend, den Diener mit. – Sie kam befriedigter zurück. So peinlich es ihr auch gewesen war, die Zerrüttung ihrer Verhältnisse fremden und noch dazu solchen Augen bis ins kleinste Detail darzulegen, einen so harten Kampf es auch kostete, bei der Besiegung verschiedener Schwierigkeiten die nötige Ruhe zu behalten: es ging dennoch, die Dame hatte nun ein einfaches Geschäft abzuschließen, nicht aber ein Mißverständnis und die Vertraulichkeit eines Wucherers zu dulden.

»Ich werde mich daran gewöhnen«, dachte sie, »hätte ich mich nicht durch die mysteriöse Form des Avises verleiten lassen einen geheimnisvollen Spaziergang zu machen, so wäre mir die Demütigung und der Verdruß erspart worden. Jedenfalls ist es nun besser, daß ich alles andere ebenfalls ganz allein abmache, um Heftigkeiten und Störungen zu vermeiden … Gräßlich ist's immer, aber es muß sein, ich muß es tragen.«

Am andern Morgen reiste das Paar nebst ihrer Dienerschaft über Dresden, Leipzig, Plauen und Baireuth nach Nürnberg.

Der Theresienplatz in Nürnberg ist vielleicht der ödeste Teil der Stadt, die ohnehin nur zur Meßzeit und im Winter in den Buden um das Gänsemännchen hinter der Frauenkirche oder auf dem Obstmarkte Leben zeigt. Und dieses Leben ist ein anderes als jenes, das man mit dem Namen der Stadt zu verbinden pflegt. Das Nürnberg, das die Dürer, Vischer, Sachs, Jamitzer, Stoß und Kraft geboren, ist tot, seine Patrizier wurden »Reichsfreiherrn«, wurden dann simple bayrische Barone und haben jetzt nach Aufhebung des Adels als Stand wieder die Aussicht, durch die Union, durch das neugekochte deutsche Reich, Reichsbarone in partibus zu werden. In der That eine gloriose Karriere für die Haller, Tucher und Löffelholtz. Indes ist auch die Zeit des Patriziats um, und der eigentliche Sitz des Gewerbefleißes ist Fürth. Originell aber bleibt die Stadt immer, das alte runzlige Gesicht mit den verschnörkelten Erkern und den dicken Mauern sieht überall durch, und das mittelalterliche deutsche Bürgertum läßt sich nirgends an besserer Quelle studieren. Hier ist jeder Stein ein Blatt, das uns Aufschluß über die Geschichte vergangener Tage gibt. Heideloff hat sie verstanden, es gelang ihm oft, aus halbem Schutt eine Einheit zu schaffen, die harmonisch zum Ganzen paßt. Denn Nürnberg ist immer noch ein Ganzes, aber eine – Leiche. – Nur das Treiben hinter der katholischen Kirche muß man gesehn haben, es ist einzig in seiner Art und findet seinen Pendant höchstens in holländischen Städten etwa an Waffelbuden und Gurkentonnen. – Man denke sich den kleinen Platz mit schmalen hölzernen Buden bedeckt, worin zwei, höchstens aber drei Personen nebeneinander auf einer Bank Platz haben; vor ihnen befindet sich ein Brett als Tisch, ebenfalls nur wenige Zoll breit. Von außen sind diese portativen Gebäude garniert mit Festons von – Heringen, wovon außerdem noch auf dem Verkaufstische und in Fässern Vorrat da ist. Neben diesen Vorräten raucht auf einem aufrechtstehenden Holzklotze eine Pfanne voll Holzkohlen, die mit besonders organisierten Flederwischen angefacht werden. Kommt ein Käufer, und deren kommen alle Augenblicke Dutzende, so sucht er sich eigenhändig einen »fetten« Fisch aus, der, falls der Kunde sich nicht etwa mit einem geräucherten Flunder begnügen will, sofort auf eine Gabel oder ein dünnes spitzes Holz gesteckt und gebraten wird. Es ist ebenso interessant die Geschicklichkeit zu sehn, mit welcher Frauen und Männer ohne ein anderes Instrument als einen zweiten Speil das Drehen und Wenden des nach und nach bröckelnden Fisches besorgen, als es spaßhaft ist die Züge des Käufers zu betrachten, dessen Appetit durch den reizenden Duft, den er während der Bereitung einatmet, sich dermaßen anregen läßt, daß er oft ungeduldig wird und mit wässerndem Munde schon die Pantomime des Kauens macht, ehe seine Speise noch gar ist. – Hat der Fisch nun eine braune glänzende Kruste bekommen, so wird er in ein Stück Makulatur geschlagen, und dies Papier dient in der Bude als – Teller. Man muß diese Gruppen des Abends sehn, wo auch wohlhäbige Pfahlbürgergesichter, denen der Hering Durst machen soll für das »Jammerthal«, die »Himmelsleiter« oder die »Neumüllerei«, umstanden von Gassenbuben, die um ein Schwanzstück betteln, von den Kohlpfannen illuminiert werden. – In einer Zeit, in der künstliche Lichtspiegeleien, wie sie Hasenklever malt, so sehr beliebt sind, müßte ein tüchtiger Maler aus diesem Heringsmarkte ein überaus effektvolles Bild machen können, ein wahrhaft humoristisches, echt volkstümliches Bild. Als Hintergrund die düsteren, spärlich angeleuchteten Mauern der Kirche, auf denen sich mit scharfen Lichtern das hübsche Gänsemännchen zeichnet, das dem Trödel jahraus jahrein zusieht, im Vordergrunde endlich an einer Bude die Kohlenpfanne, umdrängt von charakteristischen Figuren: die geschäftige Verkäuferin, – der korpulente Bürger mit dem Rohrstocke, der sich im Vorgefühl des prächtigen Durstes, den er eben kauft, schmunzelnd das Kinn streichelt, – ein paar Buben mit begehrlichen Gesichtern, – und endlich auch der Arbeiter, der eine Maß Bier und ein Stück Brot mitbringt und in der Bude, deren Thür er geöffnet hat, um zu sehn, ob sie bald leer wird, mit Hilfe eines gebratenen Herings von den Mühen des Tages ausruhen will. Dazu ein paar Befriedigte und erst Ankommende, dann ist es gar nicht schwer, mit diesen Mitteln ein Bild zu schaffen, das über dem gewöhnlichen Genre steht.

Von solchem schreienden und feuerwerkernden Leben weiß der Theresienplatz nichts. Es scheint, als spüle der Regen von seinem abschüssigen Pflaster allen Lärm hinunter nach dem Obst- und Fischmarkte. Die Egidienkirche, die salva venia etwas Japanisches an sich hat, ist das am wenigsten interessante Gebäude, das ihn schmückt, man muß den Hofraum des Kraftschen Hauses sehn, um einen Begriff von den Mitteln zu bekommen, die Nürnbergs Bürger zu verwenden hatten. Die neue Zeit baut Fassaden, sie übergipst die Häuser nach der Straßenseite, hat man aber das Unglück, wie in München so oft, unvollendete lückenhafte Straßen zu betreten, so daß sich auch die Kehrseite der Gebäude und das Innere des von ihnen umschlossenen Raumes dem Auge bloßstellt, so sieht man, daß der Neubau nur zwei Richtungen huldigt: dem Schein und der Eilfertigkeit. Die alten Reichsstädtischen Bürger bauten für sich, nicht für andere; ihr ganzes Wesen war eine solide Beschränktheit, sie bewegten sich in abgemessenen Kreisen, aber diese Kreise zu einem vollendeten Ganzen zu machen war ihre höchste Sorge. Das Kraftsche Haus mit seinen steinernen Bogenreihen, seinen offenen Altanen und dem Treppentürmchen im Hofe ist ein Palast.

Noch andere alte Familien haben ihre Häuser an diesem Platze. Das der Tucher bezeichnet im Giebelfelde ein T mit der Freiherrnkrone darüber. Gegenüber steht die Statue eines Gelehrten, der sich über diesen Schmuck, der zu der echtbürgerlichen Stadt so gar nicht passen will, lustig zu machen scheint. In derselben Reihe befinden sich noch einige andre Häuser von zum Teil modernerem Aussehn.

An der Thür des einen lehnte eines Tages ein Mann, der aller Wahrscheinlichkeit nach vor sehr kurzer Zeit vom Hausknechte zum Portier avanciert war und nicht recht fassen konnte, warum er zu absolutem Nichtsthun verurteilt sei, da seine Virtuosität im Schwingen des Kehrbesens nie angetastet worden war. Was sollte er nun mit dem mächtig großen Stocke? Turnübungen anstellen, sich im Gehrwerfen üben? Er hatte eine harmlosere Unterhaltung, er stach damit nach Fliegen, denn zum Verbarrikadieren der Thüre war er noch nicht gekommen. Er konnte sich nämlich trotz der ausdrücklichen und wiederholten Befehle der Hausgebieterin nicht dazu verstehen, den Bekannten, die seit Jahren im Hause aus und ein gingen, jetzt plötzlich wie Fremden zu begegnen oder ihnen gar Herrn oder Frau Stabmeyer zu verleugnen, wenn er sie zu Hause wußte. Immer gescholten sehnte er sich nun schon ernstlich danach, seine Autorität endlich einmal gegen wirklich Fremde geltend machen zu können.

Sein Gesicht klärte sich darum plötzlich auf, legte sich aber auch augenblicklich in strenge Falten als er sah, daß eine Dame unzweideutig die Absicht zeigte Herrn Stabmeyer einen Besuch zu machen. Er hatte Befehl, niemand vorzulassen. Die Dame brachte zwar hinter sich einen Bedienten mit, der Portier verließ sich aber im Notfalle auf seine Fäuste, denen er ganz bestimmt mehr Gewicht zutraute als irgend einer konventionellen Rücksicht auf seine Angabe: Herr Stabmeyer sei nicht zu Hause. Was hätte sein Herr denn um ein Uhr mittags anderwärts machen sollen? Jedermann mußte das ebensogut wissen als er selbst. Die Abweisung enthielt also eine Beleidigung, und der ehrliche Altbayer begriff auf einmal, daß er als Portier wahrscheinlich der Champion seines Herrn sein müsse. Die Gegenpartei stellte den Bedienten, der Kampf war beschlossen. Seine Phantasie hatte sich durch diese Vorstellung so erhitzt, daß er, ehe noch eine Frage an ihn ergangen, der Dame den Knopf seines Stabes vor die Brust hielt und ihr mit der ganzen Kraft seiner Stimme zuschrie: »Herr Stabmeyer ist nicht zu sprechen!« Im nächsten Augenblicke trat er einen Schritt seitwärts, lehnte den Stock in eine Ecke, drehte den nie abgelegten Schlagring nach außen und nahm mit einem herausfordernden Blicke auf den steifen Diener eine Athletenpositur an.

»Dann geben Sie meine Karte ab und richten aus, daß ich Herrn Stabmeyer im bayrischen Hofe erwarte, oder daß er mir die Stunde angeben möge, zu der ich ihn treffe.«

Der Portier war verblüfft. Man nahm die Herausforderung nicht an. Am Ende war die Sache nicht in Richtigkeit, er sprang also, die Karte zwischen zwei Fingern haltend, der Dame nach, die merkwürdigerweise keinen Augenblick gezweifelt hatte, daß sein Herr wirklich nicht zu sprechen sei, und stammelte etwas konfus, daß er doch wohl glaube, Herr Stabmeyer sei zu sprechen.

»So fragen Sie nach!« sagte die Dame, die weit gefaßter war als der Portier und vor allem die Sache nicht so merkwürdig zu finden schien als er.

»Ja, ich darf von der Thüre nicht weg«, sagte er kläglich.

Nun lachte die Fremde gar … Zugleich öffnete sich in der Bel-Etage des Hauses ein Fenster, ein Kopf, den eine etwas monströse Haube voller Barben, Bänder und Blumen bedeckte, streckte sich hervor und rief herunter: »Hansi, was machst du denn, siehst du nicht, daß das eine ›anständige‹ Dame ist?«

»Ja, ich hab' denkt …«

»Du hast nichts zu denken! Es wird uns sehr angenehm sein …«

Die letzten Worte schienen eine Einladung sein zu sollen, der die Dame auch Folge leistete, obgleich es ihr unmöglich war, den Portier, die Haube und die Einladung unter einen Hut zu bringen. Ihr Staunen sollte hiermit noch nicht enden. – Die Treppe war verschlossen, neben dem Glockenzuge war eine nagelneue Messingplatte, auf der graviert stand: »J. A. Stabmeyer und Frau.« Es erschien ein Bedienter, der die Dame über einen dicht mit alten Möbeln besetzten Flur führte, von da durch drei Zimmer, in denen wahllos und offenbar noch nicht definitiv placiert neue, zum Teil prachtvolle Schränke, Tische, Stühle, Spiegel und anderes Gerät zur Schau gestellt waren, und endlich in ein viertes, das bestimmt durch das Öffnen einer Thüre vom Flur aus bequemer zu erreichen gewesen wäre. In diesem Gemache befand sich außer der Dame mit der Blondenhaube, die sich in der Nähe betrachtet als eine korpulente Vierzigerin auswies, ein hübsches Mädchen mit einem Papagei tändelnd, und ein langer hagrer Mann, dessen sehr dummes Gesicht deutlich die Verlegenheit aussprach, in die ihn eine ungewohnte Lage versetzte. Das war Herr Stabmeyer und Frau nebst Familie, letztere nämlich vertreten durch die Tochter und den Papagei.

»Mit wem haben wir die Ehre …?« fragte die Frau höchst unverlegen, indem sie sich mit dem Anstande einer Truthenne vom Sofa erhob und ihrem Manne, der sich in seinem neuen Hausrocke von ungerißnem Samt mit Atlasschlitzen gar nicht wohl zu fühlen schien, einen Wink gab, der eine schiefe Verbeugung und die Wiederholung der Frage seiner Frau hervorrief.

»Ich habe mit Herrn Stabmeyer infolge einer Anweisung von Paris aus ein Geschäft zu arrangieren«, sagte die Dame, nachdem sie sich genannt. »Kann ich ihn nicht allein sprechen.«

»Ah, sehr erfreut, Frau Gräfin, es ist uns sehr schätzenswert Sie bei uns zu sehn«, rief die Frau. »Sie sind doch eine wirkliche Gräfin, nicht wahr? Man hat jetzt sonderbare Gräfinnen, die Gräfin Lola zum Beispiel … aber davon kann man vor Kindern nicht sprechen. Das ist meine Tochter, Frau Gräfin, unsre Aurora, ein liebes Kind … aber wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« echote der Mann.

»Es thut mir leid, von Ihrem Anerbieten keinen Gebrauch machen zu können. Falls ich das Vergnügen habe, mit Herrn Stabmeyer zu sprechen, darf ich mir wohl eine halbe Stunde in Ihrem Arbeitszimmer ausbitten. Weshalb ich komme, wissen Sie, es wird genügen, daß Sie die Papiere, die ich mitbringe, durchsehn …«

»Lieber Gott, meines Mannes Arbeitszimmer! Sie müssen wissen, Frau Gräfin, daß wir unten, ganz unten, parterre wohnten und viele Schulden auf unsrem Hause hatten, da stirbt plötzlich zuerst meines Mannes Bruders Frau, die sehr reich war, dann stirbt er selbst, und er war auch sehr reich, Kinder hatten sie nicht, so kam alles an uns. O wir haben auch sehr geweint, und ein ganzes Jahr getrauert. Es dauerte aber auch ein Jahr, bis wir das Geld bekamen, die Verwandten der Frau wollten uns unser Eigentum streitig machen. O es gibt böse Menschen … Ja, sehn Sie, nun mußte doch alles standesgemäß eingerichtet werden, eine Werkstatt … wollte sagen eine Arbeitsstube braucht mein Mann nicht mehr, die andern Zimmer sind noch nicht in Ordnung, Sie werden sich schon hier bequem machen müssen … Mein Mann hat sich den Tod seines Bruders so zu Herzen genommen, und dann hat er auch so kein rechtes Geschick, ich muß überall helfen, ich und unsre Aurora. Ein sehr gebildetes Mädchen, Sie möchten es ihr nicht ansehn. Sie spielt das Fortepiano und hat jetzt schon im zweiten Jahre Tanzstunden …«

In diesem Tone ging es fort. Die Gräfin überzeugte sich bald, daß sie es hier nur mit der Frau zu thun habe, und so gern sie sonst über die Parvenümenage gelacht hätte, wurde ihr die Szene doch sehr lästig, als Madame Stabmeyer auf den Umstand, daß sie Geld leihen sollte, eine Art von Familiaretät begründete, die nicht nur den Preis des Kaschmirshawls, den die Dame trug, auszukundschaften suchte, sondern auch unzweideutig davon sprach, daß man die günstige Gelegenheit benutzen würde, durch einen Besuch auf den Gütern der vornehmen Schuldnerin ihre Einrichtung kennen zu lernen, um die eigne danach zu dressieren. Von Geschäften verstanden die Leute natürlich so gut als nichts, sie handelten genau nach der Vorschrift des Herrn Tetarskoff, den sie über alles priesen, weil er durch Agenten mit ihnen in Verbindung getreten war, ehe sie noch in ihrem Besitze fest waren, ihnen Vorschüsse zur Prozeßführung geleistet und endlich auch das Mobiliar direkt aus Paris besorgt hatte. Diese Geschäftsunkenntnis und getreue Befolgung fremder Anweisungen hatte ihre bequeme Seite: es gab keine sachlichen Bedenken; sie zeigte aber auch eine äußerst peinliche, die noch, nachdem die zustimmende Unterschrift unter das vorbereitete Dokument von Herrn Stabmeyer schon mit zitternder Hand vollzogen war, herausgekehrt wurde.

Die Frau verlangte nämlich weinend und jammernd in allem Ernste einen körperlichen Eid von der Gräfin, daß die vorzustreckende Summe von dreimalhunderttausend Gulden auch dann bezahlt werden sollte, wenn die verpfändeten Güter etwa durch einen Erdrachen verschlungen, durch einen sodomitischen Feuerregen zu Asche verbrannt oder durch Wasser in unwegsame Klüfte verwandelt würden.

»Es ist unser alles, unser Stolz und unsre Freude, das Heiratsgut unsrer Aurora …« Dabei umarmte sie ihre Tochter und den Mann und war weder über die Art und Weise der Hypothezierung, die erst nach völliger Abwickelung aller Präliminarien bei der Auszahlung der Summen, für die jetzt nur Spannzettel gegeben wurden, vor dem zuständigen Gerichte geschehn konnte, noch über das Verkehrte ihrer Forderung aufzuklären. Die Gräfin mußte Zeuge einer Familienszene werden, in der Thränen in Masse verschwendet wurden, denn der Mann war durch den Gedanken an seine Aurora ebenfalls gerührt worden, und »das Kind« konnte nicht verfehlen mit zu weinen. Frau Stabmeyer ging dabei aus ihrer Rolle heraus und brauchte nicht gerade die zartesten Worte. Daß das Heiratsgut ihrer Tochter möglicherweise von Verschwendern vergeudet oder von einem Vulkane verbrannt werden konnte, brachte sie um alle Fassung. Daß die Gräfin nicht ebenfalls in Thränen ausbrach, galt ihr für ein Zeichen eines verstockten Herzens … Diese hätte weinen mögen, aber nicht aus Sympathie mit der Familie Stabmeyer.

Endlich beruhigte sich die Gesellschaft durch die Erinnerung an die Garantie Tetarskoffs und ließ der Gräfin Raum genug zu entschlüpfen.

»Immer noch besser der Jude mit seiner bewußten Roheit als die unbewußte Brutalität dieser Leute. Wenn es mit dieser Steigerung fortgeht, bin ich bis Paris stumpf für alles«, dachte die Gräfin. Sie lachte beim Hinuntersteigen der Treppe nicht mehr über das: Stabmeyer und Frau. Die Familie war nur für die lächerlich, die sie nicht brauchten. Abhängigkeit vernichtet jeden unbefangnen Standpunkt, Spott kehrt mit vergifteter Spitze vom Ziele auf den Schützen zurück, man kann über Menschen spotten, die man benutzt, aber nicht über solche, die man braucht. Man macht sich damit nur selbst lächerlich und leidet überdies durch das Gefühl des Gelähmtseins seiner Geisteskraft. Man entsagt ja dem schrankenlosen Gebrauche seines Gedankens. Abhängigkeit, moralisches Verpflichtetsein ist die allerschlimmste Sklaverei. Unterthänigkeit im gewöhnlichen Sinne läßt sich abschütteln, sie ist es damit schon, daß man sie nicht anerkennt, die Abhängigkeit aber, die das Gefühl des »Brauchens« hervorruft, wird man nie los. Sie bricht das Selbstgefühl und den echten Stolz: Menschen, die sich dauernd in solchergestalt abhängiger Lage befinden, werden zu allem fähig, zu jeder Niedrigkeit und zu jedem Verbrechen, das sie nicht direkt bloßstellt; sie haben sich selbst verloren und nach dieser moralischen Selbstvernichtung ist ihnen selbst ihr Inneres so wertlos geworden, daß sie nur noch für den Schein, für das, was die Gesellschaft Ehre oder Schande nennt, Sinn haben.

Die Gräfin fühlte und fürchtete das.

»Du hast dich wieder alteriert«, sagte ihr Mann, »warum läßt du mich nicht machen, ich bitte immer vergebens, und ich thue doch so gern alles für dich, was dir schwer ist.« Er hatte sie heute erwartet und man sah, daß es ihm mit dem, was er sprach, ernst war, – es war kein Kampagnekamerad zu finden gewesen.

»Können wir nicht sofort weiter?«

»Unmöglich! Du greifst dich zu sehr an, liebes Herz, ich kann es nicht zugeben, daß du in deiner Raschheit dich krank machst. – Ist denn die Geschichte hier schon in Ordnung?«

»Gott sei Dank, ja! Und ich habe nun die Überzeugung, daß überhaupt der ganze Kram in Richtigkeit ist. Warum man uns unnütz hinhält, weiß ich nicht.«

»Ich will dir sagen: hättest du mich nicht bei dieser Angelegenheit so ganz umgangen, daß ich bis jetzt noch nicht recht weiß, wie alles ins Werk gesetzt werden soll, so könnte ich dir auch den Grund für unsre Zwangsreise sagen. Du hast mir nicht vertraut, – ich lasse alles gehn und werde nur bei der Ratifikation des Ganzen in Paris dafür sorgen, daß du nicht geradezu betrogen wirst. Das Unangenehme, was du erduldest, hast du dir durch deinen Eigensinn selbst zugezogen. – Aber krank werden sollst du nicht, du übertreibst dich. Wir bleiben heute noch hier …«

»Das heißt, du hast etwas vor!«

»Auch das. Es gibt auf der Burg eine kleine Waffensammlung, die ich sehn will, außerdem traf ich unten im Salon jemand, der mir das alte Tuchersche Haus, in dem jetzt die Fleischmannsche Papiermachéfabrik ist, nach allen Richtungen zeigen will. Das ist ein wunderliches Haus nach der Beschreibung meines Cicerone. Endlich finde ich vielleicht noch irgendwo etwas für meine Sammlung, wie ich in Basel durch Meyri …«

»Prächtig, du willst Einkäufe machen …«

»Und du, lieb Herz, wozu hast du deinen Rubinschmuck mitgenommen? Zu Visiten doch sicher nicht, sondern zum Juwelier.«

»Gewiß, denn die Fassung ist ganz veraltet, die Steine müssen neu montiert werden. Das ist notwendig, aber deine Rüstungen …«

»Kosten weit weniger, also wenn von Ausgaben die Rede ist, mußt du schweigen. – Die Sache ist«, sagte er ernst, »daß wir in der That gar keine Ausgaben machen sollten, und daß wir hoffentlich beide so vernünftig sein werden, du deine Rubinen ungefaßt zu lassen und ich Rüststücke … wenn sie teuer sind, dem Trödler. – Komm Herz, wir wollen eine Promenade machen.«

Die Reise nach Basel heiterte die Gräfin nicht auf, sie war für alles teilnahmlos geworden, was nicht mit der Beendigung ihres Geschäftes in Beziehung stand. Hier hatte sie indes wenigstens einen Bankier, einen Mann, der ein Drittel der ganzen Anleihe gezeichnet hatte, zu besuchen; das Schlimmste, die kleine ungezogne Gemeinheit war also nicht zu fürchten. Als man ihr das stattliche Haus des Herrn Ezechiel Düvernoy in der Nähe des Münsters zeigte und sie die großen Mahagonithüren vor sich sah, wurde ihr leichter als seit langer Zeit. Sie blickte an sich herunter und fand ihre Toilette in der That kleidend genug, um mit und an ihrer Person bei einem ersten Begegnen einen angenehmen Eindruck zu machen.

Sie wurde gemeldet und augenblicklich in ein Empfangzimmer geführt, das zwar düster aussah und keine Vorliebe für Pracht verriet, aber doch durch peinliche Nettigkeit und den Wert des Materials ein gutes Vorurteil für den Besitzer hervorrief. Nachdem man sie einige Zeit allein gelassen hatte, öffneten sich die Flügelthüren in ein benachbartes Gemach, ein Diener lud sie mit stummer Verbeugung ein sich hinein zu bemühen und zog sich, nachdem er die Thüren hinter ihr wieder geschlossen, augenblicklich zurück.

Auf einem hochlehnigen Armstuhle saß ein Greis, offenbar körperlich zu schwach, um dem Besuche entgegen zu gehn. Sein Gesicht hatte etwas überaus Gutmütiges, man hätte viel Vertrauen zu ihm haben können, wäre sein Blick nicht zu leicht himmelnd und seine Stimme allzu salbungsweich gewesen.

Er entschuldigte sich höflich und bedauerte, daß es ihm »nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse« unmöglich sei, die Honneurs seines Hauses gebührend zu machen, bat aber zugleich dringend, die Gräfin möge auf dem Diwan neben ihm Platz nehmen, da es sich nicht gezieme, daß »Gottes Kreaturen einander auch nur scheinbar ein Zeichen der Mißachtung gäben«.

Die Gräfin legte ihm das Portefeuille mit den Papieren vor, er läutete die silberne Tischglocke, die vor ihm stand, und ließ sich von einem ebenfalls alten Manne, der das Ansehn eines Buchhalters hatte, ein Päckchen Briefe, die er nach der Nummer bezeichnete, bringen. Mit großer Sicherheit traf er die gesuchten und las einige Seiten darin, indem er das Schriftstück weit von den Augen abhielt.

»Ein wahrer Christ, der das Gebot der Nächstenliebe und das schöne Gleichnis von dem Sünder, der Buße thut und darum dem Vater im Himmel lieber ist als neunundneunzig Gerechte, in sein Herz gefaßt hat. Denn der Herr will nicht, daß der Sünder verloren gehe. – Sie haben einen edlen Freund an dem Manne, dem mein Lobspruch, den mir Gott vergeben möge, wenn ich zu viel gesagt, gilt. Halten Sie ihn lieb und wert den teuren Mann, denn er ist nach dem Herzen Gottes. Er will nicht, daß der Leib allein gerettet werde, sondern daß auch die Seele gesunde.«

Sollte sie hier eine Predigt anhören? Das war eine neue ausgesuchte Qual. Sie fing nun schon an, eine Absichtlichkeit zu vermuten, sie haßte Herrn Tetarskoff instinktiv. Vielleicht konnte sie hier etwas über den ihr völlig fremden Mann erfahren, der seine Gefälligkeit mit so viel Widerwärtigem verbrämte. Sie sah nebenbei auch ein, daß es unklug von ihr gewesen, nicht überhaupt vorher über jeden einzelnen, mit dem sie zu verhandeln hatte, Erkundigungen eingezogen zu haben. Sie hatte sich auf ihre Weltkenntnis und ihre Umgangssicherheit verlassen, aber vergessen, daß sie sich hier auf einem Terrain bewegen mußte, auf dem sie mit jedem Schritte mehr Boden verlor. Hätte sie einfach einen Kreditbrief zu präsentieren gehabt, so wäre der Verkehr einfach und leicht gewesen, aber so war es nicht: sie brauchte auch diesen Mann und vor allen den, der die ganze Sache leitete, jenen Tetarskoff, den sie darum auch zu allermeist haßte.

»Können Sie mir nicht etwas über diesen Herrn sagen, der sich in der That meiner Verlegenheit auf rätselhaft freundliche Weise annimmt? Ich sah ihn meines Wissens nie und bin ihm so sehr verpflichtet, daß meine Neugier gewiß hinlänglich gerechtfertigt ist, wenn ich auch die Hoffnung habe, durch persönlichen Verkehr bald ein Bild von ihm zu bekommen.«

»Des Menschen Äußeres ist nur die schlechte Schale seines ewigen Teiles, und ein Bild seiner edlen menschenfreundlichen Seele muß Ihr dankbares Herz schon jetzt erfüllen, wie dies auch unzweifelhaft der Fall ist. Ich selbst kenne ihn nicht. Geschäftsverkehr, wie ihn selbst das heilige Buch dringend anempfiehlt, da jener Knecht, der sein Talent vergrub, gezüchtigt ward und verwiesen vom Antlitze des Herrn, während die anderen, die das geliehene Gut verfünffacht und verdoppelt hatten, belobt und belohnt wurden, Geschäftsverkehr, den er wie ich zum Nutzen und Frommen der Menschen treibt, führte uns in Berührung. Ich lernte ihn achten, er ist ein umsichtiger Mann, auf dem die Hand des Herrn ruht und ihn stark macht. Darum auch zögerte ich nicht meine Hilfe anzubieten für einen Zweck, den er einen guten genannt …«

Er ließ nunmehr der Dame Zeit, sich ein Bild des »ewigen Teiles« ihres edlen Freundes aus dem, was Herr Duvernoy über ihn gesagt, herauszugestalten, während er mit großer Ruhe und Sorgfalt das Faszikel Papiere, das zu Ende jeder Seite ein Visum von Tetarskoffs Hand zeigte, durchsah. Das Examen schien ihn zu befriedigen, er schellte aufs neue und ließ sich Feder und Tinte bringen, um das Dokument zu unterzeichnen. Damit war aber das Geschäft keineswegs beendet, der Bankier verwandelte sich nun ganz in einen Missionär und Proselytenmacher, stellte der Gräfin vor, wie sie leider in der Finsternis des Papismus erzogen sei und fern von der Sonne des reinen Glaubens in ewiger Sehnsucht dahin schmachten müsse, wenn sie die Gelegenheit, die ihr offenbar durch eine besondre Gnade Gottes die Hände reiche, nicht benutze, um zerknirscht und aufgehend in wahrer Andacht dem Herrn in »reiner« Weise zu danken und ihm feierlich zu geloben: abzuschwören die Irrtümer der Finsternis, durch die auch die irdischen Augen dermaßen geblendet worden, daß das Unglück sich einschleichen konnte in Kisten und Kasten. Er stellte ihr vor, daß die Verlegenheit, in der sie sich befinde, und die sie statt mit Weltkindern mit gottesfürchtigen, dem wahren Glauben zugethanen Männern in Berührung bringe, an deren Verhältnissen sie sehn könne, wie der Herr seine Kinder schütze und segne, nichts als eine Schickung sei, durch die sie zum Heile ihrer Seele zwiefach gerettet werden müsse, wenn das Werk der Liebe, das Tetarskoff gestiftet, nicht an ihrer Herzenshärtigkeit zu schanden werden solle.

»Meine Tochter im Herrn«, rief er emphatisch aus, »der Zorn dessen, der da ist über allem was ist, war und sein wird, der Zorn des Herrn über Sturm und Sonnenschein, über Glück und Unheil, dieser Zorn ist das schlimmste aller Übel, die den Menschen treffen können, und er wird unzweifelhaft über jene Unglücklichen kommen, die sein Wort vernehmen und es von sich weisen, die weder durch ernste Mahnungen zur Buße bewegt, noch durch liebevolle Aufmunterung dem Heile gewonnen werden. Dreimal Wehe ihnen, sie werden zu Grunde gehen an Fleisch und Seele, sie werden ein Spott und ein Elend sein in dieser und jener Welt und die Rute des Allmächtigen wird sie hier geißeln, dort aber verweisen in den Abgrund, wo Heulen und Zähneklappern ist, dieweil sie sein Wort verachtet haben und seine Diener von sich gewiesen.«

Er hielt während des ganzen Sermones die ausgefertigten Papiere immer noch in der Hand und machte es so seinem gelangweilten Gegenüber unmöglich, zu entkommen. Die Dame machte zuletzt schon ein ganz überzeugtes Gesicht und versprach, sich zu belehren, da sie mit Schmerz sah, daß der Bankier-Missionär sein Thema nicht überdrüssig bekam, obgleich er sich immer im Zirkel bewegte. Das Versprechen wirkte, sie erhielt ein Paket voller Traktätchen und die Anweisung, wie sie als ersten Beweis ihrer Sinnesänderung eine Opferspende zur Verbreitung des Glaubens los werden könne, das dreimalige Wehe polterte noch einmal hinter ihr drein, – und so war sie endlich entlassen.

Die Schweiz ist das stabilste Land von der Welt, man wird noch viele Sonderbundskriege durchzufechten haben, ohne je einen wirklichen Sieg zu erringen. Der Grundzug des Schweizercharakters ist eine gewisse Starrköpfigkeit, sie weichen nicht einen Schritt von dem ab, was sie sich vorgesetzt, und ihre Überzeugungen bleiben sich ewig gleich, die Zeit hat wenig oder gar keinen Einfluß auf sie. Man würde wieder Schlachten wie bei Morgarten, Sempach, Murten und St. Jakob schlagen, aber der Winkelried, der in die Eidgenossenschaft selbst hinein der Freiheit eine Gasse brechen wollte, würde umsonst seine Brust durchbohren, es schritte über seine Leiche niemand vorwärts. Die Schweiz ist konservativ im höchsten Grade, auch die sogenannten Liberalen sind es hier mehr als anderwärts. Das mag daher rühren, daß die protestantischen Kantone im allgemeinen zu wohlhabend und die katholischen zu arm sind. Tessin zum Beispiel leidet genau unter denselben Schrecken, die Oberschlesien niederhalten: Bildung und Erziehung des Volkes sind materiell und moralisch unmöglich gemacht. Basel (Stadt) ließe sich dagegen fast mit der preußischen Provinz Pommern vergleichen, wenn man an die Stelle der pommerschen Derbheit und des Bauernstolzes nur eine gewisse raffiniert quietistische Übersättigung setzt, die sich in kopfhängerischer Schleicherei äußert. Im übrigen hat auch der pommersche Bauer weit mehr echten Aristokratismus als der pommersche Junker. – Die Stadt Basel selbst ist eigentlich ein Widerspruch gegen ihre Gesinnung, nehmen wir die Gegend am St. Paulsthore aus, so macht sie wohl den Eindruck einer altertümlichen, keineswegs aber finstern, verdumpften Stadt. Es ist ein Rätsel, daß sich grade hier eine so kindisch zopfige Aristokratie und ein so vernagelter Pietismus ausbilden konnte. Es läßt sich nicht leugnen, daß das katholische Elend im Tessin noch ein, wenn man so sagen kann, heitres, glänzendes ist, aber es ist unbegreiflich, wie ein so freudenloser Putzscheren- und Nebelkappenkultus, der alle Lichter auslöscht und kalte Nacht über alle Augen stülpt, wie die Basler Orthodoxie, fanatische Anhänger finden konnte. Es läßt sich begreifen, daß der Katholizismus eine Hölle braucht und intolerant ist, aber der Teufel im Protestantismus ist ein ernsthafter Harlekin, und nun gar der Basler Teufel und die Basler Intoleranz …! Der Jude und der Katholik können starre, mitunter selbst unsinnige Dogmen haben, ohne daß man darüber lachen muß, weil die Natur ihres Kultus eine positive (geoffenbarte) ist; der dogmatische Protestantismus aber ist eine so grenzenlose Albernheit, so unpoetischer Nonsens, daß er gar nicht zu ertragen ist: das Wesen des Protestantismus bleibt immer die Negation und diese kann keine Dogmen haben. Wir können im Katholizismus auch dort, wo uns den Konsequenzen gegenüber menschliches Schaudern ergreift, noch die glühende Phantasie der Erfinder bewundern, während wir uns bei dem formulierten und verbrieften Protestantismus vor der Schlußunfähigkeit seiner Schriftgelehrten entsetzen müssen. Stabiler Katholizismus ist denkbar, orthodoxer Protestantismus aber ist eine contradictio in adjecto, eine ganz unbegreifliche Dummheit; jener setzt alles, nur nicht den Gedanken, ihm steht also von Rechts wegen alles frei, was mit dem Gedanken nichts gemein hat, – dieser aber setzt einen Gedanken und will die andern ausschließen, er negiert und will bestimmen, was nicht negiert werden darf: das ist heillos. – Und in dieser Richtung sind die Basler seit je Meister, sie knüpfen sogar in Eisenbahnwaggons Bekehrungsversuche an.

Der Gräfin wurden die guten Lehren, die zugleich zwischen den Zeilen Vorwürfe über ihren früheren, mutmaßlich ungottseligen Lebenswandel enthielten, dazu noch in einer gewissermaßen patronisierenden Weise erteilt, die sie vollends unerträglich machten.

»Ich bekam eine Predigt in den Kauf, aber ich bekam die Unterschrift auch«, sagte sie mit einem Ausdrucke, der schon an Selbstverachtung grenzte, ihrem Gemahle, der unterdessen einen Panzerhandschuh gekauft hatte, von dem ihm versichert worden war, daß er auf dem Schlachtfelde von St. Jakob an der Birs gefunden worden.

In Straßburg blieben sie nur, um zu dinieren. Von da ging es in raschem Fluge nach Paris.

Paris hat keine Physiognomie, denn es hat alle. Es ist ein selbständiges Exemplar der Gesellschaft, eine Wiederholung aller irgendwo vorhandnen Tugenden und Laster auf dem Raume von 34 Quadratkilometer.

Die Reisenden bezogen ein Logement im Hôtel Meurice, Rue Rivoli, und die Gräfin schrieb sogleich ein Billet an Herrn Tetarskoff, der seine Adresse: Boulevard de la Madeleine, an der Mündung der Rue Duphot gegeben hatte. Am anderen Morgen wurde ihr seine Karte gebracht, er hatte die Reiseermüdung nicht so hoch angeschlagen und war noch nach der Oper eingetreten. Das sah wenigstens nicht so aus, als wolle er allen Schikanen die Krone aufsetzen. Der Graf hatte eine » voiture de remise«, eine hübsche Berline bestellt, d. h. er war, seiner Neigung folgend, selbst zu dem Wagenverleiher gefahren und hatte es durch seine Pferdeliebhaberei und seine Kenntnisse in dieser Richtung dahin gebracht, daß ihm ein ganz allerliebstes Gespann ohne Aufschlag der Taxe zur Verfügung gestellt wurde. Es war abgemacht, daß die vorläufige Rücksprache von der Gräfin allein besorgt werden, bei der Ratifikation aber der Graf zugezogen werden sollte. Auf der Karte waren Stunden notiert für das Geschäftslokal des Hauses Brèsmenil und andere für die Privatwohnung Tetarskoffs, die letzteren waren unterstrichen. Die Gräfin fuhr zu ihm.

Sein Haus, das augenscheinlich nur von ihm allein bewohnt wurde, glich mehr dem Logis eines reichen Junggesellen, der auf angenehme Weise seine Rente verzehren will und, um nicht nach außen zu viel zufällige Ausgaben zu haben, die eigne Wohnung so hübsch als möglich macht, damit es ihm bei sich gefalle, es glich mehr dem Hause eines wohlhabenden, müßigen Mannes von Geschmack als dem Aufenthalte eines Zahlenmenschen. Wenigstens machte die erste Etage, in welche die Gräfin geführt wurde, diesen Eindruck. Die ineinandergehenden Zimmer, deren Thüren geöffnet waren, bildeten eine Galerie voll kostbarer Gemälde, Büsten und andrer Kunstgegenstände, das Warten konnte hier nicht schwerfallen …

Und die Dame hatte nicht lang' zu warten. Herr Tetarskoff warf nur einen langen forschenden Blick in den Spiegel seines Ankleidezimmers, dann trat er ein. Es schien, als ob beim Anblicke der Gräfin ein leichter Schauer über seine Glieder gerieselt wäre.

Er war eine jener zähen Figuren, die an dem Embonpoint des Alters nie teilhaben, sein Wuchs hatte noch jugendliche Eleganz, obgleich sein Haar grau und sein Gesicht farblos und runzlig war. Auch seine Augen hatten schon gelitten, er trug eine mattgrüne Brille, die es nebenbei sehr erschwerte, seine Gesinnungen zu erraten. Es war eine diplomatische Brille, welche seinen Gast trotz der affablen Manieren des Wirtes genierte, zumal da durch seine zuvorkommenden Bewegungen immer eine gewisse ernste Zurückhaltung hindurch sah. Im übrigen wußte er der Dame alles zu erleichtern, ein Blick in die Papiere genügte ihm, in wenigen Augenblicken war er fertig.

»Es ist ein eigentümliches Geschäft, das wir hier abschließen«, sagte er dann. »Ich fürchte, es ist zu spät. Übersehn Sie die Verpflichtungen, die Sie übernehmen, nochmals genau, – es ist unmöglich, daß wir billigere Bedingungen stellen, aber dennoch wird und muß es Ihnen schwer werden, sie zu erfüllen. Ich weiß, daß die Güter mehr Wert haben, als die Taxe besagt, aber sie werden auch nur bei Selbstbewirtschaftung das Kapital bis zur Taxe mit fünf bis sechs Prozent verzinsen, was drüber hinausliegt, läßt sich nur in guten Jahren rechnen, – die Landwirtschaft ist mitunter ein Spiel, in dem die Elemente alle Trümpfe haben.

»Wir geben Ihnen das volle Kapital bis zur Taxe, setzen Sie dadurch in den Stand, alle eingetragnen Schulden abzuzahlen und außerdem das Plusinventarium Ihrer Pachter zu erwerben. Die Güter sind in der That, wie ich durch genaue Berichte weiß, jetzt in ganz anderem Zustande als bei der Übergabe an die Pachter. Diese Leute haben es Ihnen unmöglich machen wollen, Ihre Besitzungen je wieder zurückzunehmen, sie sind darüber reich geworden, während Sie nur Verluste hatten. Die Revenue muß also eine überaus große sein können, vergessen Sie aber nicht, daß Sie selbst durch unsre Manipulation nur scheinbar in den Besitz kommen, daß wir die wirklichen Eigentümer ihrer Güter sind. Es gehört Entschlußfestigkeit und Resignation dazu Ihre Gewohnheiten abzustreifen und so die Mittel zu erwerben, nicht bloß die Verzinsung, sondern auch die Abzahlungsfristen einzuhalten. Einem Ihrer Landsleute, der sich in noch schlimmerer Lage befand, ist es gelungen, ich konnte ihm sogar später, da ich seinen Fleiß und seinen ernsten Willen ehren mußte, noch einige Erleichterungen bieten. Es ist das meine Weise zu spekulieren, ich spekuliere auf die Menschen, nicht auf die Hypothek. Er schrieb mir von Ihnen, ich war bereit. An Ihnen ist es nun, seine Empfehlung und mein Vertrauen zu rechtfertigen. Daß ich dagegen auf die Erfüllung der Bedingungen rücksichtslos dringen muß, liegt in der Natur der Sache. Sie sind erfüllbar, wenn es Ihnen darum zu thun ist sie zu erfüllen. Ich gehe bis dahin neue Verbindlichkeiten ein und kann unmöglich irgend einen braven Mann im Stiche lassen, weil Sie Ihres Versprechens nicht eingedenk sind. Man zahlt mit Hypotheken keine Wechsel und kann sie nicht in der Bank verpfänden, Bankiers müssen ihrer Eingänge auf die Stunde gewiß sein, drum ist es ein Wagnis in meiner Weise zu spekulieren und zugleich anderen Verkehr zu treiben. Was endlich das Kapital anbelangt, das Ihnen nach dem Testamente Ihres Großvaters aus dessen Verlassenschaft noch jetzt vorenthalten wird und das allerdings Ihre Lage bedeutend änderte, so wird sich erst dann Klares über Ihre Ansprüche sagen lassen, wenn gewisse Papiere, die sich in Ihrem Archive vorfinden müssen, produziert sind. Ich sende Ihnen, wie ich schon die Ehre hatte Ihnen zu schreiben, einen sehr wohl unterrichteten jungen Mann, der Sie in keiner Weise genieren wird, dessen Aufgabe aber ist, genaue Ertragsrechnungen für mich zu führen, wozu Sie ihm die nötigen Mittel und Wege anweisen werden, – er wird auch das Ordnen des Archivs übernehmen und auf diese Weise im stande sein, Ihnen vielfache Dienste zu leisten. Er ist des Deutschen vollkommen mächtig, bescheiden und still, die Befürchtungen, die Sie im voraus seinetwegen aussprachen, werden keine Begründung finden. Ich kann mich auf ihn verlassen, und daß es zur Wahrung meiner Interessen einerseits, sowie anderseits, damit Ihnen in unvorhergesehnen Fällen von mir kein Unrecht geschieht, einer solchen Mittelsperson bedarf, unterliegt keinem Zweifel. Sie haben nur mit mir zu thun, die Subsidien der andern Herren waren nur für den Augenblick nötig …«

»Warum ersparten Sie mir dann den Weg zu Menschen der Art nicht?«

»Ich gestehe es, ich that es mit Absicht. Sie sollten die Bedeutung des Geldes auf der einen Seite richtig fassen, damit Sie wissen, aus welchem Schmutze es der Bedürftige holen muß; während Ihnen auf der andern grade die Misere, die daran klebt, den Unwert des Metalls in andrem Sinne, als in dem Sie es bisher verachtet, klar machen sollte. Es geschah, um, falls Ihr Entschluß Ihr Vermögen wieder zu erlangen feststeht, Sie darin zu befestigen, oder, falls Sie nicht ernst an Ihre Lage gedacht hatten, ernste Gedanken in Ihnen zu wecken.«

»Sie sind offenbar sehr reich, da Sie Geschäfte von diesem Umfange aus ›Liebhaberei‹ treiben, wie Sie sagen.«

»Gräfin, ich war blutarm.«

»Ich meinte nur, daß Sie dann auch mitunter in Ihren Bedingungen die Laune des Liebhabers walten lassen. Ich finde weder den Zinsfuß hart, noch die Fristen besonders gespannt, ich dächte indes …«

»Denken Sie nie etwas anderes, als daß ich ganz besondere Lust habe, Ihre Domänen nicht bloß faktisch, sondern auch offen mein Eigentum zu nennen. Es ist ein offner Krieg zwischen uns, in dem ich nur durch Ihre moralische Kraft geschlagen werden kann. Ich wünsche Ihren Sieg, aber ich benutze Ihre Niederlage. Grund zu klagen geb' ich Ihnen nie, aber fassen Sie die Lage der Dinge aus diesem und keinem andern Gesichtspunkte auf. Ich bin Ihr treuster Freund und ihr gefährlichster Feind zugleich.«

»Ich war im Begriffe Ihnen zu danken, Sie entheben mich dessen durch Ihre Erklärung, mag denn also der freundschaftliche Krieg zwischen uns beginnen. Wann wird alles zur Unterzeichnung bereit sein?«

»Da Ihr Herr Gemahl davon Kenntnis zu nehmen wünscht, werde ich die Ehre haben, Ihnen noch im Laufe dieses Tages Nachricht zu geben. Sobald Sie in Ihrer Heimat anlangen, werden Sie mit meinem Sachwalter Hand in Hand die nötigen gerichtlichen Schritte thun, die Summen werden Ihnen zur Verfügung stehn und sogleich an die betreffenden Personen auszuzahlen sein. Sie haben keine weitere Unbequemlichkeit mehr, als hier in Duplo den Kontrakt zu unterzeichnen. Spätestens morgen elf Uhr ist also alles in Richtigkeit und Sie – wieder aus der passiven Rolle gerissen, die noch im Momente so drückend auf Ihnen liegt.«

Fünf Minuten, nachdem die Dame das Zimmer verlassen, bestellte Tetarskoff seinen Wagen und fuhr nach dem Boulevard d'Enfer.

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