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Drittes Kapitel.

Die Kraniche.

Eine bekannte Närrin, die viele Romane geschrieben und viele Romane zu spielen versucht hat, allem Anscheine nach auch ihr verpfuschtes Leben in irgend einem Kloster selbst zu Grabe tragen wird, stellt die Behauptung auf, daß keine Dame, die mehr als dreiundzwanzig Jahre zählt, sich anders als bei künstlicher Beleuchtung sehen lassen dürfe. Wir wissen nicht, ob sie damit eine alte Geheimlehre der großen Welt ausplaudert oder ob die große Welt am Ende doch nicht allein aus zarter Rücksicht für die bessere Repräsentation des schönen, überdreiundzwanzigjährigen Geschlechts, die Nacht dem Tage vorzuziehen pflegt. Es ist denkbar, daß sie sich erst dann im Vollbesitze ihrer Herrschaft fühlt und dann erst hoch aufzuatmen wagt, wenn sie weiß, daß die Macht, die sie zu verachten vorgibt, in tiefem Schlummer liegt. Gewiß aber ist, daß es in den Wohnungen der Armen eher Nacht und Tag wird, als in Schlössern und Palästen. Da wir den Grund für diese Verschiedenheit nicht bloß in Ersparnis oder Mangel an Leuchtmaterial auf der einen und Lust an Illuminationen auf der andern Seite zu suchen geneigt sind, fehlt uns immer der bestimmte, letzte Ausgangspunkt für diese eigentümliche Sitte und müssen wir uns damit begnügen, festzustellen, daß sie auch dort uralt hergebracht ist, wo das Klima das Umkehren der Nacht in Tag nicht bedingt. Gibt es irgend ein unanfechtbares historisches Recht, so ist es das der Nacht auf den Schlaf der Armen und die Feste der Reichen.

Demgemäß war das Gesellschaftszimmer der verwitweten Gräfin Hehlen auch um die Stunde, in der Hennings' Lampe erlosch, noch vollständig kerzenhell.

Der Salon bildete ein längliches Viereck, dessen Wände mit Hautelissen in Grau, Rot und Gold bekleidet waren. Daran stieß ein kleines rundes Gemach mit violettem Samt ausgeschlagen und von oben durch einen großen massiv silbernen Kronleuchter erhellt. Es enthielt außer einem sehr großen Kamine von weißem Marmor, dessen Reliefs in allem Ernste eine »Travestie« des Triumphes der Galathea darzustellen schienen, ein schweres mit Vergoldungen überladnes Sofa, zwei ungeheure, gradlinichte Sessel und mehrere Taburetts, so daß der Raum, der den Durchschnitt eines Türmchens bildete, hierdurch gefüllt war. An den Wänden hingen eine Anzahl von Miniaturen in breiten staffierten Rahmen, die zwanzigfach den Raum des Gemäldes einnahmen, und über dem Sofa, an Goldschnüren mit dicken Troddeln befestigt, zwei Kniestücke in Lebensgröße: Porträtfiguren, aber heroenhaft aufgeputzt, einen faltigen Mantel um den nackten Leib drapiert. Dies Turmgemach hatte nur eine große Thüre nach dem Salon; die Thürflügel waren ausgehangen. Man konnte von da fast den ganzen Salon übersehn.

Der Salon war, wie wir schon gesagt, in Grau, Rot und Gold tapeziert. Eine Thüre führte in das eben beschriebne Kabinett, eine zweite in der Mitte der äußeren Wand öffnete sich auf den Balkon, und die dritte ging nach den Vorzimmern. Ein riesenhafter, vielseitiger Ofen aus weißen, im älteren Renaissancestile verzierten Kachelfliesen stand dem Balkon gegenüber. Das Mobiliar war noch im Geschmacke Davids: Karyatiden, Friese und Architrave an Tischen, Stühlen und Spiegeln, mythologische Reminiszenzen, Liebesgötter und Arabesken aller Art an den Leuchtern, wie an allem andern Geräte. Es zeigte alle jene Unbequemlichkeit und all jenen absurden Zuschnitt, den das Mißverstehen antiker Werke und die Vermischung von Plänen für Architektur mit denen für Hausrat seiner Zeit hervorgerufen. Tische bildeten Tempel, die Stuhlbeine gehörten in irgend eine Säulenordnung, und von jedem Sims der Spiegelfassung schwangen nackte Genien, ins Steife, Kurzleibige übersetzte Genien, ihre geschmacklosen Kranzgewinde. So war das Mobiliar, das außer seinem Reichtume an Vergoldung noch prachtvolle Vasen von Jaspis, venezianischem Glase, Porzellan und edlen Metallen zu tragen hatte. Das Licht des Kronleuchters war durch Gaze gedämpft, dagegen strömten zwei dicht mit Kerzen besteckte Armleuchter ihr volles Licht durch den Raum.

Ein runder, niedriger Tisch mit einer Marmorplatte, von mattschwarzen Sphinxen mit vergoldeten Diademen getragen, der sich trotz seiner augenscheinlichen Schwere auf dem Parkett fortrollen ließ, war eben von den Dienern mit Früchten der Jahreszeit und der Treibhäuser besetzt worden, und dies sowie die Haltung der Anwesenden zeigte zur Genüge, daß die Sitzung noch lang' nicht geschlossen werden sollte.

Die Gesellschaft bestand aus fünf Personen, von denen drei im Kabinette, zwei im Salon an der geöffneten Balkonthüre Platz genommen hatten.

Im Kabinett saßen zwei ältere Damen und ein Herr.

Adelaide Gräfin Hehlen, geborene Gräfin Trauchburg, konnte in jeder Beziehung für die Repräsentantin der vornehmen Damen einer Zeit gelten, die im Alter der Periode des gradlinichten Mobiliars voranging. Graf Ségur hätte in ihr eine jener vieilles femmes gefunden, deren Nichtvorhandensein ihn an Napoleons Hofe störte. Die Zeit hatte an ihr nichts geändert als ihre Züge und ihren Anzug. Die Revolution, die Überschwemmung der deutschen Länder durch den Corsen, die sogenannte Befreiung endlich und die Restauration, alles, was diese Begebenheiten gebracht oder genommen, lag hinter ihr als historische Thatsache, kalt und tot, sie hatte nichts damit gemein. Auch die Restauration blieb ihr gleichgültig; der Hof jenes Haubenstocks, den die Fremden zum Könige von Frankreich machten, begann seinen Lebenslauf ja mit dem Devotismus, der das Ende der Regierung Ludwigs des Vierzehnten bezeichnet hatte, mit jener freudlosen, »frommen« Grausamkeit, die sich dort in der Aufhebung des Edikts von Nantes, hier in zahllosen Verfolgungen manifestierte. Die Zeit der Gräfin war die der übermütigen Freude, die gleich dem Ausflackern des Lichtes vor seinem Verlöschen, kurz vor der großen Katastrophe in Frankreich in gewissen Schichten der Gesellschaft herrschte, während das Elend, die Not in den andern eine neue Zeit vorbereiteten. Die Erinnerung an die Feste von Trianon, denen sie in ihrer Jugend beigewohnt; der galante, witzelnd spöttische Ton jener Tage, der vor keiner Beziehung, vor keinem Scherze, der nur irgend in geistreiche Form gekleidet war, zurückbebte; das für die Intrige erfundene Lispeln, die halbausgesprochenen Worte und vor allem – die Verachtung für den tiers état waren ihr geblieben. Sie hatte ihre Augen weit über dreißig Jahre für das Draußen geschlossen gehalten, hatte nie mehr einen der entweihten Höfe besucht, wußte nichts von dem Ringen und Fordern der Zeit und gehörte somit ganz einer vergangenen Welt an. Ihre Ansichten hatten sie durchdrungen und konserviert, wie das Harz der Binden, in die man einbalsamierte Körper wickelt, nach und nach den Körper durchzieht und seine Form erhält: sie war eine lebendige Mumie. Was sie dachte und fühlte, prägte sich scharf, aber doch nur dem verständlich, der ihre Weise und ihren Ideengang genau kannte, in ihrem Gesichte aus. Es war Manier darin, sonst wäre die Maske nicht lüftbar gewesen. So waren die Züge denn sprechend aber ihr Spiel ruhig und stereotyp, es gab in dem Denken und Fühlen der Dame nicht allein keinen Sturm, sondern auch kaum Ebbe und Flut. Jede Bewegung war gemessen, jede Bemerkung war oder klang wenigstens anständig lau. Sie würde nicht verfehlt haben in unsrer Zeit, in der die Marquisen mit dem Dodo ausgestorben scheinen, den Eindruck einer gewissen Szene aus Goethes Tasso zu machen, einer Szene, die wohl in Weimar aber nie und nimmer unter dem Himmel Italiens eine Bühne finden kann. Gräfin Hehlen wäre heute ein »komischer« Anachronismus oder, wie man vielleicht sagen würde, ein hors d'œuvre.

Diese Frau saß ohne die geringste bequeme Nachlässigkeit in ihrer Haltung zu zeigen aufrecht in der Ecke des Sofas, die den Blick nach dem Salon frei ließ. Sie langweilte sich augenscheinlich, aber die Langweile schien ihr im Momente das einzig Schickliche, drum langweilte sie sich mit Anstand und Bewußtsein. Wie etwas in seiner Art Abgeschlossenes, Fertiges, immer eine gewisse Befriedigung bietet, konnte man sich auch von der Matrone nicht leicht oder gar unbehaglich abwenden. Sie war zu typisch, um nicht Aufmerksamkeit für sich zu fordern. –

Eine für die Länge der Zeit gewiß weniger interessante, dafür aber im ersten Augenblicke desto auffallendere Erscheinung war die zweite ältliche Dame, die den Sessel an den Tisch vorgeschoben hatte und eines Gehörfehlers wegen ihren Kopf möglichst in die Nähe der dritten Person, eines Mannes brachte, der mit großem Pathos aus einem Foliomanuskripte vorlas.

Klothilde Hehlen, die Schwester des letztverstorbenen Grafen, war nie schön gewesen, ja eine lange Krankheit, die auch ihr Gehör zerrüttet, hatte ihr sogar nie jene frische Glätte und Färbung werden lassen, die fast bei allen Mädchen in einer gewissen Zeit den Mangel an Schönheit der Formen ersetzt. Trocken und hager, dank verschiedenen Familienpakten auch arm, war sie trotz mancher geistigen Vorzüge nie liebenswürdig gefunden, nie geliebt worden. – Wäre die Liebe des Menschen zum Menschen, ein innigstes, vertrautestes Aneinanderschließen vorher fremder Personen, nicht ein wirkliches, natürliches Bedürfnis, so würden Menschen, die von der Liebe geächtet werden, nicht so unglücklich und bösartig. – Ihr Herz vertrocknete, sie trug einen erfrornen Frühling in sich und wurde in ihrem Wesen verzerrt, weil der Gang ihrer Entwickelung ein naturwidriger war, weil eins der notwendigen Glieder in ihrer Lebenskette fehlte, weil die höchste, gleichmäßige Stimmung aller Affekte in ihr nie zur Reife gekommen war. Damit fehlte ihr die Läuterung, das Gleichgewicht der Gefühlsäußerungen; sie konnte weder, noch wollte sie die Wirkungen dessen was sie sagte oder that messen und mildern. Sie war selbst nie zufrieden gewesen und liebte es darum, allenthalben Unzufriedenheit zu verbreiten. Gab es in der Menage ihres Bruders einen Zwist, so unterlag es keinem Zweifel, daß sie geheim oder offen die Flamme geschürt. Das Verhältnis der beiden Schwägerinnen, das seit je ein gespanntes gewesen, erhielt früher noch durch die Triumphe der schönen, von allen Männern gefeierten Frau täglich neue Schärfe, und niemand freute sich mehr über die Verwüstungen, die das Alter in den Zügen Adelaidens angerichtet, niemand war eifriger, den Erfolg einer sorgfältigen, der Jahre spottenden Toilette zu vereiteln als Klothilde. Die Karten oder das Triktrak brachten zwar Abend für Abend einen Waffenstillstand zuwege, aber da in der Trauerzeit eine solche Zerstreuung für unpassend galt, fand der eingewurzelte Groll in dem Augenblicke, in dem wir unsre Erzählung beginnen, keinen Ruhepunkt und war der Kampf der von jeder Partei mit den Waffen geführt wurde, die ihrer Eigentümlichkeit am meisten zusagten, ein endloser, überaus heftiger.

Der Widerspruch zwischen den beiden Damen dehnte sich sogar in auffallendster Weise auf den Anzug aus. Während die Witwe das Trauergewand immer noch möglichst gefällig und ihrem Wuchse angepaßt trug, während sie jedes graue Haar sorgsam unter dem Kopfputze verbarg, war ihre Schwägerin in eine unförmige Masse des gröbsten schwarzen Wollstoffs gehüllt und zeigte mit unverkennbarer Absicht ihre spärlichen weißen Haare. Da sie um einige Jahre jünger war als die Gräfin, gab ihr diese Ostentation Gelegenheit zu bitteren Bemerkungen über die späte Eitelkeit ihrer Schwägerin. Diese sah in dem schwarzen Kleide mit Pleureusen einem jener würdevollen Nonnengemälde gleich, die man noch dort und da in Nischen alter Klostergänge gemalt sieht oder in Familiengalerien findet, Klothilde dagegen erinnerte unwillkürlich an die große westindische Fledermaus. Ein Vergleich, der durch das wiederholte Ausspannen und um den Leib falten eines riesigen Tuches, unter dem dann nur ihre dünnen Finger und der weiße Kopf hervorsahen, noch treffender gemacht wurde.

Diese beiden Damen bildeten das Auditorium des sehr ehrwürdigen Pater Ambrosius oder, wie er sich lieber nennen hörte, des Schloßkaplans. Auch Bakkalaureus der freien Künste und Lizentiat der Gottesgelahrtheit war der gute Herr Ambrosius Feigenblatt, dessen nähere Bekanntschaft zu machen wir sofort die Ehre haben werden.

Der kleine Mann, der neben den hochgewachsenen Gliedern der Grafenfamilie erst recht wie ein Pygmäenkazike aussah, saß auf seinem Taburett wie eine Statue des verkörperten Respektes und schien in jeder Minute das wenige geistliche Fett, das die freien Künste etwa anzusetzen erlaubten, von seinen Rippen schwitzen zu wollen. – Es gibt eine Art von Hühnern, die aus Serbien stammen und ein ganz eigentümliches Gefieder haben. Ihre Federn sind von Natur dicht über dem Kielende geknickt und entbehren in den eigentlichen Federn der starren Rippe, so daß sich das ganze Gefieder aufwärts und bei dem kleinsten Luftzuge der gewöhnlichen Richtung entgegensträubt. Die Atzel des Kaplans glich vollständig einer rotbraunen Henne dieser Gattung. Sie war daher das einzige in die Höhe strebende, respektswidrige Ding an ihm. Andere haben ein doppeltes Kinn, der Bakkalaureus aber hatte eine doppelte Stirn. Wir müssen es dahin gestellt sein lassen, ob die eine Hälfte, die durch einen tiefen Einschnitt von der andern gesondert war, durch einen Einschnitt, der nicht nur in einer Hautfalte, sondern in der Knochenformation selbst seinen Grund hatte, bloß als Reservedampfkessel diente, – oder ob in der einen Abteilung das gebraut wurde, was der Domine sagen, und in der andern, was er verschweigen wollte. Immerhin hatte der Herr so viel von seinem Stande, daß er nicht alle Karten auf den ersten Blick sehn ließ, eine Bemerkung, die für unsre letzte Ansicht ein Gewicht in die Schale werfen dürfte und durch die sonderbare Stellung der Augen des Pater Ambrosius nicht Lügen gestraft würde. Die Scheidewand zwischen ihnen war so bedeutend und der Winkel von der Mitte der fleischigen Nase nach den Schläfen zu so schroff abfallend, daß die Augen eigentlich an den Seiten des Kopfes zu liegen schienen. Diese Eigentümlichkeit gewährte ihm den seltnen Vorteil, nach den Seiten und fast rückwärts sehn zu können, wie wir dies bei mehreren Tierarten beobachten. Diese Tiere gelten für furchtsam, weil sie bei der geringsten Annäherung eines fremden Wesens die Flucht ergreifen, aber es mag dies eine von den vielen Ketzereien sein, die sich in die Auffassung von Tiercharakteren, die Taubensanftmut an der Spitze, eingeschlichen haben. Sie sind nicht furchtsam, sondern vorsichtig, weil sie keine Waffen haben. Auch der Schloßkaplan war nicht furchtsam, wohl aber vorsichtig. Seiner eignen Erklärung nach hatte er sich nur aus einem Grunde, den wir achten müssen, niemals auf den – für ihn einzig ziemenden – litterarischen Kampfplatz gewagt. Ein – vielleicht allzu reizbares – Moral-Nervensystem ließ ihn jedesmal erröten, wenn er sich »Feigenblatt« nennen hörte, und die damalige Übersetzungssucht und Latinisierungswut der Namen brachte ihn nun vollends aus dem Regen in die Traufe. In der That äußerte er einst in vertraulichem Gespräche zu einem gelehrten Freunde, daß die Übersetzung seines Namens ihn stets an eine pikante Stelle in Rabelais' Pantagruel und an das Ende von Ariosts sechster Satire erinnere. – Herr Ambrosius Feigenblatt war ein vielbelesner Mann und nebenbei wahrscheinlich zu eitel, um die Klippe durch die Anonymität zu umschiffen. Kurz, er schrieb aus Moralität nicht. Ihn aber furchtsam zu nennen, wäre grobe Verleumdung gewesen, denn er zeigte wiederholentlich den größten Mut und zwar in äußerst schwierigen Fällen, von denen wir vielleicht noch später einen oder den andern erfahren dürften. Aber vorsichtig war er. Und die Vorsicht scheint in seiner Lage inmitten einer nicht allzu friedliebenden Familie nicht nur eine Tugend, sondern gradezu eine Notwendigkeit, wenn er sich auf seinem Platze behaupten sollte. Einfluß hatte er nie erlangt, obgleich er der Beichtvater der ganzen hochgräflichen Familie war. Der verstorbene Graf drohte bei der kleinsten Einmischung mit der Hetzpeitsche; die Gräfin erfüllte äußerlich religiöse »Pflichten« mit derselben Förmlichkeit, mit der sie einem »großen Empfange« beigewohnt, litt aber durchaus keine Annäherung; Gräfin Klothilde haßte den Pater, weil sie bemerkt zu haben glaubte, daß er ihrer Schwägerin mehr Unterwürfigkeit zeige als ihr selbst, und die junge Welt machte Scherze und Quodlibets über den patentierten Seelenheilkünstler. Sie lachte über seine Atzel, über das wunderliche, antediluvianisch-französische Kleid, an dessen Kragen man noch Spuren des verewigten Haarbeutelschabens entdeckte, sie lachte über die schlotternde schwarze Atlashose, über die silbernen Schuhschnallen, vor allem aber über seine Gelehrsamkeit.

Unter der jungen Welt verstehn wir das Paar, das im Salon zu beiden Seiten der geöffneten Balkonthüre sitzt und sich von der kühlen Luft Nachtigallenschlag und Blumendüfte zuwehen läßt.

Isoliert war es durch die Trennung von der Gruppe im Kabinett nicht, da die Lage sowohl, als die blendende Beleuchtung aus beiden Gemächern nur einen Raum machte, und so ein stilles, unbelauschbares Alleinsein unmöglich wurde. Ein solches lag indes auch nicht im Plane Cecile Hehlens, sie hatte den Platz nur gewählt, um die schärfere, aber auch angenehmere Luft zu atmen, die von den ältern Damen vermieden wurde. Wir kennen das junge Mädchen schon; unsre Bekanntschaft datiert vom Friedhofe. Wir hatten somit schon Gelegenheit, einen Blick auf das ansprechende Äußere der Gräfin zu werfen, aber eins mußte uns dort im sinkenden Lichte entgehn, und dies eine ist wichtig genug, um hier nachgetragen zu werden.

Cecile Hehlen ist Braut.

Wir erinnern uns, daß Soulié, der ganz entschieden einer der größten Beobachter und Menschenzeichner war, die Hauptmerkmale für drei Stadien der weiblichen Entwickelung im Gange, in der Bewegung ausgeprägt fand. Das vegetierende Mädchen gleichsam geschlossen, unsicher und eckig; die erwachte, lebende, also liebende Jungfrau, mit jener weichen, schämigen Grazie, die vor sich selbst errötet und, aus großer Besorgnis sich zu verraten, ab und zu noch schroffe, scharfe Linien durch ihre schwimmenden Kreise zieht; vollendete Rundung in der Bewegung, Festigkeit und fesselfreie Sicherheit aber nur in der Frau. Und er hat recht. Aber es gibt noch ein anderes, das sich erst mit dem ersten Dammerscheine, der dem Erwachen vorhergeht, in die Züge eines weiblichen Kopfes drängt, ein Etwas, das von der geistigen Vermählung erzählt und das uns oft auch den Frauen noch die Geschichte ihres innersten Lebens ohne Paraphrase sagen ließe, wenn wir nicht aus Konvenienz den Schein, mit dem sie sich umgeben, achteten.

Der heiterste Kopf eines reifen Mädchens zeigt auch in seiner ausgelassensten Launigkeit noch einen leicht gespannten Zug, der um die Brauen lagert und von der Oberlippe nach den Wangengrübchen schleicht. Er ist anfangs eine stumme, friedfertige Frage, eine Frage, wie sie Kinder in ihrer Unschuld stellen, – dann wird er fester und sieht der liebenden Jungfrau als tiefsinniges, melancholisches Rätsel aus dem Gesichte. Ist sie Braut, so flüchtet alles was Hoffnung und Besorgnis heißt, alle unbestimmte, namenlose Sehnsucht und Furcht in diesen einen Zug. Sie mag jubeln, von Freude strahlen, das Rätsel tritt, je näher es seiner möglichen Lösung kommt, immer bedeutender, dringender, ja schmerzlicher hervor; es fragt immer dieselbe Frage, für die es in Worten keine Antwort gibt; es ist ein Staat im Staate, ein Ding, das weder an Lust noch an Schmerz der andern Glieder teilnimmt. Es gerät am Altare noch in Krampf und preßt Thränen aus den Augen, die gern Blitze der Freude sprühen möchten … Nur wenn der Mann, dem sich das Mädchen gibt, ein Ödipus gewesen, nur wenn zwischen Mann und Weib das letzte, innigste Verständnis obwaltet und volle Harmonie zwischen beiden besteht, kehrt der eigenwillige Muskel zum Gehorsam zurück, nur dann zeigt ein Frauenkopf für immer in jedem Affekte vollendeten Einklang, vertrauteste Übereinstimmung aller Bewegungen und aller Züge. Bis dahin nie. Es ist immer etwas Fremdes, Forschendes, immer eine Störung darin. Sie sehen falsch, alle, die in dem Kopfe eines Mädchens den heiligsten Frieden erblicken wollen, es ist immer eine große, ungelöste Frage da. Man sieht diese Frage unbeantwortet, verzerrt und peinlich zuckend in den Gesichtern einer großen Zahl von Frauen, die von der Welt für glücklich gehalten werden, weil die Welt das Glück nach Dingen taxiert, die in ihrer sinnlosen Gesellschaft Wert haben; – aber sie mögen sich immerhin selbst ihres Glückes rühmen, der eine unvertilgbare Zug in ihrem Antlitze straft alles, was sie auch der Gesellschaft zuliebe sagen mögen, ewig Lügen.

Wir sahen ein Exemplar von Johannes Baptista Portas Magia naturalis, das einst im Besitze des Wiener Jesuitenkollegiums gewesen zu sein scheint. Wenigstens trug es den Stempel dieses Instituts. Die Patres fanden für gut einige ihnen verfänglich scheinende Seiten aus dem unschuldigen Buche ganz herauszuschneiden, andre aber auf eine ganz eigne Weise mit mehr als russischer Schwärze zu durchkreuzen, so daß es kaum den Auffrischern pompejanischer Handschriften gelingen dürfte, sie wieder lesbar zu machen. Der Schere ist unter anderen kleinen Kunststückchen, die es darauf abgesehn haben, den Damen Possen zu spielen, verfallen, das Kapitel: » Amorem conciliare quomodo possimus.« Man sieht hieraus, daß die P. P. Jesuiten nicht bloß galant, sondern auch freiheitsliebend waren. Sie wollten keine erzwungene Liebe, keine Hexentränkchen, kurz, am Ende hatten sie sogar schon eine Ahnung von »freier Liebe« à la Aston. – Sollte sich nun irgend ein jesuitisch galanter Leser bewogen fühlen, den obigen Exkurs für einen ungalanten Verrat weiblicher Mysterien zu halten, so diene ihm zur Beruhigung, daß so wie die, welche Portas Buch lesen, wohl auch Portas Weise verstehn und würdigen und deshalb von seinen Rezepten keinen Mißbrauch machen werden, – auch die, welche Menschen verstehn und die oben angedeuteten Züge zu dechiffrieren wissen, dem Markte nicht böswillig ihre Beobachtungen preisgeben werden. In beiden Fällen scheint also Zensur, heiliger Eifer, Schwärze und Schere überflüssig. – Wir haben indes nichts dagegen einzuwenden, wenn irgend ein böses Gewissen oder aufrichtiges Betrübtsein dies Buch um diese Reflexion ärmer machen sollte. Die Zensur wäre nur eine Bestätigung der Wahrheit und vertilgte wohl ein Blatt Papier, nicht aber das Rätsel aus dem Gesichte der Frauen; sie hinderte uns also auch ferner nicht, in jedem weiblichen Kopfe, dessen Dasein nicht für immer oder nicht mehr vegetativ ist, den Grad seiner freien Entwickelung zu erkennen. –

Dies Rätsel war es, das scharf accentuiert in Ceciles Gesicht lag und ihren Kopf bestimmt zu dem einer Braut stempelte.

Ihr Bräutigam saß ihr gegenüber. Der schöne Mann bewunderte das schöne Mädchen, sein Blick ruhte von Zeit zu Zeit glühend auf der prächtigen Gestalt in erster Jugendfrische, aber was ihm der äußerste Ausdruck von Liebe war, würde uns, die wir vielleicht andere Begriffe von Liebe haben, nur ein Gefallen, ein Behagen, eine Steigerung desselben Gefühls, das man für ein fehlerfreies Pferd, einen Rassehund, ja selbst für eine Havanazigarre haben kann, scheinen wollen.

Jeder Blick Ceciles schien aus endloser Ferne zu kommen, an Zaubergärten vorüber geschweift zu sein und endlich all die gesammelten Wunder in einen einzigen leuchtenden Strahl zusammen zu fassen; Graf Hugo sah grade vor sich hin, sein Blick irrte nicht ab, wich nicht aus, er war frei ohne Rückhalt, verständig, aber ohne Tiefe der Empfindung. Er hatte durchaus nichts Diplomatisches an sich. Der knappe militärische Rock, den er noch immer trug, obgleich er bereits den Dienst verlassen, kleidete ihn vortrefflich; brüsk mit einer gewissen Ritterlichkeit, wie er war, konnte es für ihn keine passendere Tracht geben als die des Kriegers.

Sie sprachen, scherzten auch wohl, aber weder suchten sich ihre Hände, noch flüsterten sie aus einem anderen Grunde so leise, als um den Vorleser nicht zu stören und etwa selbst dann und wann einen Brocken der Lektüre zu empfangen. Cecile fürchtete weder einen strafenden Blick der Mutter, noch eine beißende Bemerkung der Tante: sie hätte gethan, wozu sie ihr Herz gedrängt. Aber es zog sie nicht zu jener süßen Vertraulichkeit, die in einem Nichts so unbeschreibbare Lust findet. Sie liebte Hugo nach ihrer Art, weil er ein stattlicher, schöner Mann, weil er ein verständiger, biedrer Charakter war. Sie hing an ihm, denn sie hatte schon als Kind, als er ins Feld zog, seinethalb geweint, und endlich wußte sie es seit langer Zeit nicht anders, als daß sie Vetter Hugos Frau werden sollte.

Eine nachweisbare Verwandtschaft zwischen den beiden Linien der Hehlen bestand gar nicht, indes behauptete man, sie hätten sich in grauer Vorzeit voneinander getrennt und war ihre Vereinigung schon durch einen Familienpakt festgesetzt worden, ehe Hugo und Cecile noch die letzten Sprossen der beiden Häuser waren. Dieses Abkommen hatte engere Beziehungen und wiederholtes Zusammensein herbeigeführt, und ein Brechen der Verbindung war trotz der Abneigung der Gräfinwitwe gegen den zukünftigen Tochtermann durch die gegenseitige Neigung der beiden zunächst Beteiligten unmöglich geworden. Cecile war an den Cousinbräutigam, der seit dem Tode ihrer Brüder, sobald es irgend anging, in Hehlenried blieb, gewöhnt und fühlte sich in dem Verhältnisse um so befriedigter, als ihr kaum eine Ahnung davon aufsteigen konnte, daß sie ihm überlegen sei, solang' die Gelegenheit zu praktischem Durchführen ihrer Ideen und zu Vergleichen mit seinen Plänen fehlte. Und wenn von Zeit zu Zeit auch jene sehnsüchtige Frage beredter und ängstlicher unter ihren Lidern hervorzuckte, so kehrte sie doch bald, von der Gewohnheit eingewiegt, ins Lager zurück, – weil die Zeit noch nicht reif, die Antwort noch nicht fertig war.

Gewiß ist, daß dies Paar sich dennoch besser unterhielt als die andere Gesellschaft. Und wir werden uns darüber nicht wundern, wenn wir erst wissen, welch geistvolles Werk der Kapelan zur Lektüre gewählt.

Der verstorbene Graf hatte Herrn Ambrosius Feigenblatt, um ihm einmal eine nach seiner Ansicht nützliche Beschäftigung zu geben, den Auftrag erteilt, die Genealogie des Hauses Hehlen zusammen zu stellen. Der Graf hatte das Ende der Arbeit, für die es Dutzende von Pergamentbänden durchzulesen gab, nicht erlebt, und da in der Trauerzeit Würfelbecher, Brettsteine und Pikettkarten ruhen mußten, profane Lektüre nicht passend, devote nicht ansprechend war, forderte die Gräfin den Verfasser auf, der Gesellschaft durch den Vortrag seiner Arbeit den Abend zu kürzen.

Der Band war ziemlich umfangreich geworden, außerdem in Folio mit bunten Initialen geschrieben und ahmte zum Überflusse, selbst wo kein fremder Autor citiert war, gern die Ausdrucksweise der Urkunden nach, die der Pater hatte benutzen müssen. Dadurch gewann das Werk unzweifelhaft an Würde und Bedeutung, denn wir mögen Altes und Veraltetes doch am liebsten in altem Gewande haben. Bibelcitate fordern z. B. absolut entweder das furchtbare Latein der Vulgata oder den harten, für uns oft mystisch klingenden Text der Übersetzung Luthers. Es ist als vertrügen die Geschichten von dem Gotte, der da befiehlt zu stehlen, zu morden und zu sengen, und der dem langes Leben verspricht, der nur die Eier oder Jungen aus dem Neste nimmt, die Alten aber fliegen läßt, nicht einmal die Sprache des neunzehnten Jahrhunderts. – Ähnlich mag es mit dem genealogischen Aperçu des Herrn Ambrosius Feigenblatt ausgesehn haben, wenn er sich dessen auch kaum bewußt war.

So war denn das erste und zweite Kapitel: »Von dem Ursprung, Unterscheid und Nahmen derer von Hehlen«, sowie von dem »Alterthumb« der Familie, zu allgemeiner Zufriedenheit vorüber gegangen, und man stand eben bei dem Abschnitte von dem »hochadeligen Wapen.«

Wir können es uns um so weniger versagen, einiges von diesem denkwürdigen Vortrage für den Leser zu stenographieren, als wir dadurch nicht bloß aufs neue beweisen, daß menschlicher Scharfsinn nicht einzig und allein in der scholastischen Zeit und auf des seligen Thomas von Aquino Quaestiones quodlibetales verschwendet worden, sondern zugleich auch unsre Wahl der Kapitelüberschrift rechtfertigen dürften.

Pater Ambrosius las, wie folgt:

»Drittes Kapitul. § 1. Dieses Geschlechtes uraltes Wapen weiset uns sowohl einen über dem Helme zwischen zweien Püffelshörnern auf einem aufgehobnen ( sic) Fuße stehenden Kranich, welcher zwei Sterne umb den Hals hat, als auch in dem Schilde in einem gelben Sand- oder Goldfelde ebenselbigen, jetzt beschriebnermaßen befindlichen Kranich.

»Es gibt die schlechte und einfältige Zeichnung dieses Wapens auch außer denen gründlichst obgemeldeten noch ein neues, gar scheinbares Merkzeichen des grauen Alterthumbs der Familie. Weil nämlich in demselben keine prächtigen Thiere, vielerlei und seltsame Figuren, sondern nur auf das Einfältigste ein Kranich abgebildet worden: so heißet uns die scientia heraldica mutmaßen, daß es müsse zu einer Zeit verliehen worden sein, da man mehr aus alter Aufrichtigkeit auf die Kenntlichkeit der Tugenden, als auf künstliche Verblümung neuer Qualitäten sein politisches Absehn genommen hat.« –

– Der Vorleser atmete hoch auf, und wir lassen eine Lücke, um dem Leser Zeit zu geben den gewiß sehr tiefen Sinn der letzten Zeilen ergründen zu können und verschanzen uns im voraus gegen den Vorwurf, als hätten wir unsern eignen Scharfsinn als Spürhund auf die Jagd nach heraldischem Unfuge ausgesandt. Wir geben ausdrücklich die Versicherung, daß wir hier wie überall dem urkundlichen Diktate wörtlich nachgeschrieben. Ebenso versprechen wir unser möglichstes in der Verdeutschung fremdländischer Citate zu thun und hoffen endlich nicht für thöricht gehalten zu werden, weil wir Thorheit im Gewande der Thorheit selbst an den Pranger zu bringen suchen. Man soll sehn, an welche Abgeschmacktheiten sich der Adelstolz klammert, der Stolz jenes Adels, der keinen Grund mehr findet, auf sich selbst stolz zu sein; man soll sehn mit welchen lächerlich spitzfindigen Kombinationen er seine Eitelkeit kitzeln mag, und wie er in dem seinen Ruhm zu suchen pflegt was von Haus dem Spotte verfallen ist. –

»§ 2. Diesem nach wollen wir den oftangerühmten polnischen Genealogum S. Okolsky in seinem Tomo III pag. 219 selbsten hören, welcher allda schlüßlich räsonniret: Sunt alii qui utuntur grue sine stellis. Veniunt ex Bohemia utraque haec arma. Qua vero ratione concessa fuerint, scriptores licet non asserant, ipsa tamen arma loquuntur tacite suam originem. Militi custodiam de nocte agenti vigilantissimam in hostes concessa fuerunt.«

Die beiden Damen nickten dieser mit vielem Aplomb vorgetragnen Stelle Beifall, wollten aber damit sicher nicht ihr Verständnis, sondern ihren Willen ausdrücken ohne weitschweifige Verdeutschung im Stile Ehren Gottschlings darüber hinweg zu kommen. Auch enthält sie in der That nichts was nicht später nochmals wiederholt würde.

»Eben auf diesen Schlag«, fuhr der geschmeichelte Pater fort, »judiciret auch der obenangeführete Paprozius und meldet dabei, daß er in keinen alten Historien den eigentlichen Ursprung deß Wapens habe finden können, obgleich zu seinen Lebzeiten die Familie derer Grafen von und zu Hehlen schon floriret. Indes, gleichwie die Püffelshörner ein Zeichen sind der Würde, Macht und Tapferkeit, vide Pierii lib. 7. hieroglyphicorum, – also gibt der Kranich ein überaus schönes Bildnüß militärischer Klugheit, wie D. Theodorus Hoepping: de jure insignium Cap. XI. n. 651. klärlich darthut und beweiset.

»§ 3. Hierauf und durch Veranlassung dieses leuchtenden Wapens rekommandiret oft berühmter Okolsky einem hurtigen Kriegsmanne folgende Stücke: Animum, Fortitudinem, Laborem, Vigiliam & Obedientiam, oder Mut, Stärke, Ausdauer, Wachsamkeit und Gehorsam. In allen diesen herrlichen Tugenden müssen vor anderen die Herren Grafen von Hehlen excelliret haben, weil dieselben vor uralten Zeiten dergleichen fürtreffliches Wapen erworben. Und gewißlich ist keine adeliche Qualität und Tugend, deren Bildnüß uns nicht der einzige Kranich gleichsam mit lebendigen Farben abschilderte.

»Die Wachsamkeit ist der Kraniche Haubteigenschaft und zugleich das Kennzeichen eines sorgfältigen Regenten oder Herrn, welcher vor die Sicherheit der Seinigen wacht. Dannenhero malet der grundgelehrte italienische Abt Philippus Picinelli in seinem Mundo symbolico lib. IV c. 35 einen scheinlich auf der Wache oder Hut stehenden Kranich mit diesem lemmate: › Ut alii dormiant.‹ –

»Und wann die glorwürdigsten Kaiser Matthias und Ferdinandus III die Sorgfältigkeit vorbilden wollten, ließen sie auf ihre Münzen einen Kranich prägen unter dieser Überschrift: › Amat victoria curam.‹ –

»Die Eintracht zeigen die Kraniche an, weil sie stets in gesamten Haufen fliegen und die Umschrift (!) führen: › Non nisi gregatim.‹ –

»Den Gehorsam stellen sie gar artlich vor, indem einer von ihnen als ein General den Trupp führet, welchem keiner vorgreift, sondern alle in ungebrochner Ordnung folgen. Darum heißt es von ihnen: › Una dirigit omnes.‹ –

»Die Beständigkeit präsentiren sie auf das Eindringlichste, da sie nicht bloß den angefangenen Zug so viel als möglich fortsetzen, noch den mit der Klaue gefaßten Stein leichtlich fallen lassen, sondern auch, wie die Naturkündiger, und unter diesen Conradus Geßner, anmerken, ihre Gestalt im Alter unverändert beibehalten, obgleich alle andern Vögel (?) mit den Jahren die Federn wechseln. Dahero auch des Bargali treffliches Lemma: ›Colorem nec aetate commutat.‹ –

»Daß ich nichts merken lasse von der Verschwiegenheit, Arbeitsamkeit und Klugheit, welche die Kraniche dadurch blicken lassen, daß sie in der Stille einen Stein auslesen, selben fest tragen und vermittelst dessen Beides – den Flug befördern (?!) und die Wache bestellen (!). Zu dergleichen Kraniche schreibt Franciscus Lancus: ›Non nisi pondere.

»Dieses ansehnliche Korps der fürnehmsten Tugenden, gleichwie es den Vorfahren das edle Kleinod und Wapen erworben: also soll es nunmehro auch denen hohen Nachkommen, sowohl im geistlichen als weltlichen Stande, ererbtermaßen wie bishero eigen sein, auf daß sie an gleichmäßigen adeligen Qualitäten und Meriten von anderen eyfrigst nachgeahmet werden und so dem Kranich ein neuer Glanz und Ruhm erwachse.

»§ 4. Noch sind die Neben-Emblemata zu merken, als welche auch in Sonderheit angeführt werden, um den Unterscheid beider hochgräflich Hehlischen Linien anzugeben und zu bestimmen.

»Wie schon gemeldet, sind zwei Sterne umb den Hals des Kranichs das Zeichen der Stamm- und ehemaligen Majoratslinie, während die zweite Branche einen Pfeil durch den Hals des Vogels führt. – Dürfte Schreiber dieses wagen, in so wichtiger Sache seine demütigen Gedanken zu entdecken«, – Ambrosius Feigenblatt erhob hier im triumphierenden Bewußtsein eines großen Gedankens auf diesmal durchaus nicht demütige Weise seine Stimme dermaßen, daß es ihm gelang, die Aufmerksamkeit des Paares im Salon zu erregen. »Dürfte er wagen, dem hohen Familienrate einen Vorschlag zur Beurteilung unterwürfigst vorzulegen, so dürfte das überaus glückliche Ereignis, das die hohen Erbglieder beider Linien und Häuser, gleich zwei Edelreisern aufeinander zu ablaktiren verspricht, eine erwünschte Gelegenheit geben, das beiderseitige Wapen zu vereinigen, indem nämlich der Kranich im Schilde geziemendermaßen mit den Sternen, der aber auf dem Helme mit dem Pfeile darzustellen und zu malen wäre.«

Da sich trotz der Pause, die der Pater mit vielem Räuspern machte, keine Stimme, weder für noch wider vernehmen ließ, fuhr er etwas eingeschüchtert fort:

»Die Sterne deuten die helle Vortrefflichkeit, der Pfeil jedoch die hurtige Tapferkeit eines heldenmütigen Offiziers an, und müssen wir nach dem Vortritte des gelehrten Hoeppingii in seinem tract. de jure insignium pag. 642. so lang bei solcher heimlichen Deutung bleiben, bis die Geschichte uns Gewisseres darüber vorlegt.« – –

»Die Sterne wenigstens bringst du mir sicher, Cecile, und es ist die Schuld der Heraldiker, nicht deiner Augen, wenn sie nicht Sonnen heißen«, sagte der Bräutigam. Es war eine in jenen Tagen noch nicht wie jetzt verpönte galante Phrase, doch wurde sie hier nicht ganz in dem leichten Tone gesprochen, den man sonst gewöhnlich für derartige Bonbons verwendete.

»Und der Pfeil sitzt schon hier«, antwortete Cecile lächelnd und deutete auf ihr Herz, indem sie Hugo zugleich einen ihrer freundlichsten Blicke zuwarf.

O, die Liebe ist immer frisch und grün, sie ist es überall. Das Blatt, das ein alter, morscher Eichenstamm, vielleicht zum letztenmale treibt, unterscheidet sich weder in Form, noch in Farbe von dem ersten, das der Kapsel entsproß. So ist Liebe allerorten gleich, bei den Trieben eines Stammbaumes, der zu verdorren beginnt, wie draußen in Wald und Feld. Die Liebe findet überall Beziehungen und Anknüpfspunkte für sich und ihre freundlichen Bilder, sie findet sie sogar – – in den Figuren eines Wappens.

Der Kaplan war indes mit seinem ergötzlichen ›Kapitul‹ noch nicht zu Ende und fuhr in einer Weise, die weit entfernt von der Ironie war, die wir unwillkürlich in dem ganzen Traktate finden dürften, fort, die Tugenden der Kraniche anzupreisen. Alle Fabeln, die je über dies Tier im Schwange gewesen, mußten herhalten … Wo der Verstand nichts findet, die Sinne nichts erfassen, – schickt einen Speichellecker hin, und er wird Wunder berichten! Ein Verdienst müssen wir aber trotz alledem Herrn Ambrosius Feigenblatt zugestehn, – er hat uns eine Arbeit erspart, die wir in gleicher Weise kaum zu stande gebracht und zu der wir uns doch aus Artigkeit gegen unsre Leserinnen verpflichtet gefühlt hätten. Der Bakkalaureus der freien Künste hatte nämlich die lateinischen Kranichsdevisen auf gut Gottschedisch in Alexandriner übersetzt und aus drei Worten Text, genau wie sein edles Vorbild, regelmäßig und bequem zwei klappernd monotone Verse gepreßt. Wir können sie um so weniger unterschlagen, als es von nicht geringem Interesse für die Menschheit sein muß, den ehrlichen Vogel des Ibykus sogar mit einer spezifisch christlichen Tugend ausgestattet zu sehen. –

Nachdem Pater Ambrosius, wie er es bei jedem Karmen zu thun pflegte, – und deren gab's bei jeder feierlichen Gelegenheit, – ein » Si quid in me est ingenii« vorausgeschickt hatte, las er:

»Der Kranich ist fürwahr ein seltsam edles Tier
Und darum auch mit Recht der Hehlen Wappenzier:
Er will sich selbsten nicht des Schlafes Ruhe gönnen,
Damit die andern nur indessen schlafen können;
Vorsichtig steht er oft auf einem Beine still
Und deutet damit an: Geb' acht, wer siegen will!
Man sieht ihn nie allein, doch stets in Scharen fliegen,
Weil ja vereinte Kraft nicht kann so leicht erliegen;
Gehorsam wird er auch zu jeder Zeit geschaut
Und unterthänig dem, dem der Befehl vertraut;
Beständig ist er dann, das zeigt uns sein Gefieder,
So wie es jung gekielt, so ist's im Alter wieder;
Und wie der Christ sein Kreuz, so trägt er seinen Stein:
Nie ohne schwere Last, – das nenn' ich weise sein!«

»Pah, Magister, manches was Ihr da herausgerechnet habt, klingt gescheit genug für einen Schulfuchser, aber hinterher müßt Ihr doch immer wie ein Marktschreier Eure eigne Ware anpreisen. Ihr habt nie einen Küraß auf Euern durchsichtigen Schultern getragen, sonst wäre Euch die Lust zu einem so närrischen Verse vergangen. Ich sag' Euch auf mein Wort, es gibt nichts Angenehmeres also Weiseres, als Küraß, Helm, Pallasch und Stiefel zehn Schritt vom Leibe zu werfen, wenn man einen tüchtigen Marsch hinter sich hat. Hole der Henker Eure lästige Weisheit!«

Der arme Poet, der heute auch gar nicht zum Anerkanntwerden kam, machte nach dieser Apostrophe die Normalbewegung einer gestörten Raupe mit solcher Präzision, daß nur die Tischplatte ein Begegnen der Kniee und des Kinnes verhinderte. Indes kam ihm Gräfin Klothilde, die, wie alle Damen der Art, gern mit ihrer Frömmigkeit kokettierte und die Gelegenheit dazu mit Gewalt herbeizuziehen verstand, diesmal um so bereitwilliger zu Hilfe, als sie hoffen konnte, ihre Schwägerin werde sich in den Streit mischen und sie dadurch in der Lage sein, das beliebte Ziel für ihre Pfeile zu finden.

»Kehrt Euch nicht daran«, sagte sie, »kehrt Euch nicht daran, den Gottlosen ist nichts heilig. Diese fromme Eigenschaft war es sicher noch mehr als die anderen, die unsrem Ahnherrn den Kranich erworben und Ihr hättet sie unter den Familientugenden nennen sollen, denn in der That, wenn ich an das Dulden meines armen, jetzt seligen Bruders denke …! Christliche Demut, ergebnes Tragen großer Prüfungen gegenüber dem Hochmute und der Eitelkeit der Weltmenschen, die zum Unglücke und durch Zufall in unsre Familie gekommen sind und nie an den Tugenden der Hehlen teil haben konnten, das muß den eigentlichen Grundzug im Charakter jedes echten Hehlen ausmachen.«

Sie sah die Witwe dabei herausfordernd an. Diese aber schien den hingeworfenen Handschuh gar nicht zu bemerken; Hugo lachte so laut, als er es in Gegenwart seiner künftigen Schwiegermama ohne ein Epigramm zu gewärtigen irgend wagen durfte, und um Ceciles Lippen spielte ein spöttisches Lächeln.

Da nach diesem kurzen Zwischenakte der Kaplan seine Verlegenheit und Entrüstung so weit bemeistert hatte, daß er wieder eine gestrecktere Stellung annehmen und weiter lesen konnte, blieb der ergrimmten Tante nichts übrig als die Entladung ihrer Zornbatterie auf gelegenere Zeit zu verschieben. Die Gelegenheit zeigte sich indes zum Glücke für ihre Gesundheit bald. Und da diese Debatte für heute die Sitzung schloß, uns aber die Möglichkeit gibt, dies Kapitel adliger Langweile angemessen zu schließen, so ist für alle Fälle ein Grund weniger vorhanden, die weitere Schilderung des Abendvergnügens der Kraniche aufzugeben.

Wir lassen es uns wenig kümmern, daß der Abschnitt von den unterschiedlichen Branchen und Gütern der Hehlen sonnenklar nachwies, wie sich schon in einer Zeit, die sich durchaus nicht ergründen läßt, drei bedeutende Absenker vom Hauptstamme abgezweigt; ja es ist uns sogar sehr gleichgültig, daß eine dieser Kolonien unmaßgeblich schon in der dritten Generation ausgestorben. Ebenso wenig Wert legen wir auf die Bemerkung des Kaplans, daß zwar die Grafen Reuß von Plauen, die Freiherrn von Kranichsfeld, die Kranich von Wagenheimb am Rhein, die Kranichsberg in Bayern, die Weyer in Franken, die Stadler in Österreich, die Stoven in Holstein, die Skronsky und Budzowsky in Böhmen und Polen, sowie etliche patrizische Geschlechter der Reichsstädte ebenfalls einen Kranich in Siegel und Wappen führten, aber durchaus keinerlei Ansprüche auf Abstammung von den Hehlen machen könnten.

– Graf Hugo, der wieder herüber gehorcht hatte, konnte die halblaute Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Tugenden des Kranichs, da er so sehr ausgefahren sei, doch wohl im Preise sinken müßten. –

Wir übergehn den Beweis für die Behauptung des Kaplans, da unsres Wissens die obengenannten Familien nie Ansprüche gemacht haben, die eine Abweisung hervorgerufen hätten. – Wir erwähnen ferner nur flüchtig, daß die Hehlen zur Zeit der Kreuzzüge einige kühne Waffenthaten im Gelobten Lande verübt, sowie, daß sie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges als tapfre Reiterführer genannt wurden, und geben endlich wieder ein Stück der Familien-Chronika, das nicht so nebelgrauen Hintergrund hat, wörtlich nach dem Berichte.

»… Auf diesen nicht genug zu rühmenden, tapferen und mächtigen Herrn, Herrn Hugo Ernst, folgte nach seinem Ableben am vierten Februar 17.. der sehr tapfre, edle Herr Hugo Eduard im Majorate.

»Er trat sogleich in seines Herrn Vaters namentlich durch Uneigennützigkeit ausgezeichnete Fußstapfen, indem er nicht allein den Dienst im Heere zu damaliger kriegerischer Zeit nicht quittierte, sondern auch den Genuß der Güter des Hauses alsbald zum größten Teile seinem Erbsohne überwies, welcher nach dem Ältervater Hugo Ernst getauft war. Wenige Jahre darauf fügte der hohe Herr seinem großmütigen Geschenke noch Besitzrechte und Titel mit Vorbehalt nach § 10 des Familienstatuts bei.

»Der neue Graf ging, wie es einem solchen Kavaliere ziemte, auf Reisen. Die Zeit des Umsturzes aller geheiligten und weltlichen Ordnung bereitete sich im stillen vor, und der in andern Konditionen über alle Maßen zu preisende Trieb nach Wissenschaft brachte dem jungen, heißblütigen Manne Unheil, während er zugleich ein edles Haus in tiefe Trauer hüllte. Dem Sprößlinge so vieler heldenmütigen Krieger mußte es unmöglich sein, die rechte Wissenschaft von eitler und fluchwürdiger zu unterscheiden, und so lernte er von Gottesleugnern königsmörderische Afterweisheit, ja, er begehrte sogar, seiner hohen Ahnen völlig uneingedenk, ein Frauenzimmer dunklen Herkommens zu seiner Gemahlin erheben zu dürfen und solchergestalt seinem Wappen einen unauslöschlichen Schimpf anzuthun. Vergebens wurde ihm sein jüngerer Bruder, Namens Wenzel, nach Paris nachgeschickt, vergebens waren die Bemühungen anderer hoher Verwandten und Bekannten, die sich zur selben Zeit in Paris aufhielten, ihn zur Pflicht zurückzuführen: er war und blieb halsstarrig auf dem verderblichen Wege, auf den ihn Wissenschaft und die schmachvolle Neigung zu einem gemeinen Weibe gelockt hatte. Er schloß sich sogar der scheußlichen Revolution an, verleugnete seinen Rang, kämpfte im Feldlager der Sansculotten gegen seine eignen Landsleute und machte endlich wirklich jenes Geschöpf, die Tochter eines Apothekers, zu seiner Gattin. So zeigte er sich denn seiner edlen Abkunft in jeder Beziehung unwürdig, und blieb seinem Vater nur die Erfüllung der Pflicht, auf Grund der Hausakte das ungeratne Glied auszustoßen und für sich und seine Nachkommen für erbunfähig zu erklären. Es geschah dieser Akt, zu dem sich der hochgebietende, regierende Herr Graf Hugo Eduard nur schwer und durch das Eingedenksein der ihm für die Familie obliegenden Pflichten bewegen ließ, Anno 17.. am 5ten Jänner und in Gegenwart des Grafen Wenzel von Hehlen, zweitgebornen Sohnes des Grafen Hugo Eduard, sowie dessen damaligen Brautvaters, des hochgeborenen Grafen Eugen Wilhelm von Trauchburg und des Pater Ambrosius Feigenblatt, Lic. Bacc. und Schloßkaplans, der dabei als Sekretarius fungierte.

»Somit war Graf Hugo Ernst zur Succession für unfähig erklärt, alle ihm bereits zugewiesnen Gerechtsame zurückgenommen und er dem Verderben, in das er sich selbst unrettbar gestürzt, überlassen worden. Er ging zum Heile der Familie, soviel uns bekannt, ohne Deszendenten unter.

»An seiner Statt hatte der hochgebietende Herr Eduard, damaliger Zeit römischapostolisch kaiserlicher Majestät General, seinen schon genannten zweiten Sohn, den Grafen Wenzel, unsern zuletzt verstorbenen Herrn, zum Majorats- und Allodial-Erben ernannt.

»Wir können außer seinen andern ganz besonders edlen Eigenschaften nicht genug rühmen, mit welcher hohen Weisheit er den Einfluß der neuen Ideen und die Zeit der Fremdherrschaft zum Besten seines Hauses und seiner Deszendenz verwendete. Es gelang ihm die Auflösung des Majoratsverbandes, die gesetzliche Aufhebung der alten Hausakte und die völlige Allodifizierung des gesamten gräflich Hehlischen Grundbesitzes in Sachsen, Franken und Schwaben herbeizuführen und sich so zum unbeschränkten Herrn des großen Güterkomplexus zu machen. Dieser Erfolg war von um so größerer Wichtigkeit als der trostlose Gesundheitszustand seiner männlichen Nachkommen das trübe Ereignis in Aussicht stellte, das Vermögen des Hauses infolge früherer Lehnsbriefe, die nunmehro ihre Kraft verloren, nach dem Hintritte der Schwertlinie, mit einer geringen Abfindung für die Kunkelabkunft, an den Staat fallen zu sehn. Obgleich nun jene Trauerfälle später eintraten als man gefürchtet hatte, kamen sie doch früh genug, um die Vorsicht des liebevollen Vaters in vollem Lichte glänzen zu lassen. Wie Graf Hugo Ernst durch sein unüberlegtes Anhängen an französische Ideen sein Erbe leichtsinnig, ja fast verbrecherisch hinter sich geworfen, so rettete Graf Wenzel durch wohlüberlegtes und weises Benutzen derselben Grundsätze seiner einzig überlebenden Tochter, Gräfin Cecile, den Reichtum an Land und Leuten …«

»Genug, Pater! Mich dünkt, es ziemte Euch schlecht von einem Gliede unserer Familie in Ausdrücken zu sprechen, wie Ihr von meinem Bruder Hugo Ernst gethan«, sagte Gräfin Klothilde mit einer Stimme, die zwischen Schneiden und Kreischen die Mitte hielt. »Hugo Ernst hat geirrt, aber er war ein guter Mensch, dessen Andenken ich segne. Er war es, der allein Trost für die arme Verlaßne hatte, der ihrer freundlich gedachte und sie selbst gegen den Vater, der sie nicht leiden konnte, in Schutz nahm. Ich habe Euch zugehört bis hierher, aber nun genug! Es ist ihm im Leben mehr Unrecht geschehn, als die verantworten können, die es ihm angethan, Ihr sollt ihm nicht nach dem Tode noch zu nahe treten, um anderen zu schmeicheln, die es nicht verdienen.«

Sie sagte das mit großer Heftigkeit und mit einem Anklange von wahrem Gefühl, den man in der vertrockneten Gestalt nie gesucht hätte. Niemand ist erkenntlicher für einen teilnehmenden Blick, für ein Wort, das zum mindesten nicht abweist, als jene, die von aller Welt abgewiesen werden. Klothilde hatte die Güte des Bruders nicht vergessen, und wenn sie sein Auftreten auch verdammte wie die anderen, so wollte sie doch nicht, daß der erste beste Fremde sich ein hartes Urteil über ihn erlaube. Es war nicht bloß die Schmeichelei für ihren zweiten Bruder, mit dem sie sich nie vertragen, obgleich sie seine Partie gegen seine Frau nahm, nicht das dem Manne der verhaßten Schwägerin gespendete Lob, das sie empörte, sondern wirkliche Anhänglichkeit und Liebe zu dem Verschollenen. Sie hatte niemand außer ihm gehabt, der sie geschützt.

»Es ist traurig, daß ein solcher Fall zur Schmach des Namens je vorgekommen, und niemand von uns hat des Entarteten der Welt gegenüber je anders erwähnt, als eines Toten«, sagte die Witwe ruhig und gemessen. »Aber die Familiengeschichte, die nur für die Familie geschrieben wird, muß nackte Wahrheit enthalten, auch wenn diese hart ist. Die Nachkommen sollen den Fleck kennen, sie sollen wissen, wie in edlen Häusern Justiz geübt wird und wie ein edles Familienhaupt eher ein krankes Reis mit blutendem Herzen abschneidet, als schlechte Gesinnungen und den Schmutz der Rotüre an dem Jahrhunderte alten Baum fortfressen läßt. – Ihr hättet die Sache, die Euch ja bekannt ist, Pater, darum weitläufiger und schonungsloser darstellen sollen, damit unsre Enkel sich noch ein Beispiel daran genommen und in ähnlichem Falle ähnlich gehandelt hätten.«

So kalt die Witwe diese Worte auch aussprach, verriet ein leises Vibrieren der Stimme zu Ende der Rede doch, daß ihre Erbitterung gegen den Renegaten einen tieferliegenden Grund, der mit der Ehre des Namens Hehlen wenig gemein hatte, haben mußte.

»Die Frau Schwägerin kann und konnte nie vergessen, daß mein schöner, edler Bruder die Tochter eines Apothekers ihren vielbewunderten Reizen vorzuziehn für gut fand. Er wußte gewiß, warum!« warf Klothilde spöttisch hin.

Eine Antwort auf diesen direkten Angriff, der in Gegenwart Ceciles doppelt verletzend und taktlos war, wurde indes durch die Lebhaftigkeit, mit der Graf Hugo ins Kabinett und an den Tisch trat, abgeschnitten. Er legte eine seiner nervigen Hände so gewichtig auf die Schulter des kleinen Paters, daß dieser aufs neue die Muskelschnellkraft und Gelenkigkeit einer Raupe nachahmte, diesmal aber sein Gesicht völlig in seine Skripturen vergrub.

»Verzeihung, Gnaden Mama«, rief der junge Mann eifrig: »Verzeihung, daß ich Ihre Ansicht diesmal nicht teilen, ja nicht einmal billigen kann. Nie noch hat ein Hehlen, der die Waffen trug, seinen Namen entehrt – und wir trugen sie alle, soweit die Geschichte des Hauses reicht! Graf Hugo wurde durch Verhältnisse und Ansichten, die uns nicht recht scheinen und es wohl auch nicht sind, verführt; er that Schritte, wie sie damals in Frankreich von vielen geschehn sind, ohne so streng gerügt worden zu sein, – aber etwas Unehrenhaftes hat ihm nur dies kleine, alberne Insekt nachzusagen gewagt.«

Er gab seiner Hand einen leichten Nachdruck, der aber kräftig genug war, dem Pater und Historiographen alles Blut ins Gesicht zu treiben und ihn aufs ängstlichste husten zu machen.

»Ich sprach Männer«, fuhr der Verteidiger fort, »Männer, die den citoyen Héhlén gekannt haben, und sie sagten vom ersten bis zum letzten: er sei tapfer gewesen wie ein Löwe, er sei gestorben wie ein Held. Bei Gott, in der Faust den Stumpf seines Säbels, drei Kugeln in der Brust und den Kopf zerhauen, hingestreckt über eine eroberte Standarte, die er nicht lassen wollte, das ist nicht der Tod eines Ehrlosen, das ist kein schmachvoller Tod. Wir Soldaten haben davon andere Begriffe, wir wissen, was es heißt, so zu sterben. Wir würden einen solchen Tod bei unsren ärgsten Feinden noch für fähig halten, alle alten Sünden auszutilgen. – Schreibt ihn zu den Helden des Hauses, Kaplan, ich befehle es Euch, und laßt Eure Salbadereien und Schwanzwedeleien, wenn es sich um Männer handelt, die an einem einzigen Schlachttage mehr Aufzeichnenswertes gethan, als Ihr in Eurem ganzen erbärmlichen Skriblerleben. Versteht Ihr mich? Ich bin durch zu Recht stehende Familienabkunft das Haupt des Geschlechts und werde nicht dulden, daß das Gift schiefer Falschheit die Blätter besudelt, die unsre Geschichte enthalten. Hört Ihr's, Ihr habt mit oder ohne Wissen schändliche Lügen geschrieben! Der Graf war ungehört verurteilt und enterbt, ehe irgend etwas Positives gegen ihn sprach; die Not trieb ihn unter die Fahnen der Empörer, die Not und falsche Vorspiegelungen jener Verwandten und Bekannten, die Eure feile Feder preist; man ließ seine Frau und seine Kinder verhungern … aber davon versteht Ihr, der Ihr an Herz und Geist Kastrat seid, nichts. Wahrhaftig, ist jemand anzuklagen …«

Er brach plötzlich ab, denn es war der Vater seiner Braut, es war vor allen ihre Mutter, denen die Welt und er, durch gute Gründe unterstützt, in dieser Sache nicht das ehrenhafteste Benehmen zur Last legte.

»Ich hätte nicht gedacht, daß mein wahrscheinlicher Schwiegersohn so beredt sein kann. Eine neue Tugend! Dem Willen des »Familienoberhauptes« werden wir uns allerdings fügen müssen, indes sollte der junge Herr, der nach seiner Verbindung mit meiner Tochter das Familienhaupt sein wird, die Erzählung alter Thatsachen immerhin ungestört den Zeitgenossen der Ereignisse überlassen, zumal denen, die durch die Verhältnisse genau unterrichtet sind.«

Hugo war durch die überaus spöttische Betonung dieser Worte noch mehr als durch die frühere Bemerkung gekränkt, und es bedurfte eines dringend bittenden Blickes seiner Braut, die sich, von richtigem Gefühle geleitet, in den Salon zurückzog, die heftige Antwort, die sich auf seine Zunge drängte, zu unterdrücken. Er begnügte sich damit, seinen Groll an dem unglücklichen Geschichtschreiber auszulassen, und als ihn hierin Tante Klothilde, erfreut über den Sukkurs, ablöste, sagte er der Witwe nur leise:

»Ich weiß alles genau, alles!«

»Das ist recht gut für Sie, lieber Hugo«, antwortete sie laut, »ich wünsche nur, daß Ihnen Ihr demnach sehr umfangreiches Wissen, von dem ich bis heute nichts zu ahnen Gelegenheit hatte, nicht oft schlaflose Nächte macht. Armer Mensch, ich dachte bisher immer, er schläft den Schlaf der Glücklichen, die nichts, oder möglichst wenig wissen! Ruhen Sie wenigstens heute gut, da Sie doch morgen sehr früh fort müssen. Bonne nuit, mon enfant! Träumen Sie von Ihrem neuen Helden!«

Sie reichte ihm möglichst gleichgültig die Hand zum Kusse. Als er sich darauf niederbeugte, flüsterte er ernst: »Ich sprach Caton Legrange, kenne die Szene in Versailles und las den letzten Brief von Ihnen an Hugo Ernst. Madame, ich weiß in der That durch Zufall alles, was jene Intrigen anbelangt.«

»Ich muß es Ihnen hierbei, wie immer überlassen zu meinen und zu glauben was Ihnen gut scheint«, sagte die Matrone unerschütterlich kaltblütig, obgleich ihre Augen bei dem Nennen des Namens Caton Legrange gezuckt hatten. »Freuen kann es die Mutter Ihrer Braut indes natürlich nicht, daß Sie auf offenbar sehr vertrautem Fuße mit einer schlechten Person gestanden haben, die einst wegen verschiedner Streiche ihres Dienstes bei mir enthoben wurde. Sie ist ja wohl sehr herunter gekommen, die leichtfertige Person? Ich dächte gehört zu haben, daß sie zu der Zeit, als Sie mit den Alliierten in Paris waren, ein Haus von weniger als zweideutigem Rufe hielt. Ist es nicht so, Herr Graf!«

»Gut ripostiert, alte Hexe!« murmelte Hugo zwischen den Zähnen. Dann überwand er seine Verlegenheit so gut es ging und sagte mit erzwungnem Lächeln und nicht ohne scharfe Betonung: »Sie behauptet als Kammerfrau einer Hofdame Studien am Hofe gemacht zu haben, die sie jetzt verwertet. Meine Bekanntschaft aber suchte sie ziemlich zudringlich, weil ihr der Name interessant war.«

Cecile kam zurück und reichte dem Bräutigam nun auch die Hand zum Abschiede; sie wollte der gereizten Mutter durch größere Vertraulichkeit nicht Gelegenheit zu spitzen Bemerkungen geben, sah Hugo aber mit einem herzlichen, verheißungsreichen Blicke an und sagte nicht: »Lebewohl!« sondern nur: »Gute Nacht, Hugo!«

Sie hatte ihre Entfernung aus dem Kabinett benutzt, einen Befehl zu geben, und der vorleuchtende Diener erzählte, daß das Pferd der jungen Gräfin morgen mit dem ihres Bräutigams zugleich gesattelt werden sollte. – Die Übersetzung jenes Blickes lautete also: Ich begleite dich morgen, Mama schläft dann noch, und wir sind frei. –

Cecile fand heute, daß sie Hugo mehr liebe, als sie selbst gewußt. Er war so schön, er sah so edel männlich aus, wenn er lebhaft wurde …

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