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Viertes Kapitel.

Buntes Leben.

Das Kirchturmrennen war vorüber. Nur Herr von Friedelstedt, Craw und – Tetarskoff hatten den Ritt über die Steine gewagt. Craw war voran, aber es schien, als ob er nicht um den Sieg ritte, sondern nur den anderen den Weg zeigen wolle. Sein Pferd stürzte über eine lose Platte, ohne sich jedoch zu beschädigen; er war im Sattel geblieben und brachte es wieder auf. Unterdes kam Tetarskoff heran und konnte das Hindernis vermeiden. Da er aber nun die Spitze nahm und absichtlich über einen Haufen halbzerbröckelten Geschiebes setzte, dessen Ausdehnung das Pferd schlecht maß, konnte ihn Craw nicht vor dem Sturze retten. Das Pferd streifte mit den Vorderhufen den Kies, riß sich im Hingleiten die Haut von den Knien und schlug nieder. Tetarskoff flog über den Kopf des Pferdes. Craw parierte das seinige dicht daneben und sprang hinzu. Der Gestürzte war nur an der Stirn geschrammt, aber das Pferd konnte nicht weiter. Unterdes hatte Friedelstedt, der die ganze Zeit weit zurückgeblieben war, den Platz erreicht und ritt nun, vergnügt über den leichten und gefahrlosen Sieg, die Höhe hinan. Ohne Rivalen, war es ihm überlassen, sich Schritt für Schritt durch die Blöcke zu winden: es kam ihm doch niemand mehr zuvor.

»Wer hat denn eine so mörderische Trace ausgewählt?« fragte Tetarskoff, der sich mit Craw noch um das verwundete Tier bemühte.

»Gräfin Hehlen!«

»Ich kannte die Tour nicht, aber wie Sie, dem der Fleck bekannt zu sein scheint, einwilligen konnten, hier hinüber Menschen auf Tieren zu jagen, ist mir unbegreiflich!«

»Die Gräfin liebt es, gewagt reiten zu sehn.«

»Bricht man sich denn dieser Frau zuliebe ohne weiteres den Hals? Schickt sie ihre Umgebung, ohne daß im geringsten remonstriert wird, nur zu ihrem Vergnügen in Lagen auf Tod und Leben?«

»Wie Sie sehn, ist es gar nicht so schlimm. Wir beide sind gestürzt, Sie aus Eigensinn, ich aus Fahrlässigkeit meines Pferdes, während Friedelstedt ohne alle Anfechtungen ans Ziel gekommen ist. Man thut eben hier, auch wenn einige Gefahr dabei ist, gern, was Gräfin Hehlen Freude macht. Wären die andern Herren, die Sie neulich in Hehlenried sahen, besser beritten, oder hätte Graf Hugo sich bewegen lassen, seine Pferde zu geben, so wäre unsre Zahl ohne Zweifel größer gewesen. – Beiläufig bemerkt hat Graf Hehlen, der früher ein entschloßner Soldat gewesen sein soll, jetzt nur noch Willen, wenn es sich um seine Vollblutpferde handelt. Sie können solche Notizen vielleicht brauchen, da Sie im Hause bleiben. – Aber so ist es, man würde hier ganz bestimmt auch Lagen auf Tod und Leben nicht vermeiden, um Cecile Hehlen ein Vergnügen zu machen.«

»Die Dame ist also sehr beliebt?«

»Sehr, und mit Recht.«

Tetarskoff wischte mit seinem Taschentuche über die Stirn und that, als wolle er seine Wunde abtupfen, aber die Zeit, die er dazu brauchte, ließ vermuten, daß er zugleich den Ausdruck seines Gesichts verbergen wolle. Craw, der sich ihm mit Absicht grade gegenüber gestellt hatte, verstand wenigstens die Bewegung so und dachte: – Hab' ich den Plan der Gräfin richtig gefaßt, dann hab' ich ebensogut interpretiert als sekundiert, und der erste Pfeil sitzt im Holze. »Ah mein Herr Tetarskoff«, murmelte er vor sich hin, »Sie sind ein Achilles, der fast nur aus Fersen besteht!«

Die Gräfin hatte in Begleitung ihrer Tochter und einer ansehnlichen Zahl von Damen und Herrn zu Pferde und zu Wagen erst dem Abreiten, dann, da die Bahn einen Bogen beschrieb, von einem Platze oberhalb des Gerölles, den sie rascher als die Reiter erreichen konnte, auch dem letzten Akte des Dramas zugesehn. Als Tetarskoff stürzte, hatte sie hastig den Wagen verlassen, war an den Rand des Hügels vorgeeilt und fixierte von dort aus durch ein kleines Fernglas die Szene,

»Es ist nichts!« beruhigte sie mit deutlich alterierter Stimme die anderen, »Baron Craw ist zur Hand!«

»Als wenn dieser Craw durch seine bloße Gegenwart gebrochne Arme ganz machen könnte!« brummte Wetterheimb.

»Hat Craw neben seinen andern akademischen Würden auch die eines approbierten Feldscherers?« fragte ein Herr von Kalkenstein, indem er sein Glas einzwickte.

»Fragen Sie ihn nur selbst!« sagte Komtesse Grasenapp spitz. Sie war in ihrer übelsten Laune oder fuhr, um mit Craw zu reden, unter der »Pestflagge«.

»Daß ich …! Meinen Sie nicht, daß er toll genug wäre, mir eine Kugel durch den Arm zu schießen, bloß um mir hinterher zu zeigen, daß er Schienen anlegen und Kompressen fest schnüren könne? Den frag' ich nie um etwas.«

»Herr von Friedelstedt erwirbt sich den Preis in der That mir vielem Mut. Jetzt, wo er wieder ebnes Terrain hat, gibt er Sporen und Peitsche und läßt sein armes Tier über imaginäre Graben setzen, in die er also nicht fallen kann, das ist doch tollkühn … da, mit welcher Grazie er eben grüßt! Hätt' ich den Preis zu erteilen, ich schwankte nur zwischen den beiden anderen. Craw hat ihn zumeist verdient, er gab den Sieg freiwillig auf, den ihm Herr von Friedelstedt nie hätte streitig machen können.«

»Den er aber dennoch nach allen Gesetzen errungen hat. Komtesse, wenn Sie Partei nehmen oder gar Craw protegieren wollen, werden Sie stets Widersacher finden. Belohnen Sie Baron Craw privatim, schmälern Sie aber Friedelstedts Sieg nicht. Er ist brav geritten!« sagte Wetterheimb fast unartig.

Sie würdigte ihn auch keiner Antwort und sah mit unverhehltem Ärger zu, wie der Sieger die Gratulationen der Gesellschaft empfing. Als Craw mit Tetarskoff heraufkam, nahm sie ihr Boukett und überreichte es ihm mit einem Komplimente über seine Menschenfreundlichkeit, das ihn notwendig in Verlegenheit setzte. Er nahm es indes an, so gut es ging, dankte für die Gabe und meinte nur leichthin: »Sie wissen ja, daß ich nicht mit Passion reite!«

» Le prix Monthyon!« sagte Cecile spöttisch.

»Die Grasenapp will entweder Craw haben, oder sie wird nächstens soeur grise!« sagte einer der Herrn.

»Grau ist sie schon!« meinte ein junges Mädchen vorlaut, »darum trägt sie immer …« Ein furchtbar strafender Blick von seiten der »Mama« schnitt den Verrat und die Rede ab. Das Mädchen wurde blutrot und dachte wahrscheinlich: Ich sage doch nur die Wahrheit! Und der Pastor hatte ihm jedenfalls noch vor einem Vierteljahre beim Konfirmationsunterrichte gelehrt, daß die Wahrheit gesagt werden dürfe. Der gute Herr wurde demnach auf einem Irrtume ertappt – und das Gebäude seiner Lehrsätze erhielt gewiß einen ganz empfindlichen Stoß. Die Salons sind nur »fromm« aus Luxus, – es gibt so schöne Madonnenbilder und Ecce-homos, Kopien von Raffaels St. Sebastian, Betschemel von Marketeriearbeit, Weihwasserkessel von Bronze und Kristall; – ferner aus Liebe zur Medisance, – wo wird mehr medisiert als von den Kanzeln? – und endlich – aber wir fürchten uns zu wiederholen. Die Frömmigkeit der Salons ist Karrikatur und Grimasse oder sogenanntes gutes Beispiel für den Haufen, der nicht hinter die Kulisse sehn, also auch den Wert des Beispiels nicht beurteilen kann.

Die kleine gedemütigte Person unterließ nicht, außerhalb des Gesichtskreises der »Mama« jedem, der es hören wollte, zu versichern, daß sie gewiß und wahrhaftig graue Haare auf dem Kopfe der Komtesse gesehn. Einige andere Damen unternahmen sogleich durch möglichst genaue Inspektion, der Gesellschaft Gewißheit zu verschaffen, – und die Zurückbleibenden erfanden unterdes für eine ältere Frau, die zufällig keine Tochter, Nichte oder Kousine in dem Kreise hatte, den Namen Madame Fagottée zu Ehren ihres etwas windschiefen Hutes. Sie behielt ihn von da ab.

Man konnte sich wundern, wie in Kreisen, die zu ihrem höchsten Gesetze gleichen Lack und Eisglätte erhoben haben, hinterrücks diese kleine, hechlige Medisance geübt werden kann, die nicht immer so unschuldig ist wie die oben geschilderte; man könnte sich wundern, wenn nicht grade der ewige Gummischleim, der um alles gewickelt wird, die Sehnsucht nach prickelnden Reizmitteln erklärte. Die Natur bricht um so heftiger durch, wenn die gezwungne Freundlichkeit eine Pause machen darf.

»O, Sie sind gut gewesen, lieber Craw!« sagte Luise, als er endlich zu ihr heran konnte. »Ich wollte Ihnen meine Rose geben, Sie sind aber schon reich dekoriert und mögen nun wohl meine winzige Gabe nicht mehr.«

»Geben Sie nur«, rief er mit einem Blicke auf Tetarskoff, der zwar mit der Gräfin sprach, aber Luise nicht aus den Augen ließ. Er nahm die Blüte und steckte sie so auffallend als möglich in ein Knopfloch seines Reitrocks; dann ergriff er wieder Luisens Hand und küßte sie mit einer Ostentation, die das Mädchen ebensosehr als die Umstehenden in Erstaunen setzte. Tetarskoff zog die Brauen zusammen und machte dadurch die Gräfin aufmerksam auf das, was in ihrem Rücken vorging. Sie wendete sich um und begegnete einem sehr zufriedenen Blick Craws, für den sie in Luisens bestürztem Gesichte vergebens den Schlüssel suchte.

»Was thaten Sie eben?« fragte sie an ihn herantretend.

»Ich befragte das Thermometer, ob der Sturz Herrn Tetarskoffs Blut erhitzt oder gekühlt habe!« antwortete er halblaut und winkte ihr mit den Augen nach dem Platze hin, wo der Russe im Augenblicke isoliert, mit gerunzelter Stirn und tief in Gedanken versenkt stand. »Ich küßte vor seinen Augen Luise die Hand, – das ist alles; sehn Sie nun selbst, was Reaumur sagt.«

»Craw, ich bitte Sie dringend, treiben Sie jetzt nicht Kinderpossen, Sie wissen nicht, wie wichtig …«

»Ihnen die Entdeckung der Neigung des u. s. w. u. s. w. ist. Ich weiß es. Auch wollt' ich nur Ihnen und mir die Gewißheit verschaffen, daß wir uns nicht getäuscht haben. Hätten Sie mehr Vertrauen zu mir, so ließe sich mancherlei thun.«

»Alles, was ich von Ihnen verlange, ist, daß Sie jetzt keine Vertraulichkeiten mit Luise üben, – ich muß sonst ihr verbieten, freundlich gegen Sie zu sein.«

»Sie erweisen mir im Moment zum erstenmal die Ehre, vollkommnes Vertrauen in mich zu setzen. Ich werde dafür dankbar sein, so gut ich kann.«

Ceciles Blick haftete einen Augenblick unschlüssig und prüfend auf ihm, dann rief sie Luise und kehrte mit ihr zu Tetarskoff zurück, dem sie einen Platz in ihrem Wagen gab.

Friedelstedt war ärgerlich, trotz seines Siegertumes nicht der Held des Tages zu sein; die romantische Seite war Craw zugefallen, er mußte sich mit der Vase begnügen, die ihm die vielbeschäftigte Gräfin nicht einmal selbst überreichte. Craw kümmerte sich um die Herren wenig oder gar nicht, die Mißvergnügten konnten also ungestört gegen ihn ein Komplott schmieden und den Versuch wagen, sich an ihm, der ihnen überall den Rang ablief, endlich einmal zu rächen. Die Gräfin unterstützte den Plan, ohne es zu wissen, indem sie zum Souper Friedelstedt, dem Sieger, den Arm gab und Tetarskoff mit Luise neben sich setzte. Craw war von Luise abgeschnitten und zum Teil darum das Stichblatt der nach und nach steigenden Weinlaune der Gesellschaft. Eine Zeitlang bemerkte er, in ein Gespräch mit Hugo vertieft, der seine klägliche Rolle mit trübem Gesichte ertrug, nichts von diesem Treiben, als aber Friedelstedt, der von seinem beneidenswerten Platze wenig mehr hatte als das Anhören einer lebhaften Konversation zwischen Tetarskoff und der Gräfin, oder Tetarskoff und Luise, in seinem Ärger so weit ging, ihn seiner Dekorationen wegen in einem Toaste zu verhöhnen, und fast alle Herren in ein spöttisches Gelächter ausbrachen, glaubte er nicht langer schweigen zu dürfen.

Er erhob sich. Die Gräfin sah ihn fragend, Tetarskoff ernst an. Er zuckte die Achseln, als wolle er sagen, es hat nichts zu bedeuten. Mit vielem Humor, der ihm trotz des Widerwillens bald wieder alle Lacher gewann, hielt er nun eine Art von Dankrede für die Aufmerksamkeit, die man ihm erwiesen, ging dann auf die Dekorationswut unsres Jahrhunderts insbesondere über und erzählte, immer in seinem scherzhaften Tone: »Sie erinnern sich, daß in der Zeit, bevor es Orden gab, die Sitte allgemein verbreitet war, an den Orten, die durch Totschlag oder andere Unglücksfälle berüchtigt worden, steinerne Kreuze aufzurichten. Das sind Orden in Folio gewesen. Nachdem man die Erfindung gemacht hatte, nicht bloß Menschen, sondern auch Gewissen und Ehrlichkeit zu erschlagen, wurden Sedezausgaben jener Mordkreuze für jede Brust, in der ein Totschlag vorgekommen, verfertigt …«

»Herr, Sie beleidigen mich!« rief Friedelstedt, der ein Johanniterkreuz auf die linke Seite seines Frackes gestickt hatte.

»Und mich!« rief der emeritierte Diplomat, der eine Reihe von Miniatureditionen großer Orden an einem Springringe trug.

»Dann erlauben Sie nur, daß ich der andern Gesellschaft meine Fabel zu Ende erzähle!« fuhr Craw fort, ohne Ton und Miene zu ändern. »Ich bin nicht in Gefahr, andere Dekorationen zu bekommen als die, von denen mein Vorredner die Bezeichnung ›verweslich‹ brauchte. Sie wissen aber, was Blumen bedeuten, wo sie zu finden sind und wo sie hingehören. Natur, Blüten und Freiheit sind immer vereint, wie wirkliche Schönheit und Kraft einander auch stets durchdringen; daß man mich also mit Blumen schmückt, findet seinen Grund einmal darin, daß ich frei genug sein mag, meine Freude daran zu haben, und endlich sind die Blüten analog der Ordentheorie, die ich aufgestellt, ein Denkmal für verwelkte.«

Niemand wußte recht, wohin diese Harangue ziele, denn daß Craw mit so vielen Umschweifen bloß um Friedelstedts willen den Angriff erwidern sollte, schien nicht wahrscheinlich.

»Baron Craw, denken Sie an die Hexenbowle!« rief Cecile herüber.

Craw lachte. »Diesmal bin ich der Zauberer, der den Stab schwingt und allerhand seltsame Linien zieht!« gab er zurück.

»Man wird den Menschen nun doch endlich denunzieren müssen, es ist ihm nichts heilig, denken Sie nur, meine Gnädigste, nicht einmal die Ehe!« flüsterte der Diplomat seiner Nachbarin ins Ohr. Und das war sehr diplomatisch, sein Exempel nämlich, da im allgemeinen die Damen gut von Craw dachten. Aber die Ehe angreifen, das ist ein Punkt, in dem mit Ausnahme der Emanzipiertesten die Frauen insgesamt sterblich sind. Die jetzige Form der Ehe mit all ihren Gebrechen ist immerhin etwas Greifbares, Augenscheinliches, während die vielgepriesene »freie Liebe« noch nirgends auch nur als etwas Erträgliches aufgetreten ist. Die Menschen machen in der Regel ihre besten Gedanken durch ihr Beispiel tot und schmieden so Waffen für die Feinde. – Die alte Dame schlug in Gedanken ein Kreuz und stimmte in das Verdammungsurteil über Craw ein.

Wetterheimb meinte: »Ich weiß nicht, ob ich ihn nicht auch fordern muß, da mein Vater dekoriert ist! – Wo hat er wohl studiert? Was ist seine Waffe? Korb, Glocke oder Kugel?«

Trotz dieser scharfen und unangenehmen Störung gelang es der Gräfin, bis ans Ende der Tafel einen weiteren Wortwechsel zu verhindern. Dann aber bildeten sich Gruppen, und der peinliche Vorfall wurde nach allen Richtungen heftig besprochen. Man gab beiden Parteien unrecht. Friedelstedt, weil er Anlaß zu einer Entgegnung gegeben, Craw, weil er allgemein ripostiert. Friedelstedt aber tobte mehr, als nötig und anständig war.

»Was haben Sie gethan!« sagte Luise klagend zu Craw. »Und meine Blumen sind an allem schuld. Ich bin sehr unglücklich!«

»Weil ich die kleine Drohne mit den langen Beinen, die sich einbildete, mich stacheln zu können, ohne einen Stachel zu haben, ein wenig kitzelte? Lassen Sie ihn nur heran. Er ärgert sich am meisten darüber, daß ich's nicht der Mühe wert hielt, ihm für sich allein einen Hieb zu geben, sondern eine ganze Schachtel voll nahm.«

»Aber was wollten Sie sonst mit ihrer Rede, über die wir alle zuerst lachten und hernach stutzten?«

»Was ich wollte? – Nichts! Die Gesellschaft neckte mich, ich sie wieder, wir sind quitt. Macht Friedelstedt noch eine Extrarechnung, und er ist Junker genug dazu, seinen kurzen Witz durch ein Stück Eisen verlängern zu wollen, so mag er den Betrag nebst Zinsen einkassieren kommen.«

»Ich kann nicht glauben, daß Sie wirklich keine weitere Absicht hatten.«

»Einer ist da, der sich einbildet, mich verstanden zu haben, und der glaubt, ich habe nur seinethalb ›verblümt‹ gesprochen. Je weniger Sinn und Zusammenhang er in meiner Dithyrambe findet, desto mehr vermutet er dahinter. Er ist allarmiert, mehr wollt' ich nicht. Und nun geben Sie sich zufrieden.«

Cecile vernachlässigte Craw, weil sie ihm nicht verzieh, daß er ihren Salon zum Schauplatze einer »Szene« gemacht; er schien es nicht zu bemerken und fuhr fort, mit Hugo ausschließlich zu verkehren. Außer ihm, Hugo und Tetarskoff kam kein Herr in den Damenzirkel, man ratschlagte im Speisesaale, auf welche Weise Craw am besten zur Rechenschaft zu ziehn sei. Gegen ihn waren fast alle jungen Leute, die andern hielten sich neutral. Sein Lebenslauf, soweit man ihn kannte, seine Gesinnungen und Verbindungen wurden in Betracht gezogen, seine intime Freundschaft mit dem Sekretär Heeren ebenfalls aufs Tapet gebracht und endlich nach langem Hin- und Herreden beschlossen, daß man dem »verkehrten Menschen«, dem »Demokraten« eine derbe Lektion geben wolle, die ihm das Wiedererscheinen in der Gesellschaft verleiden solle. Nur über das »Wie?« konnte man sich nicht recht einigen. Es wurden Stimmen laut, die sich seiner annahmen, sobald von einer »Züchtigung«, von einem Angriffe en masse mit der Reitpeitsche in der Faust die Rede war. Es hieß, er sei aus einem guten Hause, liiert mit großen Familien, die man in seiner Person zugleich antasten würde.

»Hat denn keiner von Ihnen die Kourage, dem Manne mit dem Degen in der Hand allein gegenüber zu stehn?« fragte ein alter Herr. »Zu meiner Zeit hätte man nicht dem Geprügelten, sondern den Prüglern die Thüren verschlossen. Sie selbst treten in dieser Sache – demokratisch auf!«

»Der Kerl versteht nur Proletarier-Komment«, brüllte Wetterheimb, in dem der Wein den Bonnenser immer mehr nach außen kehrte. »Wollen ihm mit seiner Waffe, dem Knüttel, gerecht werden, wollen ihm Manieren beibringen.«

Der Tumult wurde wilder, die Debatte immer hitziger. Man stellte Wetterheimb, der kaum noch seiner Sinne mächtig war, in ausschweifender Breite vor, daß er als Verwandter des Hauses ganz besonders verpflichtet sei, Schritte zu thun, die eine Verbindung dieses Menschen, den sie alle seit lang im stillen verabscheuten, mit den Hehlen verhindern konnten. Wunderliche Worte flogen hin und her, man wurde so stark und laut, daß die Besonneneren und alle älteren Herren es vorzogen, sich zu entfernen und Craw einen Wink von dem Wetter zu geben, das gegen ihn im Anzuge war.

Man liebt in der »Welt« den Skandal, aber nicht in der Nähe. Es war kaum einer da, der nicht Craw irgend etwas Schlimmes gewünscht hätte, aber so weit reichte die Gewohnheit anständiger Haltung doch, daß niemand Zeuge oder Dulder eines brutalen Aktes sein wollte, weil – Craw eben Baron Craw war. Hätte man Heeren prügeln wollen, so wären höchstens im voraus bemitleidende Stimmen aufgetreten, positiv entgegnende aber kaum. Craw gehörte zur Kaste quand même; man respektierte wenigstens seinen Namen. Dies thaten aber wieder nur diejenigen, in denen die alte Adelstradition noch ganz Fleisch und Blut war, in den jüngeren war sie halb vergessen oder doch unterminiert. Man kämpfte gegen eine Gesinnung, die man fürchtete, man haßte die Überlegenheit und focht endlich nicht mehr mit jener Ritterlichkeit, wie man die formulierte Brutalität zu nennen pflegt, die uns selbst an den Mignons und Roués noch eine gewissermaßen achtungswerte Seite entdecken läßt. Das Renommieren mit »Ehrensachen« ist aus der Mode und taucht nur einzeln noch in notorischen Poltrons auf oder hilft auf den deutschen Universitäten die jugendliche Überkraft im Zaume halten. Muß es sein, so wird heute wie immer brav geschlagen, denn die Feigheit ist seltner als man glaubt und in der Jugend, die ja fast niemals ein belastetes Gewissen hat, gar nicht zu finden. Die Jugend stirbt leichter. Das ist ein Faktum, obgleich es ein Rätsel ist. Die Lösung liegt – vielleicht – in dem, was das Leben erhält, in der Kraft; sie befähigt zu gewaltsamen Akten, und das Sterben ist der gewaltsamste. – Man vermeidet auch jetzt Kämpfe auf Tod und Leben nicht, aber man überlegt, man steht in jedem Falle gern für eine höhere Idee ein. Es ist nicht mehr jener Leichtsinn der französischen Sitte, die einen Sekundanten von der Straße zur aktiven Teilnahme an fremden Händeln einlud, wie jetzt eine lustige Gesellschaft wohl einen Fremden aufgreift und zu einem Frühstück oder einem Spiele mitnimmt. – Wäre Craw an Friedelstedt mit einer Forderung herangetreten, so hätte dieser nicht gezaudert männlich einzustehn, und die Sache wäre ihren »gesetzlichen« Gang gegangen. Das war nicht geschehn, man glaubte auch nicht, daß es Craw thun würde, ja man zweifelte sogar, daß seine Grundsätze ihm ein Duell erlaubten. Mit diesem Zweifel beschwichtigten die Zurückgebliebenen, denen Wetterheimb außerdem Auszüge aus dem »Paukreglement« seiner Universität gab, endlich alle Einwürfe. Craw sollte beim Heimreiten angehalten, von allen insgesamt gefordert und beim kleinsten Widerspruche sofort mit den Peitschen angegriffen werden.

»Das gibt einen Hauptspaß«, jubelte Wetterheimb, »und das beste dabei ist, daß wir nicht einmal meine Kousine erzürnen. Jedenfalls ist der Schnüffler Heeren wie gewöhnlich mit ihm. Bekommt der seine Tracht mit, und er soll sie haben, so ist uns alles verziehen.«

»Haben soll er sie!« wieherte der Chorus.

»Warum kann die Gräfin denn den hübschen Burschen nicht leiden?« fragte einer.

»Grade weil er hübsch ist. Das war ja vor einigen Jahren eine Teufelsgeschichte. Man darf sie freilich hier kaum erzählen, denn erfährt's die Gräfin, daß sie aufgewärmt worden, so kömmt man auf die Proskriptionsliste.«

»Ach, die Geschichte mit dem Schulmeister!«

»Ich kenne sie nicht!«

»Sie ist kurz und schlecht. Der Hauslehrer war ein abscheulich häßlicher, aber verzweifelt gescheiter Kerl, der mit der ältesten Tochter des Hauses, einem reizenden, geistreichen Mädchen, dem Lieblinge der Gräfin, eine gelehrte Liebschaft anknüpfte; platonisch nennt man so etwas, wie ich glaube. Das Ende vom Liede ist, daß er eines schönen Morgens mit ihr verschwand, und daß man den Namen des Flüchtlings hier nicht nennen darf.«

»Ich will's euch sagen«, brummte Wetterheimb. »Clarisse hieß sie, hatte ein Paar teufelmäßig spitzfindige Augen und die schönste Nase, die jemals dagewesen ist. Als sie mit ihrem Scharmanten ins Weite gegangen war, gab es erst großes Hallo, Kuriere nach allen Enden und Ecken, wer aber nicht wiederkam, war Demoiselle Clarisse. Dieses Vorfalls wegen verpachtete mein Kousin alles, reiste in aller Welt herum und übernahm, wie ihr wißt, erst vor nicht ganz drei Jahren die Güter wieder …«

»Also deshalb?«

»Freilich deshalb!«

»Sie sagen aber, der Mädchenräuber sei häßlich gewesen, warum haßt die Gräfin nun den Hübschen?«

»Fragen Sie lieber, warum sie ihn nicht aus dem Hause schafft, wenn sie ihn nicht leiden kann. So einen Sekretär läßt man doch wohl ohne weiteres über die Klinge springen.«

»Was es mit diesem Menschen für ein Gehänge hat, weiß ich nicht, aber die Sache ist mir nicht klar«, sagte Wetterheimb, der augenscheinlich einen plauderhaften Rausch hatte. »Hugo geht mit ihm um wie mit einem weichen Ei, Cecile sieht ihn nicht an, Craw behandelt ihn wie seinesgleichen …«

»Ein Federfuchser den andern, das ist kein Wunder. Mag auch seinesgleichen sein bis aufs Gesicht.«

In dieser Weise ging es fort, bis sie hörten, daß die Gräfin sich zurückgezogen habe und daß die Wagen vorführen. Craw befahl in der Halle, daß man sein Pferd sattle. Er that es mit Absicht laut genug, um von den Herrn vernommen zu werden.

»Zu Pferd, zu Pferd!« riefen nun alle, obgleich einige besser gethan hätten zu Bette zu gehn.

Wir sagten schon, daß Craw gewarnt worden war; die Diener, die insgesamt an ihm hingen, wiederholten, was sie während des Aufwartens gehört, auch Heeren, der Craw erwartete, hatte auf dieselbe Weise von dem beabsichtigten Attentate Kunde erhalten.

»Willst du nicht lieber hier bleiben, bis die Leute nüchtern geworden sind? Es ist nicht wert, einer solchen Bande standzuhalten.«

»Bleibe du heute daheim, ich muß nach Sauseneck, um zu studieren. Wenn du mir versprichst, meine Instruktionen zu befolgen, revanchiere ich mich dadurch, daß du von mir die vielbesprochenen Papiere erhältst. Etwas Absicht, etwas Zufall gaben sie mir in die Hände. Oder bleibe nicht, lasse Tetarskoff sagen, daß du erst morgen früh zu seiner Disposition bist und komme mit mir. Wir wollen den Pack, den ich nicht völlig lesen konnte, genau untersuchen, ehe wir ihn aus der Hand geben. Sie sind da und stecken sogar noch in der Tasche von Gemsleder, von der Tetarskoff wußte. Du fandest sie nicht gleich, weil das dünne Faszikel sorgfältig in ein Bündel anderer Papiere gepackt war, die nichts von dem Lederbehältnis sehn ließen.«

»Aber im Augenblicke müssen wir doch zunächst an den Überfall denken, den du ganz zu vergessen scheinst. Wie sollen wir uns des Dutzends Trunkener erwehren, das möglicherweise sogar bewaffnet kommt?«

»Ich weiß nur nicht, ob ich ihnen eine Rede über ihre Ahnen, die mutmaßlichen Schnapphähne und Wegelagerer, in deren Fußstapfen sie auf so würdige Weise treten, halten soll, oder ob ich mir den Spaß mache, die ganze Gesellschaft nach Sauseneck mitzunehmen und in meinem Waffenzimmer einen ›Assaut‹ zu geben. Irgendwie muß ich ihnen doch das barbarisch Lächerliche und lächerlich Barbarische des ganzen Aufzuges klar machen.«

»Ich meine das letztere, wenn sie es annehmen, ist das bessere. Vielleicht werden sie vernünftig, wenn sie dich ruhig sehn.«

»Annehmen? – Einer von ihnen hat gewiß noch so viel Nüchternheit neugierig zu sein, und die Leute geben gern eine tolle Nacht darum, Sauseneck einmal von innen zu sehn. Ich werde sie also einladen, mit uns zu reiten, da die Nacht, das glatte Gras und die Kühle für Geschäfte, wie die unsrigen, nicht passend sind. – Fragt man uns, was ich noch bezweifle, dann wirklich um unsre Waffen, so nehmen wir jeder, denn du gehörst zur Partie, eine meiner polnischen Sensen und stellen uns in die Ecken. Gewehre finden sie in Masse, aber keine Patronen, und wie sie mit den großen zweihändigen Schlachtschwertern oder meinen Studentenschlägern gegen unsre Proletarierwehren ankommen wollen, bin ich begierig zu sehn. Gesetzt, das Spiel ginge bis zu unsrem Eckposten, – dann aber muß das Gelächter losbrechen und die Komödie zu allgemeinem Ergötzen enden. Hinterher werden sie sich freilich ärgern und einsehn, daß sie aufs neue gefoppt worden, aber wer kann gegen die Lächerlichkeit! Wir müssen verhindern, daß die Leute sich thatsächlich so tief erniedrigen, als sie im Sinne haben. Denke dir die langen Gesichter, die glotzenden Augen und geblähten Nüstern, wenn diese Blüte deutscher Jugend statt der Ritterspeere Bauernsensen vor die Nase bekömmt. Sie müssen lachen, sie müssen es über sich selbst und meinethalb auch über mich.«

Sie nahmen für den äußersten Fall, daß die Trunkenheit der Herrn dennoch ein Gefecht im Freien herbeiführte, starke Reitstöcke mit und instruierten den Diener Craws, nicht zu schonen, wenn man sie anfiele. – Es war gegen die Natur Craws, sich länger mit solcher Misere zu beschäftigen, als dringend nötig schien, und er kehrte so rasch als möglich zu der Sache zurück, die im Augenblick all seine Kräfte in Anspruch nahm. »Du mußt herausbringen, wo Tetarskoff gewesen! Wir müssen es wissen!« sagte er Heeren unterwegs. »Eine Figur wie er, ist leicht zu verfolgen. Ich will Franz morgen zu dir schicken, der Bursche ist schlau genug, Tetarskoffs ganze Fahrt nachzumachen, er hat das Spüren leichter als wir.«

»Wozu meinst du, daß es nützt?«

»Ob es nützt, weiß ich nicht, aber es soll nichts schaden können. Keine Überraschung, auf die wir nicht vorbereitet sind, keine unerwarteten und von uns nicht berechneten Subsidien für ihn, denn er darf nicht siegen, aber er muß siegen zu können scheinen, sonst gehst du leer aus. Er ist schwach, entsetzlich schwach, und gerade deshalb so unendlich empfänglich, so leicht verwundbar. Es ist und bleibt eine eigne Sache um die Vernichtung einer uralten Familie. Man kann eine Dynastie stürzen und sich damit trösten, daß Zwingburgen als Ruinen am allerhübschesten aussehen, daß sie sogar dann erst der Gegend ein gewissermaßen zivilisiertes Ansehn geben; aber man kann sich kein Landhaus, kein Privatgebäude als Schutthaufen denken, ohne an eine wüste Zerstörung, an Plünderung und Mord zu glauben. Die Dynastien gehören wie die Burgen der Öffentlichkeit, es klebt Herrenrecht und Herrenunrecht an ihnen, das für das Gemeinwohl schädlich ist, während eine Villa immer den Gedanken an Familienglück wach reizt, das niemand schädigen will und kann. – Die Gräfin spielt ein gewagtes Spiel, sie rechnet auf ihre Persönlichkeit und hat sich bis jetzt wenigstens nicht verrechnet. Sie imponiert dem Feinde und lähmt all seine Bewegungen. Er verliert die Lust zum Angriffe augenscheinlich bei jedem Schritte, denn allenthalben begegnet er scheinbar offnen Flanken, hinter denen er maskierte Batterien vermutet. Was ihm aber mehr noch als alles andere die Augen beizt, und was seine Kaufmannsseele nicht fassen kann, ist, daß man hier zu sterben versteht, daß man nicht unterhandelt, keine Prozente bietet und in vollem Glanze zur Grube fahren will. Ich bewundere die Menschenkenntnis dieser Frau. Jeden anderen als Tetarskoff hätte ihre Kühnheit gereizt und zu einer recht eklatanten Demütigung herausgefordert, er aber wird von Staunen und Verwunderung ergriffen und beugt sich tief und tiefer.«

»Du betrachtest die ganze Sache wie ein Drama, das vor dir abgespielt wird, das man aber vergessen, auf dem Zettel als Komödie oder Tragödie zu bezeichnen. Du kritisierst die Entwickelung der Charaktere mit dem Interesse eines Anatomen und erwartest geduldig das Ende. Dich tastet's nicht sonderlich an, mich aber sehr; ich habe eine Rolle im Stücke, kenne aber nicht ein einziges Stichwort.«

»Unwahr, lieber Freund! Dein Stichwort ist immer Luise, und daß ich nicht persönlich beteiligt bin, also den Kopf nicht leicht verlieren kann, ist dein Glück. Merkwürdigerweise laufen nämlich fast alle Fäden des geheimnisvollen Stückes in meiner Hand zusammen; ich halte sie, obgleich ich ihren Wert noch nicht immer voll zu taxieren weiß, und werde damit zu agieren wissen, meinethalb blind und kühn: wir haben Glück, ich wenigstens immer, wenn ich nicht zur Kompanie gehöre … Aber was ist denn das? Ich glaube wahrhaftig, einer der Stegreifritter hat hier die Bügel verloren und ist von seinen Genossen böslich verlassen worden.«

In der That lag ein Mensch am Rande des Straßengrabens. Der Reitknecht stieg ab und berichtete, daß der Schlafende Graf Wetterheimb sei.

»Nimm ihn quer über den Sattel vor dich, er kann nicht schwer sein … Warte, ich helfe dir!« rief Craw.

Und der schmächtige Jüngling, der nur einige dumpfe Laute ausstieß und dann den Kopf schwer zurückfallen ließ, wurde wie ein Mantelsack aufgepackt. »Trab!« kommandierte Craw. »Die Burschen sollen ihren Zopf für ihre schlechte Kameradschaft haben. Der arme Junge, der seines Vetters Champagner für Bonnenser Sechskreuzerwein gehalten, wird unterdes nüchtern und sieht sich genötigt, seinen Zorn gegen seine Verbündeten zu kehren. – Im Wein ist Wahrheit! sagt das Sprichwort, nur müßte es hinzusetzen, auf dem Grunde der Flasche aber hockt die Gemeinheit. Diese parfümierten Windfähnchen mit ihren glatten Manieren sind durch den Wein angewendet worden wie alte mottenfräßige Staatsröcke: die Bürste gibt ihrem Äußern immer noch einiges Ansehn, aber das Futter ist zerrissen und lumpig, die Watte hängt heraus und der Schnakenchor aus dem Faust singt uns an. Die Bursche müssen sich selbst wieder verschlucken und spüren, daß es eine üble Kost ist. – Vorwärts! Ich glaube, die saubre Gesellschaft hat mich im Verdachte, ihrethalb einen andern Weg eingeschlagen zu haben, und ist bis nach Sauseneck voraus geritten.«

»Du wirst nun selbst heftig, vergiß deinen Plan nicht!«

»Heftig? Ja, aber nur wie ein Pädagog, dessen Jungen Streiche, schlechte Streiche machen. Hätten sie nicht den Wein zur Entschuldigung, ich gönnte ihnen wahrhaftig die Bekanntschaft meines Stockes.«

Es stand indes kläglicher mit der Wegelagerung, als sie denken konnten. Der Luftwechsel und das veränderte Licht hatten eine arge Verheerung in den Reihen der Kampflustigen angerichtet. Sie führten zum Teil ihre Pferde am Zügel, zum Teil hingen sie matt und müde im Sattel; unfähig Streit anzufangen, waren sie aber insgesamt.

»Die Bursche thun mir nun doch leid«, sagte Craw, als er nahe genug war, die Lage der Dinge zu erkennen, »sie haben sich selbst geschlagen. Ich will meine Rolle als Menschenfreund durchführen und thun, als ob nichts vorgefallen wäre.«

Er ritt heran, grüßte, fand die Nacht schön genug zu einem Spazierritte nach dem Souper und bot den Wanderern endlich bei sich eine Tasse Kaffee an.

»Sie haben mich beleidigt, ich will Satisfaktion!« murmelte Friedelstedt fast unhörbar.

»Er ist im ganzen doch nicht so übel!« meinte der lange Stetterwitz, der gleich einem Bauer aus den Landes auf angeschnallten Stelzen neben seinem Fuchse her zu stolpern schien.

»Für eine Tasse Kaffee wäre auch mir jetzt die halbe Welt feil!« sagte ein anderer.

Und der Vorschlag ward trotz des bedenklichen Gesichts Friedelstedts angenommen. »Er weiß ja nicht, was wir vorhatten!« galt als Entschuldigung. Aber die Stimmung blieb doch eine gedrückte. Je mehr die Herrn zum Bewußtsein kamen, desto mehr Übergewicht gewann die Scham. Craw war ihnen nun noch verhaßter als zuvor. Nur einer konnte nicht gegen seine doppelte Jugend an, Wetterheimb, der zwanzig Jahre alt und Student war. Er gab sich besiegt und versicherte, daß ihm nie mehr einfallen solle, etwas gegen Craw zu unternehmen. Sogar Heeren erschien ihm nun in anderem Lichte, und auf dem Heimwege, den er mit dem Sekretär zusammen auf einem Pferde Craws antrat, kam es sogar bis zu Handdrücken und Achtungsbezeigungen, über welche Richard freilich innerlich lachen mußte.

Hehlenried war unterdes der Schauplatz einer ernsteren Szene gewesen. – Cecile ging zu Hugo hinüber, schickte seinen Kammerdiener fort, verschloß dann die Thüre des Vorzimmers und setzte sich ihm gegenüber. Er sah diesen Vorbereitungen ängstlich und stumm zu, sein aschfarbenes Gesicht mit dem Ausdrucke der peinlichsten Erwartung, des Schlimmsten gewärtig, aber auch für das Geringste nicht gefaßt, stach von der entschlossenen, stolzen Physiognomie Ceciles häßlich ab. Sie glich dem Richter, er einem Delinquenten. Ihr Gesicht zuckte spöttisch und doch bitter und schmerzlich zugleich, als sie ihn so gespannt, verlegen, demütig und gebrochen vor sich sah. Sie war unglücklicher, als die Welt wußte, diese stolze Frau, denn sie kannte ihr Unglück. Sie hätte weinen mögen, aber sie hielt jene Reste eines Mannes nicht für wert, ihren Schmerz zu sehn. Die Nebel, die von innen heraus ihre Augen verdunkeln wollten, wurden niedergeschlagen und setzten sich als eisiger Reif um ihr Herz, sie wurde kälter noch als zuvor.

»Hast du ihn beruhigt, hast du Zeit gewonnen, liebe Cecile?« wagte der Graf endlich mühsam hervorzubringen.

Sie maß ihn mit einem unaussprechlich wegwerfenden Blicke. »Zeit gewinnen? Galgenfrist? Das ist deine Manier, nicht die meine. Du bist das von deinen Judenwechseln gewöhnt: fünf weitere Prozent erkauften wieder einen Monat, bis ich's endlich doch erfahren mußte.«

»Liebe Cecile!« seufzte der Graf auf.

»Fristen kaufen!« fuhr die Gräfin wärmer fort, »als wenn dadurch etwas zu gewinnen wäre. Es gilt reinen Tisch zu machen und das ganze Verhältnis entweder zu lösen oder ganz neu zu arrangieren. Ich laviere nicht, ich bettle nicht. Was kommen muß, mag kommen.«

»Ich begreife nur nicht …«

»Als wenn sich's darum handelte, daß du begreifst; als wenn du je begriffen hättest. Zwischen Tetarskoff und mir ist über die Sache, die ihn hierher geführt, noch keine Silbe gewechselt worden. Wir haben noch acht Tage Zeit, bis dahin ist er nichts als unser Gast, und bis dahin muß ganz beiläufig entschieden werden, ob er oder ich gehen muß.«

»Du hast also doch noch irgend eine Hoffnung …«

»Ich hoffe nie, aber ich habe meinen Plan.«

»Wenn dein Plan nur auch gut wäre! Ich habe alles aufgegeben und weiß nicht, woher du den Mut nimmst, vor den Augen dieses Menschen aufzutreten, als ob er wirklich unser Gast sei. Ich kann ihn kaum ansehn, ohne daß mir schwindlig wird.«

»Das spricht übel für dein Gewissen: das meine ist rein. Ich hab's versucht, die Bedingungen, die mir gestellt waren, zu erfüllen, und nicht meine Schwäche, sondern die Zeitverhältnisse haben die Ausführung unmöglich gemacht. Erst als ich in Zahlen sah, daß nichts zu halten war, wechselte ich das System mit dem festen Willen, die Entscheidung so rasch als möglich herbeizuführen.«

»Was aber hast du vor? Gesprochen muß doch einmal werden, der Tag kommt heran, und Tetarskoff scheint nicht willens, dann anders, als durch die Gerichte zu sprechen.«

»Er scheint nicht? Woher kommt dir diese Weisheit? Machte dich nicht die erbärmlichste Angst blind für alles, was vorgeht, so würdest du gesehn haben, daß er täglich weniger Lust hat, mich zu ruinieren, und daß es ihn unter den Nägeln brennt, mir die besten Begriffe von seinen guten Absichten, von seiner Willfährigkeit und seiner Wohlerzogenheit beizubringen. Ich will dir positiv sagen, daß er gar nicht daran denkt, das Gericht zu requirieren.«

»Nun so hat er eingesehn, daß wir die Schuld nicht tragen, und der gute Heeren hat ihm bewiesen, daß es ein Unrecht sei, uns jetzt zu drängen.«

»Dein guter Heeren hat in dieser Sache nichts gethan und auch nichts thun können. Ich rechnete darauf, daß es so kommen würde, meine Nachrichten über Tetarskoff waren sicher genug, um mich darauf verlassen zu können. Muß ein Opfer gebracht werden, so ist dies das am wenigsten schmerzhafte.«

»Aber wie kommt es denn, und von welchem Opfer ist die Rede?«

»Es kommt so: Tetarskoff wird um Luise anhalten, und ich werde sie meiner sozialen Stellung opfern.«

»Das geschieht nicht! Bei allen Teufeln, das geschieht nicht!« rief Hugo mit einer Kraft aufspringend, die man nicht mehr in ihm gesucht hätte. »Ich mein Kind opfern? Dem ersten besten hergelaufnen Kerl geben, der vom Geldverleihen lebt? Luise, einem alten, schäbigen Menschen, der nichts als Rechnungen im Sinne hat? Ich thät' es nicht, auch wenn er für das Kind quittieren wollte. – Cecile, bedenke, was du sprichst; sieh dies rosige, herrliche Mädchen, ganz Liebe und Hingebung, das einzige Wesen, das mich lieb behalten hat, – du kannst nicht wollen, daß es verkauft und preisgegeben wird. – Du bist so klug, dir kommen Pläne wie andern Menschen Träume, du bist nie aus der Fassung zu bringen, – denke etwas anderes aus! Es geht nicht, ich willige nie ein, und mein Kind gehört mir, ich habe darüber zu verfügen, nicht du. Rette uns, wenn du kannst und willst, Luise aber lasse ich nun und nimmer zu solch einer widersinnigen Partie zwingen. Ich habe mich in allem deinen Wünschen gefügt, hier aber kann ich's nicht. Es wäre ehrlos.«

Cecile blieb kalt und verfolgte ihn nur auf seinem heftigen Gange durch das Zimmer mit den Augen. Als er ihr schmeichelte, verriet ihr Gesicht höhnische Verachtung; als er drohte, warf sie den Kopf zurück und sah ihm mit all ihrer Überlegenheit voll in die Augen. Aber er schlug sie diesmal nicht nieder, er fühlte sich in seinem Rechte, das Menschtum stand auf seiner Seite und machte ihn für einen Augenblick stark.

»Sollte man doch meinen«, sagte die Gräfin langsam und schneidend, »du wärest seit je ein musterhafter Vater gewesen! Und doch bist du derselbe Mann, der, als uns ein Kind von sechzehn Jahren, – rosig und herrlich – wie du jetzt Luise nennst, von einem Schurken geraubt worden, nichts weiter that, als den Namen des Kindes zu vertilgen. Jener Stoß mit dem Dolche in den Stammbaum unten, das war der Höhepunkt deines Schmerzes. Mich hast du zu höhnen gewagt, als ich Clarisse nicht vergessen konnte, die bloß durch deine Trägheit nicht mehr erreicht ward, und jetzt schlägst du in einer ganz andern Lage die Glocke so hoch an, daß man meinen sollte, es gäbe Feuer an allen Enden.«

»Und wär's nur, weil es unser letztes Kind ist! Wir haben Clarisse verloren, durch ihre eigne Schuld verloren, wollen wir nun selbst das Verderben Luisens fordern? – Clarisse hat uns von sich gestoßen, nun ist der Fall umgekehrt, wir sollen Luise verstoßen. Ich hätte es bei der einen sowenig als bei der anderen gethan. Thue was du magst, ich sage Nein.«

»Ich muß dir die beiden Fälle doch wohl etwas näher rücken, deine Kurzsichtigkeit läßt dich sonst die Farben nicht mehr erkennen. – Bei Clarisse galt es, ein Kind aus den Klauen eines geistreichen Schuftes zu retten, der ihre Unerfahrenheit und Gutmütigkeit dazu benutzte, sie glauben zu machen, daß sie ihn liebe. Ein Wort zur rechten Zeit hätte sie uns zurück gebracht, du aber meintest, sechzig Meilen Verfolgung verdienten eine ruhige Nacht. Du schliefst, und sie hatten nur noch eine Meile Vorsprung. Dann war es zu spät, sie ging verloren, weil du schliefst. Und in wessen Händen blieb sie? Dieser Schneider ist ein häßlicher, kränklicher Mensch, der nie heiter sein konnte und der sie, als sie erst in seiner Gewalt war und er sich in seiner Hoffnung auf Unterstützung von hier getäuscht sah, mißhandelte. Sie ist tot für mich, aber mein Herz blutet um ihretwillen noch heute. – Ich würde Luise weniger noch als du in eine solche Lage bringen mögen, auch ist die ihr von mir zugedachte eine andere. Tetarskoff mag sein wer er will, er hat Erziehung und Vermögen; er ist jünger als du und allem Anscheine nach gesund. Es fehlt ihm also nichts als ein Name, um der wünschenswerteste Gemahl für alle Welt zu sein. Und auch diesem Übel ist unsäglich leicht abzuhelfen. Er kauft irgendwo eine Herrschaft, an der ein Titel hängt, oder woran ein Titel gehangen wird, und alles ist so gut als es nur sein kann. – Siehst du nun, daß das Verhältnis ein etwas sehr anderes ist?«

»Aber liebt sie ihn denn?«

»Ein solches Muster von Hingabe, wie Luise nach deiner eignen Behauptung ist, wird ihn schon darum lieben, weil sie durch ihn ihre Eltern aus einer Verlegenheit zieht. Warum sollte sie ihn übrigens nicht lieben? Wenigstens wird sie ihn achten können«, fügte sie mit besonderer Betonung hinzu, »und so gut geht es nicht allen Frauen, die sich einbilden ihren Bräutigam zu lieben.«

»Es muß auch nicht Einbildung, sondern Überzeugung sein«, dozierte Hugo in seiner Herzensangst. »Hat Luise von dir nur irgend etwas geerbt, was später zum Vorscheine kommen könnte, so wird sie unglücklich …«

»O Tetarskoff ist ein Mann!«

»Meinethalb! Ich aber verkaufe sie nicht und werde sie warnen.«

»Wag' es, wag' es nur!« rief Cecile, sich nun ihrerseits erhebend. »Du, der die Hehlen dem Verderben überliefert hast, willst mich hindern, wenigstens einem Zweige der Familie Ehre und Besitz zu erhalten? Wärst du ein Mann, so schafftest du Rat, statt wie ein trotziger Knabe mit dem Fuße zu stampfen und hirnlos nein zu sagen. Hundertmal warst du der Verzweiflung nahe und störtest immer wieder dadurch, daß ich deinen widerwärtig alten Leichtsinn sühnen mußte, meine Operationen oder brachtest mich selbst in Verlegenheit. Hundertmal hast du gedroht deinem Leben ein Ende zu machen, aber du hattest den Mut nicht mehr ein Pistol abzuschießen, du rittest nur im Ärger ein kostbares Pferd zu nichte. Muß ich nicht seit mehr als zwölf Jahren Mann im Hause sein, damit nur ein Mann da ist? Früher, weil du ein Wüstling warst, dessen Zeit beim Spiel, bei der Flasche und im Stalle verbraucht wurde, – später, weil die Folgen deiner Lebensweise dich unfähig machten aufzutreten, wie es sich geziemt hätte. Und jetzt willst du eine Autorität geltend machen, die du auf die kläglichste Weise verloren? Lasse das, wenn du nicht willst, daß die Duldung, die ich bis jetzt geübt, ein Ende nimmt. Unsre Stellung ist eine gewordene, ich hätte sie nicht gemacht, auch wenn ich's gekonnt. Nun ist's zu spät daran zu rütteln! Höre mich an: Ich kam nicht herüber, dich zu fragen, was zu thun sei, ich kam Dir zu sagen, was geschehn wird. Luise wird Tetarskoff heiraten, die Sorge dafür übernehme ich allein, du sagst ihr nicht eine Silbe von dem, was wir besprochen haben … und damit: Gute Nacht!«

Hugo brach unter der Last der Vorwürfe, die er nicht abweisen konnte, und der kategorischen Forderungen, denen er nichts entgegenzustellen wußte, zusammen. So hart, so grausam schonungslos war seine Frau noch nie aufgetreten, so absichtlich hatte sie ihn nie vernichten wollen. »Sie hat recht, ich habe den Mut nicht mehr ein Pistol abzudrücken, sonst thäte ich's jetzt auf sie oder mich!« stöhnte er. Und dann dachte er wieder an sein Kind, an seinen »Engel«, den die eigne Mutter – »ihrer sozialen Stellung« opfern wollte. Und er sollte ihn nicht retten, er durfte nicht. – Dies Delirium, das ihn wahnsinnig machen zu wollen schien, nahm indes den bei so schwachen Naturen einzig möglichen Ausgang. Bis zu einem Entschlusse konnte er sich nicht emporringen, er tröstete sich also mit der Hoffnung, daß die Vorteile, die Cecile in der Person Tetarskoffs vereint fand, vielleicht auch den Ansprüchen seines Kindes genügen würden. Er machte es wie alle, die nicht zu handeln wagen, er – hoffte.

Börne meint, es habe ihn nie etwas so gerührt und erschüttert als Byrons Invektiven gegen Österreich. Denn daß ein Mann, dem der reichste Sprachschatz zu Gebot stand, nach den niedrigsten Fischweiberausdrücken griff, um Laute für seine souveräne Verachtung zu finden, bezeichnet allerdings den Grad seines Abscheus besser als irgend etwas anderes. Der Dichter mußte erst zu der Tiefe hinabsteigen, in der ihm Metternichs Politik von seinem Standpunkte als Mensch und Dichter erschien. Byron schimpfte, weil er seinen Gegner einer edlen Sprache nicht wert hielt, weil er ihm unfähig schien Würdiges zu würdigen. In dieser Weise aufgefaßt liegt darin nichts anderes als überwiegender Takt und die Anwendung derselben Maxime, die in unsrer sogenannten populären Schreibweise waltet. Man nähert sich dem Niveau dessen, für den man schreibt, um ihm stets verständlich zu bleiben.

Cecile befand sich in ähnlicher Lage und handelte nach gleichen Grundsätzen. Sie sprach mit Hugo, wie sie keinem anderen Manne begegnet wäre. Es war kein Vorwurf mehr, es war eine Last kompensierter Vorwürfe, die weder Rechtfertigung noch Entschuldigung zuließen. Sie griff ihn nicht mehr an, sie schüttelte ihn mit Verachtung ab, und seine Schwäche gab ihr ein Recht dazu. Würde die Frage aufgeworfen, was schlimmer sei, ein verworfenes Weib für den Mann oder ein erbärmlicher Mann für das Weib, so wären wir fast geneigt, das erstere für das kleinere Übel zu halten, denn zuletzt trägt der Mann doch fast immer die Schuld und verdient darum nichts Besseres. Das Weib hat die Fähigkeit gut oder schlecht zu sein entschieden in höherem Maße als der Mann, aber es produziert seiner ganzen Organisation nach nicht unvermittelt, und die Vermittelung, die zunächst in der Hand des Mannes ist, bleibt also die leitende Kraft. Entwickelung ohne allen äußeren Einfluß, wenn sich eine solche denken ließe, müßte zwar immer »Originale« liefern, aber sie würden unfähig sein das Leben zu tragen. Der Einfluß der Außenwelt macht sich stets, wo nicht bildend, sicher verbildend geltend; er ist ein negativer, wenn er nicht positiv sein kann. Wesen, die das Geschick zu einer ihnen selbst so gut als fremden Gestalt gemacht hat, können nicht gegen das an, was sie geworden, aber in unbelauschten Stunden ergreift auch sie eine unbegrenzte Sehnsucht nach den verlorenen Hoffnungen, die einst wie tausend Knospen ihr Inneres mit ahnungsvollem Dufte erfüllt. Der Duft ist verweht, die Blüten vertrocknet: auch das Heu hat Aroma, aber das Aroma des Heues ist Leichengeruch. Niemand kann sich diesem Einflusse entziehn, die Phantasie baut mit geschäftiger Hand den Zauberpalast in bunten, glühenden Farben auf, den Palast, der stehen und glückliche Menschen beherbergen könnte, – aber höhnende Kobolde schielen aus den Fenstern, – ein Hauch der Gegenwart, ein Schlag, ein Sturz, und das Gebäude liegt in Trümmern, zwischen denen wir umsonst umher irren, das verlorne Glück zu suchen. Es liegt verschüttet, und wenn wir danach wühlen, stören wir nur eine züngelnde, zischende Natter auf, vielleicht die Hüterin unsres begrabnen Glückes. – Dort liegt ein Säulenstumpf, setzt euch nieder und weint, wenn ihr noch Thränen habt!

Cecile konnte in solcher Stunde weinen, aber es wäre schwer gewesen einen Namen für ihre Thränen zu finden. – Als sie Hugo verlassen hatte, fragte sie noch, ob Luise schon zur Ruhe sei, dann entließ sie ihre Kammerfrau, rückte einen Sessel an das offne Fenster und träumte, sann und weinte in die Nacht hinaus. Sie dachte auch an – Clarisse.

Die Kammerfrau hatte ihre Frage in Bezug auf Luise mit ja beantwortet, ohne nachgesehn und sich überzeugt zu haben. Sie irrte, Luise war noch wach.

Ihre Zimmer lagen in dem Flügel, der Hugos Wohnung mit der seiner Gemahlin verband, aber eine Etage höher als diese. Nebenan war eine Stube, die früher Clarisse bewohnt hatte, noch in demselben Zustande, in welchem sie der Flüchtling verlassen. Luise war noch wach und hatte sogar Besuch.

Als sie und ihre Schwester Kinder waren, hatte die Gräfin nicht nur erlaubt, sondern sogar gewünscht, daß die wenig älteren Töchter ihres Amtmannes in das Schloß kamen und die Spiele und Unterrichtsstunden ihrer Kinder teilten. Später hatte sie den intimen Verkehr, der sich hieraus natürlich entspann, nicht mehr gutgeheißen; die Mädchen wurden nicht eingeladen, und Luise ging nur hinüber, wenn sie es thun konnte, ohne daß ihre Mutter darum wußte. Und sie ging gern zu Else und Käthchen, wie die Amtmannstöchter hießen. Nicht allein, weil diese mit großer Herzlichkeit an ihr hingen und entschieden mehr echtes Gefühl für sie hatten als ihre Salonbekannten, sondern noch aus einem anderen, geheimnisvollen Grunde, den Cecile nicht ahnen durfte, und von dem sie in der That keine Ahnung hatte, da ihr die Zahl der Besuche Luisens nicht bekannt war. – Richard Heeren war von vornherein von seiten der Gräfin so schnöde empfangen worden, daß ihn anfangs nur der entschiedne Befehl Tetarskoffs und die Nähe Craws bestimmen konnten im Hause zu bleiben. Man hatte ihm den Aufenthalt in Hehlenried so unangenehm als möglich zu machen gesucht. Ein kleines Gemach, ein Reitknecht, direkt aus dem Stalle, als Bedienung, den Tisch als quasi Pension im Hause des Amtmanns und mehr dergleichen Plackereien waren ihm zugemutet worden, und die Gräfin war bitterböse, als dieser »Mensch« erklärte, er würde so lang' bei Craw in Sauseneck bleiben, bis ihm eine passende Wohnung für sich und den Diener, für den er selbst sorgte, sowie für sein Reitpferd eine besondere Ecke im Stalle des Grafen hergerichtet worden. Er bestand auf seinem ihm garantierten Rechte, und man mußte sich fügen, obgleich die Gräfin ihn seiner Forderungen wegen für anmaßend hielt und in ihrer vorgefaßten üblen Meinung dadurch noch bestärkt ward. Er speiste in seinem Zimmer, und sein Pferd bekam einen Platz. Nur in die gräfliche Familie, in die Schloßgesellschaft konnte er nicht dringen, obgleich Craw den Versuch machte, ihn unter der Firma eines Gesellschafters des Grafen einzuschmuggeln. Das letztere Amt verwaltete er in der That von Zeit zu Zeit, d. h. er spielte Schach mit dem Einsamen, der oft an seinen Sessel gefesselt war, während sich um seine Frau der Glanz einer Gesellschaft ausbreitete. Heeren war nicht gewöhnt, in seinem Verkehre beschränkt zu sein, und hatte das Bedürfnis, mit Menschen in größerer Zahl in Berührung zu stehn. Die halbunterrichteten, gutmütigen, aber mehr als einfachen Amtmannstöchter genügten ihm nicht, und die Familie überhaupt trat ihm nur dadurch nahe, daß sie ihn seiner momentanen Stellung wegen gewissermaßen wie ihresgleichen behandelte und seine höhere Bildung nur wie eine angenehme Zugabe betrachtete. Die Mädchen, zumal Else, vertraten Schwesternstelle bei ihm und sorgten für die Befriedigung all der kleinen Bedürfnisse, die durchaus weibliche Hände erfordern. Er gab ihnen dafür manche Stunde preis, machte sie mit den besten Werken der Litteratur bekannt, las ihnen vor, erzählte von seinen Reisen, wußte dem kleinsten Feste einen geputzten Anstrich zu geben, kurz, er war bald das Ideal eines Menschen für den kleinen stillen Kreis geworden, in dem ihn der Zufall heimisch gemacht. Daß sie seine Stellung nach der ihrigen maßen, gab ihnen Mut und erhielt das Verhältnis frisch; die Mädchen glaubten den Abstand zwischen dem Sekretär und der »Komtesse« so groß, daß sie ihr unbefangen den Anteil, den sie an ihm nahmen, vertrauten und seines Lobes überströmten. Dadurch wurde Luise auf den schönen Mann, gegen den sie vorher nicht weniger eingenommen war als ihre Mutter, aufmerksam, und mit ihrem feineren Takte fühlte sie schon nach dem ersten Zusammensein, daß er den Herrn ihrer gewöhnlichen Umgebung nicht bloß gewachsen, sondern überlegen war. Sie faßte ihn anders auf als ihre Gespielinnen und behandelte ihn anders. Andrerseits kam durch ihre Gegenwart neues Leben in ihn; seine Kenntnisse, die Lebensbilder, die er gesammelt, fanden nun einen passenden Hintergrund, die Anziehungskraft wirkte, und ehe noch irgend eine Silbe die gegenseitige Neigung verraten hatte, war das Band zwischen Luise und Heeren schon geknüpft. Sie waren verwandte Geister, die Milde beider Charaktere machte die Näherung leicht, gemeinsamer Geschmack, den die Lektüre bald verriet, zog den Knoten fester, und der Gedankenaustausch, das Besprechen des Gelesenen, zeigte jedem in dem anderen seine Ergänzung. Jenes Oszillieren, jenes Schweben zwischen Schmerz und Lust, Spannung und Abspannung, das immer einer neuen Gestaltung, einem Schritte weiter in der Organisation vorhergeht, bemächtigte sich auch ihrer. Heeren hätte nicht zu hoffen gewagt, wenn ihn Craw nicht ermutigt und angestachelt, ohne den Zauber je durch ein bestimmtes Wort zu stören; Luise dagegen gab sich dem Eindrucke, der ihr wohlthat, mit all ihrer Weichheit und Kindlichkeit hin. Sie schwamm, sie schwebte, und er vergötterte sie. Es war eine romantische Liebschaft, ein Kinderspiel, wie es Craw nannte, dies Verhältnis zwischen Luise und Heeren. Luise fürchtete nur ab und zu, daß sie einen andern Mann heiraten müsse; daß sie Richard allem Anscheine nach nicht heiraten dürfe, machte ihr keine Sorge, – weiter ging ihre Rechenkunst nicht. Die Amtmannstöchter bemerkten mit Schrecken, daß unter ihren Augen sich ein Gefühl entwickelte, das um so verderblicher zu werden drohte, als allerwahrscheinlichst auch die Stellung ihres Vaters dadurch gefährdet war. Man konnte ihn für den Hehler, für den Vermittler halten, – und die Gräfin, die auf ähnliche Weise schon eine Tochter verloren hatte, hätte das nie verziehen. Die Mädchen teilten ihre Bemerkungen, vielleicht nicht bloß aus der oben angedeuteten Rücksicht, ihren Eltern mit, und die ehrlichen Leute, so sehr sie Heeren vertrauten, schienen doch die Verpflichtung zu fühlen, den »Sekretär« in seine Grenzen zu weisen. Gefiel eine ihrer eignen Töchter dem Herrn, der gewiß nicht von seinem Gehalte allein lebte, so hätten sie im Notfalle auch eine Entführung gestattet, aber Luise war ihnen zu teuer, als daß sie nicht alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet hätten, schädlichen Einfluß abzuwenden. Sie fanden indes keine Gelegenheit mehr als halbe Worte zu sagen. Luise war eines leidenschaftlichen Aufloderns kaum fähig, und Heeren ging nie darauf aus, diese Fähigkeit auf die Probe zu stellen. Sie wuchsen ohne Kampf ineinander und waren nur noch gewaltsam zu trennen. – So hatten sich die Dinge hinter dem Rücken Ceciles gestaltet. Sie erklärte sich die Anhänglichkeit Richards an die Amtmannsfamilie falsch, die »dicke Else« war nicht die Veranlassung seiner häufigen Besuche.

Dies Mädchen aber war es, das noch so spät zu Luise gekommen. Die Kerzen im Salon waren erloschen, das Schlafzimmer der Gräfin dunkel, die Passage also frei. Und die Nachricht, die es mitzuteilen galt, litt keinen Aufschub. Ihr Vater war in der Stadt gewesen und dort zufällig mit einem alten Bekannten zusammengetroffen, der weit her kam. Er hatte eine schnelle Reise gemacht, da er einen Extrazug benutzen konnte, den der Beschreibung nach – Tetarskoff bestellt. Der Amtmann erzählte, daß dieser Herr im Augenblicke als Gast in Hehlenried verweile, und diese Notiz vermittelte eine neue Ideenassociation, der Fremde legte nun auf Umstände, die er kaum beachtet hatte, größeres Gewicht, entsann sich abgerißner Gespräche, die er gehört, und das Resultat der Kombinationen war endlich: – Daß Tetarskoff eine Konferenz mit einem jungen, äußerst heftigen Manne gehabt habe, dessen Frau wahrscheinlich – Clarisse Hehlen sei. Der Freund des Amtmanns hatte sie früher nur flüchtig gesehn, und es bedurfte der Verbindung Tetarskoffs mit Hehlenried, die Erinnerung aufzufrischen. Die Beschreibung Schneiders, die der Amtmann gab, paßte auch ungefähr auf den jungen Hitzkopf, den weder die Vorstellungen Tetarskoffs noch die Bitten der Dame hatten beruhigen können. Nahm man die Identität der Personen für gewiß an, wie die beiden Herrn bei ihrer Flasche Würzburger gethan, so öffnete sich ein neues Feld von Vermutungen, in dem sie sich nicht so leicht zurechtfinden konnten, obgleich der Amtmann mit der neueren Chronik der Familie Hehlen vertraut genug war. In der That hatte er nur während der Zeit der Verpachtungen in anderen Diensten gestanden und war sogleich wieder in seine alte Stellung getreten, als die Gräfin ihre Güter zurücknahm. Er wußte natürlich auch von Tetarskoffs Forderungen, und soweit er seine Diskretion in dieser Beziehung getrieben hatte, solang' die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit nicht unvermeidlich schien, jetzt, am Vorabende der Entscheidung, entlockte ihm der Kummer doch wenigstens seiner Familie gegenüber das große Geheimnis. Er deckte es am selben Abend, an dem er seine halben Nachrichten über Clarisse und Schneider brachte, in seiner Bewegung so vollständig auf, als er konnte, und machte die Seinigen nicht wenig bestürzt. Else schlich fort, sie nahm sich zwar vor, nur von Clarisse zu erzählen, aber sie konnte nicht schweigen, und Luise wußte bald alles, was Else von der Lage der Dinge gehört und erraten hatte.

Erst war sie ungläubig. Vor einer Stunde noch war sie Zeugin eines prunkvollen Festes gewesen. Reiches Silbergerät, kostbare Speisen und Weine, Ströme von Licht, eine Schar von Dienern … War es denn möglich, daß dahinter die Armut lauere? Und ihre Mutter war ganz die große, vornehme Dame, ihr Auge so sicher als je … Es war nicht denkbar! Und doch fiel ihr manches aus dem Gespräche mit Craw, die Geschäftigkeit der Mutter, der Widerwille gegen Heeren, der nun einen Grund fand, das auffallende Zuvorkommen gegen Tetarskoff und eine Menge von Dingen, die sie wenig beachtet hatte, jetzt schwer aufs Herz. Sie weinte, und Else weinte mit ihr.

»Ach, was wird es meiner Mutter schwer fallen arm zu sein!« jammerte das Kind. »Und wenn sie nun meine liebe Clarisse auch arm findet und nicht mehr helfen kann …« Dann versuchte sie sich wieder damit zu trösten, daß ihre Mutter so viel Schmuck, Gemälde und kostbare Gegenstände habe, die sich verkaufen und entbehren ließen. Es war auf diese Weise gewiß noch möglich die Schulden zu tilgen oder doch so zu vermindern, daß sie nicht erdrückend wurden.

Else mußte ihr diese Hoffnung rauben, sie hatte ausdrücklich von unerschwinglichen Summen, von Zahlen, die sie gar nicht nachzusprechen wagte, so kolossal schienen sie ihr, reden hören. Es ließ sich nichts loskaufen, Hehlenried, das Schloß, der Park, aller Grund und Boden, das ganze Vermögen war verpfändet und verloren. Sie zählte das auf, wie Kinder thun, die sich Schmerz und Freude zergliedern müssen, um sie begreifen zu können; wie Kinder, die jedes Stück einzeln begrüßen und jedem einzeln Lebewohl sagen.

»Und Herr Tetarskoff ist es, der uns alles nehmen wird!« fragte Luise endlich wieder lebhaft. »Dann ist doch noch Hoffnung für meine Eltern. Er fixiert mich immer mit so großer Teilnahme und so herzlich freundlichen Augen, daß ich mich fürchten würde, wenn er nicht so alt wäre. Er hat häßliche Augen und sieht alle Menschen kalt, Baron Craw, wenn er mit mir spricht, sogar finster an, nur mir gegenüber wird sein Blick weich, manchmal auch wehmütig und traurig. Mir wird er nicht wehthun wollen. Noch gestern, als er sich bei mir empfahl, blieb er so lang' vor mir stehn, als käme er nicht fort, als müsse er mir erst noch etwas Liebes sagen.«

Else meinte, daß in der That von dieser Seite Rettung kommen könne, aber – durch eine Heirat Luisens mit Tetarskoff. Sie schloß wie die anderen.

Luise lachte aus ihrer Betrübnis hell auf. »Bah! Welche Tollheit! Er ist mindestens so alt als Papa und denkt nicht daran, mich oder irgend jemand zu heiraten. Ein Mann wie er – und ich! Das ist eine lächerliche Idee!«

Else that sich ein wenig auf ihre drei Jahre ältere Lebenserfahrung zu gut und zählte in kürzester Zeit ein Dutzend ähnlicher Verbindungen auf, die niemand lächerlich fand. In ihrem Eifer bemerkte sie gar nicht, daß sie Luise eine furchtbare Aussicht eröffne, und hielt für notwendig, die Nützlichkeit eines solchen Verhältnisses noch durch die weise Notiz zu begründen, daß man Summen, von denen der hundertste Teil ein Vermögen sei, nicht opfern könne, um einem Mädchen nicht weh zu thun, möge man auch noch so reich sein.

Luise lachte dennoch, obgleich nicht mehr so herzlich, und es bedurfte großer Beteuerungen, sie zu überzeugen, daß der Einfall mehr als eine häßliche Neckerei sein solle. Daran hatte sie nicht gedacht, das lag ihr außer dem Bereiche der Möglichkeit, so verstand sie auch Tetarskoffs Bemühungen und Blicke nicht. – Es ist ein Unterschied zwischen den Äußerungen einer Neigung, deren Ziel eine Vernichtung aller Fremdartigkeit ist, und denen, die sich bei aller Innigkeit in bescheidner Ferne halten wollen. Frauen fühlen diesen Unterschied instinktiv und unabweisbar, – vorausgesetzt, daß nicht ein eignes mächtiges Gefühl ihren Blick verdunkelt. Während sie im ersten Falle nach ihrer Neigung handeln und sofort abweisend oder aufmunternd, aber immer thätig auftreten, dulden sie im anderen unbefangen und mit jener reifenden Lieblichkeit, die erst in gewissem Alter zur Koketterie hinüber neigt, alles, was man ihnen bietet, und haben für alles einen ihrer tiefen, kindlichen Dankblicke. – Luise hatte vom ersten Zusammentreffen an Tetarskoffs Benehmen so gefaßt, jene Szene im Parke hatte einen unauslöschlichen Eindruck zurück gelassen und sie ebensosehr für Tetarskoff als diesen für sie gewonnen. Von der widerwärtigen Macht des Geldes und der Unmöglichkeit einer Bitte nachzugeben, sobald Geldinteressen dadurch gefährdet werden konnten, hatte sie nur schwache Begriffe. Sie fürchtete das nicht einmal, was Else für den letzten Rettungsweg hielt, sie fürchtete nicht einmal, was diese hoffte. – Else sprach vergebens und kam zuletzt in den leisen Verdacht, nicht ohne Seiteninteresse zu sein.

Als Luise endlich allein blieb und in schlaftrunkener Abspannung vorüberrollen ließ, was ihr der Tag gebracht, kam ihr der ganze Wirbel zuletzt doch nur vor wie eine Introduktion, wie ein wirres Tonstück voller Übergänge, das die Einleitung bilden mußte zu einer neuen Weise, von der sie sich – Freude versprach.

Die Schwester war näher als sie geahnt. Das liebe, launige Bild mit seiner wilden Lebendigkeit und den schönen großen Augen, die immer wieder versöhnten, wenn die Neckerei, die Ausgelassenheit und der Humor ihrer Herrin Verdruß oder Unordnung gemacht hatten, tauchte wieder empor und sang seine lustigtraurigen Weisen, so daß Luise hätte die Arme ausbreiten und das liebe Gesicht küssen mögen. Clarisse war ein Kobold, aber ein liebenswürdiger. Sie hatte seit je gethan, was man ihr verboten, und doch immer jede Strafe für sich und ihre Gespielinnen unmöglich zu machen gewußt. Der Gedanke an sie war in dem Traumgewimmel Luisens wie eine eigentümliche, hundertfach variierte, aber immer wieder zu erkennende Melodie, die allenthalben hervorbrach. Tetarskoff gab den drohenden, finstern Baß an, der die Soprantöne niederdonnern zu wollen schien, den sie sich aber doch nicht als Mißlaut denken konnte. Alles Scharfe ging von Schneider aus, welcher Baß und Sopran, Tetarskoff und Clarisse, umspannte und zwischen beiden ein Netz von häßlichen Läufern wob. Was hatte Tetarskoff mit diesen beiden zu thun, woher kannte er Clarisse und Schneider. Diese Frage beschäftigte sie aber nur einen Augenblick, das mechanische Traumkonzert spielte weiter, die Tonwogen warfen sich brandend auf Cecile und Hugo, auf Hehlenried, das wie die Dekoration eines Melodrams den Hintergrund bildete und den Augen verständlich machen mußte, was dem Gehör entging. Die Töne waren Personen, Gestalten mit bekannten Zügen, sie klangen und handelten zugleich. Es war, als ob das Schloß zusammenstürzte: – die Introduktion schloß mit einer mächtigen Kadenz …

Und die liebliche Weise, von der die Ahnung, die Sehnsucht der Träumerin geflüstert, begann ihren Reigen. Es war ein Hochzeitsreigen, schöner noch als Mendelssohns Marsch im Sommernachtstraum – – – Hehlenried war untergegangen, Luise nicht mehr zu vornehm für Richard. – Sie weinte schlummernd. Auch ihre Thränen hatten keinen Namen.

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