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Fünftes Kapitel.
Das Opfer.

Auf dem Heimwege von den Katakomben zur Stadt hatte Valeria sich zu Irene gesellt. Auch diese hatte mit innigster Freude die Umwandlung erkannt, welche mit Rufinus vor sich gegangen, und beide Frauen überlegten miteinander, was zu thun sei, damit das aufkeimende Pflänzchen des Glaubens, geschützt vor dem Straßenstaub des öffentlichen Lebens und den versengenden Sorgen und Geschäften des Amtes, still und ungestört sich entwickeln könne.

Unter solchen Gesprächen waren die beiden Frauen über die ämilische Brücke in das transtiberinische Gebiet gelangt, das damals, wie heute, vorwiegend von der ärmern Bevölkerung bewohnt war. In manche Gassen hätte sich nicht leicht ein Patrizier und noch viel weniger eine vornehme Dame gewagt; allein die beiden Frauen waren unter den dortigen Armen gesegnete Erscheinungen und voll Ehrfurcht und Liebe wurden sie von allen Seiten gegrüßt. [R1]

Der fossor Mincius bewohnte mit seiner Gattin Rustica und seiner blinden Mutter eine armselige Wohnung; allein der häßliche Bruder der Armuth hatte in derselben keinen Platz gefunden: Alles war reinlich und sauber. Freundlich lugte die Sonne durch das Fenster, vor welchem blühende Astern standen und an den emporgeleiteten Sträuchern rothe Goldäpfel reiften; ein Rabe, den Mincius sprechen gelehrt, wiederholte von Zeit zu Zeit sein: » Ave Rustica! Guten Tag, Rustica!«

Die Wöchnerin saß bereits wieder am Webstuhl und warf mit geschickter Hand das Schifflein durch die Fäden; neben ihr in der Wiege schlummerte der Säugling. Die blinde Mutter spann, indem sie aus dem Spinnrocken mit den Fingern der Rechten den Faden bildete und das um eine Spindel gewundene Garnknäul in stetig kreisender Bewegung auf- und niederschwang; sie arbeitete mit einer Sicherheit und Gewandtheit, daß man ihre Blindheit gar nicht merkte.

»Ich habe volle vier Tage gefaulenzt,« sagte Rustica lächelnd, als Irene ihr Vorstellung über die jetzt doch für sie noch zu anstrengende Arbeit am Webstuhl machte; »das muß ich wieder einholen. Wenn ich müde werde, so schaue ich den kleinen Schelm da in der Wiege an; dann denke ich, ich säße zu Bethlehem neben der Krippe, in der auch ein solches Kindlein lag, – das Gott war: da wird die Arbeit süß.«

Das junge Weib ließ für einen Augenblick das Schifflein ruhen und richtete mit dem Lächeln süßester Mutterfreude das dunkle, lebhafte Auge auf den schlafenden Säugling.

»Ich habe,« fuhr Rustica in der frommen Redseligkeit ihres Glückes fort, »meinen Erstgeborenen im Geiste an das Fußende in die Krippe gelegt und die jungfräuliche Mutter Maria gebeten, zuweilen einen Blick der Huld auf ihn zu werfen: der muß sich ja wie ein heiliges Siegel in das junge Herzchen prägen. Und Joseph, der das göttliche Kind so treu beschützt hat, wird seine Hand auch über meinen Kleinen ausstrecken.«

Mit diesen Worten schlug Rustica die Decke vom Kopfende der Wiege zurück und zeigte den beiden Frauen mit glücklichem Lächeln ein Bildchen, welches dort an der Rückseite über dem Kopfe des Kindes aufgeklebt war und den Stall von Bethlehem darstellte. [R2]

Darstellung der Krippe auf einem altchristlichen Sarkophag.

Die Scene wurde durch das Erscheinen des Mincius unterbrochen. Als er Valeria erblickte, stutzte er und wechselte die Farbe. Nach einer Pause des Ueberlegens zog er die beiden Damen bei Seite und sagte verlegen:

»Ich glaube, edle Valeria, dein Vater wünscht, daß du bald nach Hause kommest.«

»Mein Vater?« fragte das Mädchen erblassend. »Vor kaum einer halben Stunde haben wir uns am Palatin von ihm verabschiedet; rede, was ist's mit ihm?«

»Einer deiner Diener,« antwortete der fossor ausweichend, »begegnete mir auf der Straße und fragte mich, ob ich nicht wisse, wo seine Herrin sei. Daraus schloß ich, daß man dich suche.«

Die räthselhafte Antwort drängte beide Frauen zu schnellem Abschied. Eiligst schritten sie die Gasse hinunter; bekümmert und voll Theilnahme schaute Mincius, der sie bis auf die Straße geleitet hatte, ihnen nach.

»Arme junge Dame,« sprach er für sich, »gebe der Himmel dir Kraft, das schwere Kreuz zu tragen, das er auf deine schwachen Schultern legt!«

Mincius hatte Arbeitshalber seinen Heimweg über das Forum genommen und war so Zeuge der Wegführung des Rufinus zum mamertinischen Kerker gewesen: in ängstlicher Sorge suchte die Dienerschaft nach seiner Tochter.

Wer beschreibt den Schmerz Valeria's, als sie beim Eintritte in ihr Haus die neue Schreckenskunde vernahm! Für einige Augenblicke stand sie unbeweglich und wie erstarrt, und hätte nicht Irene ihr beigestanden und sie tröstend in ihre Arme und an ihre Brust gezogen, sie wäre wohl zusammengebrochen. Von Maxentius in den Kerker geworfen werden, hieß zum Tode verurtheilt sein; – gestern die Mutter verloren, heute den Vater verlieren: konnte sie eine härtere Prüfung treffen?

Und wenn Rufinus sterben mußte, ehe er Christ geworden! Nach jahrelangem Widerstreben hatte er endlich den ersten Schritt zu den Pforten des Heils gethan: sollte der Tod jetzt die Brücke vor seinen Füßen abbrechen, ehe er sie überschritten?

Den Vater retten, wenigstens seine Seele retten, koste es, was es wolle, das war der einzige Gedanke, der jetzt mit mächtiger Gewalt Valeria's Geist ergriff und ihr eine fast übernatürliche Kraft verlieh.

Irene rieth ihr, zunächst den Versuch zu machen, durch Bestechung der Wärter in das Gefängniß zu gelangen.

Nachdem das Mädchen einen Beutel mit Goldstücken gefüllt, eilten die beiden Frauen über das Forum nach dem mamertinischen Kerker.

Allein, wie sie auch bitten und flehen, was sie auch anbieten mochten, der Kerkermeister blieb unerbittlich aus Furcht vor Heraclius. Endlich ließ er sich doch zu der Andeutung herbei:

»Wende dich an den kaiserlichen Kanzleipräfekten Heraclius; nur mit seiner Erlaubniß werde ich dich zu dem Gefangenen lassen; – obschon es,« fügte er nicht ohne Mitleid mit dem jungen Mädchen bei, »für dich selbst wohl besser wäre, daß du nicht zu ihm gingest.«

Bei Nennung des Heraclius hatte Irene unwillkürlich einen Seufzer ausgestoßen. Von diesem Manne war für Valeria wenig zu hoffen.

»Kennst du diesen Kanzleipräfekten Heraclius?« fragte unterwegs das Mädchen die Matrone.

»Ich kenne ihn leider nur zu gut,« entgegnete Irene bekümmert; »es ist Niemand anders, als jener Unselige, der im vorvorigen Jahre sich an die Spitze der in der diokletianischen Verfolgung vom Glauben Abgefallenen stellte, um vom Bischof Eusebius die Wiederaufnahme in die Kirche, jedoch ohne vorherige Buße, zu ertrotzen. Du weißt, wie sie selbst mit Waffengewalt in die kirchliche Versammlung eindrangen und das Haus Gottes mit dem Blute der Brüder entweihten.«

»Aber,« fragte Valeria, »hat nicht der Kaiser ihn zugleich mit dem heiligen Vater aus Rom verbannt?«

»Freilich; allein Maxentius konnte einen solchen Menschen zu gut brauchen und begnadigte ihn nach einiger Zeit, zog ihn in seine geheime Kanzlei und machte ihn vor einigen Wochen sogar zum Präfekten derselben.«

So natürlich der Widerwille und Abscheu war, den Valeria's frommes Herz gegen den Apostaten empfand, – es blieb ihr doch kein anderer Ausweg, als sich an ihn zu wenden. Besaß Heraclius einen solchen Einfluß auf den Kaiser, dann genügte ein Wort von ihm, ihren Vater zu retten, und sie traute ihrer kindlichen Liebe Beredtsamkeit genug zu, den Mann durch Bitten und Thränen zu erweichen. Weder sie noch Irene wußten von dem tiefen Hasse, den der Höfling gegen den Stadtpräfekten hegte; beide ahnten nicht, daß die Gefangennahme des Rufinus mit das Werk der Rache des Heraclius gewesen. So ließ sich denn das Mädchen von Irene bis zu der Wohnung desselben, die sich in einem Flügel des kaiserlichen Palastes befand, begleiten und trat dann allein in das Haus.

»Kann ich den edlen Heraclius, den Präfekten der kaiserlichen Kanzlei, sprechen?« fragte sie den ostiarius.

Der Thürhüter schaute sie vornehm von oben bis unten an und gab nach einigem Zögern kurz zur Antwort:

»Der Herr hat befohlen, Niemand zu ihm zu lassen.«

»Aber ich muß ihn sprechen,« entgegnete Valeria dringend; »ich bitte dich, melde mich bei ihm an.«

Der Sklave zuckte die Achseln, ohne ein Wort zu erwidern, und lehnte sich nachlässig an den Pfosten der Hausthüre. [R3]

Valeria zog nun einige Goldstücke hervor, und der Klang derselben wirkte.

»Du wolltest meinen Herrn sprechen, nicht wahr, edle junge Dame?« fragte der plötzlich höflich gewordene Thorwart, indem er mit einer geschickten Handbewegung das dargebotene Geld hinnahm. »Ich will dich zu seinem Sohne Sabinus führen; siehe, ob du diesen bewegen kannst, dich zu seinem Vater zu geleiten. Dort steht er im Atrium mit einigen seiner Freunde.«

Schüchtern näherte sich die Jungfrau der Gruppe junger Männer, die im Hofe voll ausgelassener Laune scherzten und lachten. Auf ihre Frage stellte sich ihr ein stutzerhaft gekleideter und von Salben duftender Jüngling vor, in welchem Valeria sofort den jungen Menschen wiedererkannte, der in der vergangenen Nacht in so übermüthiger Weise den Leichenzug gestört hatte. Unter eleganter Verbeugung fragte Sabinus, was die Herrin begehre.

Die Jungfrau erklärte ihm kurz, daß sie die Tochter des Stadtpräfekten Rufinus sei und in einer dringlichen Angelegenheit den Direktor der kaiserlichen Kanzlei zu sprechen wünsche.

»So ist also,« entgegnete Sabinus, »die muthige Dame, die sich selbst den Dolch in die Brust gestoßen, deine Mutter! Schon aus Interesse für diese neue Lucretia erfülle ich gern den Wunsch ihrer schönen Tochter. Zwar ist jetzt nicht die Stunde des Empfanges; allein der Vater wird dir gegenüber eine Ausnahme machen.«

Valeria war ganz von dem Einen Gedanken, zu ihrem Vater zu gelangen, beherrscht; sie hörte aus den Worten des jungen Menschen nur das Eine, die Theilnahme für sie und die Gewährung ihrer Bitte.

Froh, aus dem Kreise der Jünglinge fort zu kommen, deren freche Blicke ihr das Herz einschnürten, folgte sie dem Sabinus und stand in wenigen Augenblicken vor Heraclius.

Er war ein Mann stark in den Fünfzigern; das trockene Gesicht mit den kleinen, stechenden Augen, mit den schmalen Lippen und den herabgezogenen Mundwinkeln hatte nichts, was Vertrauen hätte erwecken können.

Sabinus stellte die junge Dame seinem Vater vor und trat dann einige Schritte zurück, neugierig, was die Tochter des Stadtpräfekten, deren ernste Schönheit ihn auf den ersten Blick überrascht hatte, zu seinem Vater führe.

Valeria faßte sich ein Herz.

»Verzeihe mir, edler Herr,« sprach sie, »wenn ich dich mit einer Bitte zu stören wage.«

»Du störst mich allerdings sehr in meinen Arbeiten,« entgegnete unwirsch, seinen Kopf wegwendend, der Präfekt. War er ja eben damit beschäftigt, zu überlegen, welche Patrizier er in die erdichtete Verschwörung des Rufinus hineinziehen solle: wer konnte ihn da mehr zur Unzeit stören, als die Tochter des Mannes, der ihn heute zum dritten Male so empfindlich beleidigt? Die Stimme des Gewissens, zu so lautem Rufe geweckt durch die Drohung des Stadtpräfekten, hatte Heraclius »glücklich« zum Schweigen gebracht.

»Das Leben meines Vaters, edler Heraclius,« fuhr das Mädchen fort, »liegt in deiner Hand; du kannst ihn retten, wenn du willst;« – und nun begann Valeria in so ergreifender Sprache die Unschuld ihres Vaters zu betheuern, bat so innig und inbrünstig um sein Leben, daß ihre Worte, wie sie glaubte, wohl einen Stein hätten erweichen müssen. Selbst Sabinus, der weniger verkommen als leichtsinnig war, konnte eine Aeußerung der Theilnahme nicht unterdrücken, als Valeria sich endlich sogar dem Präfekten zu Füßen warf, seine Kniee umschlang und mit der ganzen glühenden Liebe ihres kindlichen Herzens zu dem harten Manne hinaufflehte.

Allein dieser that, als ob er sie gar nicht beachte, und als ihr beharrliches Bitten ihn endlich verdroß, sagte er mit einer frostigen Kälte, welche jede Hoffnung erstarren machte:

»Wisse, daß Weiberthränen in der Wagschaale der Gerechtigkeit kein Gewicht haben. Und nun störe mich nicht weiter.«

Unter einem tiefen Seufzer ließ Valeria die Kniee des Präfekten los, erhob sich von der Erde und schritt gesenkten Hauptes, gebrochenen Herzens der Thüre zu.

Sabinus folgte ihr.

»Beim Jupiter!« sprach er, als sie allein waren, »der Alte hat dich schnöde abfahren lassen. Allein, wenn du ihm ebenso viele Goldstücke als Thränen dargebracht hättest, so will ich ein Nilpferd sein, wenn er dir nicht wenigstens gestattet hätte, deinen Vater im Kerker zu besuchen.«

»Ich habe einen Beutel voll Goldstücke bei mir,« sprach Valeria erröthend; »darf ich es wagen, dich zu ersuchen, wenigstens diese Gnade mir von deinem Vater zu erflehen?«

Sabinus bedachte sich einige Augenblicke; dann griff er hastig nach dem Beutel und indem er ihn in seinem Busen verbarg, erwiderte er:

»Jetzt ist mein Vater nicht in der Stimmung, daß ich ihm deine Bitte vortragen darf; ich werde jedoch selbst dich zum Kerker führen und versuchen, dich zu dem Gefangenen zu bringen. Nachher will ich meinen Vater schon durch dein Geschenk über meinen Schritt beschwichtigen.«

Valeria dankte dem jungen Manne in freudiger Erregung; sie unterdrückte den Verdacht, der bei der Hast, mit welcher Sabinus den Beutel ergriffen, unwillkürlich in ihr aufgestiegen war.

Im Atrium wechselte der Sohn des Kanzleipräfekten leise einige Worte mit seinen Kameraden, welche seine Mittheilung mit wildem Lachen aufnahmen; dann schritt er an der Seite der Jungfrau über die Straßen des Palatin der großen Prachttreppe zu, welche auf das Forum hinabführte, und geleitete sie an der von Cäsar erbauten Basilika Julia vorüber zum mamertinischen Kerker am Fuße des Capitol's.

Unterwegs bemühte er sich, Valeria mit ausgesuchter Höflichkeit zu unterhalten und sie mit der Hoffnung zu trösten, daß die Gerichte gewiß die Unschuld ihres Vaters klar stellen würden. Um ihren Kummer zu zerstreuen, erzählte er ihr von seinen Reisen und seinem Aufenthalt in Aegypten; er drückte seine Verwunderung aus, sie nie bei den Hoffesten und in den Salons der Aristokratie gesehen zu haben, und fand es unerträglich für eine junge Dame, im Glashause strengster Zurückgezogenheit zu verduften und zu verblühen.

Valeria, einzig mit dem Gedanken an ihren Vater und der Sorge um ihn beschäftigt, achtete kaum auf das fade Gerede; sie mußte sich Gewalt anthun, ihm, in dessen Hand die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches lag, auf seine lästigen Fragen keine unfreundliche Antwort zu geben.

Da der Kerkermeister den Sohn des Kanzleipräfekten kannte, so trug er kein Bedenken, auf den angeblichen Befehl des Heraclius hin die Jungfrau zu einer halbstündigen Unterredung zu ihrem Vater zu führen. –

Die seltene Schönheit Valeria's, ihr Kummer um das Schicksal ihres Vaters nach dem tragischen Tode der Mutter, die Wärme, mit welcher sie beim Abschied ihm gedankt, weckten in Sabinus eine ungewöhnliche Theilnahme für die junge Dame, und auf dem Heimwege machte er sich allerlei Gedanken.

Er hatte im verflossenen Frühjahr seine Studien auf der Hochschule zu Alexandria in Aegypten beendigt und war nach Rom zurückgekehrt, nicht, wie sein Vater gehofft, um sich in ernstlichem Streben dem Staatsdienste zu widmen, sondern um die Freuden und Genüsse, welche ihm Alexandria nur halb geboten, in der Hauptstadt der Welt ganz und voll zu genießen. Unter der vornehmen Jugend Rom's fand der Sohn des reichen Hofbeamten bald gleichgesinnte Freunde, mit welchen er bei Würfelspiel und Trinkgelagen die Nächte durchschwärmte. So stand er denn längst wegen seiner Verschwendung mit dem Vater auf gespanntem Fuße und er hätte gerne, je eher, je lieber, sich von dem elterlichen Hause losgemacht. Jetzt schien ihm in Valeria das Glück zu winken. Konnte ihre Hand für Rufinus ein zu hoher Preis sein, um angesichts des Todes dafür Leben, Stellung und alle seine Reichthümer wieder zu erkaufen? Bot sich ihm selber je eine glänzendere und vornehmere Verbindung? Sein Vater hatte es in der Macht, den Gefangenen zu retten, und Sabinus rechnete auf die Hilfe seiner Mutter, ihren Gatten zu einer solchen Vermittlung beim Kaiser zu bewegen. An die unliebsame Begegnung in der verflossenen Nacht dachte er nicht einmal mehr.

Nachdem Sabinus mit seinen Plänen in's Reine gekommen, eilte er schnelleren Schrittes nach Hause und suchte zunächst seine Mutter auf.

Die Dame empfing ihren Sohn in einem mit fürstlichem Luxus ausgestatteten Gemache. Schwellende Teppiche von orientalischem Gewebe bedeckten den Boden; die getäfelte Holzdecke war in Gold und Farben auf das geschmackvollste dekorirt. Auf Tischen von kostbarem Citrumholz an den Wänden umher standen goldene Kandelaber neben Statuetten von herrlichster Arbeit, Glasschaalen mit ciseliertem Bildwerk, Kästchen aus Elfenbein und Gold, Vasen von Agat und anderem Edelstein. Durch das halb offene, mit reichen Vorhängen verhüllte Fenster schaute man auf eine zierliche Veranda, wo in Mitten eines Blumenflors der seltensten Gewächse ein plätschernder Springbrunnen sein Wasser in eine Schaale von Silber ergoß, die von drei Amoretten getragen wurde. Wenn Heraclius, um Reichthümer zu häufen, seine Hände mehr denn einmal beschmutzt hatte, so trug sein Weib durch den maßlosen Hang nach Pracht und Luxus nicht den geringsten Theil der Schuld.

Auf einem mit tyrischem Purpur überzogenen, reich mit Gold eingelegten Ruhebett ausgestreckt, war Sabina eben mit der Lektüre eines der schlüpfrigen Schauspiele des Plautus beschäftigt, als ihr Sohn eintrat.

Die Gattin des Kanzleipräfekten war nicht schlechter und nicht besser als Hunderte ihres Geschlechtes im damaligen Rom. Gestützt auf ihren Adel, führte sie im Hause unbestritten die Herrschaft; aber mochten ihre Sklavinnen auch oft unter der Laune der Domina zu leiden haben, so gab es in Rom andere Herrinnen, welche ihre Dienerschaft doch noch viel härter und grausamer behandelten. Die glänzende Stellung, welche ihr Mann sich erobert hatte, erfüllte sie mit stolzer Befriedigung, und ihr Glück wäre vollkommen gewesen, wenn ihr Sohn, an dem ihr Herz mit leidenschaftlicher Mutterliebe hing, ihr eine Schwiegertochter aus altem Adel und senatorischem Range zugeführt hätte.

Sie hörte daher die Erklärung des Sabinus mit wachsendem Interesse an, und als er geendet, sprach sie:

»Der Vater muß den Gefangenen frei lassen, mein Herz! Dein ganzes Leben lang bietet sich keine so glänzende Partie wieder. Gehen wir sofort zu ihm!«

Sabina erhob sich vom Divan, schnalzte mit den Fingern und ertheilte der auf dieses Zeichen hereintretenden Sklavin den Befehl, daß sofort ein Diener zum mamertinischen Kerker eile, um die junge Dame Valeria zu einer Unterredung mit ihr einzuladen. Dann legte sie ihre Hand auf den Arm des Sohnes und ließ sich von ihm zu dem Zimmer des Heraclius geleiten.

»Wir werden,« sagte sie unterwegs, »bei deinem Vater auf Widerstand stoßen. Rede denn du zuerst; ich komme dir im rechten Augenblicke zu Hilfe.«

Heraclius war, als Valeria ihn verlassen hatte, unruhig in seinem Zimmer auf und ab gegangen; das innige Flehen des unglücklichen Kindes hatte mit heiliger Gewalt ihm in das Gewissen geredet.

»An dem, was der Kaiser einmal über Rufinus beschlossen, ließ sich ja nichts mehr ändern,« sagte er endlich zu sich selbst, indem er mit der Hand über die Stirne fuhr, und kehrte dann wieder zu seiner Proscriptionsliste zurück. Er hatte sie eben vollendet, als Gattin und Sohn eintraten. Nicht ohne Verwunderung empfing er den Besuch der Beiden; Sabina ließ sich auf einem Fauteuil nieder und begann mit ihrem flabellum, ihrem Fächer aus feinsten Pfauenfedern, zu spielen, während der Sohn also anhob:

»Vater, ich bin jetzt drei und zwanzig Jahre alt, und es ist Zeit, daß ich mir ein Weib nehme.«

»Beim Jupiter, das ist seit Monaten das erste vernünftige Wort, das ich aus deinem Munde höre.«

»Nun, ich habe eine Dame gefunden, die jung, vornehm und dazu die einzige Erbin eines reichen Witwers ist.«

»Reich, vornehm, die einzige Erbin, jung und schön, – und die will dir ihre Hand reichen?« rief Heraclius mit ungläubigem Lächeln.

»Das Glück hat einen Köder an meine Angel gesteckt, auf den das Goldfischlein unzweifelhaft anbeißen wird, wenn nur du mir das Wasser nicht trübst.«

»Ich verstehe dich nicht; will aber Fortuna dein Glück weben, so werde ich ihr die Fäden gewiß nicht verwirren.«

»Um es dir kurz zu sagen: die Tochter des Stadtpräfekten Rufinus wird mir ihre Hand reichen, und ich werde der Erbe seines Vermögens sein, – wofern du den Prozeß gegen ihn niederschlägst.«

Heraclius starrte seinen Sohn mit großen Augen an.

»Hast du zu deinem Gelde,« rief er unmuthig aus, »nun auch den Verstand bei den Würfeln verspielt? Von dieser Heirath kann nie und nimmer die Rede sein! Nein, ich will nicht die Tochter eines Mannes zur Schwiegertochter haben, der mich auf das schwerste beleidigt hat. Und wenn ich auch wollte, weißt du denn nicht, daß Rufinus der Verschwörung wider den Kaiser angeklagt und bereits verurtheilt ist?«

»Setze statt seiner einen anderen Unschuldigen auf die Proscriptionsliste!«

Heraclius rückte auf seinem Stuhle unruhig hin und her.

»Aber glaubst du denn im Ernste,« rief er ärgerlich, »das Mädchen werde für das Leben seines Vaters dein liederliches Gesicht in den Kauf nehmen?«

»Sie hat mich hoch und theuer versichert,« antwortete Sabinus, »daß sie zu jedem Opfer bereit sei, um ihren Vater zu retten. Und was mein Gesicht betrifft,« setzte er, durch die Worte des Heraclius gereizt, mit boshaftem Lächeln hinzu, »so sagen die Leute, ich sähe meinem Vater sprechend ähnlich.«

Wüthend fuhr der Präfekt von seinem Sitze auf; schnell jedoch legte sich Sabina in's Mittel. Die Römer pflegten ihre Frauen als »ihre Herrin« anzureden, und im Munde des Heraclius war das keineswegs bloße Höflichkeit. Indem Sabina ihren Fächer zusammenschlug, was sie zu thun pflegte, wenn sie erklären wollte, daß sie keinen Widerspruch zulasse, sprach sie:

»Mein lieber Gemahl, es handelt sich um das Lebensglück unseres Sohnes, und wenn die junge Dame einwilligt, ihn zum Manne zu nehmen, dann muß ihr Vater in Freiheit gesetzt werden.«

»Aber, meine Herrin,« rief der Präfekt, »hast du ganz vergessen, daß dieser Mensch es gewesen, der mich zur Verbannung verurtheilt, der mich kürzlich wieder auf das bitterste gekränkt hat? Vor einer Stunde hat der Elende mich abermals schmählich beleidigt, und jetzt sollen wir als Schwiegerväter einander in die Arme sinken?«

»Die Heirath der Kinder,« entgegnete beruhigend Sabina, »versöhnt die Zwietracht der Väter.«

»Gibt's denn,« wandte sich Heraclius mit steigendem Aerger an Sabinus, »in Rom nicht hunderte von jungen Damen der Aristokratie, die dem einzigen Sohn des Kanzlei-Präfekten gern die Hand reichten? Warum muß nun gerade diese Dirne es sein, die du, zum Verdruß deines Vaters, in einer leichtsinnigen Anwandlung zum Weibe willst? Und wenn der Bursche,« fügte er, zu Sabina gewendet, hinzu, »sich aus den mir widerfahrenen Beleidigungen nichts macht, von meiner Gattin hätte ich …«

»Als ob es,« unterbrach ihn diese ruhig und mit feinem Lächeln, »nicht dein höchster Triumph wäre, mein lieber Gemahl, daß Rufinus aus deiner Hand das Gnadengeschenk seines Lebens empfängt? – Und dann – hat es für dich keinen Werth, den Präfekten der Hauptstadt in Abhängigkeit von dir zu haben?«

Heraclius stutzte bei dieser Frage. Wenn er zu dem Einfluß, den er beim Kaiser besaß, auch den höchsten Beamten der Stadt in seiner Gewalt hatte, dann gab es allerdings in Rom keinen mächtigeren Mann, als ihn.

»Aber,« wandte er ein, »das Urtheil ist schon gesprochen, die Amtsentsetzung verhängt, die Confiscation der Güter angeordnet!«

»Dem göttlichen Maxentius,« entgegnete Sabina lachend, »ist es gleichgültig, wessen Namen confiscirte Güter tragen. Das Urtheil ist noch nicht publiciert, du hast also noch freie Hand. Die Untersuchung der Richter wird seine Unschuld beweisen, und du drohst dem Kaiser mit Aufruhr oder womit immer, daß er Rufinus wieder in sein Amt einsetze.«

»Aber der Tod der Sophronia! Und die Briefe, die … Ich komme in die größten Verlegenheiten!«

Sabina's Antwort wurde durch einen Sklaven abgeschnitten, welcher die junge Dame Valeria anmeldete.

»Überlaßt mir die Verhandlung,« sagte das Weib; »ihr Beide seid zu ungeschickt, das Ringeltäubchen zu fangen.« –

Eine halbe Stunde später verließ das Mädchen die Wohnung des Heraclius mit einem Briefe in der Hand, in welchem dem Kerkermeister befohlen wurde, den Gefangenen Aradius Rufinus augenblicklich in Freiheit zu setzen.

Als die Jungfrau auf die Straße hinaustrat, blieb sie einen Augenblick stehen und schöpfte aus tiefster Brust Athem.

Das Opfer war gebracht; – nur der Himmel wußte, wie unendlich schwer es dem armen Kinde geworden.

Valeria zeichnete mit dem Zeigefinger ein Kreuz auf ihre Stirne, [R4] warf einen innigen Blick zum Himmel und schlug den Weg zum mamertinischen Kerker ein. –

Ein halb erloschenes Gemälde in den Katakomben der hh. Petrus und Marcellinus stellt Susanna unter dem Bilde eines Lammes dar, wie sie von den beiden Richtern in Gestalt zweier Wölfe angefallen wird. Dürfen wir für Valeria auf einen Daniel hoffen, der sie aus dem Rachen dieser Wölfe befreien, der die schändlichen Pläne des Sabinus und seiner Mutter zu Schänden machen wird?

Nein!

Am Hofe des Maxentius in Rom gab es für sie keinen Daniel. Und wenn Valeria ihren Vater aus dem Kerker hinausführt, dann ist zwar er frei, allein sie selbst fesselt sich in Ketten, über deren Schwere sie sich nicht täuscht, die sie aber mit dem Starkmuth der Martyrin als Opfer für die Seele ihres Vaters zu tragen entschlossen ist.

Aus den Katakomben der hh. Petrus und Marcellinus.

Anmerkungen zum V. Kapitel.

F1: Der Besuch der Armen und der Aermsten galt als besondere Liebespflicht der christlichen Frauen, so daß Tertullian ( ad uxor. I, 4) die Warnung vor gemischten Ehen unter anderem dadurch begründet, daß der heidnische Gatte seiner Frau nicht gestatten werde, in abgelegenen Gassen fremde und armselige Hütten zu betreten, um die Brüder zu besuchen: (quis ethnicus sinat coniugem suam (christianam) visitandorum fratrum gratia vicatim aliena et quidem pauperiora quaeque tuguria circuire?) Auf den Grabsteinen wird wiederholt den Verstorbenen jene Tugend nachgerühmt: » susceptor peregrinorum et pauperum, er nahm die Fremden und die Armen auf;« » amicus pauperum, er war ein Freund der Armen.« Eine amatrix pauperum verdiente für ihre Liebe zu den Armen, wie es auf ihrer Grabschrift heißt, in der Nähe der Märtyrer bestattet zu werden, quae pro tantis meritis accepit sepulcrum intra limina sanctorum, ein Glück, nach welchem Viele begehren und das Wenige erlangen, quod multi cupiunt et rari accipiunt.

F2: Die Darstellung der Geburt Christi im Stalle zu Bethlehem kommt auf Wandgemälden der Katakomben nur Einmal vor, im Coemeterium des hl. Sebastian aus der Mitte des vierten Jahrhunderts. (Vergl. De Rossi, Bull. 1877, 148 ff.) Auf Sarkophagen erscheint sie dann häufiger, so auf dem nebenstehenden Bruchstück aus dem Jahre 343. In vorconstantinischer Zeit war also dieser Gegenstand, ähnlich wie die Scenen aus dem Leiden des Herrn, in den kirchlichen Bilderkreis nicht aufgenommen. Auf dem genannten Gemälde ist bloß das Kindlein in der Krippe zwischen Ochs und Esel abgebildet; auf den Sarkophagen sind Maria, häufig auch Joseph oder die Hirten hinzugefügt, und gerne wird mit der Scene der Geburt die der Anbetung der heiligen drei Könige verbunden. Die älteste Darstellung der Madonna mit dem göttlichen Kinde gehört noch dem ersten, jedenfalls dem Anfange des zweiten Jahrhunderts an, ist also gemalt unter den Augen der Apostelschüler, im Coemeterium der Priscilla. Der vor Maria stehende Mann mit der Bücherrolle in der Hand ist der Prophet Isaias, der auf den »Stern aus Jakob« hinweist.

F3: An der Thüre eines jeden Palastes hielt der ostiarius oder Pförtner, mit einem Rohrstabe bewaffnet, Wache; erst wenn man sich seinen guten Willen um ein Trinkgeld (»Brückenzoll«) erkauft hatte, durfte man in das Atrium, in den von Säulengängen umgebenen offenen Hof eintreten, um dann in die inneren Gemächer und in das Empfangszimmer zugelassen zu werden. Wegen ihrer Frechheit und Anmaßung waren diese Sklaven in ganz Rom berüchtigt.

F4: Sich mit dem Kreuzzeichen zu bezeichnen, ist uralte christliche Sitte. »Bei jedem Schritt und Tritt,« sagt Tertullian ( De corona milit. 4), »beim Ein- und Ausgehen, wenn wir die Schuhe anziehen, uns waschen, zu Tische gehen, wenn wir die Lampen anzünden, uns zur Ruhe legen, uns niedersetzen, bei Allem, was wir thun, bezeichnen wir unsere Stirne mit dem Zeichen des Kreuzes ( frontem crucis signaculo terimus).« Besonders thaten es die Christen in Noth und Gefahr. Die Martyrakten des hl. Theodotus (Ruinart II, 300) berichten uns, daß die Gläubigen, welche die Leichen der Martyrer unter großer Angst aufsuchten, sich durch das Zeichen des Kreuzes Muth machten ( crucis signum suae quisque impressit fronti); der Martyrer Theodotus selbst, bevor er vor den Richter trat, bezeichnete sich mit dem Kreuze ( totum corpus suum signo crucis munivit). Von einer Martyrin unter Diokletian berichtet Eusebius, als sie vor den Richter geschleppt wurde: » augusto Salvatoris nomine sese indigitavit, sie bezeichnete sich mit dem Finger mit dem ehrwürdigen Namen des Erlösers.« – Für die spätere Zeit findet sich beim heil. Gregor von Tours der Ausdruck, »sich bezeichnen Salvatoris vexillo, mit der Fahne des Erlösers, digito cruce Dominica signare, mit dem Finger sich mit dem Kreuze des Herrn bezeichnen.«

§§§

War dieser fromme Brauch des Kreuzzeichens zugleich Bekenntniß Christi und Anrufung seiner Hilfe, so ergab es sich von selbst, daß man das Kreuz auch auf die Grabsteine setzte. In früherer Zeit erscheint es in verhüllter Form, zumal in der Gestalt eines aufrechtstehenden Ankers oder Dreizacks. Unverkennbar tritt dasselbe im Anker hervor auf dem Grabstein der Faustinianum in den Katakomben des Callistus, wo die Verstorbene unter dem Bilde des Lammes zu dem Ankerkreuz emporblickt; eine Taube trägt ihr den Oelzweig des ewigen Friedens zu. – Man nannte das Kreuzzeichen kurzweg signum, das »Zeichen«. So heißt es von Moyses, als er betend seine Arme in Form eines Kreuzes ausstreckte: »Breitete aus die Hände, im Zeichen den Feind zu besiegen. Extenditque manus, ut signo vinceret hostem.«


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