Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Sechsundzwanzigstes Kapitel. Das Fest

»Mein Gott, was ist es doch um diese Welt!«

Letzte Worte des Herrn von Cinq-Mars.

Am nämlichen Tage dieses düsteren Schauspiels in Lyon und während der Szenen, die wir soeben gesehen haben, wurde in Paris mit allem Luxus und dem üblen Geschmacke jener Zeit ein prachtvolles Fest gegeben. Der mächtige Kardinal hatte die beiden ersten Städte Frankreichs zu gleicher Zeit mit seinem Prunk und Gepränge erfüllen wollen.

Dieses dem König und dem ganzen Hofe gegebene Fest ward unter dem Namen der Eröffnung des Kardinalpalastes angekündigt. Herr des Reiches durch die Kraft, wollte er auch noch Herr der Gemüter mittels der Verführung werden und, müde zu herrschen, hoffte er nun zu gefallen. Das Trauerspiel Mirame sollte in einem eigens für diesen großen Tag eingerichteten Saale aufgeführt werden, was, sagt Pelisson, die Kosten dieses Abends auf dreimalhunderttausend Taler belaufen ließ.

Die ganze Garde des PremierministersDer König gab dem Kardinal im Jahre 1628 eine Leibwache von zweihundert Büchsenschützen, im Jahre 1632 vierhundert Musketiere zu Fuß; im Jahre 1638 wurden zwei Kompagnien Gardereiter und Chevaulegers für ihn gebildet. stand unter Waffen; seine vier Kompagnien Musketiere und Gardereiter waren auf den breiten Treppen und beim Eingang der langen Galerien des KardinalpalastesEr hatte dem König diesen Palast nebst Zubehör, sowie seine prachtvolle Diamantenkapelle, seinen großen silbernen Schrank von getriebener Arbeit und dreitausend Mark wägend, nebst seinem großen herzförmigen Diamant von mehr als zwanzig Karat Gewicht unter Vorbehalt lebenslänglicher Nutznießung zum Geschenk gemacht; Herr von Chavigny nahm dieses im Namen des Königs an.    (Geschichte des Paters Joseph.) in Spaliere aufgestellt. Dieses glänzende Pandämonium, in dem die Todsünden in jedem Stockwerk einen Tempel haben, gehörte an diesem Tage nur dem Stolz an, der es von oben bis unten einnahm. Auf jeder Stufe war einer der Büchsenschützen der Garde des Kardinals mit einer Fackel in der einen und einem langen Karabiner in der anderen Hand aufgestellt; die Menge seiner Edelleute wogte zwischen diesen lebendigen Armleuchtern auf und ab, während in dem großen, von mächtigen Kastanienbäumen umgebenen Garten, die heute zu Arkaden umgeschaffen waren, zwei Kompagnien Chevaulegers zu Pferde, mit der Muskete in der Faust, sich auf den ersten Befehl und auf die erste Furcht ihres Gebieters bereit hielten.

Von seinen achtunddreißig Pagen begleitet, wurde der Kardinal in seine mit Purpur ausgeschlagene Loge getragen, die sich derjenigen gegenüber befand, in welcher der König hinter grünen Vorhängen, die ihn vor dem Glanz der Lichter schützen mußten, auf einem Ruhebett halb liegend anwesend war. Der ganze Hof war in Logen versammelt und erhob sich bei seinem Erscheinen; die Musik begann eine glänzende Ouvertüre, und das Parterre wurde den Leuten der Stadt und der Armee, die sich zahlreich einfanden, geöffnet.

Gegen seine Gewohnheit streckte der Minister seinen fast fleischlosen Kopf über die Tribüne und grüßte die Versammlung mit einer Miene, die freundlich sein sollte. Diese Grimasse wurde nur in den Logen beantwortet; das Parterre blieb still. Richelieu hatte zeigen wollen, daß er das öffentliche Urteil für sein Werk nicht fürchte, und hatte erlaubt, daß man ohne Unterschied jedem, der sich einfinden würde, den Eintritt gestatten solle. Er begann es zu bereuen, allein zu spät. Diese unparteiische Versammlung blieb denn wirklich bei der Hirtentragödie auch so kalt, wie diese selbst war; vergeblich verzehrten sich die mit Edelsteinen bedeckten Theaterschäferinnen, erhöht durch große rote Absätze, mit den Fingerspitzen bänderverzierte Schäferstäbe haltend, in langen Tiraden von zweihundert schmachtenden Versen von Liebe; vergeblich wollten vollkommene Liebhaber (denn das war das schöne Ideal der Epoche) vor Hunger in einer einsamen Schlucht verschmachten und beweinten mit schwülstigen Reden den Tod ihrer Geliebten, indem sie Bänder von der Lieblingsfarbe ihrer Schönen in ihre Haare hefteten; vergebens gaben die über die Brustwehr ihrer Logen gelehnten Frauen des Hofes Zeichen von Entzücken und versuchten sogar die schmeichelhaftesten Ohnmachten; das in dumpfem Schweigen brütende Parterre gab kein anderes Lebenszeichen als das beständige Schwanken schwarzer, langhaariger Köpfe.

Der Kardinal biß sich in die Lippen und spielte während des ersten und zweiten Aktes den Zerstreuten: das Schweigen, in dem der dritte und vierte Akt verflossen, schlug seinem väterlichen Herzen eine solche Wunde, daß er sich halb über seinen Balkon hervorheben ließ und in dieser unbequemen und lächerlichen Stellung seinen Freunden am Hofe Winke gab, daß sie die schönsten Stellen doch wohl bemerken möchten und dann selbst das Signal zum Beifallklatschen erteilte.

Man beantwortete es aus einigen Logen, allein das teilnahmlose Parterre war stiller als je, überließ solche Szenen den oberen Regionen und blieb beharrlich neutral.

Der Gebieter Europas und Frankreichs warf dann einen flammenden Blick auf dieses Häufchen Leute, die wagten, sein Werk nicht zu bewundern, fühlte in seinem Herzen den Wunsch Neros aufleben und dachte einen Augenblick, wie glücklich er wäre, wenn dort nur ein Kopf wäre.

Plötzlich belebte sich diese schwarze und unbewegliche Masse, und endlose Salven von Beifallklatschen ertönten zum großen Erstaunen der Logen und besonders des Ministers. Er beugte sich vorwärts und grüßte dankend, doch als er bemerkte, daß das Händeklatschen die Schauspieler unterbrach, so oft sie wieder anfangen wollten, hielt er ein.

Der König ließ die bis dahin geschlossenen Vorhänge seiner Loge zurückziehen, um zu sehen, was eine solche Begeisterung errege; der ganze Hof lehnte sich über die Brüstung hinaus; man bemerkte dann in der auf der Bühne sitzenden Menge der Zuschauer einen jungen Mann in bescheidener Kleidung, der sich soeben mit Mühe eines Platzes bemächtigt hatte. Aller Blicke waren auf ihn geheftet. Er schien in große Verlegenheit darüber zu geraten und suchte sich mit seinem kleinen schwarzen, zu kurzen Mäntelchen zu bedecken.

»Der Cid! Der Cid!« schrie man im Parterre und hörte nicht auf zu klatschen.

Erschrocken flüchtete sich Corneille in die Kulissen, und alles sank in Schweigen zurück.

Ganz außer sich ließ der Kardinal die Vorhänge seiner Loge schließen und sich wegtragen.

In der ersten Galerie kam jetzt eine durch Josephs Bemühungen schon lange vorbereitete Szene zur Ausführung, über welchen Punkt er, bevor er Paris verließ, die Leute vom Gefolge des Kardinals noch tüchtig unterrichtet hatte. Der Kardinal Mazarin rief nämlich, es gehe schneller, Se. Eminenz durch ein großes Fenster zu schieben, das sich nur zwei Fuß über dem Boden erhob und von seiner Loge nach den Gemächern führte; er ließ dasselbe öffnen, und die Pagen schoben den Lehnstuhl hindurch. Alsobald erhoben sich hundert Stimmen, um die Erfüllung der großen Prophezeiung des Nostradamus zu verkünden. Man raunte sich halblaut zu: »Das bonnet rouge (Rotkäppchen) ist der gnädige Herr; quarante onzes, Cinq-Mars; tout finira, von ThouDas Treffende dieses französischen Calembours (Wortspieles) geht in der Übersetzung verloren; wir haben dasselbe in einem der früheren Kapitel deutsch gegeben; zum besseren Verständnis der Auslegung möchte es aber nicht unzweckmäßig sein, hier das Französische beizufügen:
    Quand bonnet rouge passera par la fenêtre
    A quarante onzes on coupera la tête
        Et tout finira
.
                Der Übersetzer.
; welch glückliche Fügung des Himmels! Se. Eminenz beherrscht die Zukunft sowie die Gegenwart!«

Auf seinem wandelnden Throne zog der Kardinal nun durch lange und glänzende Galerien und hörte das leise Gemurmel neuer Schmeicheleien; allein gefühllos bei dem Laute dieser Stimmen, die seinen Geist vergötterten, hätte er all ihr Geschwätz für ein einziges Wort, für eine einzige Gebärde jenes unbeweglichen und unbeugsamen Publikums gegeben, und wäre auch dieses Wort ein Ruf des Hasses gewesen; denn das größte Geschrei läßt sich ersticken; wie läßt sich aber das Schweigen rächen? Man verhindert ein Volk, loszuschlagen, wer wird es aber verhindern, zu warten?

Verfolgt durch das drückende Gespenst der öffentlichen Meinung glaubte sich der düstere Minister erst in Sicherheit, als er in den Wohngemächern seines Palastes angelangt war und sich inmitten seines zitternden und kriechenden Hofes befand, dessen Lobhudeleien ihn bald vergessen ließen, daß einige Männer gewagt hatten, ihn nicht zu bewundern.

Er ließ sich gleich einem Könige in die Mitte seiner geräumigen Gemächer stellen und begann, sich umschauend, aufmerksam die mächtigen und ergebenen Männer zu zählen, die ihn umringten; er zählte sie und bewunderte sich.

Die Häupter aller großen Familien, die Kirchenfürsten, die Präsidenten aller Parlamente, die Statthalter der Provinzen, die Marschälle und Obergeneräle der Armeen, der Nuntius, die Gesandten aller Königreiche, die Deputierten und Senatoren der Republiken standen unbeweglich und unterwürfig. Das stumme Europa hörte ihn durch Repräsentanten an.

Zuweilen erhob er seine gebieterische Stimme und warf, gleich einem Pfennig unter einen Haufen Armer, ein zufriedenes Wort unter diesen prunkvollen Kreis.

Der Bruder des Königs und der Herzog von Bouillon standen auch unter der Menge, aus welcher der Minister sich nicht hervorzuheben geruhte; er äußerte sich, daß er für gut hielte, einige feste Plätze zu schleifen, sprach lange von der Notwendigkeit, die Straßen und Kais von Paris zu pflastern, und sagte Turenne mit ein paar Worten, daß man ihn wahrscheinlich zur Armee Italiens senden werde, um zur Seite des Prinzen Thomas sich seinen Marschallsstab zu holen.

Während Richelieu inmitten eines rauschenden Festes in seinem prachtvollen Palaste auf solche Weise die größten und geringsten Dinge Europas in seinen mächtigen Händen schaukelte, benachrichtigte man im Louvre die Königin, daß es an der Zeit sei, sich zu dem Kardinal zu begeben, wo der König sie nach Beendigung der Tragödie erwartete.

Die ernsthafte Anna von Österreich wohnte keinem Schauspiel bei, hatte aber nicht ablehnen dürfen, das Fest des Premierministers mit ihrer Gegenwart zu verherrlichen. Sie befand sich in ihrem Betzimmer, schon zum Aufbruch bereit, und mit Perlen, ihrem Lieblingsschmuck, bedeckt; vor einem großen Spiegel mit Marie von Mantua stehend, gefiel sie sich, die Toilette der jungen Herzogin zu beendigen, die selbst, in einem langen rosenfarbenen Kleide, aufmerksam aber verdrießlich und mit etwas schmollender Miene ihren Anzug betrachtete.

Die Königin betrachtete in Marie ihr eigenes Werk und dachte, noch beklommener als diese, trotz ihrer genauen Kenntnis des gefühlvollen aber leichtsinnigen Charakters Maries, mit Besorgnis an den Augenblick, wo diese kurz dauernde Ruhe aufhören würde.

Seit jener Unterredung in Saint-Germain, seit jenem verhängnisvollen Briefe hatte sie die junge Prinzessin nicht einen Augenblick verlassen und mit aller Sorgfalt den Geist dieses jungen Mädchens auf die von ihr vorgezeichnete Bahn zu führen gesucht; denn der stärkste Zug in dem Charakter Annas von Österreich war eine unüberwindliche Hartnäckigkeit in ihren Berechnungen, denen sie alle Ereignisse und alle Leidenschaften mit geometrischer Genauigkeit hätte unterwerfen mögen; und ohne Zweifel muß alles Unglück ihrer Regentschaft diesem positiven und unbeweglichen Geiste zugeschrieben werden.

Cinq-Mars' unheilverkündende Antwort, seine Verhaftung, seine Verurteilung, alles war der Prinzessin Marie verborgen geblieben, derer erster Fehler allerdings eine Regung der Eigenliebe und ein augenblickliches Vergessen gewesen war.

Nichtsdestoweniger war die Königin gut und hatte ihre Übereilung, in so entschiedenen Worten zu schreiben, bitter bereut, und alle ihre Anstrengungen waren darauf hinausgegangen, diese Folgen zu schwächen.

Indem sie ihre Handlung in ihren Beziehungen auf das Wohlergehen Frankreichs ins Auge faßte, wünschte sie sich Glück, auf solche Weise plötzlich den Keim eines Bürgerkriegs erstickt zu haben, der den Staat in seinen Fundamenten erschüttert hatte; wenn sie sich aber ihrer jungen Freundin näherte und dieses reizende Wesen betrachtete, das sie in seiner Blüte knickte, und das ein Greis auf einem Throne nicht für den Verlust, den es für immer erlitten hatte, zu entschädigen imstande wäre, beklagte sie Marie und bewunderte von Grund der Seele den Mann, den sie so schlecht beurteilt hatte.

Sie hoffte noch in diesem Augenblick, daß es allen den in Lyon versammelten Verschworenen gelingen würde, seine Rettung zu bewerkstelligen, und wußte sie ihn einmal in fremdem Lande, so dachte sie, ihrer lieben Marie dann alles sagen zu können.

Diese hatte anfangs den Krieg befürchtet; allein da sie nur von den Leuten der Königin umgeben war, die ihr keine anderen als die von ihrer Gebieterin vorgeschriebenen Nachrichten zukommen ließen, so hatte sie erfahren, die Verschwörung sei nicht zur Ausführung gekommen, der König und der Kardinal wären gleich anfangs und fast zu gleicher Zeit nach Paris gekommen; der einige Zeit abwesende Monsieur sei wieder am Hofe erschienen, der Herzog von Bouillon sei vermöge der Abtretung Sedans auch wieder zu Gnaden gekommen, und der Grund, daß der Großstallmeister noch nicht erscheine, liege in dem deutlicher ausgesprochenen Hasse des Kardinals gegen ihn und dem großen Anteil, den derselbe an der Verschwörung genommen habe.

Seit zwei Monaten waren sich überdies Bälle und Karussells so schnell gefolgt und so viele gebieterische Pflichten hatten sie in Anspruch genommen, daß ihr, um traurig zu sein und sich zu beklagen, nur die Zeit ihrer Toilette blieb, wo sie beinahe allein war.

Sie begann zwar jeden Abend jene allgemeine Betrachtung über die Undankbarkeit und Unbeständigkeit der Menschen; ein tiefer und neuer Gedanke, der nie ermangelte, den Kopf einer jungen Person im Alter der ersten Liebe zu beschäftigen; allein der Schlaf gestattete ihr nie, ihn in die Länge fortzuspinnen, und die Ermüdung des Tanzes schloß ihre großen schwarzen Augen, bevor ihre Ideen Zeit gefunden hatten, sich in ihrem Gedächtnis zu ordnen und ihr klare Bilder der Vergangenheit vor die Seele zu führen.

Von ihrem Erwachen an fand sie sich von jungen Prinzessinnen des Hofes umringt und, kaum imstande, zu erscheinen, war sie schon genötigt, sich zu der Königin zu verfügen, wo die ewigen, aber schon minder unangenehmen Huldigungen des Prinzen Palatin sie erwarteten; die Polen hatten Muße genug gehabt, am französischen Hofe jene geheimnisvolle Zurückhaltung und jenes beredte Schweigen zu erlernen, die den Frauen so sehr gefallen, weil sie die Wichtigkeit der Geheimnisse vermehren.

Man betrachtete Marie als dem König Ladislaus bewilligt, und sie selbst hatte sich, wir müssen es gestehen, so vertraut mit diesem Gedanken gemacht, daß der durch eine andere Königin besetzte Thron Polens ihr als etwas Unnatürliches vorgekommen wäre; sie empfand zwar keine glückliche Regung, wenn sie des Augenblicks gedachte, wo sie denselben besteigen sollte, hatte aber dennoch die Huldigungen angenommen, die man ihr im voraus deshalb erwies. Auch übertrieb sie, ohne sich's selbst zu gestehen, das vermeintliche Unrecht Cinq-Mars', das die Königin ihr in Saint-Germain enthüllt hatte.

»Sie sind frisch wie die Rosen dieses Straußes«, sagte die Königin, »nun, mein liebes Kind, sind Sie bereit? was ist das für eine kleine schmollende Miene? Kommen Sie, lassen Sie mich diesen Ohrring schließen . . . Sehen Sie diese Topase nicht gern? Wollen Sie einen anderen Schmuck?«

»O nein, Madame, ich denke, ich sollte mich gar nicht schmücken, denn niemand weiß besser als Sie, wie unglücklich ich bin. Die Männer sind sehr grausam gegen uns! Ich sinne immer noch allem nach, was Sie mir gesagt haben, und alles wird mir jetzt deutlich bewiesen. Ja, es ist wohl wahr, daß er mich nicht liebte, denn hätte er mich geliebt, so würde er erstlich auf eine Unternehmung verzichtet haben, die mir so viel Unruhe machte, wie ich ihm gesagt habe; ja, ich erinnere mich sogar, was noch wesentlicher ist«, fügte sie mit wichtiger und feierlicher Miene hinzu, »daß ich ihm sagte, er würde Rebell sein; ja, Madame, Rebell, ich sagt' es ihm in Saint-Eustache. Ich sehe aber, daß Ew. Majestät ganz recht hatte: ich bin sehr unglücklich! Er besaß mehr Ehrgeiz als Liebe.«

Bei diesen Worten stahl sich eine Träne des Verdrusses aus ihren Augen und rollte über ihre Wange wie eine Perle auf eine Rose.

»Ja, das ist ganz gewiß . . .« fuhr sie fort, ihre Armspangen befestigend, »und der größte Beweis hierfür ist, daß er während der zwei Monate, seit er auf seine Unternehmung verzichtet hat, mich wohl hätte wissen lassen können, wohin er sich begeben hat (denn sie sagten mir ja, Sie hätten seine Flucht bewerkstelligt). Und während dieser Zeit weinte ich, erflehte Ihre ganze Macht zu seinen Gunsten; ich bettelte um ein Wort, das mich von einer seiner Handlungen unterrichten sollte; ich dachte nur an ihn, und jetzt noch schlage ich täglich den Thron Polens aus, weil ich bis ans Ende beweisen will, daß ich beständig bin, und daß wir besser sind als die Männer . . . Dennoch glaube ich wenigstens, diesen Abend wohl zu dem Feste gehen zu können, da es kein Ball ist.«

»Ja, ja, mein liebes Kind, kommen Sie schnell«, entgegnete die Königin, welche dieser kindlichen Sprache, die sie betrübte und deren treuherzige Irrtümer sie selbst veranlaßt hatte, ein Ende zu machen wünschte, »kommen Sie, Sie werden sehen, welche Einigkeit zwischen den Prinzen und dem Kardinal herrscht, und vielleicht vernehmen wir einige gute Nachrichten.«

Sie fuhren ab.

Als die Königin und Marie die langen Galerien des Kardinalpalastes betraten, wurden sie von dem König und dem Minister, welche, umgeben von einer Menge schweigsamer Höflinge, auf einem schmalen, niederen Tische Schach spielten, kalt empfangen und begrüßt. Alle Damen, die mit oder nach der Königin eintraten, zerstreuten sich in die der Gesellschaft geöffneten Gemächer, und bald erhob sich in einem der Säle eine sehr sanfte Musik, gleich der Begleitung zu tausend besonderen Unterhaltungen, welche sich um die Spieltische herum entwickelten.

Jetzt gingen zwei junge Neuvermählte, der glückliche Chabot und die schöne Herzogin von Rohan, mit einer Verneigung an der Königin vorbei; sie schienen die Menge zu meiden und abseits den Augenblick zu suchen, miteinander von sich selbst sprechen zu können. Jedermann empfing sie lächelnd und hatte seine Lust an ihnen.

Marie folgte ihnen mit den Augen.

»Sie sind dennoch glücklich«, sagte sie zu der Königin, indem sie sich des Tadels erinnerte, den man auf sie hatte werfen wollen.

Ohne ihr jedoch zu antworten und in der Befürchtung, ihre junge Freundin möchte durch ein unbedachtsames Wort irgend ein trauriges Ereignis erfahren, stellte sich Anna von Österreich mit ihr hinter den König. Bald kamen Monsieur, der Prinz Palatin und der Herzog von Bouillon zu ihnen und es entspann sich ein freimütiges und heiteres Gespräch. Einen ernsten und forschenden Blick auf Marie werfend, sagte dann der zweite unter anderem:

»Prinzessin, Sie sind heute von überraschender Schönheit und Heiterkeit.«

Sie ward bestürzt über diese Worte und über die düstere Miene, mit der er sich entfernte, und redete dann den Herzog von Orleans an, der nicht antwortete und sie nicht zu hören schien. Marie schaute die Königin an und konnte Blässe und Unruhe auf ihrem Gesicht bemerken.

Niemand wagte indes, sich dem Minister zu nähern, der seine langsamen Züge im Schach überdachte; Mazarin allein stand, auf die Lehne seines Armstuhles gestützt, hinter ihm und folgte den Zügen mit einer knechtischen Aufmerksamkeit, indem er jedesmal, wenn der Kardinal gespielt hatte, Zeichen der Bewunderung von sich gab.

Die Beflissenheit des Ministers schien einen Augenblick die Wolke, die seine Stirn bedeckte, zu zerstreuen; er hatte soeben einen Turm vorgerückt, welcher den König Ludwigs XIII. in jene falsche Stellung brachte, welche man matt heißt, eine Lage, wo dieser König von Ebenholz, ohne persönlich angegriffen zu sein, dennoch in keiner Richtung weder vor- noch rückwärts kann.

Der Kardinal hob die Augen auf, schaute seinen Gegner an und lächelte, weil er vielleicht einen geheimen Zusammenhang zu erkennen glaubte. Als er dann die erloschenen Augen und das einem Sterbenden ähnliche Gesicht des Königs sah, beugte er sich gegen Mazarins Ohr vor und flüsterte:

»Ich glaube, meiner Treu, er reist noch vor mir ab; er ist sehr verändert.«

Zu gleicher Zeit überfiel ihn ein langanhaltender und heftiger Husten, wobei er oft einen stechenden und durchdringenden Schmerz fühlte; bei dieser unheilvollen Mahnung brachte er ein Taschentuch an den Mund, das er bald nachher voll Blut wegzog, es aber, um diesen Umstand zu verbergen, unter den Tisch warf, indem er streng um sich sah, als wollte er die Unruhe verbieten.

Vollkommen unempfindlich dafür zeigte Ludwig XIII. nicht die leiseste Bewegung und stellte mit seiner fleischlosen und zitternden Hand die Figuren zu einer anderen Partie auf. Diese beiden Sterbenden schienen um ihre letzte Stunde zu losen.

In diesem Augenblick schlug eine Uhr Mitternacht. Der König richtete den Kopf auf und sagte:

»Ja, ja, heute morgen um die nämliche Stunde hat Herr le Grand, unser lieber Freund, einen bösen Augenblick durchgemacht.«

Ein durchdringender Schrei ertönte in seiner Nähe; er schauderte, warf das Spiel um und wandte sich schnell auf die andere Seite.

Des Bewußtseins beraubt, lag Marie von Mantua in den Armen der Königin; diese weinte bitterlich und sagte dem Könige ins Ohr:

»Ach, Sire, Sie haben ein zweischneidiges Schwert.«

Sie verschwendete nun alle ihre Sorgfalt und Zärtlichkeit an die junge Prinzessin, die, von den Damen des Hofes umringt, sich von ihrer Ohnmacht erholte, um einen Strom von Tränen zu vergießen. Sobald sie die Augen wieder aufschlug, sagte Anna von Österreich zu ihr:

»Ach, mein liebes Kind, mein armes Kind, Sie sind Königin von Polen.«

* * *

Die Rückkehr des Ministers wurde während fünf Freudentagen gefeiert, und allabendlich drängten sich die Bewohner von Paris unter den Fenstern des Kardinalpalastes und denen des Louvre; die letzten Aufstände hatten ihnen sozusagen Geschmack an den öffentlichen Bewegungen beigebracht; sie liefen mit einer zuweilen verletzenden und feindseligen Neugier von einer Straße zur anderen, indem sie bald in schweigsamen Prozessionen einherschritten, bald ein schallendes Gelächter aufschlugen und anhaltendes spöttisches Geschrei ausstießen, dessen Bedeutung unbekannt war.

Banden junger Männer schlugen sich an den Straßenecken und tanzten im Kreise auf öffentlichen Plätzen, als wollten sie irgend einer unbekannten, fröhlichen Hoffnung und einer unsinnigen Freude, die ihr Herz preßte, Luft machen.

Es war bemerkenswert, daß das traurigste Schweigen gerade an den Orten herrschte, welche zufolge der Befehle des Ministers für die Freuden hergerichtet waren. Erhoben sich einige Stimmen, so geschah es nur, um unablässig mit Ironie die Umschriften und Inschriften, mit denen die einfältige Schmeichelei einiger obskuren Schriftsteller die Bildnisse des Ministers umgeben hatten, zu lesen und wieder zu lesen. Das eine dieser Bildnisse war durch Büchsenschützen bewacht, die es jedoch nicht vor den Steinen zu schützen vermochten, die durch unbekannte Hände gegen dasselbe geschleudert wurden. Es stellte den Kardinal-Generalissimus mit einem von Lorbeeren umringten Helm vor. Darüber las man:

Großer Herzog! Mit Recht wirst du in Frankreich geehrt
Und in Paris gleich Gott Mars verehrt.Diese Inschrift ist heutzutage noch vorhanden.

Diese schönen Dinge überzeugten aber das Volk nicht, daß es glücklich sei; und in der Tat verehrte es den Kardinal ebensowenig als den Gott Mars, nahm aber seine Feste als eine willkommene Veranlassung zu Unordnungen auf.

Ganz Paris war in Aufruhr, und langbärtige Männer mit Fackeln, Krügen voll Wein und zinnernen Trinkgefäßen, die sie mit großem Lärm anstießen, hielten sich unter den Armen und sangen im Einklang mit rauhen und ungeschliffenen Stimmen einen alten Rundgesang der Ligue:

Reprenons la danse,
Allons, c'est assez:
Le printemps commence,
Les rois sont passés.

Prenons quelque trève,
Nous sommes lassés;
Les rois de la fève
Nous ont harassés.

Allons, Jean du Mayne,
Les rois sont passés
. . .  Auf und zum Tanz,
Kommt, es ist g'nug:
Der Frühling beginnt,
Die Könige sind hin.
  Gebt Waffenstillstand,
Denn müde sind wir;
Die Könige der Bohne
Uns ausmergelten schier.
  Frisch auf, Jean du Mayne
Die Könige sind hin . . .

Die schrecklichen Banden, die diese Worte heulten, zogen über die Kais und den Pont-neuf, während sie friedliche Bürger, die aus Neugier herangelockt wurden, an die Häuser zurückdrängten.

Zwei junge in Mäntel gehüllte Männer wurden gegeneinander gestoßen und erkannten sich beim Schein einer auf dem Fuße der neuerrichteten Bildsäule Heinrichs IV. stehenden Fackel, vor welcher sie sich gerade befanden.

»Wie, noch in Paris, mein Herr!« sagte Corneille zu Milton, »ich glaubte Sie in London.«

»Hören Sie dieses Volk, mein Herr? Hören Sie's? Was ist das für ein schrecklicher Endreim:

Die Könige sind hin!Gewöhnlicher Endreim bei den Gesängen der Bürgerkriege.

»Hat noch nichts zu bedeuten, mein Herr; geben Sie nur auf ihre Reden acht.«

»Das Parlament ist tot«, rief einer der Männer, »die Herren sind tot; tanzen wir, jetzt sind wir Herren; der alte Kardinal reist ab, dann sind nur noch der König und wir da!«

»Hören Sie diesen Elenden, mein Herr?« sagte Corneille, »hierin ist alles gesagt, unsere ganze Zeit liegt in diesem Worte.«

»Wie! Und das wäre das Werk jenes Ministers, den man bei Ihnen und selbst bei anderen Völkern den großen nennt? Ich verstehe diesen Mann nicht.«

»Ich will es Ihnen sogleich erklären«, antwortete Corneille, »doch vorerst hören Sie noch das Ende dieses Briefes an, den ich heute empfangen habe. Nähern wir uns dieser Laterne unter der Bildsäule des seligen Königs. Wir sind allein, die Menge ist vorbeigezogen, hören Sie:

. . . Infolge einer jener unvorhergesehenen Umstände, welche die Ausführung der edelsten Unternehmungen verhindern, konnten wir die Herren von Cinq-Mars und von Thou nicht retten. Wir hätten zwar denken sollen, daß sie, durch lange Betrachtungen zum Tode vorbereitet, unsere Hilfe ausschlagen würden; in der Übereilung unserer Maßregeln machten wir auch noch den Fehler, uns allzusehr in der Menge zu zerstreuen, was uns das Mittel benahm, einen plötzlichen Entschluß zu fassen; zu meinem Unglück stand ich hart an dem Schafott und sah unsere unglücklichen Freunde, als sie herankamen; sie unterstützten den armen Abbé Guillet, der bestimmt war, seinen Zögling, den er zur Welt kommen sah, auch sterben zu sehen. Er schluchzte und hatte nur die Kraft, die Hand der beiden Freunde zu küssen. Wir näherten uns alle, bereit, uns beim verabredeten Zeichen auf die Garde zu stürzen; allein ich sah mit Schmerz, wie Herr von Cinq-Mars verächtlich seinen Hut von sich warf. Man hatte unsere Bewegung bemerkt, und die katalonische Garde ward um das Schafott herum verdoppelt. Ich konnte nichts mehr sehen, hörte aber weinen. Nach den drei gewöhnlichen Trompetenstößen verlas der Kriminalgerichtsschreiber von Lyon, zu Pferde und ziemlich nahe beim Schafott, das Todesurteil, dem weder der eine noch der andere mehr Gehör schenkte, denn Herr von Thou sagte während dieser Vorlesung zu seinem Freunde:

›Wohlan, lieber Freund, welcher von uns soll zuerst sterben? Erinnern Sie sich des St. Gervasius und St. Protasius?‹

›Das überlasse ich Ihrem Gutbefinden‹, antwortete Cinq-Mars.

Der zweite Beichtvater ergriff dann das Wort und sagte zu Herrn von Thou:

›Sie sind der Ältere.‹

›Das ist wahr‹, entgegnete Herr von Thou, wandte sich dann an Herrn le Grand und sagte zu diesem: ›Sie sind der Großmütigere und wollen mir gewiß gern den Weg zur Himmelsglorie zeigen.‹

›Ach!‹ entgegnete Cinq-Mars, ›ich habe Ihnen den zum Abgrunde geöffnet; doch stürzen wir uns edelmütig in den Tod, und wir landen in der Glorie und Glückseligkeit des Himmels.‹

Hierauf umarmte er ihn und bestieg mit wunderbarer Leichtigkeit das Schafott. Er machte einen Gang über dasselbe und schaute mit zuversichtlicher Miene, die nicht die mindeste Furcht bezeugte, und in einer ernsten Haltung auf die ganze große Versammlung herunter, machte dann noch einmal die Runde und grüßte das Volk nach allen Seiten hin mit majestätischem und liebreizendem Wesen, ohne sich den Anschein zu geben als erkenne er nur einen von uns; dann fiel er auf die Knie, hob die Augen gen Himmel, betete zu Gott und empfahl sich in seine Hände. Als er das Kruzifix küßte, rief der Pater dem Volke zu, es möchte für ihn beten, und Herr le Grand richtete, die Arme öffnend und das Kruzifix immer in den gefalteten Händen haltend, die nämliche Bitte an das Volk. Dann warf er sich vor dem Block auf die Knie, küßte ihn, legte seinen Hals darauf, richtete die Augen gen Himmel und fragte seinen Beichtvater:

›Mein Vater, lieg' ich so recht?‹

Während man ihm dann die Haare abschnitt, sagte er seufzend und mit zum Himmel gerichteten Blicken:

›Mein Gott, was ist es doch um diese Welt? Mein Gott, nimm meinen Tod als Sühne meiner Sünden an.‹

›Auf was wartest du? Was tust du da?‹ sagte er hernach zu dem Scharfrichter, der neben ihm stand und sein Beil noch nicht aus dem scheußlichen Sacke, den er mit sich gebracht, hervorgeholt hatte. Sein Beichtvater, der sich genähert hatte, gab ihm dann eine Medaille; er aber bat den Pater mit einer unglaublichen Geistesruhe, ihm das Kruzifix vor die Augen, die er nicht verbunden haben wollte, zu halten. Ich erblickte nun die beiden zitternden Hände des alten Abbé Quillet, der das Kruzifix emporhob. In diesem Augenblick stimmte eine helle und reine Stimme, gleich der eines Engels, das Ave maria stella an. Bei dem allgemeinen Schweigen erkannte ich die Stimme des Herrn von Thou, der am Fuße des Schafotts wartete. Das Volk stimmte in den heiligen Gesang ein. Herr von Cinq-Mars umfaßte den Block fester und ich sah ein Beil nach Art der englischen Beile sich erheben. Ein fürchterlicher Schrei des Volkes, der vom Platze, den Fenstern und Türmen widerhallte, benachrichtigte mich, daß es gefallen und der Kopf zur Erde gerollt sei; ich hatte glücklicherweise noch die Kraft, an seine Seele zu denken und ein Gebet für ihn zu beginnen; ich vermischte es mit dem, welches ich unseren unglücklichen und frommen Freund von Thou mit lauter Stimme aussprechen hörte. Ich stand auf den Zehenspitzen und sah, wie er mit einer Schnelligkeit auf das Schafott stürzte, als ob er zu fliegen schien. Der Pater und er sagten die Sterbepsalmen her, er mit der Glut eines Seraphims, als hätte seine Seele den Körper schon der Erde entrückt und dem Himmel zugeführt; dann kniete er nieder, küßte, gleich dem Blute eines Märtyrers, das Blut Cinq-Mars' und ward dann selbst Märtyrer. Ich weiß nicht, ob Gott ihm nicht noch ein besonderes Märtyrertum vorbehalten wollte, denn ich sah mit Grausen, wie der Henker, ohne Zweifel erschrocken über den ersten Streich, den er geführt hatte, ihn oben auf den Kopf traf, wo der unglückliche junge Mann dann seine Hand hinhielt; das Volk stieß ein entsetzliches Gestöhn aus und drang gegen den Henker vor, worauf dieser Elende in seiner Bestürzung einen zweiten Streich führte, der den Verurteilten wieder nur streifte und zu Boden schlug, wo sich der Scharfrichter auf ihn warf, um seinen Kopf vollends abzuschneiden. Ein anderes seltsames Ereignis erschreckte dann das Volk ebensosehr als dieses gräßliche Schauspiel. Der alte Bediente des Herrn von Cinq-Mars hielt dessen Pferd, wie bei einem Leichenzuge; er hatte sich am Fuße des Schafotts hingestellt und schaute starr auf seinen Gebieter bis zu dessen Ende; dann fiel er plötzlich, wie vom nämlichen Beile getroffen, bei dem Schlage, der den Kopf seines Gebieters vom Rumpfe trennte, tot hin.

Ich schreibe Ihnen diesen traurigen umständlichen Bericht an Bord einer Galeere nach Genua, wohin Fontrailles, Gondi, d'Entraigues, Beauvau, du Lude, ich und alle Verschworenen sich geflüchtet haben. Wir gehen nach England, um dort die Zeit abzuwarten, wo Frankreich von einem Tyrannen befreit sein wird, den wir nicht zu stürzen vermochten. Ich verlasse auf immer den Dienst des feigen Prinzen, der uns verraten hat.

Montrésor.

Das also«, fuhr Corneille fort, »war das Ende jener beiden jungen Leute, die Sie noch vor kurzem so mächtig sahen. Ihr letzter Seufzer war der nach der alten Monarchie; hier wird künftig nur noch ein Hof herrschen; die Großen und die SenateMan nannte das Parlament Senat. Es sind noch Briefe mit der Adresse an Herrn von Harlay, Vorsteher des Senates von Paris und Oberrichter des Königreichs, vorhanden. sind vernichtet.«

»Und das ist also dieser angeblich große Mann!« entgegnete Milton, »was wollte er denn tun? Er will also in Zukunft Republiken schaffen, da er die Grundlagen Ihrer Monarchie zerstört?«

»Suchen Sie nicht so weit«, sagte Corneille; »er hat nur bis an sein Lebensende herrschen wollen. Er hat für den Augenblick, nicht aber für die Zukunft gearbeitet; er hat das Werk Ludwigs XI. fortgesetzt, und weder der eine noch der andere wußten, was sie taten.«

Der Engländer begann zu lachen.

»Ich glaubte«, entgegnete er, »ich glaubte das echte Genie ginge einen anderen Gang. Dieser Mann hat erschüttert, was er hätte unterstützen sollen, und man bewundert ihn. Ich beklage Ihre Nation.«

»Beklagen Sie sie nicht«, rief Corneille lebhaft, »ein Mensch geht vorüber, allein ein Volk erneuert sich. Dieses hier, mein Herr, ist mit einer unsterblichen Energie, die nichts auslöschen kann, begabt; seine Einbildungskraft wird es oft irreleiten, allein eine höhere Vernunft wird am Ende immer wieder die Oberhand über seine Verirrungen gewinnen.«

Die beiden jungen und damals schon großen Männer spazierten noch lange unter solchen Gesprächen auf jenem Platze, den die Bildsäule Heinrichs IV. vom Platze Dauphine trennt, und standen dann in der Mitte desselben einen Augenblick still.

»Ja, mein Herr«, fuhr Corneille fort, »ich sehe allabendlich, mit welcher Schnelligkeit ein edelmütiger Gedanke in den Herzen Anklang findet, und allabendlich begebe ich mich, glücklich, das gesehen zu haben, nach Hause. Die Erkenntlichkeit veranlaßt die Armen, sich vor dieser Bildsäule eines guten Königs niederzuwerfen; wer weiß, welch anderes Monument eine andere Leidenschaft neben ihm aufrichten würde? Wer weiß, wohin die Liebe des Ruhms unser Volk führen könnte? Wer weiß, ob sich nicht noch an eben dem Orte, wo wir jetzt stehen, eine dem Orient entrissene Pyramide erheben wird?«

»Das sind die Geheimnisse der Zukunft«, entgegnete Milton, »ich bewundere wie Sie Ihr leidenschaftliches Volk, fürchte aber für dasselbe selbst; ich verstehe es auch schlecht und erkenne seinen Geist nicht, wenn ich sehen muß, wie es an Männer, gleich dem, der es beherrscht, seine Bewunderung verschwendet. Die Liebe zur Macht ist sehr kindisch, und dieser Mann ist davon verzehrt, ohne die Kraft zu haben, sich ihrer ganz zu bemächtigen. Lächerlich! Er ist Tyrann unter einem Gebieter. Dieser Koloß, der nie im Gleichgewicht steht, ist soeben durch den Finger eines Kindes beinahe umgeworfen worden. Ist das Genie? Nein, nein! Wenn er seine hohen Regionen um einer menschlichen Leidenschaft willen zu verlassen geruht, so soll er wenigstens alles mit Gewalt an sich reißen. Da dieser Richelieu nur nach Macht verlangte, weshalb hat er sich ihrer nicht ganz bemächtigt? Ich werde in meinem Lande einen Mann finden, der noch nicht auf den Schauplatz der Welt getreten ist und den ich ebenfalls von solch elendem Ehrgeize beherrscht sehe; allein ich glaube, der wird weiter gehen. Er heißt Cromwell


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