Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Viertes Kapitel. Der Prozeß

Trotzdem damals durch Richelieu das geheime Gerichtsverfahren eingeführt war, wollten die Richter des Pfarrers von Loudun, daß der Gerichtssaal dem Volke offenstehe, was sie auch bald genug zu bereuen hatten. Anfangs glaubten sie zwar, der Menge durch ihre Gaukeleien, die schon ein halbes Jahr lang dauerten, hinlänglich Ehrfurcht eingeflößt zu haben: es war allen an Urbain Grandiers Untergang gelegen, allein ihre Absicht war, die Entrüstung des Volkes so zu erregen, daß sie einigermaßen das Todesurteil, an dem sie arbeiteten und das sie, wie der gute Abbé gegen seinen Zögling erwähnt hatte, auszusprechen den Befehl hatten, sanktionieren würde.

Laubardemont war eine Art Raubvogel, den der Kardinal immer aussandte, wenn seine Rache eines sicheren und prompten Agenten bedurfte, und bei dieser Gelegenheit rechtfertigte jener die Wahl, die man in seiner Person getroffen hatte. Er machte nur den einen Fehler, dem bestehenden Brauch entgegen, das öffentliche Gerichtsverfahren zu gestatten; seine Absicht war, einzuschüchtern und zu erschrecken: er erschreckte und flößte Abscheu ein.

Die Menge, die wir an der Tür gelassen haben, war zwei volle Stunden dort geblieben, während ein dumpfer Schall von Hämmern ankündete, daß man im Innern des großen Saales unbekannte eilige Zurüstungen treffe.

Jetzt öffneten Gerichtsdiener mühsam die schweren, in ihren Angeln krachenden Türen nach der Straße, und das neugierige Volk stürzte hinein.

Der junge Cinq-Mars war mit der zweiten Woge ins Innere gewälzt worden, und stellte sich dann hinter einen dicken Pfeiler des Gebäudes, um zu sehen, ohne gesehen zu werden. Zu seinem Mißvergnügen bemerkte er, daß die Gruppe der schwarzgekleideten Bürger sich in seiner Nähe befand; allein als sich die großen Türen wieder schlossen, herrschte in dem ganzen Teil des Lokals, wo das Volk sich befand, eine solche Dunkelheit, daß man ihn nicht hätte erkennen können. Obwohl es um die Mittagszeit war, sah man den Saal von Fackeln erleuchtet, die jedoch beinahe alle am äußersten Ende aufgestellt waren, wo sich die erhöhten Sitze der Richter in einer Reihe hinter einem langen Tische befanden. Stühle, Tische und die zu denselben hinaufführenden Stufen, alles war mit schwarzem Tuche behangen, was eine Leichenfarbe auf die Gesichter warf. Eine für den Angeklagten bestimmte Bank stand zur Linken, und der über sie ausgebreitete Flor trug in erhabener Stickerei goldene Flammen, um den Grund der Anklage darzustellen.

Urbain Grandier saß hier, umringt von Gerichtsdienern und mit Fesseln an den Händen, welch letztere zwei Mönche mit erheucheltem Entsetzen hielten und sich bei der leisesten seiner Bewegungen stellten, als wichen sie zurück, ganz als ob sie einen Tiger oder einen wütenden Wolf am Seile hätten oder als ob die Flamme ihre Gewänder zu ergreifen drohe. Sie verhinderten auch sorgfältig, daß das Volk sein Gesicht sehen könne.

Herrn von Laubardemonts teilnahmloses Gesicht schien die von ihm erwählten Richter zu überragen; beinahe um einen Kopf größer als diese, saß er noch auf einem höheren Stuhle als sie; jeder seiner glanzlosen und unruhigen Blicke sandte ihnen einen Befehl zu. Er war mit einem langen und weiten roten Gewande bekleidet, ein schwarzes Scheitelkäppchen bedeckte seine Haare; er schien beschäftigt, Papiere durchzulesen, die er den Richtern übergab und bei ihnen zirkulieren ließ.

Die Ankläger, lauter Geistliche, saßen den Richtern zur Rechten, sie waren mit Meßgewand und Stola bekleidet; Pater Lactance machte sich vor allen durch die Einfachheit seiner Kapuzinerkleidung, durch seine Tonsur und seine rauhen Züge bemerklich. Auf einer Tribüne war der Bischof von Poitiers verborgen, andere Tribünen waren voller verschleierter Frauen. Zu den Füßen der Richter regte sich ein gemeiner Haufe von Weibern und Männern aus der Hefe des Volkes, deren Nähe den Ekel der sechs vor ihnen stehenden jungen Nonnen aus dem Kloster der Ursulinerinnen zu erregen schien; es waren die Zeugen.

Der übrige Teil des Saales war mit einer ungeheuren Menge vollgepfropft, und an den Karniesen, Türen und Balken wimmelte es von Neugierigen, die sich, um besser zu sehen, hinaufgewagt hatten. Aber alles war düster, schweigsam und voll eines Entsetzens, das sich den Richtern mitteilte, denn es rührte von der Teilnahme an dem Angeklagten her. Zahlreiche Häscher, mit langen Spießen bewaffnet, bildeten zu dem schaurigen Gemälde einen seiner würdigen Rahmen.

Auf einen Wink des Präsidenten ließ man die Zeugen durch eine schmale Tür abtreten, die ein Gerichtsdiener ihnen öffnete. Man bemerkte, daß die Priorin der Ursulinerinnen im Vorbeigehen an Herrn von Laubardemont hintrat und mit ziemlich lauter Stimme sagte:

»Sie haben mich getäuscht, mein Herr.«

Er blieb unbeweglich und sie entfernte sich.

Tiefe Stille herrschte in der Versammlung.

Mit gemessenem Ernst, aber sichtlicher Verwirrung auftretend, las einer der Richter, namens Houmain, Kriminalrichter aus Orleans, eine Art Anklage vor, allein mit so leiser und so heiserer Stimme, daß es unmöglich war, nur ein Wort davon aufzufassen. Er wurde jedoch deutlicher, als er wollte, daß seine Rede dem Volk zu Herzen gehen sollte. Er teilte die zum Prozeß gehörigen Beweise in zwei Abteilungen, die einen, hervorgehend aus den Aussagen von zweiundsiebzig Zeugen, die anderen und noch sichereren, aus den Beschwörungen der hier anwesenden ehrwürdigen Väter, rief er, sich bekreuzigend.

Die Patres Lactance, Barré und Mignon verneigten sich tief und machten ebenfalls das heilige Zeichen des Kreuzes.

»Ja, meine Herren«, fuhr jener, an die Richter gewandt, fort, »man hat jenen Strauß weißer Rosen aufgefunden, und jenes mit dem Blute des Zauberers unterzeichnete Manuskript, jene Abschrift des Paktes, den er mit Lucifer geschlossen, und den er genötigt war, auf seinem Leib zu tragen, um seine Macht zu bewahren; alles dieses hat man in Ihre Hände gelegt. Schaudernd kann man noch unten am Pergamente die Worte lesen: Das Original befindet sich in der Hölle, im Kabinett Luzifers

Ein schallendes Gelächter, das einer kräftigen Brust anzugehören schien, ließ sich aus der Menge vernehmen. Der Präsident errötete und gab den Gerichtsdienern einen Wink, die jedoch vergeblich den Ruhestörer zu finden suchten. Der Berichterstatter fuhr fort:

»Die Teufel wurden gezwungen, durch den Mund ihrer Opfer ihre Namen zu nennen. Diese Namen sind hier auf diesem Tische niedergelegt; sie heißen Astaroth, aus dem Orden der Seraphine; Easas, Celsus, Acaos, Cedron, Asmodeus, aus dem Orden der Thronen; Alex, Zabulon, Cham, Uriel und Achas aus dem Fürstenstamme usf., denn ihre Zahl war unendlich. Und was ihre Taten betrifft, wer von uns war nicht selbst Zeuge davon?«

Ein anhaltendes Murren ertönte aus der Versammlung, man gebot Schweigen; einige Hellebarden legten sich aus und alles ward wieder still.

»Wir sahen mit Schmerz, wie die junge ehrenwerte Priorin der Ursulinerinnen sich mit eigenen Händen den Busen zerfleischte und im Staub wälzte, die anderen Schwestern, Agnes, Klara usf., die Bescheidenheit ihres Geschlechts vergaßen und sich leidenschaftliche Gebärden oder unmäßiges Lachen erlaubten. Als Gottlose an der Gegenwart der Teufel zweifeln wollten und wir selbst unsere Überzeugung wanken fühlten, weil sie sich weigerten, in Anwesenheit von Unbekannten sich Griechisch oder Arabisch vernehmen zu lassen, haben uns die ehrwürdigen Väter in unserem Glauben wieder bestärkt, indem sie uns zu erklären geruhten, daß, da die Bosheit der Dämonen eine außerordentliche sei, es nicht überraschen müsse, daß sie eine solche Unwissenheit erheuchelt, weil sie weniger mit Fragen belästigt zu sein wünschten, ja, daß sie sogar in ihren Antworten sich mehrere Barbarismen, Sprach- und andere Fehler zuschulden kommen ließen, damit man sie verachten und die heiligen Doktoren sie aus Geringschätzung in Ruhe lassen möchten, wie ferner auch ihr Haß so stark sei, daß, auf dem Punkte, einen ihrer Wunderstreiche auszuführen, sie eine Schnur an die Decke hingen, um so hochwürdige Personen des Betruges verdächtig zu machen, während durch ehrenwerte Zeugen eidlich erhärtet wurde, daß sich nie eine Schnur an diesem Orte befunden habe.

Aber, meine Herren, während der Himmel sich durch seine heiligen Dolmetscher auf seine wunderbare Weise vernehmen ließ, ging uns soeben noch ein anderes Licht auf; im nämlichen Augenblicke, da die Richter in ihre tiefen Betrachtungen versunken waren, ward neben dem Ratssaale ein fürchterlicher Schrei gehört, und als wir uns an Ort und Stelle begaben, fanden wir daselbst den Leichnam einer jungen Dame von hoher Geburt; sie hatte soeben an öffentlichem Orte und unter den Händen des hochwürdigen Pater Mignon, Kanonikus, ihren letzten Seufzer ausgehaucht, und von eben diesem hier anwesenden Pater und mehreren anderen gewichtigen Personen erfuhren wir, daß er infolge der Gerüchte, die sich seit längerer Zeit über die Bewunderung verbreitet, die ihr von Urbain Grandier gezollt wurde, argwöhnend, es möchte diese Jungfrau besessen sein, auf den glücklichen Einfall geriet, einen Versuch mit ihr anzustellen und sie plötzlich mit den Worten anzureden: Soeben ist Grandier vom Leben zum Tode gebracht worden! worauf sie nur einen einzigen, fürchterlichen Schrei ausstieß und durch den Dämon der nötigen Zeit zum Beistande durch unsere heilige Mutter, die katholische Kirche, beraubt, tot hinfiel.«

Ein Murmeln der Entrüstung und das Wort Mörder lief durch die Menge; die Gerichtsdiener forderten mit lauter Stimme zur Ruhe auf, allein der Berichterstatter stellte sie, das Wort von neuem ergreifend, wieder her, oder es siegte vielmehr die allgemeine Neugier.

»Verruchte Tat! meine Herren«, fuhr er fort, indem er seine wankende Kraft durch starke Ausdrücke und Ausrufungen zu ersetzen suchte, »man hat auf ihrem Leibe das hier liegende Werk von Urbain Grandiers Hand gefunden.«

Und mit diesen Worten zog er unter seinen Papieren ein mit Pergament überzogenes Buch hervor.

»Himmel!« rief Urbain auf seiner Bank.

»Gebt auf ihn acht!« riefen die Richter den ihn umringenden Häschern zu.

»Der Teufel will sich ohne Zweifel kundgeben«, sagte Pater Lactance mit düsterer Stimme, »zieht seine Bande stärker an.«

Man gehorchte.

Der Kriminalrichter fuhr fort: »Sie hieß Madelaine de Brou und war neunzehn Jahre alt.«

»Himmel, o Himmel! Das ist zu viel!« schrie der Angeklagte, ohnmächtig zu Boden stürzend.

Die Versammlung ward in verschiedenartigem Sinne bewegt, es entstand ein Augenblick des Tumultes.

»Der Unglückliche! Er liebte sie«, sagten einige.

»Eine so gute Dame!« ließen sich die Frauen vernehmen.

Das Mitleid begann die Oberhand zu gewinnen. Man besprengte Grandier mit kaltem Wasser, ohne ihn hinauszuschaffen und band ihn an das Bänkchen fest. Der Berichterstatter fuhr fort:

»Wir haben den gemessenen Auftrag, den Anfang dieses Buches dem Gerichtshof vorzulesen.« Und er las folgendes:

»Für dich, meine sanfte und schöne Madelaine, und um dein geängstigtes Gewissen in Ruhe zu bringen, habe ich in einem Buche einen einzigen Gedanken meiner Seele besprochen. Sie sind alle dein, himmlisches Mädchen, weil sie immer und immer wieder zu dir, als zum Zwecke meines Daseins, zurückkehrten; allein dieser Gedanke, den ich dir hier gleich einer Blume sende, kommt von dir, lebt nur durch dich und kehrt zu dir allein zurück.

Sei nicht traurig, weil du mich liebst, sei nicht betrübt, weil ich dich anbete. Was tun die Engel des Himmels? Und was ist den Seelen der Seligen verheißen? Sind wir weniger rein als die Engel? Sind unsere Seelen weniger von der Erde abgezogen als nach dem Tode? O, Madelaine, was ist in uns, das den Blick des Herrn betrübe? Sollte es ihn betrüben, wenn wir miteinander beten und, die Stirn im Staube, vor seinen Altären einen baldigen Tod erflehen, der uns in der Zeit unserer Jugend und Liebe erreiche? Sollte es ihn betrübt haben, als wir vorzeiten allein unter den Trauerweiden des Kirchhofes unserem Tode zulächelnd und unser Leben beweinend, ein gemeinschaftliches Grab suchten? Sollte es ihn betrüben, wenn du im Beichtstuhl vor mir niederkniest und du, vor dem allgegenwärtigen Gott dich prüfend, nichts Böses mir zu enthüllen findest? So sehr habe ich deine Seele in den reinen Regionen des Himmels erhalten! Was könnte denn unseren Schöpfer beleidigen? Vielleicht, ja, nur vielleicht, glaub' ich, hat mich ein himmlischer Geist um meine Glückseligkeit beneidet, als ich dich am Ostertage, durch lange Kasteiungen von den wenigen Flecken, welche die Erbsünde in dir zurücklassen konnte, gereinigt vor mir niedergeworfen sah. Wie schön warst du da! Dein Blick suchte deinen Gott in dem Himmel, und meine zitternde Hand brachte ihn auf deine reinen Lippen, welche nie eine menschliche Lippe berühren durfte. Himmlisches Wesen! Ich allein durfte die Geheimnisse des Herrn oder vielmehr das einzige Geheimnis der Reinheit deiner Seele teilen: ich vereinigte dich mit deinem Schöpfer, der soeben auch in meine Brust herabgestiegen war. Unaussprechlicher Hymen, dessen Priester der Ewige selbst war, du allein warst zwischen der Jungfrau und dem Priester gestattet; die einzige Wollust eines jeden von uns war, eine Ewigkeit von Glück für das andere beginnen zu sehen und miteinander die Düfte des Himmels zu atmen, das Ohr schon seinen Harmonien zu leihen und überzeugt zu sein, daß unsere, Gott und uns allein entschleierten Seelen würdig waren, ihn gemeinsam anzubeten.

Welcher Skrupel drückt deine Seele noch, o meine Schwester? Du glaubst doch nicht, daß ich deiner Tugend eine allzu große Verehrung geweiht habe? Fürchtest du, eine so reine Bewunderung habe mich je von der des Herrn abwendig gemacht? . . .«

Houmain hatte kaum diese Stelle gelesen, als die Tür, durch welche die Zeugen abgetreten waren, plötzlich geöffnet wurde. Beunruhigt dadurch, flüsterten sich die Richter in die Ohren. In seiner Ungewißheit befragte Laubardemont die Patres durch Winke, ob sich wohl auf ihren Befehl eine Szene ereignen werde, da sie aber in einiger Entfernung von ihm saßen und selbst überrascht waren, konnten sie ihm nicht verständlich machen, daß diese Unterbrechung nicht durch sie hervorgerufen worden sei. Überdies sah man noch, bevor sie ihre Blicke ausgetauscht hatten, zum großen Entsetzen der Versammlung drei Frauen in bloßem Hemde, barfuß, mit dem Strick um den Hals und einer Wachskerze in der Hand, bis in die Mitte der Estrade vortreten. Es war die Priorin, begleitet von den Schwestern Agnes und Klara. Die beiden letzteren weinten, die Priorin war sehr blaß, allein ihre Haltung zuversichtlich und ihre Blicke fest und kühn; sie fiel auf die Knie, ihre Begleiterinnen ahmten ihr nach, jedermann war so bestürzt, daß niemand daran dachte, sie aufzuhalten, und so sprach sie mit klarer und fester Stimme, die vernehmlich in alle Ecken des Saales drang, die Worte:

»Im Namen der hochseligen Dreieinigkeit bitte ich, Johanna von Belfiel, Tochter des Barons von Cose, ich, die unwürdige Priorin des Klosters der Ursulinerinnen in Loudun, Gott und die Menschen um Verzeihung für das Verbrechen, das ich begangen habe, indem ich den unschuldigen Urbain Grandier einer Missetat anklagte. Mein Besessensein war fälschlich, meine Worte waren eingelernte, die Gewissensbisse erdrücken mich . . .«

»Bravo!« schrie es auf den Tribünen und im Volke unter Händeklatschen. Die Richter erhoben sich; die Gerichtsdiener schauten unschlüssig den Präsidenten an; er zitterte am ganzen Leibe, blieb aber unbeweglich.

»Jedermann schweige«, sagte er mit verdrießlicher Stimme, »ihr Häscher tut eure Pflicht!«

Dieser Mann fühlte sich von einer so mächtigen Hand unterstützt, daß nichts ihn erschrecken konnte, denn der Gedanke an den Himmel war ihm nie eingefallen.

»Meine Väter, was denkt ihr dazu?« sagte er, den Mönchen einen Wink gebend.

»Daß der Teufel seinen Freund retten will . . . Obmutesce, Satanas!« schrie Pater Lactance mit fürchterlicher Stimme, indem er sich stellte, als beschwöre er den Teufel der Priorin.

Nie brachte Feuer bei Pulver eine schnellere Wirkung hervor als die dieses einzigen Wortes. Johanna de Belfiel sprang plötzlich auf, sie sprang auf in ihrer ganzen zwanzigjährigen Schönheit, die durch ihre schreckliche Nacktheit nur noch gehoben ward; man hätte sie für eine der Hölle entwischte Seele halten können, die ihrem Verführer erscheint; sie heftete ihre schwarzen Augen auf die Mönche, Lactance schlug die seinen nieder, sie trat mit ihren bloßen Füßen, unter deren Wucht das Gerüst erdröhnte, zwei Schritte gegen ihn vor; die Kerze erschien in ihrer Hand gleich dem Richtschwert des Engels.

»Schweige, Betrüger!« sagte sie mit Energie, »du, du bist der Teufel, von dem ich besessen war; du hast mich betrogen, man versprach mir, er solle nicht verurteilt werden; heute erst erfahre ich, daß er es doch ist, seit heute sehe ich seinen Tod voraus, jetzt werde ich reden.«

»Weib, der Teufel verblendet dich.«

»Sagt lieber, die Reue erleuchte mich; ihr Mädchen, die ihr ebenso unglücklich seid wie ich, steht auf und redet; ist er nicht unschuldig?«

»Das schwören wir!« sagten noch kniend und in Tränen zerfließend die beiden jungen Laienschwestern, die noch von keinem so starken Entschlusse wie die Priorin beseelt waren. Ja, Agnes hatte kaum das Wort ausgesprochen, als sie, dem Volke zugewandt, schrie:

»Kommt mir zu Hilfe, sie werden mich bestrafen, sie werden mich ums Leben bringen.«

Und ihre Gefährtin nachschleppend, stürzte sie sich unter die Menge, die beide mit Liebe empfing; tausend Stimmen schwuren ihnen Schutz zu, Verwünschungen erhoben sich, die Männer schlugen mit ihren Stöcken auf den Boden; man wagte nicht, das Volk zu verhindern, sie von Arm zu Arm auf die Straße zu bringen.

Während dieses neuen Auftrittes flüsterten die bestürzten Richter wieder untereinander, Laubardemonts Blicke richteten sich auf die Häscher, denen er die Punkte zeigte, auf die sie ihre meiste Aufmerksamkeit lenken sollten, und oft wies sein Finger auf die schwarzgekleidete Gruppe hin. Die Ankläger schauten auf die Tribüne des Bischofs von Poitiers, fanden aber keinen Ausdruck auf seinem teilnahmlosen Gesichte. Es war einer jener Greise, deren sich der Tod zehn Jahre vor der gänzlichen Aufhörung aller Bewegungen in ihnen bemächtigt; sein Blick schien durch einen Halbschlummer umschleiert; sein aufgesperrter Mund murmelte einige vage Worte angewöhnter Frömmigkeit, die keinen Sinn hatten; so viel Einsicht war ihm jedoch geblieben, den gewaltigsten unter den Menschen zu erkennen und ihm zu gehorchen; ohne nur einen Augenblick zu denken, um welchen Preis. Er hatte daher das Urteil der Doktoren von Sorbonne, welche die Nonnen für besessen erklärten, unterschrieben, und ließ sich nicht einfallen, daß die Folge davon Urbains Tod sein würde; das übrige schien ihm eine jener mehr oder minder langen Zeremonien zu sein, denen er, gewöhnt, sie oft zu sehen und mitten unter ihnen sogar als unerläßliches Glied und Teil derselben zu leben, keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Er gab daher bei dieser Gelegenheit kein Lebenszeichen, sondern behauptete nur seine vollkommen gleichmütige und nichtssagende Miene.

Pater Lactance jedoch, der einen Augenblick Muße gehabt hatte, sich von diesem heftigen Angriff zu erholen, wandte sich gegen den Präsidenten und sagte:

»Da sendet uns ja der Himmel einen mehr als deutlichen Beweis ihres Besessenseins, denn bisher hatte die Frau Priorin die Bescheidenheit und Strenge ihrer Ordensregeln nie vergessen.«

»Ach, daß die ganze Welt mich hier sehen könnte!« sagte Johanna von Belfiel immer mit derselben Festigkeit. »Ich kann auf Erden nicht genug erniedrigt werden, und der Himmel wird mich zurückstoßen, denn ich war eure Mitschuldige.«

Von Laubardemonts Stirn rann der Schweiß in großen Tropfen. Er suchte sich indes zu fassen und sagte:

»Welch abgeschmacktes Märchen! Was brachte Sie nur hierzu, meine Schwester?«

Das junge Mädchen raffte seine ganze Kraft zusammen, legte die Hand aufs Herz, als hätte es sich dasselbe aus dem Leibe reißen wollen, schaute Urbain Grandier an und antwortete mit einer Grabesstimme:

»Die Liebe!«

Ein Schauer überlief die Versammlung. Urbain, der seit seiner Ohnmacht gesenkten Hauptes und wie tot dagesessen hatte, schlug gewaltsam die Augen zu ihr auf und kehrte zu völligem Bewußtsein zurück, um einen neuen Schmerz zu erleiden. Die junge Büßerin fuhr fort:

»Ja, die Liebe, die er von sich gewiesen, die er nie recht gekannt hat, die Liebe, die seine Reden mir einflößten, die meine Augen aus seinen himmlischen Blicken geschöpft, die seine Ermahnungen selbst nur noch vergrößert haben. Ja, Urbain ist rein wie ein Engel, aber gut wie der Mann, der geliebt hat; ich wußte nicht, daß er liebte!

Ihr«, sagte sie dann, auf Lactance, Barré und Mignon deutend, lebhafter und von dem Akzent der Leidenschaft zu dem der Entrüstung übergehend, »ihr habt mir gesagt, daß er liebe, ihr, die ihr mich diesen Morgen allzu schrecklich gerächt, indem ihr mit einem Worte meine Nebenbuhlerin tötetet! Ach, ich beabsichtigte nur, sie zu trennen. Es war ein Verbrechen; allein ich bin mütterlicherseits eine Italienerin; ich glühte, ich war eifersüchtig, ihr erlaubtet mir, Urbain zu sehen, zum Freunde zu haben und ihn täglich zu sehen . . .« Sie hielt einen Augenblick inne, dann schrie sie: »Volk, er ist unschuldig! Märtyrer, verzeihe mir, sieh' mich zu deinen Füßen.«

Sie stürzte zu Urbains Füßen, und Ströme von Tränen erleichterten endlich ihre Brust.

Urbain erhob seine eng gefesselten Hände, erteilte ihr seinen Segen und sagte mit milder, aber schwacher Stimme:

»Geh', meine Schwester, ich verzeihe dir im Namen desjenigen, dessen Angesicht ich bald schauen werde; ich habe dir früher gesagt, und du siehst es jetzt ein, daß die Leidenschaften viel Unheil stiften, wenn man sie nicht dem Himmel zuzuwenden sucht.«

Zum zweitenmal überzog eine glühende Röte Laubardemonts Stirn.

»Unglücklicher!« sagte er, »du gebrauchst noch die Worte der Kirche.«

»Ich habe ihren Schoß nie verlassen«, entgegnete Urbain.

»Man bringe das Mädchen weg«, befahl der Präsident.

Als die Häscher dem Befehl Folge leisten wollten, gewahrten sie, daß die Nonne den um ihren Hals hängenden Strick so fest zugezogen hatte, daß sie ganz violett und beinahe ohne Leben war. Vor Entsetzen verließen die Frauen alle die Versammlung, mehrere wurden sogar ohnmächtig weggetragen; allein der Saal blieb nichtsdestoweniger voll, die Reihen schlossen sich dichter, und die auf der Straße zurückgebliebenen Männer strömten herein.

Die bestürzten Richter erhoben sich, und der Präsident versuchte, den Saal leeren zu lassen; allein das Volk verharrte in einer schreckhaften Unbeweglichkeit; die Häscher waren nicht mehr zahlreich genug, man mußte nachgeben, und Laubardemont erklärte mit bewegter Stimme, daß der Rat sich für eine halbe Stunde zurückziehen werde. Er hob die Sitzung auf. Das Publikum blieb in düsterer Stimmung stehen.



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