Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Einundzwanzigstes Kapitel. Der Beichtstuhl

Am Tage nach der Versammlung, die bei Marion de Lorme stattgefunden hatte, lag starker Schnee auf den Dächern von Paris und schmolz in seinen Straßen und seinen breiten Bächen, wo er in graulichen, durch die Räder einiger Karren gefurchten Haufen aufgeschichtet lag.

Es war acht Uhr abends und die Nacht dunkel; die lärmende Stadt war unter dem dichten Teppich, den der Winter über sie ausgeworfen hatte, in Schweigen begraben. Er verhinderte, das Gerassel der Räder auf den Steinen und das Getrappel der Pferde oder die Schritte der Menschen zu hören.

In einer engen Straße, die sich um die alte Kirche von Saint-Eustache schlängelt, spazierte langsam ein in seinen Mantel gehüllter Mann und suchte in der Dunkelheit zu unterscheiden, ob nichts an der Biegung des Platzes erscheine; zuweilen setzte er sich auf einen der Wehrsteine der Kirche, indem er sich unter jenen horizontalen Heiligenstatuen, die aus dem Dache dieses Tempels hervorragen und sich beinahe über der ganzen Breite des Gäßchens gleich Raubvögeln ausdehnen, die im Begriff, auf ihr Opfer herabzuschießen, ihre Flügel zurückgebogen haben, vor dem Schneefall in Sicherheit stellte. Oft auch tat der Greis seinen Mantel voneinander und schlug schnell seine Arme gegen die Brust, kreuzte sie und streckte sie dann aus und schlug sie wieder zusammen, um sich zu wärmen, oder blies in seine Finger, die ein Paar bis an die Ellbogen reichenden büffelledernen Handschuhe schlecht vor Kälte schützten. Endlich bemerkte er einen kleinen Schatten, der sich aus dem Schnee hervorhob und an der Mauer hinschlüpfte.

»Ach, Santa-Maria! Was für häzlich Land, diz Land im Nord!« sagte eine zarte, zitternde Stimme. »Ach, die Erzogin di Mantua! Wie gern wär iz nog dort, mein alter Grandchamp!«

»Bst, bst! nicht so laut gesprochen«, antwortete barsch der alte Bediente, »die Mauern von Paris haben Kardinalsohren, und besonders die Kirchen. Ist Ihre Gebieterin drinnen? Mein Herr erwartete sie an der Tür.«

»Ja, ja, sie ist in die Kirche gegangen.«

»Schweigen Sie«, sagte Grandchamp, »der Schall der Turmuhr tönt dumpf, das ist ein böses Zeichen.«

»Die Uhr hat die Stunde einer Zusammenkunft geschlagen.«

»Für mich schlägt sie die Stunde einer Todesqual. Doch schweigen Sie, Laura, da kommen drei Männer in Mänteln vorüber!«

Sie ließen die drei Männer an sich vorbeigehen. Grandchamp folgte ihnen, vergewisserte sich des Weges, den sie einschlugen, und kam dann zurück. Tief seufzend setzte er sich wieder.

»Der Schnee ist kalt, Laura, und ich bin ein alter Mann. Herr le Grand hätte wohl einen anderen seiner Diener wählen können, um als Schildwache hier zu bleiben, wie ich muß, während er der Liebe pflegt. Liebesbriefchen und Bänderchen und Bildnisse und andere dergleichen Narreteien herumzutragen sind Dinge für Sie; was aber mich betrifft, so dürfte man mich mit etwas mehr Rücksicht behandeln! Der Marschall hätte das allerdings nicht getan. Die alten Bedienten halten ein Haus in Ehren.«

»Ist Ihr Herr schon lange da, caro amico

»Ei, cara! caro! lassen Sie mich in Ruhe. Schon eine Stunde lang mußten wir beinahe erfrieren, als ihr beide endlich gekommen seid; ich hätte Zeit gehabt, drei türkische Pfeifen zu rauchen. Tun Sie, was Ihnen zukommt, und sehen Sie bei den anderen Kirchtüren nach, ob nicht jemand Verdächtiges herumstreicht; da nur zwei Schildwachen vorhanden sind, müssen diese brav herumlaufen und ein achtsames Auge auf alles haben.«

»Ah, Signor Gesu! Niemand haben, mit dem man ein freundliches Wort reden kann, wenn es so kalt ist! Und meine arme Gebieterin! Vom Hotel Nevers zu Fuß hierher kommen. Ach, Amore! qui regna amoreLiebe! Hier ist Liebe im Spiel!!

»Marsch, Italienerin, mach' rechts in die Flank', sag' ich dir, so höre ich dich mit deiner musizierenden Stimme nicht mehr.«

»Ach, Jesus! ist das eine grobe Stimme, lieber Grandchamp! Sie waren in Chaumont in der Turéna viel liebenswürdiger, als Sie mit mir von den schwarzen occhi mieiAugen mein. sprachen.

»Noch einmal, schweig', Plappermaul, dein Italienisch ist nur gut für Possenreißer und Seiltänzer, um die gelehrten Hunde zu amüsieren.«

»Ach! Italia mia! Grandchamp; hören Sie mir zu und Sie werden die Sprache der Gottheit vernehmen. Wären Sie nur ein galantuomoEdelmann. wie der, welcher das für eine Laura gleich mir gemacht hat! . . .«

Und sie begann halblaut zu singen:

»Lieti fiori e felici, e ben nate erbe
Che Madonna pensando premer sole;
Piaggia ch'ascolti su dolci parole
E del bel piede alcun vestigio serbe
.Glückselige Blumen, die zu vielen Malen
Die Herrin wandelnd beugt, o lichte Sprossen!
Ihr Höhn, wo sich ihr süßes Wort ergossen,
Des schönen Fußes Spuren noch sich malen!
«

Der alte Soldat war wenig an die Stimme junger Mädchen gewöhnt, und wenn überhaupt ein weibliches Wesen ihn anredete, so schwankte der Ton, den er bei der Antwort annahm, stets zwischen linkischer Höflichkeit und übler Laune. Dennoch schien er diesmal dem italienischen Lied zuliebe gerührt zu werden und schob seinen Schnurrbart in die Höhe, was bei ihm ein Zeichen der Verlegenheit und eine Nothilfe war; er ließ sogar einen heiseren, dem Lachen ziemlich ähnlichen Ton hören und sagte:

»Mordieu! das ist ziemlich hübsch! Das erinnert mich an die Belagerung von Casal; doch schweige, Kleine, ich habe den Abbé Quillet noch nicht kommen hören; das beunruhigt mich; er muß vor unseren beiden Leuten angekommen sein und schon lange . . .«

Laura, die sich fürchtete, allein auf den St. Eustacheplatz geschickt zu werden, entgegnete ihm, sie sei überzeugt, daß der Abbé soeben hineingegangen sei und fuhr fort:

»Ombrose selve, ove percote il sole
Che vi fa co' suoi raggi alte e superbe
.Du Schattenwald, von Sonnenlicht umflossen,
Das hehr und stolz dich macht mit seinen Strahlen.
            Petrarca.
«

»Hm!« machte brummend der gute Alte, »meine Füße stecken im Schnee und im Ohr hab' ich die Dachtraufe; auf dem Kopf sitzt die Kälte und im Herzen der Tod, und du singst mir nur von Veilchen, von der Sonne, vom Grün und der Liebe; schweig!«

Und sich weiter unter die Gewölbbogen der Kirche zurückziehend, ließ er sein altes Haupt und seine weißen Haare auf beide Hände fallen und blieb nachdenklich und unbeweglich. Laura wagte nicht, ihn wieder anzureden.

Während ihre Kammerfrau sich zu Grandchamp begeben, hatte die junge und zitternde Marie mit schüchterner Hand die Flügeltür der Kirche aufgestoßen und dort Cinq-Mars angetroffen, der sie stehend und in einer Verkleidung mit Ungeduld erwartete. Kaum hatte sie ihn erkannt, schritt sie schnell vorwärts, indem sie ihre Samtmaske vor ihr Gesicht hielt, und eilte, sich in einen Beichtstuhl zu flüchten, während Henri sorgfältig die Kirchentür, durch die er eingetreten war, abschloß. Er vergewisserte sich, daß man sie nicht von außen öffnen könnte und kniete dann wie gewöhnlich an dem Ort der Buße neben ihr hin.

Als er eine Stunde vor ihr mit seinem alten Diener hier angekommen war, hatte er diese Tür offen gefunden, was ihm laut Verabredung als sicherstes Zeichen galt, daß der Abbe Quillet, sein Erzieher, ihn an seinem gewöhnlichen Orte erwarte. Seine Sorgfalt, jeder Überraschung vorzugreifen, gebot ihm, diesen Eingang bis zu Maries Ankunft selbst zu bewachen, und obwohl er sich der Genauigkeit seines guten Abbé sehr freute, wollte er seinen Posten doch nicht verlassen, um sich zu ihm hinzubegeben und ihm zu danken. Er war ihm ein zweiter Vater und besaß demzufolge einigen Einfluß auf ihn, und Cinq-Mars behandelte deshalb auch den guten Priester ohne viele Umstände.

Die alte Pfarrkirche von Saint-Eustache war in Dunkelheit gehüllt, neben dem ewigen Lichte brannten nur noch vier gelbe Wachskerzen, welche, an den Hauptpfeilern über den Weihkesseln aufgesteckt, einen rötlichen Schein auf den blauen und schwarzen Marmor der öden Basilika warfen. Das Licht drang kaum in die tieferliegenden Orte der Seitenflügel des gottgeweihten Gebäudes. In einer dieser Kapellen, der dunkelsten, befand sich der Beichtstuhl, dessen eisernes, ziemlich hohes und mit dicken Brettern abgeschlagenes Gitter nur die kleine Decke und das hölzerne Kreuz sehen ließ. Hier knieten zu jeder der beiden Seiten Cinq-Mars und Marie von Mantua; sie sahen sich kaum und fanden, daß der seiner Gewohnheit nach zwischen ihnen sitzende Abbé Quillet schon lange auf sie gewartet haben mußte. Durch das kleine Gitterwerk konnten sie den Schatten seiner Priesterkleidung sehen.

Henri d'Effiat hatte sich langsam genähert; er kam sozusagen sein Schicksal vollends zu bestimmen und zu bahnen. Nicht vor seinem König sollte er jetzt erscheinen, sondern vor einer höheren Macht, vor der, für welche er sein ungeheures Werk unternommen hatte. Er wollte ihre Treue erproben und zitterte.

Er bebte, als er seine junge Verlobte sich gegenüber knien sah; er bebte, weil er sich beim Anblick dieses Engels nicht enthalten konnte, zu fühlen, was für ein Glück er verlieren könnte; er wagte nicht, zuerst zu sprechen, und betrachtete noch einen Augenblick ihren aus dem Halbdunkel hervortretenden Kopf, diesen jungen Kopf, auf dem alle seine Hoffnungen ruhten. Trotz seiner Liebe konnte er, so oft er sie sah, eines gewissen Schreckens nicht Herr werden für ein Kind, dessen Leidenschaft nur ein schwacher Widerschein der seinigen war, und das vielleicht die Opfer alle nicht hinlänglich schätzte, die er ihm gebracht hatte, so viel unternommen zu haben. Um ihretwillen hatte er seinen Charakter schmiegsam zu allen Gefälligkeiten eines Höflings gemacht, sich zu den Intrigen und Leiden des Ehrgeizes verdammt und in die tiefen Berechnungen, die verbrecherischen Entwürfe, die trüben und gewalttätigen Arbeiten eines Verschwörers gestürzt.

Bis dahin hatte sie bei ihren heimlichen und keuschen Zusammenkünften jede Nachricht von Fortschritten in seiner Laufbahn mit der Freude und dem Entzücken eines Kindes aufgenommen, ohne jedoch das Ermüdende eines jeden der so schwierigen Schritte zu Ehrenstellen zu würdigen, und ihn mit unschuldiger Naivität stets fragend, wann er endlich einmal Connetable werden würde und sie sich verheiraten könnte, als ob sie gefragt hätte, wann er zum Karussell kommen würde und ob das Wetter schön sei. Bisher hatte er über diese Fragen und diese Unwissenheit gelächelt, die bei einem jungen achtzehnjährigen, für einen Thron geborenen Mädchen verzeihlich waren, das sozusagen nur an natürliche Größe, von der es sich bei seinem Werden schon umringt sah, gewöhnt war; allein jetzt stellte er ernstere Betrachtungen über diesen Charakter an, und als er, der kurz zuvor die imposante Versammlung der Verschwörer, der Repräsentanten aller Klassen des Königreichs, verlassen hatte und in dessen Ohr noch die männlichen Stimmen klangen, welche geschworen hatten, einen weit sich verzweigenden Krieg zu unternehmen, die ersten Worts derjenigen hörte, um deretwillen solch ein Krieg unternommen wurde, fürchtete er zum erstenmal, diese Art Unschuld möchte Leichtsinn sein und nicht dem Herzen entstammen; er beschloß daher, dasselbe zu erforschen.

»Gott, wie fürchte ich mich, Henri!« sagte sie, in den Beichtstuhl tretend, »Sie lassen mich ohne Wachen, ohne Wagen hierherkommen; ich zittere immer, von meinen Leuten gesehen zu werden, wenn ich das Hotel Revers verlasse. Muß ich mich denn noch lange gleich einer Schuldigen verbergen! Die Königin war nicht zufrieden, als ich ihr unser Verhältnis gestanden, und so oft sie mit mir darüber spricht, geschieht es mit jener strengen Miene, die Sie an ihr kennen und die mich immer zum Weinen bringt; ich fürchte mich sehr.«

Sie schwieg, und Cinq-Mars antwortete nur durch einen tiefen Seufzer.

»Wie! Sie sagen nichts zu mir«, hob sie wieder an.

»Und das ist Ihre ganze Furcht?« entgegnete Cinq-Mars mit Bitterkeit.

»Ich sollte wohl noch größere haben? O, mein Freund, in welchem Tone, mit welcher Stimme sprechen Sie zu mir! Sind Sie böse, daß ich zu spät gekommen bin?«

»Zu früh, Madame, viel zu früh sind Sie gekommen für die Dinge, die Sie hören müssen, denn ich sehe Sie weit davon entfernt.«

Betrübt über den düsteren und bitteren Ton seiner Stimme begann Marie zu weinen und sagte:

»Ach, mein Gott, was hab' ich denn getan, daß Sie mich Madame nennen und mich so hart behandeln?«

»Ach, beruhigen Sie sich«, entgegnete Cinq-Mars, zwar immer mit Ironie. »In der Tat, Sie sind nicht strafbar, aber ich bin es, ich bin es allein, jedoch nicht gegen Sie, sondern um Ihretwillen.«

»Haben Sie denn Böses getan? Haben Sie irgend jemandes Tod befohlen? O, nein, das haben Sie nicht, ich bin es überzeugt, Sie sind ja so gut!«

»Wie!« sagte Cinq-Mars, »sind Sie nicht bei meinen Plänen beteiligt? Sollte ich Ihre Gedanken schlecht verstanden haben, als Sie mich bei der Königin so bedeutungsvoll anblickten? Weiß ich nicht mehr in Ihren Augen zu lesen? War das Feuer, das dieselben beseelte, etwa eine so große Liebe zu Richelieu? Was ist aus jener Bewunderung geworden, die Sie dem versprachen, der wagen würde, dem Könige alles zu sagen. Ist das alles Lüge?«

Marie zerfloß in Tränen.

»Sie reden immer mit erzwungenem Wesen zu mir«, entgegnete sie ihm, »und das hab' ich nicht verdient. Glauben Sie denn, ich vergesse jene schreckliche Verschwörung, weil ich nicht davon spreche? Finden Sie nicht, ich sei deshalb schon unglücklich genug? Müssen Sie durchaus Tränen bei mir sehen? Da sind sie. Ich vergieße deren genug insgeheim, Henri; glauben Sie mir, wenn ich bei unseren letzten Zusammenkünften vermieden habe, diesen fürchterlichen Gegenstand zu erwähnen, so geschah es nur aus Furcht, zu viel davon zu erfahren; kann ich einen anderen Gedanken haben, als den an Ihre Gefahren? Weiß ich nicht zu gut, daß Sie sich um meinetwillen darein stürzen? Ach, habe ich nicht, während Sie für mich kämpfen, nicht minder peinliche Angriffe zu bestehen? Glücklicher als ich haben Sie nur gegen das Verhaßte zu kämpfen, während ich mit der Freundschaft einen schweren Stand habe; der Kardinal wird Ihnen Männer und Waffen gegenüberstellen, allein die Königin, die sanfte Anna von Österreich, wendet nur zärtliche Ratschläge, Liebkosungen und zuweilen Tränen an.«

»Ein rührender und unbesieglicher Zwang«, sagte Cinq-Mars mit Bitterkeit, »um Sie auf einen Thron zu bringen. Ich begreife, daß Sie gegen solche Verlockungen einiger Anstrengung bedürfen; doch vorerst, Madame, ist es wesentlich, Sie Ihrer Gelübde zu entbinden.«

»Ach, großer Gott! Was hat sich denn zwischen uns gestellt?«

»Über uns und zwischen uns Gott«, antwortete Henri mit ernster Stimme, »der König hat mich betrogen.«

Der Abbé machte eine Bewegung im Beichtstuhl.

Marie rief:

»Das ahnte ich; da haben wir das Unglück, das ich vorausgesehen habe. Bin ich die Veranlassung davon?«

»Er hat mich betrogen, indem er mir die Hand drückte«, fuhr Cinq-Mars fort, »er hat mich auf den Rat des schurkischen Joseph verraten, den zu erdolchen man mir das Anerbieten machte.«

Der Abbé machte eine Bewegung des Schreckens, wodurch sich die Tür des Beichtstuhles halb öffnete.

»Ach, mein Vater, fürchten Sie nichts«, fuhr Henri d'Effiat fort, »Ihr Zögling wird nie solche Streiche führen. Die, welche ich vorbereite, werden von weitem gehört und vom hellen Tage beleuchtet werden; es bleibt mir aber noch eine Pflicht, eine heilige Pflicht zu erfüllen; sehen Sie Ihr Kind, das sich hier vor Ihnen opfert. Ach, ich habe nicht lange für das Glück gelebt und zerstöre es vielleicht jetzt durch Ihre Hand, durch die nämliche, die es geweiht hatte.«

Mit diesen Worten öffnete er das Gitter, das ihn von seinem alten Erzieher trennte, der bisher ein überraschendes Schweigen beobachtet hatte und seine Priestermütze über die Stirn schob.

»Geben Sie«, sagte Cinq-Mars mit etwas minder fester Stimme zu ihm, »geben Sie diesen Trauring der Herzogin von Mantua zurück; ich kann ihn nicht behalten, wenn sie ihn mir nicht zum zweitenmal gibt, denn ich bin nicht mehr derselbe, den sie zu heiraten versprach.«

Der Priester ergriff rasch den Ring und schob ihn durch eines der Vierecke des gegenüber befindlichen Gitters; dieser Beweis von Gleichgültigkeit setzte Cinq-Mars in Verwunderung.

»Wie, mein Vater«, sagte er, »auch Sie haben sich verändert?«

Marie weinte jedoch nicht mehr, sondern erhob ihre engelgleiche Stimme, die wie der sanfteste Klang der Orgel längs der Säulenhallen des Gotteshauses hin ein leises Echo weckte und sagte:

»O, mein Freund, seien Sie nicht mehr zornig, ich verstehe Sie nicht; können wir brechen, was Gott zusammengefügt hat, und sollte ich imstande sein, Sie zu verlassen, wenn ich Sie unglücklich sehe! Wenn der König Sie nicht mehr liebt, so dürfen Sie doch wenigstens überzeugt sein, daß er Ihnen kein Leid zufügen will, da er dem Kardinal, den er nie geliebt hat, niemals Leides tat. Halten Sie sich etwa für verloren, weil er sich vielleicht von seinem alten Diener nicht trennen wollte? Wohlan, so harren wir, bis seine Freundschaft zu Ihnen zurückkehrt; vergessen Sie jene Verschwörer, die mich mit Schrecken erfüllen. Haben diese keine Hoffnung mehr, so danke ich Gott, da ich doch nicht länger für Sie zu fürchten brauche. Was haben Sie denn, mein Freund? Und weshalb uns unnötigerweise betrüben? Die Königin liebt uns, und wir sind beide noch sehr jung, warten wir daher. Die Zukunft zeigt sich uns schön, weil wir vereint und unserer gewiß sind. Erzählen Sie mir, was der König in Chambord zu Ihnen sagte. Ich habe Sie lange mit den Augen verfolgt. Mein Gott! wie endete diese Jagdpartie so traurig für mich!«

»Er hat mich verraten, sag' ich Ihnen!« antwortete Cinq-Mars, »und wer hätte das glauben können, als Sie sahen, wie er uns die Hand drückte, wie er sich von seinem Bruder an mich und auch den Herzog von Bouillon wandte und er sich dann von den geringsten Umständen der Verschwörung unterrichten ließ, als man ihm sogar den Tag bezeichnen mußte, wo Richelieu in Lyon verhaftet werden sollte, als er selbst den Ort seiner Verbannung bestimmte (sie wollten seinen Tod, allein das Andenken meines Vaters veranlaßte mich, um sein Leben zu bitten)! Der König sagte, er wolle in Perpignan alles selbst leiten, und doch kam Joseph, jener nichtswürdige Spion, zuvor aus dem Lilienkabinett von ihm! O, Marie, soll ich es Ihnen gestehen, daß in jenem Augenblick, wo ich dieses erfuhr, meine Seele einen furchtbaren Stoß erlitt? Ich zweifelte an allem, und es schien mir fast, der Mittelpunkt der Welt wanke, als ich sah, wie alle Wahrheit aus dem Herzen eines Königs gewichen war. Ich sah unser ganzes Gebäude zusammenstürzen; noch eine Stunde und die Verschwörung scheiterte, ich verlor Sie für immer; doch ein Mittel blieb mir, und das habe ich angewendet.«

»Und welches?« fragte Marie.

»Der Vertrag mit Spanien lag in meiner Hand, ich hab' ihn unterzeichnet.«

»O Himmel! Zerreißen Sie ihn.«

»Er ist schon abgegangen.«

»Wer ist der Überbringer.«

»Fontrailles.«

»Rufen Sie ihn zurück.«

»Er muß schon den Paß von Oleron überschritten haben«, sagte Cinq-Mars aufstehend. »Alles ist in Madrid, alles in Sedan bereit; Armeen erwarten mich, Marie, Armeen! Und Richelieu steht in ihrer Mitte! Er schwankt, es bedarf nur noch eines einzigen Schlages, um ihn zu stürzen, und Sie sind mein, gehören dem triumphierenden Cinq-Mars auf immer!«

»Dem rebellischen Cinq-Mars!« entgegnete sie seufzend.

»Jawohl, ja! dem Rebellen, aber nicht mehr Günstling. Der Rebell, der Verbrecher verdient das Schafott, ich weiß es«, rief der junge leidenschaftliche Mann, wieder auf seine Knie fallend, »aber ich bin ein Rebell aus Liebe, Rebell um Ihretwillen, die mein Schwert endlich vollends erobern soll.«

»Ach, ist das Schwert, das man in das Blut der Seinigen taucht, nicht ein Dolch?«

»Halten Sie ein, aus Erbarmen, Marie; Könige sollen mich aufgeben, Krieger mich im Stiche lassen, ich werde darum nur noch fester sein; aber ein Wort von Ihnen vermag mich zu besiegen, und noch einmal, die Zeit des Überlegens ist für mich vorbei; ja, ich bin Verbrecher, deshalb zögere ich, mich Ihrer noch würdig zu glauben. Lassen Sie ab von mir, Marie, und nehmen Sie den Ring zurück.«

»Ich kann nicht«, sagte sie, »denn ich bin Ihr Weib, wer Sie immer sein mögen.«

»Sie hören es, mein Vater«, rief Cinq-Mars in seligem Entzücken, »segnen Sie diese zweite Vereinigung; sie ist die aus Hingebung, welche noch schöner ist als die aus Liebe. Marie sei mein, so lange ich lebe!«

Ohne zu antworten, öffnete der Abbé die Tür des Beichtstuhles, verließ ihn rasch und befand sich außerhalb der Kirche, bevor Cinq-Mars Zeit hatte aufzustehen und ihm zu folgen.

»Wohin gehen Sie, was haben Sie!« rief er.

Aber niemand erschien und nichts ließ sich vernehmen.

»Rufen Sie nicht, um Himmels willen«, sagte Marie, »oder ich bin verloren; er hat ohne Zweifel jemand in der Kirche gehört.«

Allein, verwirrt und ohne ihr zu antworten, stürzte d'Effiat durch die Säulenhalle, und da er seinen Erzieher vergeblich suchte, eilte er an eine Tür, die er verschlossen fand; mit gezogenem Schwert durchlief er nun die ganze Kirche, und als er an den Eingang gelangte, den Grandchamp bewachen mußte, rief er diesen und horchte gespannt.

»Laßt ihn jetzt los«, sagte eine Stimme an der Straßenecke, und dann sprengten Pferde im Galopp davon.

»Grandchamp, wirst du antworten?« rief Cinq-Mars.

»Zu Hilfe, Henri, mein liebes Kind!« antwortete die Stimme des Abbé Quillet.

»Ei, woher kommen Sie denn? Sie bringen mich in Gefahr«, sagte der Großstallmeister, sich ihm nähernd.

Er bemerkte jedoch, daß sein armer Hofmeister, ohne Hut in dem argen Schneegestöber, nicht imstande war, ihm zu antworten.

»Sie haben mich angehalten, geplündert«, rief er, »die Bösewichte, die Mörder! Sie haben mich am Rufen verhindert, indem sie mir den Mund mit einem Sacktuch fest zubanden.«

Auf diesen Lärm kam endlich Grandchamp herbei, indem er sich, wie einer, der eben erwacht, die Augen rieb. Die erschrockene Laura lief in die Kirche zu ihrer Gebieterin, die anderen eilten ihr schleunig nach, um Marie zu beruhigen, und umringten dann den alten Abbé.

»Die Bösewichte! Sie haben mir die Hände geknebelt, wie ihr seht, es waren ihrer mehr als zwanzig; sie haben mir den Schlüssel zu dieser Kirchtür abgenommen.«

»Wie! soeben?« fragte Cinq-Mars, »und weshalb verließen Sie uns?«

»Sie verlassen! Die Schurken halten mich schon länger als zwei Stunden.«

»Zwei Stunden!« rief Henri erschrocken.

»Ach, ich unglücklicher Alter!« rief Grandchamp, »ich schlief, während mein Gebieter in Gefahr schwebte! Das ist das erstemal.«

»Sie saßen also nicht bei uns im Beichtstuhl?« fuhr Cinq-Mars voller Angst fort, während die zitternde Marie sich an seinen Arm schmiegte.

»Wie!« sagte der Abbé, »haben Sie den Bösewicht nicht gesehen, dem die Schurken meinen Schlüssel einhändigten?«

»Nein! Wer war es?« fragten alle auf einmal.

»Der Pater Joseph!« antwortete der gute Priester.

»Fliehen Sie, Sie sind verloren!« rief Marie.



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